„Wir machen Sommerpause!“

Es ist das altbekannte Spiel, im Wahlkampf brüsten sich die Parteien mit ihren Aktivitäten im Netz und bereits am Wahlabend scheinen die Zugangsdaten in den Parteizentralen auf wundersame Art und Weise verloren zu gehen. Im nordrheinwestfälischen Landtagswahlkampf Anfang diesen Jahres waren es insbesondere die Weblogs die von den Parteien gepusht wurden und besonders in die Medienöffentlichkeit traten. Doch schon kurze Zeit nach der Wahl blieb es im Feedreader ungewöhnlich still. Etliche der geführten Weblogs verabschiedeten sich bis zur nächsten Wahl, bis nach der Sommerpause oder wurden sogar aus dem Netz genommen. Eine kleine Auswahl – knapp 5 Monate nach der Wahl vom 09.05.2010:

CDU-NRW

Der Blog der nordrhein-westfälischen Union wurde zuletzt am 7. Mai und damit zwei Tage vor der Wahl aktualisiert. Mittlerweile erreicht man den Blog nicht mehr direkt, sondern nur noch über einzelne Artikel. Beim Aufruf der Startseite dagegen wird man einfach auf die Internetseite der CDU-NRW weitergeleitet. Nur etwas weiter hat es die Wahlkampfseite „NRW für Rüttgers“ gebracht, hier gibt es immerhin noch einen Eintrag vom Tag nach der Wahl. Hier muss jedoch hinzugefügt werden, dass „Wir für Rüttgers“ auf den Wahlkampf ausgerichtet war und Jürgen Rüttgers inzwischen nicht mehr Ministerpräsident ist.

SPD-NRW

In der Parteizentrale der SPD-NRW scheint die Sommerpause derweil noch anzudauern und allen Leserinnen und Lesern wird ein angenehmer Sommer gewünscht. Der letzte Eintrag im Blog der NRWSPD stammt vom 9. August. Die Jusos dagegen aktualisieren ihren Blog kontinuierlich und haben ihn nicht schon am Wahlabend eingestellt. Der letzte Eintrag ist gerade mal einen Tag alt. Die Freiwilligen-Kampagne vom fiktiven Restaurant Kraftvoll war von Anfang an auf den Wahlkampf ausgerichtet, aber eine Verabschiedung oder Danksagung nach dem Wahlabend wäre durchaus eine nette Sache gewesen. So ist der letzte Eintrag vom 8. Mai.

Bündnis90/Die Grünen-NRW

Das Weblog der Grünen ist ein weiteres Angebot, welches von Anfang an als längerfristiges Projekt ausgegeben wurde (siehe dazu auch unser Interview mit Benajmin Müller), trotzdem haben die Grünen nach der Regierungsbildung eine durchaus lange Sommerpause eingeschoben, aus der sie sich aber inzwischen wieder zurück gemeldet haben.

Verschiedenes

„Wir in NRW“ war ebenfalls vor dem Wahlkampf als langfristiges Projekt gestartet und hat sein Versprechen zuletzt mit einem Eintrag von heute eingehalten.

Anders sieht es da bei „Klare Kante“ aus. Das Weblog war als Konkurrenzprodukt zu „Wir in NRW“ gestartet, aber bereits vor der Landtagswahl mit einem Beitrag am 19. März wieder eingestellt worden. Immerhin ist das Blog noch erreichbar.

Es fällt auf, dass die Parteien im großen und ganzen dazu gelernt haben und ihre Blogs nicht einfach nach dem Wahlabend umgehend gelöscht haben. Trotzdem kann es als Armutszeugnis angesehen werden, dass während der jüngsten Wahlkämpfe an allen Ecken und Enden „Obama“ zu hören war, es aber nur wenige schafften wie eben dieser besagte US-Präsident ihre Kampagne auch über den Wahlabend hinaus zu retten. Natürlich sind die meisten der Websites und Blogs auf den Wahlkampf ausgelegt gewesen, trotzdem ist es noch immer eine häufig zu beobachtende Unsitte, dass Weblogs als wichtiges Wahlkampfelement dargestellt werden, anschließend aber nicht einmal ein ausführlicher Dank an die Unterstützerinnen und Unterstützer den Weg ins Internet findet. Stattdessen konzentriert man sich auf Danksagungsbriefe und Mails an die eigenen Mitglieder. Warum nicht einfach mal eine eigene Analyse des Wahlergebnisses ins Weblog stellen und sich anschließend mit einer guten Begründung in die Sommerpause den Winterschlaf zu verbschieden?

Parteimagazin auf dem iPad

Ein radikaler Schritt, den die Partei hier geht. Das Mitgliedermagazin wird ab sofort nur noch auf Anfrage in der gedruckten Fassung versandt (ausgenommen die Führungsebenen). Stattdessen setzt, man höre und staune um wen es sich handelt, die CDU auf das Internet, das iPad und das iPhone. Auf union-magazin.de gibt es jeweils die aktuelle Ausgabe zum Durchsehen im Browser oder zum Herunterladen als PDF. Und für die mobilen Apple-Geräte hat man eine universale App, also eine Anwendung, die sowohl für iPad als auch für iPhone optimiert ist.

Und die CDU hat nicht einfach eine lieblose App entwickelt, sondern setzt damit schon fast die Maßstäbe für Publizieren auf dem iPad. Nun gut, man sollte nicht ganz so hoch greifen, denn im Prinzip handelt es sich immer noch nur um ein Abbild des Drucklayouts. Aber an vielen Stellen im Heft öffnet ein Fingerdruck auf ein Bild gleich ein Video, zum Beispiel im Interview mit Angela Merkel – selbst die Werbung wie in diesem Falle von VW bietet ein Video an. Am unteren Ende des iPads fährt eine Navigationsleiste aus, mit der man sich geschickt zu anderen Seiten navigieren kann. Und all das schöne „mit dem Finger wischen“ des iPads findet sich auch wieder. Selbst auf dem iPhone funktioniert die App überraschen gut. Mit einem iPhone 4 und dessen hoch auflösendem Display kann man sogar die klein geschriebenen Textpassagen lesen.

Ob die Entwicklung Sinn macht? Die PR-Wirkung ist bestimmt nicht zu unterschätzen, aber der Generalsekretär spricht im Editorial auch einen weiteren Punkt an: Die Druck- und Lieferkosten. Mehr als 500.000 Mitglieder hat die Union, da muss jede Ausgabe des Magazins mächtig ins Geld gegangen sein. Die Entwicklung einer App kostet dagegen nur einmal größere Summen, die Anpassung pro Ausgabe lässt sich mit den Layoutkosten des normalen Magazins vergleichen.

Wir jedenfalls sind völlig überrascht von der Innovationskraft der Union und halten uns mit der Einschätzung, wie viele Leserinnen und Leser damit vor den Kopf gestoßen und die Zeitschrift nicht mehr lesen werden, dezent zurück.

Fremdelt die Netzcommunity?

von Christian Marx

Der Vorwurf ist bestens bekannt und gehört zum Standardrepertoire vieler Besucher von Konferenzen, Tagungen und Camps, die sich mit dem Themenkomplex „Politik und Internet“ beschäftigen. Da heißt es gerne aus dem Munde engagierter Netzbürger, die Politik dürfe sich nicht abschotten, mithin: mehr politische Inhalte müssten ins Netz. Gleichfalls fordert man eine bessere Erreichbarkeit von Parteien, Politikern und Verwaltungseinheiten über Kommunikationskanäle wie Blogs, Facebook, Twitter und Co.

Am 4. März 2010 beschloss nun der Deutschen Bundestag einstimmig, eine Enquete-Kommission zum Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ einzurichten. Aufgabe einer solchen Kommission soll es sein, innerhalb der nächsten zwei Jahre netzrelevante Themen und Probleme mit Hilfe externen Sachverstandes gründlich und mit wenig tagespolitischem Zeitdruck zu diskutieren. Zudem soll deren Arbeit entscheidungsvorbereitend auf das Parlament wirken.

Zu diesem Zweck haben die Bundestagsfraktionen insgesamt 17 Abgeordnete und gleichviele Sachverständige in das Gremium entsandt. Und – das ist neu: Es gibt zum ersten Mal sowas wie einen 18. Sachverständigen, nämlich die sog. Netzcommunity, die sich durch Beiträge und Fragen in die Debatte einmischen soll.

Noch vor der großen Sommerpause -am 5. Juli- gab es die zweite Sitzung der Enquete-Kommission. Auf der Agenda stand eine öffentliche Anhörung mit acht geladenen Experten, die zum Thema „Chancen und Risiken der Digitalisierung in Deutschland“ Auskunft geben sollten. Neben dem Internetunternehmer Lars Hinrichs (Xing), dem Medienrechtler Prof. Dr. Thomas Hoeren, stand auch der Netzwerkforscher und Psychologieprofessor Dr. Peter Kruse im Anhörungssaal den Kommissionsmitgliedern Rede und Antwort. Aber nicht nur denen. Ein Fragerecht wurde auch den Bürgern, dem besagten 18. Sachverständigen, zugebilligt. Die Idee: Besucher der Internetseite http://www.bundestag.de/internetenquete sollten im Forum Fragen posten, die dann in die Sitzung einfließen konnten. Konkret: Am Ende jeder Fragerunde wählte das Sekretariat zwei Eingaben aus, die den Experten direkt gestellt wurden. So hatte nicht nur die 34-köpfige Kommission die Möglichkeit den Informationsfluß zu steuern, sondern auch Bürger mit Internetzugang konnten nachhaken und für sie relevante Anliegen in eine Frage an die Experten kleiden.

So weit, so partizipativ. Oder auch nicht. Man hätte vermuten können, engagierte Digital-Natives und –Immigrants würden dem Sekretariat geradezu die Bude einrennen. So laut die Rufe nach mehr Beteiligung oft über Twitter und einschlägige Blogs schallen, so ernüchternd das Resümee der tatsächlichen Nutzung. So mischten sich zu dieser Anhörung nur wenige Zuschauer und User ein, wie folgender Tweet von @mrtopf belegt:


Auch Dominique Roth von politik-digital konstatiert, dass es sich bislang eher um ein „sparsam genutztes Forum“ handele, das nun durch ein Weblog und einen Twitterkanal ergänzt würde.

Mit Sicherheit sind die Web 2.0 – Beteiligungsinstrumente des Deutschen Bundestages noch ausbaufähig. Kritik daran sollte stattfinden. Aber auch das Parlament steckt in einer gewissen Zwickmühle. Es muss die Balance finden zwischen einem gewachsenen parlamentarischen Kommunikationsmanagement und den veränderten Bedingungen einer modernen Öffentlichkeit. Ein Anpassungsprozess dieser beiden Strukturen geschieht freilich nicht über Nacht. Deswegen wäre es wichtig und wünschenswert, dass die Netzcommunity die Möglichkeit und Chance zur Mitarbeit nicht verstreichen ließe. Neben dem Anschauen des Videostreams und dem eifrigen Kommentieren via Twitter, gilt es nun, zusätzliche und offene Kanäle wie das Forum mit Inhalten und Fragen zu füllen. Das kann zeitweise sicherlich frustrierend sein, die Auswahl der eigenen Frage oder Anregung ist nämlich keineswegs garantiert.  Aber es lohnt sich bestimmt.

Die parlamentarische Sommerpause ist vorbei. Am Montag, dem 13. September 2010, wird sich die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft in ihrer fünften Sitzung unter anderem mit dem Thema Medienkompetenz befassen. Mehr Infos unter: http://www.bundestag.de/internetenquete/


Christian Marx lebt und arbeitet als freier Journalist in Berlin. In Gießen hat er Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie studiert. Zum Thema „Digitale Parlamentskommunikation“ schreibt er seine Abschlussarbeit.

Screenshot: Mediathek der Enquete-Kommission

Veranstaltungshinweis: Verwaltung trifft Social Media

Bereits zum zweiten Mal treffen sich Ende September in Berlin Experten und Interessierte aus Politik, Verwaltung, NGOs, Wissenschaft und Wirtschaft, um im Rahmen des Government 2.0 Camp 2010 zwei Tage lang unter dem Motto „Lernen aus der Praxis: Neuland Web 2.0“ um über den Einsatz von Onlineplattformen in der Verwaltung von Kommunnen, Länder und Bund zu diskutieren.

„Viele Verwaltungen betreten mit dem Einsatz von Web 2.0 Anwendungen absolutes Neuland. Nur einige Vorreiter sammeln bereits Erfahrungen mit Aktivitäten in sozialen Netzwerken, mit Weblogs oder Online-Bürgerhaushalten. Viele zögern noch. Der Einsatz sozialer Medien erfordert Übung und die richtige Strategie. Hier setzt das Government 2.0 Camp an und bietet Raum für den Erfahrungsaustausch und Fragen aller Art zum Social Media Einsatz: Welche Ressourcen und Prozesse sind notwendig? Welche Anwendungen sind geeignet? Wie kann man Teilnehmer gewinnen?…“

Stattfinden wird die Veranstaltung am 30. September und 1. Oktober in der Bayrischen Landesvertretung und der Hauptstadtrepräsentanz der Bertelsmann Stiftung. Erfreulich ist auch der mit 15 Euro für Studierende erschwingliche Eintrittspreis (regulär: 30 Euro, Unternehmen: 45 Euro).

Budgets, Berufssoldaten und bayrische Kronprinzen

Gerade erst hat der frisch ins Amt gekommene Bundespräsident Christian Wullf der Verkürzung der Wehrpflicht auf 6 Monate seinen Segen gegeben, da füllt sich das diesmal erstaunlich dynamische Sommerloch mit der nächsten Debatte um die Bundeswehr. Verteidigungsminister zu Guttenberg will in nicht allzu ferner Zukunft sein Konzept für die Erneuerung der Armee vorstellen und löst damit eine Debatte innerhalb der Union aus, die bezeichnend ist für manche Probleme der CDU von Angela Merkel – und die Guttenbergs Zukunft selbst gefährden könnten.

Noch ist nicht klar, welches Konzept zu Guttenberg im September vorstellen wird. Es kursieren verschiedene Variante, doch in der medialen Berichterstattung wird nur noch über eins geredet: Das Ende der Wehrpflicht. Schaut man sich die O-Töne der Bundes- und Landespolitiker an, so redet dort niemand über Erhöhung der Infanteriestärke oder eine Halbierung der Panzerdivisionen. Es geht nur darum, ob weiterhin die nur noch oberflächlich gerechte Pflicht zum Dienst an der Waffe durchgesetzt werden soll.

Thorsten Jungholt sieht den Kern des Problems aber nicht in dem Thema, über das diskutiert wird, sondern in den Argumentationsketten. In einem Leitartikel für die WELT schreibt er:

„Denn die Wehrpflicht ist ungeachtet ihrer Verdienste ein Zwangsdienst, ein tiefer Eingriff des Staates in die Freiheit der jungen Bürger. Ihre historische Romantisierung durch Vertreter einer Identität suchenden Partei taugt dabei ebenso wenig als Argument für die Beibehaltung wie die von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg angeführten haushälterischen Sparzwänge als Grund für ihre Abschaffung. Maßgeblich für die Zukunft der allgemeinen Wehrpflicht ist allein die Sicherheitslage der Republik.“

Mit anderen Worten: In der CDU diskutiert man ein gerade anfallendes Thema niemals von theoretischer Seite, wie beispielsweise die FDP mit ihrer liberal fundierten Ablehnung der Wehrpflicht in der heutigen Zeit. Stattdessen beruft man sich entweder wie der nach bundespolitischer Bedeutung heischende David McAllister auf die Verknüpfung von Armee und Demokratie unter dem Schlagwort ‚Staatsbürger in Uniform‘ oder verweist auf die finanziell angespannte Lage der Bundeswehr wie Karl-Theodor zu Guttenberg.

Doch eine grundsätzliche Debatte über die Wehrpflicht könnte weit fruchtbarer sein, wenn man sich auf die Frage nach der Notwendigkeit von Musterung und Einberufung einlassen würde. Braucht eine moderne Armee in Zeiten von asymmetrischer Kriegsführung und Friedenseinsätzen auf dem halben Globus noch Wehrpflichtige? Ist die Begründung der in die Demokratie eingebetteten Soldaten heute noch so aktuell wie vor 50 Jahren?

Man darf gespannt sein, wie die CDU diese Debatte weiter zu führen gedenkt. Der Generalsekretär Hermann Gröhe jedenfalls beschreitet für die CDU schon ungewöhnliche Wege und will die Wehrpflicht zum Thema von Regionalkonferenzen und dem nächsten Bundesparteitag machen, um dort mit der Basis zu diskutieren.

Doch bis dahin werden wohl weiterhin die heranreifenden Pläne zu Guttenbergs aus dem Verteidigungsministerium sickern und auch die Präsentation seines fertigen Konzeptes wird der Basis nicht gerade den Eindruck vermitteln, man lege auf ihre Meinung wert. Vielleicht entsteht sogar der Eindruck, man gebe sich in der CDU-Spitze nicht einmal die Mühe, die Ideen und Pläne der Parteiführung der Mitgliederschaft zu erklären und für Unterstützung zu werben. Und das könnte für Guttenberg selbst gefährlich werden. Das erste mal in seiner politischen Karriere erarbeitet er ein Konzept von enormer Tragweite und bringt nicht nur Vorschläge nach dem Gusto der Tagesmeinung – und schon könnte er sich mit seiner eigenen Partei verkrachen.

Bild: flickr Bundeswehr-Fotos