Ein Präsident für die Welt?

Seit seiner Vereidigung am Dienstag ist Barack Obama der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. In den kommenden Jahren hat er viele Aufgaben zu bewältigen, bereits vor seiner Vereidigung hat sich gezeigt, dass Obama das Amt in schwierigen Zeiten übernehmen wird. Viele feiern ihn trotzdem als Retter des scheinbar verloren gegangen amerikanischen Traumes. Doch bereits mit seiner Antrittsrede und seinen Handlungen in den ersten Tagen zeigte Obama, dass er in den kommenden Monaten einen straffen Kurs fahren möchte. Er betont, dass er dabei der Präsident aller Amerikaner und auch aller Menschen in der Welt sein möchte. Und auch außerhalb von Amerika wird der neue Präsident frenetisch gefeiert. Doch zeigt sich bereits jetzt, dass Obama nicht nur auf Kuschelkurs mit Europa aus sein wird. Was also bringt die Wahl Obamas für uns?

Schon in seiner Antrittsrede am Dienstag vor dem Capitol in Washington machte Barack Obama deutlich, dass er einen Bruch mit der Politik seines Vorgängers George W. Bush vollziehen will und kündigte einen Neuanfang Amerikas an. Dass dieser Neuanfang auch Veränderungen für die Welt bedeuten wird, zeigt sich bereits jetzt. Obama wird vor allem in der Wirtschafts-, Klima- und Außenpolitik Entscheidungen fällen, die Europa direkt betreffen werden. Barack Obama versprach der Welt ein neues Amerika, das allen zuhören und wieder Führungskraft zeigen werde. Der islamischen Welt sagte er das Bemühen um neue Beziehungen im Geist des beiderseitigen Interesses und des gegenseitigen Respekts zu. Er werde aber auch alles tun, um Amerika vor der terroristischen Bedrohung zu schützen. Doch machte Obama gleichermaßen deutlich, dass er um diese Ziele umsetzen zu können die Welt und Europa auch fordern werde.

Forderung nach einem stärkeren militärischen Engagement der weltweiten Partner

Obama hat angekündigt, die rund 140.000 im Irak stationierten US-Soldaten innerhalb der nächsten 16 Monate weitgehend abzuziehen. Die höchste Priorität hat bis auf weiteres der so genannte „Kampf gegen den Terror“ in Afghanistan. Dort will er die US-Truppen wiederum von derzeit 32.000 auf 62.000 aufstocken.
„Wir werden damit beginnen, den Irak verantwortungsvoll seinen Bürgern zu überlassen und einen schwer erarbeiteten Frieden in Afghanistan zu erwirken“, sagte er bei seiner Antrittsrede am Dienstag in Washington.

In diesem Zusammenhang fordert Barack Obama bereits seit längerem ein größeres Engagement der NATO-Partner am Hindukusch. Auch Deutschland hat er während seines Wahlkampfes im letzten Jahr bereits mehrfach offen dazu aufgerufen, sich in der Krisenregion noch stärker zu beteiligen. Viele sehen in diesen Forderungen bereits die erste Bewährungsprobe für Barack Obamas Überzeugungskraft, da erwartet wird, dass er mit dieser Forderung im April zum NATO-Gipfel nach Baden-Baden anreisen wird. Der Aufenthalt stellt gleichzeitig seinen ersten Deutschland-Besuch als US-Präsident dar und es kann erwartet werden, dass er mit seinen Forderungen hierzulande nicht nur auf offene Ohren stoßen wird

Der Nahostkonflikt als erste direkte Bewährungsprobe

Neben allen weiteren Problemen wird Barack Obama direkt nach seiner Amtseinführung auch mit dem Naheostkonflikt konfrontiert. Im Wahlkampf hatte er versprochen, dass die USA unter seiner Führung mehr Druck auf Israel und die Palästinenser ausüben würden, sich zu einigen. Deshalb war eine seiner ersten Handlungen im nun von ihm benutzten „Oval Office“, wie versprochen der Griff zum Telefonhörer. So sprach er bereits am Mittwochmorgen mit dem israelischen Regierungschef Ehud Olmert, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, Ägyptens Präsident Husni Mubarak und König Abdullah II. von Jordanien.

Schließung des Gefangenenlagers auf Guantanamo

Ebenfalls hatte Barack Obama versprochen das umstrittene US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba so schnell wie möglich zu schließen. Und tatsächlich war die Aussetzung der Verfahren im Gefangenenlager eine seiner ersten Amtshandlungen als US-Präsident. In diesem Zusammenhang will er Folter und folterähnliche Methoden wie etwa simuliertes Ertrinken („Waterboarding“), die unter der Regierung Bush bei Verhören von Terrorverdächtigen geduldet waren, ausnahmslos verbieten. Was wiederum mit den noch 250 verbliebenen Insassen auf Guantanamo geschieht ist noch nicht klar. Aber Obama hat bereits angekündigt, dass die weltweite Staatengemeinschaft aufgefordert sei, ehemalige Häftlinge aufzunehmen. Auch in Deutschland wird das Thema deshalb bereits seit einiger Zeit diskutiert. Hier erwartet Obama ebenfalls die Unterstützung Deutschlands.

Stärkere Gemeinsamkeiten beim Klimaschutz

Größere Gemeinsamkeiten weist die deutsch-amerikanische Beziehung vor allem beim Thema Klimaschutz auf. Barack Obama will die Ablehnerrolle der USA bei der Umsetzung des Kyotoprotokolls beenden und strebt eine Führungsrolle bei den Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen an. Sein Ziel ist es dabei den Ausstoß von Treibhausgasen in den USA bis 2020 auf das Niveau von 1990 zu senken. Des Weiteren wünscht er sich eine Übernahme des europäischen Emissionshandelsmodells. In den nächsten zehn Jahren hat Barack Obama vor, mit Investitionen von 150 Milliarden Dollar einen ökologischen Umbau der US-amerikanischen Wirtschaft voranzutreiben. So betonte er in seiner Antrittsrede am Dienstag: „Wir werden die Sonne, den Wind und die Erde nutzen, um unsere Autos zu betanken und unsere Fabriken zu betreiben“.

Im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik kann deshalb ebenfalls einer der zentralen Paradigmenwechsel der US-Politik durch die Amtseinführung Obamas gesehen werden. In diesem Gebiet sind derzeit auch die größten Harmonien zwischen den Europa und den USA zu erwarten.

Wirtschaftliche Veränderungen

Besonders den Kampf gegen die Wirtschaftskrise hat sich Obama auf die Fahnen geschrieben, da daran maßgeblich über den Erfolg seiner Arbeit entschieden wird. Aus diesem Grund will er bereits in den ersten Wochen seiner Amtszeit mit einem staatlichen Konjunkturpaket von 825 Milliarden Dollar gegensteuern. Des Weiteren möchte Barack Obama angeblich beim nächsten G20-Treffen im April in London Pläne für eine neue Finanzaufsicht präsentieren. In diesem Zusammenhang soll geregelt werden, dass Banken, die Staatshilfen bekommen haben, von der Notenbank strenger überwacht werden. Ebenso hat Obama bereits im Wahlkampf deutlich gemacht, dass er nicht gegen Freihandelsverträge ist, aber durch Mindestbedingungen den Schutz für die Arbeiter erhöhen möchte.

Auch Einschnitte in seiner eigenen Administration

Doch um Kritiker zu besänftigen hat Obama nicht nur Forderungen nach außen gestellt, sondern auch starke Einschnitte nach innen angekündigt. So machte er bereits zwei Tage nach seiner Amtseinführung deutlich, dass es eine seiner Hauptaufgaben in Washington werde, den Lobbyismus effektiv zu bekämpfen. Die Politik solle wieder zurück aus den Hinterzimmern in die öffentlichen Arenen.
Des Weiteren verfügte Obama, dass Gehälter von Mitarbeitern des Weißen Hauses über 100.000 Dollar eingefroren werden. „Amerikanische Familien müssen den Gürtel enger schnallen, also muss Washington das auch“, sagte er.

Gespanntes Warten auf den Wandel

Insgesamt zeigt sich also, dass die ganze Welt gespannt darauf ist, ob Barack Obama die ihm zugeschriebene Rolle des „Brückenbauers“ erfüllen kann. Bereits in den ersten Tagen seiner Amtszeit hat er gezeigt, dass er einen Neuanfang wagen und mit der Politik seines Vorgängers brechen möchte. Dies wird in Europa positiv aufgenommen. Lange vergeblich mit den USA diskutierte Politikinhalte wie die Klima- und Umweltpolitik scheinen plötzlich verhandelbar. Und auch das weltweit kritisierte Gefangenenlager Guantanamo-Bay wird Obama sehr zu Freude des Großteils der Weltengemeinschaft schließen.
Doch trotzdem hat Obama schon im Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht, dass er auch – gerade in Fragen der Außenpolitik – Forderungen stellen wird. So ist es nur noch eine Frage der Zeit bis er nun offiziell als Präsident der Vereinigten Staaten an die Tür der deutschen Bundesregierung klopfen und ein größeres Engagement in Afghanistan fordern wird. Es ist zu erwarten, dass dies den ersten Dämpfer der Obama-Euphorie in Deutschland bedeuten wird. Abzuwarten bleibt aber wie weit die Forderungen Barack Obamas an die Staatengemeinschaft in anderen Bereichen aussehen werden. Wird er einen harten Kurs fahren oder erst einmal darauf aus sein, ehemalige Risse in den Verbindungen zwischen den Partnern zu glätten? So oder so steht seine Politik unter dem Zeichen des Wandels.

Dieser Artikel erschien zuerst bei idea.de

Foto: Flickr 12thStDavid

Freunde – auch nach der Wahl?

Gastbeitrag von Dr. Christoph Bieber zum Abschlussstand des „Netzwerk-Barometers“ von Homo Politicus.

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Für etwas mehr als zwei Wochen hat das Netzwerk-Barometer die Aktivität der hessischen Online-Kampagnen auf verschiedenen „Social Network Sites“ begleitet und aufgezeichnet – das Ergebnis stellt zwar nur einen kleinen Ausschnitt dieser neuen Episode im Internet-Wahlkampf dar, liefert aber durchaus schon einige interessante Resultate.

In sämtlichen Online-Netzwerken, den Kommunikationsdienst Twitter hier einmal mit eingeschlossen, hat die Zahl der Freunde, Unterstützer und Follower kontinuierlich zugenommen. Allerdings mit unterschiedlicher
Dynamik: während StudiVZ und Facebook vergleichsweise „flache“ Zuwachsraten aufweisen, haben sich Wer-kennt-Wen und Twitter als die Netzwerke mit den größten Zuwachsraten entpuppt. Gerade in den letzten Tagen vor der Wahl haben dabei offenbar erste „Netzwerkeffekte“ gegriffen: höhere absolute Unterstützerzahlen führen auch zu einem schnelleren Wachstum – sehr gut zu sehen etwa bei Thorsten Schäfer-Gümbel, der am Wahlwochenende täglich mehr als einhundert neue Freunde bzw. Follower hinzugewonnen hat. Auch nach der Wahl steigen die Kurven weiter an, allerdings vermutlich nur dann, wenn auch die Netzwerkplattformen auch weiterhin mit Inhalten, Nachrichten und Kommentaren versorgt werden.

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Im bislang nur zwischen SPD und Grünen möglichen Parteienvergleich (das Facebook-Profil von Roland Koch wird in Kürze in das Netzwerk-Barometer aufgenommen) zeigen sich auch leichte Unterschiede, die mit Blick auf die Nutzerdemografie näher zu untersuchen wären: während „TSG“ bei Wer-kennt-Wen den Spitzenwert mit knapp zweieinhalbtausend Freunden erzielt und Facebook (877 Freunde/674 Unterstützer) sowie StudiVZ (837 Freunde), ist Kordula Schulz-Asche vor allem bei Facebook erfolgreich – allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau (443).

Spannend bleibt in den nächsten Tagen die Reaktion auf das bislang verhaltene Online-Echo auf den Wahlabend – mit nur wenigen Ausnahmen haben sich die Spitzenkandidaten vor allem in den alten Medien zum Wahlergebnis geäußert. Am Tag nach der Wahl dominieren offenbar die parteiinternen Gremien und Entscheidungsprozesse – das Netz muss warten. Man wird sehen, wie Freunde und Follower auf diese leichte „Vernachlässigung“ reagieren werden. Vielleicht nicht unbedingt mit der Aufkündigung der digitalen Freundschaft, aber vermutlich doch mit der ein oder anderen Nachfrage, ob das Internet denn doch wieder nur als Wahlkampf-Gimmick herhalten musste.

Dr. Christoph Bieber ist wissenschaftlicher Assistent an der JLU Gießen und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Neuen Medien auf politische und gesellschaftliche Prozesse. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem Publikationen zum Thema Online-Wahlkampf, die Zukunft der Mediendemokratie und Interaktivität. Dr. Bieber betreibt das Blog Internet und Politik.

Der erste Internetwahlkampf 2009

Das war er also, der erste Internetwahlkampf im Jahr 2009. Wenn man die mediale Berichterstattung betrachtet, übertrumpfte er schon fast den eigentlichen Wahlkampf in Hessen. Selbst die großen TV-Sender ließen es sich nicht nehmen, in allen möglichen und unmöglichen Sendungen über den Netzwahlkampf in Hessen zu berichten und nur selten fehlte dabei der Vergleich mit der Internetnutzung des schon mantrahaft beschworenen Obama. Die herausragende Medienwirksamkeit bedeutete aber noch lange nicht, dass der Internetwahlkampf objektiv betrachtet wirklich ‚gut’ war und ebenso wenig, dass er den Bedürfnissen der Wähler gerecht wurde.

Zwei grundsätzliche Tendenzen lassen sich in diesem äußerst kurzen Wahlkampf im Internet feststellen. Zum einen ist im Vergleich zur letzten Hessenwahl im vergangenen Jahr ein Anstieg des Engagements zu bemerken. Gerade die großen Parteien CDU und SPD haben das Internet viel stärker genutzt als zuvor. Daneben steht der zum ersten Mal in Hessen in dieser Form umgesetzte direkte Kontakt mit den Bürgern, der ihnen die Möglichkeit der beidseitigen Kommunikation erlaubte.

Stärkere Nutzung des Internets als Verbreitungsmöglichkeit

Eine schwache Reichweite kann man den Onlineaktivitäten von Roland Koch, Thorsten Schäfer-Gümbel und ihren Mitbewerbern kaum vorwerfen. Immer mehr Unterstützer und Freunde konnten sie in den sozialen Netzwerken sammeln oder als Besucher für ihre Internetauftritte gewinnen. Bei der sonst so konservativen hessischen CDU kann man da schon fast von einem Innovationsrausch sprechen, betrachtet man das innerhalb so kurzer Zeit aufgestellte webcamp09. Ein Team von fast 30 ehrenamtlich arbeitenden Jugendlichen sorgte rund um die Uhr für eine mediale Bepflasterung ihres Weblogs, die an Kreativität selten zu wünschen übrig ließ. Ob man nun mit Roland Koch vor der Videoübertragung ins Internet saß und live mit den Nutzern chattete, oder man wenige Stunden nach Ende der Veranstaltungen bereits die Berichte und Interviews im Netz finden konnte. Auch so bizarre Fundstücke wie der ein oder andere Schnellrestaurantbesuch des geschäftsführenden Ministerpräsidenten wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Und die CDU unterstütze das webcamp in erstaunlichem Ausmaße, nahezu alle Minister und Parteifunktionäre besuchten die Jugendlichen und sahen sich deren Arbeit mit wachsender Faszination an. Auf der großen Wahlkampfveranstaltung mit Angela Merkel vor 4000 Zuschauern wurde das webcamp auf Großleinwand in einem Videoclip vorgestellt und die Besucher aufgerufen, doch zu Hause einmal auf der Seite vorbei zu schauen. Selbst die angereiste Bundeskanzlerin ließ sich von den webcampern interviewen, für den Reporter sicherlich ein besonderes Highlight im Wahlkampf.

Wie die CDU mit ihrem Webcamp zeigten viele der hessischen Parteien gute Ansätze in einem Internetwahlkampf, der aber auch ebenso zahlreiche Schwächen hatte. Gerade die grundsätzlichsten Informationen für interessierte Wähler wurden nicht bereit gestellt. Offensichtlich fehlte es denn Parteien an Verständnis für die Wünsche und Ansprüche der Interessenten. Kein Wähler möchte eine Internetseite einer Partei besuchen und sich erst durch verschachtelte Menüs oder eine Flut von Pressemitteilungen klicken. Stattdessen sucht er wohl eher nach einer kurzen Zusammenfassung der inhaltlichen Positionen und einer Vorstellung der Spitzenkandidaten.

Einzig die hessischen Grünen boten auf ihrer Wahlkampfseite jetztabergruen.de in der späteren Phase des Wahlkampfs unter dem Titel „Kurz und Knackig“ eine Übersicht über das Wahlprogramm an. Ein „Aufbruch für Hessens Schulen“ oder die Betonung von Natur- und Umweltschutz wurde auf der Startseite gefordert und dann in knappen Artikeln skizziert. Diese Artikel waren aber weder grafisch aufbereitet noch mit Bildmaterial veranschaulicht. Bei allen anderen Parteien fehlte solch ein leichter Zugang zu den selbstverständlichsten Informationen völlig. Man hielt es in den Wahlkampfzentralen scheinbar für ausreichend, einfach das komplette Wahlprogramm in endlosen PDF-Dokumenten zu veröffentlichen. Welcher Wähler sich diese Textwüsten wohl durchgelesen haben mag? Dabei zeigten die Wählerinnen und Wähler bereits durch das Aufrufen der Internetseite ein gewisses Interesse an der Partei und ihren Angeboten. Um so unverständlicher, dass man den einmal aktiv gewordenen Besuchern einen einfachen Zugang zu den gesuchten Informationen verwehrte.

Öffnung zum Dialog mit den Wählern

Mit einem Videoaufruf wandte sich der Thorsten Schäfer-Gümbel als Spitzenkandidat der SPD im Dezember an die hessischen Bürger. Er gestand zum ersten Mal den Fehler des Wortbruchs ein und war damit der erste SPD-Politiker, der das Scheitern der Regierungsbildung auch auf das gebrochene Wahlversprechen von Andrea Ypsilanti zurück führte, nicht mit der Linkspartei zusammen zu arbeiten. Aber forderte Schäfer-Gümbel die insgesamt mehr als 50.000 Zuschauer zum Dialog über die wirklich entscheidenden Fragen für die Zukunft des Landes auf. Allen Unkenrufen der Medien über die angeblich unprofessionelle Art des Videos zum Trotz wurde es zu einem vollen Erfolg und hunderte Zuschriften über die verschiedensten Kanäle von E-Mail bis Facebook-Nachrichten erreichten Schäfer-Gümbel und sein Team. Begeistert von der Menge der Fragen versprach der Spitzenkandidat, die Fragen zu Themenkomplexen zusammen zu fassen und dann zu erklären. Eine erste Auswahl las er aber direkt über den Schreibtisch gebeugt vor und beantwortete sie den Fragenden, die er sogar persönlich ansprach.

Leider hielten die später dann tatsächlich erscheinenden Themenvideos diese Direktheit nicht aufrecht und verkamen einmal mehr zu Wahlkampfansprachen, die eigentlich gar nicht mehr auf die gestellten Fragen eingingen. Der Wiesbadener Kurier lies Jugendliche die Videos anschauen und befragte sie anschließend dazu. Die Vorschläge der Kritiker zeigen dabei genau das Problem auf, das die Videos charakterisierte. Statt den lehrerhaft wirkenden Erläuterungen hätten sie es lieber gesehen, wenn Thorsten Schäfer-Gümbel die Fragen der Zuschauer auch mit Menschen vor der Kamera diskutiert hätte. Vielleicht wäre auch eine „Chat-Sprechstunde“ eine gute Idee gewesen, werfen sie ein. Die jetzt gezeigte Varainte dagegen finden die Jugendlichen weder spannend noch informativ und kommentieren knapp aber deutlich: „Der redet ja wie im Parlament“.

Kurz vor Ende des Wahlkampfes wendet sich auch Roland Koch, scheinbar inspiriert vom Erfolg seines Gegenübers, mit einem Aufruf an die Wähler. Der Kontakt mit Politikern sei durch die neuen Möglichkeiten des Internets wesentlich einfacher geworden. Die Politik sei auf die Anregungen und Fragen der Bürgerinnen und Bürger angewiesen und daher sollten sie diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme auch nutzen. Was Roland Koch aber hier verspricht, ist kein neuer Dialog mit den Wählern über die Zukunft des Landes sondern nur eine Verdeutlichung der ohnehin schon existierenden Möglichkeit, den Abgeordneten des Landtags oder eben auch dem Ministerpräsidenten zu schreiben.

Lernen aus Innovationen und Schwächen

In beiden Tendenzen, der insgesamt stärkeren Nutzung des Internets im Wahlkampf und im direkten Bürger-Dialog, zeigten sich im kürzesten Hessen-Wahlkampf aller Zeiten erstaunliche Ansätze. Aber auch die Schwächen waren in beiden Tendenzen auch deutlich zu erkennen. Die Kürze des Wahlkampfs und die großen Finanzierungsschwierigkeiten können nur zum Teil die Versäumnisse oder die verschenkten Möglichkeiten rechtfertigen.

In jedem Falle wird der diesjährige Internetwahlkampf seine Auswirkungen auf die zukünftige Wahlkampfführung nicht nur in Hessen haben. Der Erfolg und die Reichweite der Angebote hat die hessische Politik überrascht und sie erste Schritte in der Wirkung von politischen Werkzeugen im Internet lernen lassen. Man darf gespannt sein, ob bereits bei der Bundestagswahl im September Lernerfolge zu sehen sein werden.

Das Netz hat gewählt

01-18_17-30-03_zdfinfokanal_wahl-im-web-01-19-01-58-33In den Maßstäben der sonst so kritischen Twitter-Gemeinde war die Rückmeldung zur Sendung „Wahl im Web“ des ZDF schon überwältigend gut. Etwas mehr als zweieinhalb Stunden hatte Markus Kavka mit Unterstützung durch sein Team aus Wissenschaftlern und Studenten von den Nebenwirkungen der Landtagswahl im Internet berichtet.

Zwischen den sehr positiv aufgenommenen Analysen des ZDF-Hauswissenschaftlers Professor Korte und den Hintergrundinformationen des Lokalmatadors und Netzpolitikexperten Dr. Bieber bestimmte tatsächlich das Online-Geschehen die Sendung. Auf neudeutsch „Netzscouts“ titulierte Studenten beobachteten die Blogosphäre, die Kurznachrichtenflut auf Twitter und das althergebrachte Fernsehprogramm und brachten ihre Erkenntnisse direkt und unmittelbar in die auf dem ZDF Infokanal und heute.de live übertragene Sendung ein.

Vor allem vor dem Hintergrund des noch taufrischen Sendeformats ist das Ergebnis durchaus vorzeigenswert. Im vergangenen Jahr hieß es noch „Kleber statt Kavka“ und berichtet wurde nicht von der Landtagswahl in Hessen, sondern von der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Die Kulisse der Sendung war aber auch da schon ähnlich, man sendete in beengter Atmosphäre aus der Cafeteria der American University in Washington. Etwas großzügiger waren die Platzverhältnisse am Zentrum für Medien und Interaktivität in Gießen dann schon und so hatte man auch Platz für mehr Zuschauer – was der Sendung stark zu Gute kam.

Für viele unerwartet kam die Masse an Informationen, die hauptsächlich über den Kurznachrichtendienst Twitter auf die Beobachter hereinbrach. Mehrere hundert Nachrichten sammelten sich innerhalb weniger Stunden an und offenbarten somit gleich ein bestimmendes Problem der Sendung, nämlich den kontinuierlich herein kommenden Meldungen Herr zu werden und sie aktuell und relevant in das Format zu integrieren. Dem gegenüber stand eine schon fast bemitleidenswerte Unterbeschäftigung der Netzscouts, die die Blogosphäre zu beobachten hatten – hier tat sich über die ganze Zeit kaum nennenswertes.

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Einige Kritik mussten die Macher sich aus dem Internet gefallen lassen, wenn mal wieder ein wenig chaotisch zwischen dem ZDF-Hauptprogramm und den Netzbeobachtern auf dem ZDF Infokanal hin und her geschaltet wurde. Da blieb schon mal der Ton auf der Strecke oder gerade redende Experten mussten schnell unterbrochen werden. Warum man für die Berliner Runde der Generalsekretäre der großen Parteien (und der CSU, seit wann tritt die eigentlich in Hessen an?) für mehrere Minuten den Sender räumen musste, stieß bei einigen Kommentatoren auf Unverständnis.

Markus Kavka als neuer Moderator dagegen hatte die Sympathie nicht nur des Saalpublikums ganz auf seiner Seite. Charmant und vor allem auch kompetent und interessiert dirigierte er den Live-Marathon für alle Beteiligten, so dass sich keiner übergangen oder verloren vorkam. Natürlich waren die zweieinhalb Stunden mit den verschiedensten Elementen nicht ausreichend, um jedem einzelnen vollauf gerecht zu werden. Die Mischung aber hat „Wahl im Web“ sehr ausgewogen hinbekommen.

Einen ambitionierten deutschen Neustart des auf die amerikanische Wahlen zugeschnitten Programms hat das ZDF also hingelegt, bleibt die Frage nach der Zukunft des Formats. Gerade zur kommenden Bundestagswahl wird sicherlich noch weitaus mehr Netzaktivität nicht nur bei Parteien sondern eben auch bei den politischen Internetnutzern zu verzeichnen sein. Eine gute Gelegenheit für die Mainzer, mit dem neuen Format eine dauerhafte Innovation in ihrem Wahlberichterstattungsprogramm zu etablieren. Aber auch die Europawahl und die Landtagswahlen könnten sich für eine Neuauflage des Formats anbieten.

Die Zuschauer würde es sicherlich freuen, wenn dabei die Mannschaft die gleiche bliebe. Mit dem sich pudelwohl fühlenden Markus Kavka hat man den absolut richtigen Moderator gefunden, Parteienexperte Karl-Rudolf Korte schien die direkt über das Internet hereinkommenden Fragen zu genießen und der Netzpolitik-Forscher Christoph Bieber könnte ohnehin mehrere Stunden einer solchen Sendung mit seinen Erklärungen füllen. Wir werden sehen, wie viel Mut zum Neuen auf dem Lerchenberg in Mainz zu finden ist.

Gelb-Grünes Twitter-Interview zum Nachlesen

gelbgruenbannerDas Gelb-Grüne Twitter-Interview mit Daniel Mack (GRÜNE) & Lasse Becker (FDP) hier zum nachlesen:

1. Hat eure Partei eine Mitschuld an der gescheiterten Regierungsbildung im vergangenen Jahr?

Daniel Mack: da die grünen mit allen parteien (schwarz,gelb,rot,dunkelrot) gesprochen haben…haben die grünen wohl die geringste „mitschuld“

Lasse Becker: Keine Partei hat sich mit Ruhm bekleckert, aber Mitschuld stimmt nicht. Aber was vor der Wahl gesagt wird, machen wir halt danach.

2. Werden FDP und Grüne nach der Neuwahl offener in die Koalitionsverhanldungen gehen?

Lasse Becker: Erstmal müssen wir wissen, was die Wähler wollen. Aber es haben bis auf den Rot-Grünen-Koch Ausschluss die anderen gelernt.

Daniel Mack: das ist der große vorteil!wenn man alles ausschließt..und danach nichts macht ist man immer der „gute“

Lasse Becker: In der Praxis sah das bei den Grünen anders aus. Ist aber ein gutes Zeichen, das alle demokratischen Parteien da offener werden.

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