Ungehindert und ohne Nachteil

Dagmar Metzger ist in der vergangenen Woche eine deutschlandweit bekannte Person geworden. Mit ihrer Weigerung, eine Rot-Grüne Regierung unter Tolerierung der Linken im Hessischen Landtag zu wählen, hat sie für Aufsehen gesorgt – wurde von der „Bild“ sogar zu „Deutschlands ehrlichster Politikerin“ ernannt.

Doch der Druck auf die Direktkandidatin aus Darmstadt ist groß, bereits Ende der Woche wurden Forderungen laut nach einer Mandatsniederlegung oder gar einem Parteiausschlussverfahren (Schattenminister Hermann Scheer). Andrea Ypsilanti dazu:

„Wer die Mehrheitsmeinung der Partei nicht mitvertreten kann, muss die Konsequenzen ziehen und sein Mandat zurückgeben“, sagte Ypsilanti der „Frankfurter Rundschau“. „Sonst wird die Fraktion handlungsunfähig und unzuverlässig. Dann wäre eine stabile Regierung nicht machbar.“ (SpON)

Mir stellen sich dann jedoch ein paar Fragen.

Wieviel Respekt bringt die SPD in Hessen noch den 19.480 Menschen aus dem Wahlkreis Darmstadt-Stadt II entgegen, die Dagmar Metzger als ihre Direktkandidatin in den Landtag gewählt haben? Denn nicht die Mehrheitsmeinung der Partei hat sie in den Landtag gebracht, sondern eben diese Wähler.

Ist nicht eigentlich unser Wahlrecht so ausgelegt, dass Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes [sind], an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Art. 38 GG)? Spricht nicht sogar die Hessische Verfassung von der Möglichkeit, das Mandat „ungehindert und ohne Nachteil“ auszuüben? (Art. 76 HV)

Haben wir nicht genau aus diesem Grunde eine Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht, damit verschiedene Meinungen und Interessen der Bevölkerung auch im Parlament vertreten sind?

Wenn die SPD jetzt beginnt, sich die Abgeordneten, die nicht in ihre Linie passen, einfach aus dem Landtag zu werfen und durch beliebigere zu ersetzen, sehe ich da ein äußerst kritisches Verständnis von demokratischer Legitimation, das sich die Partei sehr genau überlegen sollte.

In Zeiten einer seit Jahren zunehmenden Politikverdrossenheit und einer immer geringer werdenden Mitgliederbasis speziell der SPD sollte man sich schon sehr sicher sein, bevor man den Willen des Volkes derart für gering schätzt.

0 Gedanken zu „Ungehindert und ohne Nachteil

  1. Habe noch am vergangenen Freitag eine PW LK Arbeit über die Spannung zwischen Artikel 21 und dem, von dir zitierten, Artikel 38 geschrieben.

    Meiner Meinung nach geht ohne eine gewisse innerparteiliche Demokratie nicht sehr viel. Meinungspluralität ist nichts schlechtes, im Gegenteil, aber innerhalb der Partei muss man diese durch Diskurs, im Notfall durch demokratische Abstimmung, aus der Welt schaffen. Ansonsten wird die Partei, wie Frau Ypsilanti betonte, handlungsunfähig.

    Soweit ich das mitbekommen habe, war Frau Metzger bei der Parteisitzung, in der die aktuelle Sachlage besprochen wurde, nicht zugegen. Ihre Meinung stand also nicht zur Diskussion.

    Parteien sollen Menschen gleicher politischer Ansichten zusammenführen um diesen die Möglichkeit zu geben gemeinsam ihre Interessen durchzusetzen.

    Wenn hier eine Einzelperson, die noch dazu als Vertreter der Partei handeln sollte, hergeht und allein ihre Interessen durchsetzt, also gegen jegliche Geschlossenheit der Partei handelt, hat diese Person, freies Mandat hin oder her, in der „ihrigen“ Partei nichts verloren.

    Und Parteiausschlussverfahren sind ja nun auch nichts Neues, man erinnere sich an Frau Pauli, Mitte letzten Jahres. Es wird viel geredet.

  2. Frau Metzgers Abwesenheit bei der Fraktionssitzung halte ich auch für problematisch, ja.

    Als Abgeordnete ist sie aber nicht Vertreterin einer Partei, sondern Vertreterin ihres Wahlvolkes. Eine Fraktion ist nur ein loser Zusammenschluss von Abgeordneten mit dem gleichen Parteibuch, dies wird manchmal in der Parteiendemokratie Deutschland vergessen.

    Ob sie ihre Meinung anders hätte einbringen müssen, darüber kann man reden. Aber die Forderung nach einer Mandatsniederlegung kann damit nichts zu tun haben.

  3. Ganz so lose ist der Zusammenschluss in der Praxis ja dann auch nicht. Und wenn man sich mit jemandem zusammenschließt, sollte man dann auch zusammen agieren.

    Ich halte einen Parteiausschluss auch für falsch (und in diesem Fall auch gar nicht durchführbar) würde mir aber wünschen, dass Parteien geschlossener auftreten und Diskussionen und mögliche Bedenken gemeinsam in die Öffentlichkeit tragen (und hier übe ich Kritik an Frau Metzger). Diese ständigen innerparteilichen Streitereien schaden nicht nur den Parteien sondern der ganzen Politik.

  4. Oder diese öffentliche Diskussion bringt endlich mal Beteiligung der Öffentlichkeit an der politischen Willensbildung. Beides dürften wohl eher unerreichbare Ideale sein, zwischen denen das Mittel zu finden sein sollte.

  5. Meinst du mit „diese öffentliche Diskussion“ die Aktuelle, so wie sie von Metzger angeleiert wurde, oder die von mir angesprochene, die ganz klar vor der gesamten Partei getragen wird und in der niemand versucht sich in irgendeiner Weise zu profilieren oder hintenrum rum sticheln?

    Erstere (wie sie eben jetzt läuft) halte ich wie bereits gesagt für gefährlich und falsch, da die Glaubwürdigkeit der Politik darunter leidet und die Öffentlichkeit sich in ihrer Politikverdrossenheit bestätigt fühlt. Denn „Die da oben sind sich ständig uneinig und kriegen sowieso nichts auf die Reihe. Ich bleibe wie immer auf der Strecke.“

  6. Naja, statt “Die da oben sind sich ständig uneinig und kriegen sowieso nichts auf die Reihe. Ich bleibe wie immer auf der Strecke.” könnte es auch heißen: „Die da oben entscheiden doch nicht immer alles allein, der kleine Mann hat doch noch Einfluss.“

    Wir werden sehen, was passiert.

  7. Der SPIEGEL pflichtet meiner Argumentation bei, SPD-Generalsekretär Hubertus Heil übrigens auch:

    Dass man auf eine frei gewählte Abgeordnete Druck macht, um sie aus dem Parlament zu drängen, das finde ich nicht in Ordnung. Das ist bei uns auch nicht Stil, das wird auch nicht so kommen.

  8. Wie hier seitens einiger SPD Politiker argumentiert wird, nämlich, dass Metzger jetzt gefälligst nicht ihr Gewissen erforschen solle, halte ich ebenfalls für eine Frechheit. Das ändert jedoch immer noch nicht an meinen ober ausgeführten Ansichten über Parteigeschlossenheit, blabla.

    Whatever. Wir werden sehen :)

  9. Nicht, dass der SPD eine unbedingte Handlungsfähigkeit gegeben wäre, wenn eine Minderheitsregierung zustande käme.
    Aber so, wie es ist (sprich Koch als „geschäftsführender“ MP)
    ist es auch schlecht. Ich wünsche (auch als JU´ler)
    Hessen eher eine Mehrheitsregierung aus SPD und Grün als keine Regierung mit einem MP, der kein MP mehr ist…

  10. Ministerpräsident wäre Herr Koch ja schon noch. Es könnte lediglich sein, dass er als der Ministerpräsident Hessens in die Geschichte eingeht, der Studiengebühren mit eigener Mehrheit eingeführt hat und sie einige Jahre später mit fremder Mehrheit wieder abschaffen muss. Entbehrt nicht einer gewissen Komik.

  11. Und jetzt wird’s vielleicht sogar noch richtig ernst für die SPD:

    Andrea Ypsilanti droht wegen ihres Umgangs mit der SPD-Landtagsabgeordneten Dagmar Metzger Ungemach. Bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden ging eine Anzeige wegen Nötigung eines Verfassungsorgans ein. Die Behörden prüfen den Vorwurf nun.

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