Eltern haften für ihre Kinder

Joachim Herrmann ist ein harter Hund. Der bayrische Innenminister schränkte das Versammlungsrecht ein, um „rechts- oder linksradikale Chaoten“ einzubremsen und würde ab und zu ganz gerne die Killerspiele verbieten, die so gefährlich wie Drogen oder Kinderpornografie seien. Jetzt hat Joachim Herrmann aber selbst einen harten Hund zu Hause, oder sollte man eher sagen einen „tough dog“? Ein Gangsterrapper haust im Ministerheim in Erlangen. Die mittelfränkische Provinz wird zu Compton, die Villenviertel von Erlangen zur Bronx.

Jedenfalls dann, wenn „Jackpot“ alias Jakob Herrmann als Gangster-Rapper durch die Straßen zieht. Die Münchner Abendzeitung hat ihn enttarnt, den „Porno-Rapper“ – und weitere Zeitungen folgen.


Nicht ganz unverständlich, dass die Presse eine solche Geschichte aufgreift. Wenn der Sprößling einer Grünen oder eines Linken Gleise blockiert, als Penner vorm Bahnhof hängt oder gar die Schule abbricht – die Elternschaft hat’s ja prophezeit. Aber ein Sohn aus gutbürgerlichem Hause, der aus der Linie ausschert, das ist ja wirklich eine gute Story.  Und so schreibt die Abendzeitung:

Macht in seinen Videos einen auf dicke Hose: Gymnasiast Jakob Herrmann wird den moralischen Ansprüchen seines Vaters Joachim wohl eher nicht gerecht.

Man kann die Sprache des deutschen Gangster-Raps so abstoßend finden, wie man möchte – vielleicht ist das nicht mal schwierig, wenn der 19-Jährige Musterknabe rappt, dass jede Frau sich bückt und er das Game ficken wird – dennoch ist es legitime Ausdrucksform jugendlicher Musikrebellion, die schon seit langem die Ghettos von Berlin-Schönefeld oder Hamburg St. Pauli verlassen hat.

Die Lektion, die diese kleine Episode lehrt, ist dagegen scheinbar nicht so offensichtlich: So selbstverständlich, wie Jugendliche heute vor allem online selbst verwirklichen, so selbsterklärend ist es auch, dass die Psyche eines 19-Jährigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Abgrenzung gegenüber dem Elternhaus geprägt sein wird. Und je mehr das Leben der Jugendlichen im Internet stattfindet, desto mehr Material für Journalisten wird sich finden. Von 173 Fotos der letzten durchsoffenen Nacht über den unschönen Trennungskrieg auf Facebook-Pinnwänden bis eben hin zu den musikalischen Eigenproduktionen – Personen des öffentlichen Lebens werden sich damit abfinden müssen, dass die Rebellion der Teenager nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfindet und Eltern trotzdem nicht immer für ihre Kinder haften. Und vielleicht werden ja mit der Zeit auch nicht mehr einfach die Videos aus dem Netz gelöscht, wenn die Story losbricht. Denn für einen 19-Jährigen Gangsta aus Erlangen hat der junge Herr Herrmann mächtig Talent.

Video nach dem Klick.

Ein Blick hinter die Fassade der Grünen

Die Fronten verhärten sich. Nachdem der CDU-Bundesverband am Sonntag die Kampagne „Die Dagegen-Partei“ vorgestellt hat, legt die CSU heute nach und übertrumpft ihre Mutterpartei sogar noch in ihrer Deutlichkeit. Mit einem 30-sekündigen YouTube-Clip wollen die Christsozialen vor den Grünen warnen und deren wahres Gesicht präsentieren.

Ob sie sich die CSU damit selbst einen Gefallen getan hat, sollte jeder selbst entscheiden. In jedem Fall können wir gespannt sein auf das, was uns in diesem Jahr noch so alles erwartet.

Die Dagegen-Partei

So deutlich hat man das in Deutschland noch nicht gesehen, dass eine Partei die andere mit einer eigenen Internetseite angeht. Die CDU sieht in den Grünen die „Dagegen-Partei„, will damit dem Verlust von konservativen Wählerschichten an die neuen Bürgerlichen verhindern. Und wie könnte man besser sichtbar machen, wo die grünen überall ihre Stimme gegen den Fortschritt, die Zukunft oder gleich die Vernunft erheben, als eine digitale Karte. Und so hat man im Konrad-Adenauer-Haus eine Karte gebaut, ein Deutschland, das sich vor Schräglage kaum noch halten kann. Mit den Grünen rutscht das Land ab. Kleine Icons im Stile von Verkehrszeichen symbolisieren dann auch gleich, gegen welche Projekte die Grünen sind: Straßen, Bahnstrecken, Kraftwerke.

Nur manche Dinge fehlen. In Hessen zum Beispiel scheint die CDU das ewige Streitthema Atomkraftwerk Biblis vergessen zu haben, wie Benjamin Weiss von der Grünen Jugend Hessen bemerkt:

Über Negative Campaigning im Generellen kann man geteilter Meinung sein. Vor allem konservative Parteien nutzen diesen Mechanismus in den letzten Jahren verstärkt, um sich vom Gegner abzugrenzen und diesen zu diskreditieren. Im Internet hat man das in Deutschland aber noch nicht so deutlich sehen können. Und hier taucht das Problem auf: Denn wer sich die Internetseite der Dagegen-Partei ansieht, könnte fast die Grünen selbst als Urheber vermuten.  Nur sehr zurückhaltend übernimmt die CDU die Verantwortung für den Online-Auftritt, lässt mit grüner Farbgebung lieber den Eindruck einer Parteipräsenz stehen.

Ob bei so viel Mimikri nicht der positive Aspekt von Negative Campaigning verloren geht, bleibt offen. Und so darf man die Internetseite wohl eher als Nischenergänzung für das bundesweit gezündete Rhetorikfeuerwerk der Dagegen-Generalsekretäre verstehen. Immerhin zeigen die Christdemokraten einmal mehr das Interesse am Bürger und bieten an, sich mit eigenen Vorschlägen an die CDU zu wenden – wenn man sich auch über die Kontra-Stellung der Grünen ärgert. Auch wenn Hermann Gröhe das wie in einer schlechten Orthopädie-Werbung verkauft: Der Gedanke wäre manch anderer Partei gar nicht erst gekommen.

Update: Auch Spiegel Online hat sich der Sache gewidmet.

Weihnachten im Internet

Kurz vor Weihnachten mal ein Thema abseits der Tagespolitik: Heute hat die evangelischen Kirche (EKD) zusammen mit der katholischen Bischofskonferenz die Internetseite weihnachtsgottesdienste.de gestartet.

Bereits seit einigen Wochen werden Kirchengemeinden in Deutschland dazu aufgerufen ihre Weihnachtsgottesdienste auf der Internetseite zu veröffentlichen. Auch wenn es das abgespeckte Design im ersten Moment nicht vermuten lässt, inzwischen wurden bereits 32.759 Gottesdienste eingetragen.

Von dem was auf der Website zu finden ist könnte sich so manche Parteikampagnenseite eine Scheibe abschneiden. Die Suche liefert nicht nur die Gottesdienste vor Ort, sondern neben den Adressen (samt Google Maps-Darstellung) auch für jeden eingetragenen Termin eine Ansprechperson, die Info, ob es eine Kinderbetreuung gibt und ein barierefrier Zugang möglich ist.

Weihnachtsgottesdienste

Außerdem wurde eine eigene iPhone-App entwickelt. Doch während bspw. Parteien in den vergangenen Wahlkämpfen mit eigenen Apps immer wieder Bruchlandungen hingelegt haben, weil nur bereits auf der Website abgebildete Inhalte in der App zu finden waren, hat man in der Weihnachtsgottesdienste-App eine noch häufig stiefmütterliche Funktion der mobilen Datengeräte freigeschaltet, nämlich die Standortbezogene Dienste (location-based service). Auf diese Weise kann man sich direkt auf dem Mobiltelefon anzeigen lassen, wo der nächste Weihnachtsgottesdienst stattfindet und wann er anfängt.

iPhone-App

iPhone-App

Nicht uninteressant für die ganze Aktion ist, dass die Plattform nicht nur für evangelische und katholische Gemeinden geöffnet wurde, sondern auch alle Mitglieder oder Gastmitglieder in der Arbeitgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) ihre Gottesdienste eintragen können.

Zu unrecht verloren?

Eigentlich scheint gerade, nicht mal einen Tag nach den Wahlen in Amerika, schon fast alles gesagt. Obwohl der Ausgang wohl insgesamt so absehbar war, überschlagen sich die deutschen Nachrichtenportale mit ihren Formulierungen. „Abrechnung mit Mr. Perfect“ heißt es bei Spiegel Online, „Denkzettel für Obama“ überschreibt WELT ONLINE einen Artikel. Hier soll sicher nicht darüber diskutiert werden, was die Wahlen und die Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus für die Präsidentschaft Obamas bedeuten, dafür sind andere sicher besser qualifiziert.

Doch spannend ist es schon, wie stark scheinbar die Meinung von Obama als amerikanischem Präsidenten in seinem Staat und in Europa auseinander geht. Zum einen trägt dazu sicherlich die Entwicklung des amerikanischen Parteiensystems bei, die in einem FAZ.net-Artikel von Klaus-Dieter Frankenberger hervorragend skizziert wird. Zum anderen schafft es aber die Obama-Administration trotz aller Vorschusslorbeeren nicht, ihre Politik erfolgreich zu verkaufen. Deutsche Analysten sind sich dabei relativ einig, dass die hohe Arbeitslosenquote und die wirtschaftlich angeschlagene Situation der Staaten viel mehr mit der Finanz- und Wirtschaftskrise zu tun hat, als offenbar Konsens der amerikanischen Bevölkerung ist. Mehr noch, es mehren sich in den Kommentarspalten die Stimmen, nach denen es Obama zu verdanken ist, dass die Lage nicht viel schlimmer ist.

Wieder einmal hat Obama die Wahlkampfmaschine angeworfen und sie virtuos bedienen lassen. Völlig ohne Registrierung konnte man sich mit einem beeindruckenden Werkzeug für Obama an den Telefonhörer klemmen und bei seinen Nachbarn, Freunden oder völlig Fremden für die Wahl der richtigen Abgeordneten, Senatoren und Gouverneure werben. Noch im Wahlkampf um die Präsidentschaft war das alles hinter den Zäunen von mybarackobama geschehen. Diese Zäune hat man nun eingerissen und lässt einfach alle, die sich engagieren wollen, mit für die gute Sache kämpfen.

Aber die fast zwei Jahre Präsidentschaft von Barack Obama zeigen ganz klar, dass Wahlkampf eben nicht alles ist. Die größte Herausforderung für einen Präsidenten scheint es heute vielmehr zu sein, seine Politik im täglichen Geschäft zu vermitteln. Die Finanzkrise und ihre Bekämpfung durch gigantische (im Nachhinein vielleicht sogar zu kleine ) Konjunkturspritzen ist gewissermaßen das Stuttgart-21 des Barack Obama. Mit geballter Kraft hat man die Reformen und Investments durchgesetzt, aber bei einem Teil der Bevölkerung blieb nur der Eindruck zurück, ihr Land sei nun endgültig sozialistisch geworden.

Und selbst bei weniger konservativen Wählerschichten, auf die Obama noch zur Präsidentschaftswahl bauen konnte, setzte immer mehr die Enttäuschung ein, weil eben doch nicht alle Wahlversprechen eingelöst werden konnten. Auch hier lässt sich wieder eine Parallele nach Schwaben ziehen, wo die Grünen noch das ein oder andere Problem mit ihren Versprechen für und wider den neuen Bahnhof bekommen könnten, wenn sie tatsächlich den Ministerpräsidenten stellen würden. Politikvermittlung, nicht Wahlkampf, scheint die Herausforderung des 21. Jahrhunderts zu werden. Vielleicht ist es ja wieder Barack Obama, der nun aus dem Druck der unklaren Mehrheiten heraus, das Internet zum Werkzeug der Wahl werden lässt.

Bild: Official White House Photo by Pete Souza