Eröffnungszug

Viel hat sich bewegt, seit wir dieses Blog vor mittlerweile mehr als 3 Jahren gemeinsam neu gegründet haben. Damals war „Politik und Internet“ ein Thema, über das man vereinzelt sprach – meist, wenn gerade Wahlkampf war. Mittlerweile hat das Internet seinen Einfluss auf so viele Lebensbereiche manifestiert, dass auch in der Politik die Wechselwirkungen nicht mehr zu übersehen sind. FDP– und Grünen-Abgeordnete diskutieren über ein Internetministerium, der Innenminister setzt sich öffentlich mit dem Thema Open Data auseinander und, ja, man vergisst es oft, die Kanzlerin betreibt immer noch ein Video-Podcast. Im ganzen Land werden Bürgerhaushalte ausprobiert, mehrere MinisterInnen (lassen) twittern und es gibt eine neue Partei, die vor allem mit und im Internet bekannt geworden ist.

Szenenwechsel: Vor nicht ganz einem Monat saßen wir in Köln mit dem ehemaligen Redaktionsteam der Kampagnenpraxis zusammen und diskutierten die Zukunft von Politik und Gesellschaft im Internet. Aber es waren nicht die Erfolgsbeispiele, die wir in 50 Ausgaben unserer Reports zusammen gestellt haben, die das Gespräch dominierten. Sondern der Gedanke, was wir erreicht haben. Haben wir mit den konzentrierten Infos, den Beispielen effizienter und innovativer Kampagnen zum Nachbauen wirklich etwas bewirkt? Verändert sich politische Kampagnenführung mit dem Internet? Bei allen guten Beispielen scheint es fast so, als müsse man mit dem Blick aus der Totalen ganz einfach Nein sagen. Ich glaube, dass es vier grundlegende Probleme gibt, die jeden Fortschritt in Sachen Kampagnenarbeit verhindern. Diese Punkte wird nicht jeder teilen, mancher wird sich angegriffen fühlen. Aber ich denke, dass sich etwas tun muss. Und wir hoffen, damit etwas bewegen zu können; eine Diskussion anzustoßen, die dringend nötig geworden ist.

1. Am Anfang war die Pressemitteilung

Seit der letzten Eiszeit, so scheint es, kommuniziert man Politik über Pressemitteilungen. Die Höhlenmalereien richteten sich offensichtlich auch nicht an die Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung, sondern nur an den einen Journalisten, der die Neuigkeiten dann weiter erzählen durfte. Und so ist es bis heute ein fest geschriebenes Naturgesetz, dass man Pressemitteilungen zu schreiben hat – egal ob in der Bundestagsfraktion, im Landesministerium oder im Kreisverband der Partei. Selbst wenn man so wenig Mitglieder hat, dass man kaum noch alle Mandate besetzen kann: Für Pressemitteilungen muss die Zeit da sein.

Und dahinter steckt ja auch ein hehres Anliegen. Über die Presse, so die Idee, erreichen wir die meisten Menschen. Also müssen wir da unbedingt vertreten sein. Aber wenn alle damit beschäftigt sind, Pressemitteilungen zu schreiben, stellt niemand Fragen wie: Wie gut sind unsere Pressemitteilungen eigentlich geschrieben? Bringen wir überhaupt etwas damit ‚rüber? Liest jemand unsere Pressemitteilungen, die neben der Vorstandswahl der Kaninchenzüchter erscheinen? Und können wir die Bevölkerung nicht anders, besser, relevanter informieren?

2. Politiker haben Angst vorm Bürger

Vielleicht konzentriert sich der gesamte bundesdeutsche Politbetrieb deshalb auf Pressemitteilungen, weil Politiker Angst vorm Bürger haben. Klar, wird jetzt sicherlich der berechtigte Einwurf kommen, dass es doch Wahlkampfstände gebe, Diskussionsveranstaltungen, Parteitermine. Aber wie viele Menschen kommen da hin? Wie intensiv kann ein Gespräch werden, wenn dafür 100 andere Personen vorbei hetzen? Wie groß kann das Interesse für ein Thema sein, wenn selbst Bundesvorsitzende oder und Generalsekretäre die kleinsten Räume nicht mehr füllen?

Wendet man den Blick von direkten Begegnung auf andere, selbst geschaffene Medien, wird das Bild nicht besser. Wer hat schon einmal Informationen seiner Landesregierung bekommen, die nicht in der Zeitung standen? In Hessen gibt es einen Newsletter der Staatskanzlei – wie viele Abonnenten der wohl haben wird? Wie viele Deutsche werden wohl jede Woche Angela Merkels Podcast schauen? Politkerinnen und Politiker scheinen kein Interesse daran zu haben, ihre Bürger zu informieren. Sonst würde man nicht mehr Post von GEZ und OBI bekommen, als von allen politischen Institutionen der Republik zusammen.

3. Medien werden überschätzt

Manch Leser dieses Blogs wird den „Twitter-Streit“ um den „Twitter-Rebell“ Daniel Mack im Main-Kinzig-Kreis mitbekommen… vielleicht auch unsere Replik „Wenn es doch bloß um Twitter ginge“ gelesen haben. Eine Fraktion, zerstritten, voller Misstrauen gegen die eigenen Mitstreiter, zerlegt sich über 2 Monate in aller Öffentlichkeit. Nicht weit wegen vom Main-Kinzig-Kreis, in Wiesbaden, wehrt sich die Unionsfraktion voreilig gegen eine Aufnahme bei abgeordnetenwatch. Man werde mit den vielen Anfragen nicht fertig, die dann über dieses Internet kommen würden. Zwei Beispiele, aus denen sich die gleiche Lehre ziehen ließe: Man zerstreitet sich nicht (nur) im Internet, man will nicht nur im Internet möglichst wenig kommunizieren, möglichst wenige Fragen beantworten müssen. Aber man macht es sich gern leicht und beschuldigt ein Medium. Schaut her, wir sind nicht das Problem – es ist dieses Internet!

4. Für einen neuen Rechenschaftsgedanken

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus – Politiker sind Vertreter, keine Regenten. Die Bürger stellen kein Bittgesuch, wenn sie mehr informiert werden wollen, wenn sie mit diskutieren wollen. Sie fordern Rechenschaft von ihren Prokuristen ein. Die meisten von ihnen sind froh, dass sie Aufgaben delegieren können, sich nicht durch europäisches Vertragswerk und tarifpolitische Urwälde kämpfen müssen. Aber dafür sollten sie auch etwas erwarten können, nämlich dass Politiker Rechenschaft für ihre Handlungen ablegen. Nicht einfach nur in Wahlen alle 4 oder 5 Jahren, sondern auch und insbesondere innerhalb der Legislaturperioden.

Wer hat schon noch durchgeblickt, im finanzpolitischen Dschungel der letzten Jahre? Wo blieben die Erklärungsversuche für Hebel und Stabilitätsmechanismen? Warum hat man sich nicht ein paar gute Texter, einige Fachreferenten und einen guten Grafiker/Illustrator geschnappt und eine Broschüre produziert, die bundesweit verteilt ein wenig Licht ins Dunkle gebracht hat? Oder wenn das zu teuer war, wo blieben die Online-Informationsangebote?

Es ist Teil der Jobbeschreibung eines Politikers, sich vor seinem Auftraggeber zu verantworten, Interesse zu wecken, Ideen zu sammeln, für die eigenen Ziele zu werben.

Das Jahr 2012 bietet die Gelegenheit. Zur Abwechslung steht einmal kein Superwahljahr vor der Tür, sondern solide parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit. Was für eine großartige Gelegenheit, um abseits von 2-monatigen Kampagnen ein neues Interesse der Politik an den Bürgern un der Bürger an der Politik zu wecken. Suchen wir neue Wege, mit den Bürgern zu kommunizieren, nicht mehr nur in eine Dimension, sondern in einer offenen, interessierten Diskussion. Hören wir auf, von vorne herein auf bestimmte Wege zu setzen und andere auszuschließen. Beschäftigen wir uns weniger mit dem Medium, mehr mit der Kommunikation.

Den ersten Zug haben die Politikerinnen und Politiker unseres Landes, vom Bundeskanzleramt bis zum Gemeindeparlament. Gewinnen können wir alle.

2 Gedanken zu „Eröffnungszug

  1. Danke für die Thesen, die ich mit einer Ausnahme sehr wohl teile.
    These zwei nennst Du „Politiker haben Angst vorm Bürger“, die inhaltliche Ausführung geht aber m.E. daran vorbei. Dass klassische Parteienwerbung kaum noch von Bürgern wahrgenommen wird, ist wohl unbestritten (vgl. dazu auch Korte 2009, Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland). Trotzdem geben Parteien dafür weiterhin ein Heidengeld aus.
    Auch Online gibt es eine Vielzahl an Angeboten – von Newslettern, über Facebook-Fanpages bis hin zu Mitmach-Plattformen. Ja, vieles ist auch echt übel – manches ist aber auch gut und bereitet Informationen so auf, wie Du in der ersten These indirekt forderst.
    Aber: Die Auftritte der Politik im Netz – egal ob Social Web oder klassische Präsenzen – finden kaum Reichweite. Jeder mittelmäßige Kochblog erreicht mehr Leser als eine Parteiwebsite. Darüber muss man doch mal nachdenken. Sind wir in einer gesamtgesellschaftlichen Spirale der Politik-Verdrossenheit gefangen, dass Bürger diese Angebote generell kaum wahr nimmt? Oder ist wirklich jedes Politiker-Profil, jede Politiker-Website so schlecht? Ist es eine Mischung aus beidem oder was völlig anderes?
    Fest steht glaube ich, dass Politik größtenteils untereinander kommuniziert und weitestgehend abgeschottet ist von gesellschaftlichen Akteuren und einfach keine Interessenten findet. Auch online.

  2. Völlig berechtigter Einwand, lieber Ben. Ich sehe auch, dass es teilweise wirklich gute Angebote gibt. Aber für mich fehlt quasi die Ladenfront der Kommunikation – die direkte, erste Ansprache. Internetseiten erfordern einfach einen gewissen Aktivismus, man muss selbst danach suchen.

    Das heißt natürlich nicht, dass wir schlechte Internetseiten brauchen. Nein, wenn jemand danach sucht, muss er viel und wichtiges und gut aufbereitetes finden. Aber wir brauchen eine Ansprache davor… und die fehlt wegen 2.

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