Ein Duell ist nicht mehr einsam

Vor dem TV-Duell machten sich die Verantwortlichen Gedanken, wie stark das Duell ins Netz strahlen sollte. Macht man einen Live-Stream oder fesselt man die Zuschauer an den Fernseher? Eigentlich sollte die Aufteilung anders aussehen, als es dann tatsächlich kam. Gerade einmal knapp 14 Millionen Zuschauer sahen das Aufeinandertreffen von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier am vergangenen Sonntag.

„Es war das TV-Ereignis des bisherigen Jahres, doch die Zuschauerzahl lag dennoch unter den Erwartungen: 14,22 Mio. Leute sahen das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier bei ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Phoenix – das ist die geringste Zuschauerzahl aller bisherigen Duelle. 2002 gab es bei den beiden Duellen jeweils mehr als 15 Mio., 2005 beim Schröder-Merkel-Duell sogar fast 21 Mio. Seher.“ (Quelle: meedia.de)

Die vier austragenden TV-Sender hatten sich im Vorfeld alle Mühe gegeben, das TV-Duell aus anderen Medien fern zu halten.  So war sowohl den an einer Übertragung interessierten Radiosendern, wie auch den Webseiten der übertragenden Sendeanstalten eine Liveübertragung parallel zum TV-Programm untersagt worden (siehe dazu: Sueddeutsche, TAZDWDL).  Man wollte die Wirkung des Duells alleine im Fernsehbildschirm bannen, doch diese suchte man am Sonntag Abend in weiten Teilen vergeblich. Die wirkliche Spannung hatte sich ins Internet verzogen. Obwohl damit zu rechnen war, schien das bei den Sendern niemand erwartet zu haben.

Das Problem mit dem Livestream

plansparkLetztlich gab es dann einen unangekündigten Livestream bei Phoenix, von dem aber auch noch niemand weiß, warum er nun doch den Weg ins Netz gefunden hatte. Die Nachricht verbreitete sich trotzdem rasend schnell bei Twitter. Der Stream erlaubte es nun zumindest auch duellinteressierten im Ausland am  „Ereigniss“ teilzuhaben. Diese hatten in vielen Fällen offenbar nicht damit gerechnet, dass man in Deutschland wirklich auf die Idee gekommen war, das Duell aus dem Netz und Radio fernzuhalten (bspw. nkeim, Yussipick, planspark). Zwar hatte ZDF-Sprecher Alexander Stock allen Personen ohne TV-Gerät empfolen, Zattoo zu nutzten – doch ist dieser Dienst nur innerhalb von Deutschland verfügbar.

Aber auch ohne offizielles Livestreamangebot lies sich das Netz den Abend eindeutig nicht verderben. Ganz offensichtlich verfolgten viele das Duell nicht regungslos vor dem Fernsehbildschirm, sondern hatten zumindest noch eine Hand an der PC-Tastatur liegen. Dadurch gingen bereits kurz nach Duellstart die ersten Webseiten in die Knie. Besonders die Liveblogs hatten mit den ungewöhnlich hohen Zugriffszahlen zu kämpfen. Auch das Livetranskript des Duells, welches wahl.de als Ersatz für den fehlenden Stream anbot, war kaum nutzbar durch den unerwarteten Besucheransturm.

Twitter und Facebook halten Ansturm stand

Unbestreitbar klare Gewinner des Abends waren daher einmal mehr Twitter und Facebook. Bereits vor dem Duell wurden die ersten Bilder und Videos bei Twitter gepostet. So etwa von Duell-Parties (Beispiel) oder direkt aus dem Studio in Berlin Adlershof (Beispiel). Bereits den ganzen Tag über versuchten die Parteikampagnen über Facebook und Twitter ihre Anhänger zu mobilisieren, sich abends das TV-Duell anzusehen. Das CDU-Unterstützerteam „Team-Deutschland“ hatte beispielsweise schon in den Tagen vor dem Duell zur Eintragung von TV-Duell-Parties in eine bereitgestellte Googlemap gebeten.

teamdeutschland

Twitter gewann am Duell-Abend auch an Gewicht, weil viele MdBs die Chance nutzten über ihre Mobiltelefone kurze Statements abzugeben. Anders als es am Wahlabend der Fall sein wird, hatten diese nämlich Zeit zum twittern. So waren auch von Seiten der Bundestagsabgeordneten etlich amüsante Tweets zu lesen. Und auch die MdBs waren, was die Kritik an den Journalisten angeht, teilweise äußerst direk:

„#tvduell Bisher blöde Journalistenfragen“ (Ulrich Kelber).

Neben den CDU- und SPD-Abgeordneten war auch die Opposition äußerst aktiv: z.B. Steffi Lemke (Bündnis90/Die Grünen), die Fraktion der Linkspartei und Ulrike Flach (FDP).

Mashups und Kommentare

Doch noch weitaus interessanter als die Twitter-Promis stellten sich am Duellabend die Tweets eines bislang völlig unbekannten Twitterers dar, der bereits nach wenigen Minuten die ersten Mashups in Form von mit Gedankenblasen versehenen Screenshots bereitstellte. Dagegen sind YouTube-Mashups bislang immer noch nicht aufgetaucht. Lediglich einige Abgeordneten waren von ihren Mitarbeitern direkt nach der Sendung gefilmt und mit ihren Statements bei YouTube verewigt worden. Beispielsweise Matthias Groote von der SPD, der auch vor einer Handykamera nicht zurückschreckte. Die CDU wiederum versuchte ihre Antwort auf witzige Art zu gestalten, in dem sie das Duell von mit SPD-Promis namensverwandten CDU-Mitgliedern kommentieren lies: „Steinmeier zum TV-Duell: „Merkel war besser“.

Auch die Post-Debate fand vor allem bei Twitter statt. So folgten die ersten Kommentare aus den Parteizentralen ein weiteres Mal über Twitter:

„Souveräner Auftritt der Kanzlerin, klare Siegerin des #tvduell #cdu+ #ak“ (Team Deutschland)

„Die Stimmung bei der #spd+ : http://twitpic.com/hml7z Die Stimmung bei der #cdu- : http://twitpic.com/hml5w #tvduell“ (SPD)

Eins ist allemal deutlich: Zu früheren Zeiten gab es im wesentlichen zwei Möglichkeiten, um ein TV-Duell zu verfolgen. Zum Einen alleine zu Hause vor dem Fernseher oder zum Anderen mit einer Gruppe zusammen, beim public-viewing. Inzwischen werden beide Möglichkeiten immer weiter verschmischt. Durch Computer und internetfähige Mobiltelfone wurde es in diesem Jahr möglich, beide Möglichkeiten zu kombinieren und sogar zu erweitern. Vielen reicht es nicht mehr, nur das Duell zu verfolgen und ihre Meinung für sich zu behalten. Das hat vor allem die Vielzahl von inhaltsreichen Äußerungen bei Twitter gezeigt. Den TV-Sendern sei deshalb empfohlen für die Zunkunft auch einmal auf Formate wie „Hack the Debate“ zu schauen (siehe dazu auch: internetundpolitik.wordpress.com).

Die Zeiten des einsamen Duellabends sind also eindeutig vorbei.

Bilder: Screenshot twitpic, twitter, teamdeutschland

Live in getrennten Welten

Das TV-Duell von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier wurde mit einer Flut von Nachrichten, Kommentaren und Beiträgen im Netz begleitet. Ein kleiner Überblick über Beispiele, Chancen und Gefahren der Netzkorrespondenten.

watchblog

Erstmals beteiligten sich auch Parteien und Politiker an der in Echtzeit geführten Debatte über die Debatte. Wie angekündigt nutzte die SPD zahlreiche Kanäle, um die Aussagen ihres Steinmeiers zu stützen und die von Merkel in Frage zu stellen. Im Schwarz-Gelb-Watchblog fanden sich hier kurze, aber aufschlussreiche Einwürfe zum Duell. Der hauseigene Twitter-Account wurde dagegen nur als Linkmaschine für den Watchblog benutzt und verschenkte so Potenzial. Wahlkampfchef Kajo Wasserhövel verabschiedete sich ganz aus der Online-Kommentierung, General Hubertus Heil meldete sich sporadisch. Bei der CDU war das Team Deutschland aktiv, ging aber nicht über das Bejubeln von Merkel-Aussagen hinaus. Im offiziellen Twitter-Account der Union trudelten ebenfalls nur ausgewählte Zitate ein. Seitenhiebe auf den Gegner finden sich kaum.

steffilemke

Steffi Lemke schoss für die Grünen ein regelrechtes Twitter-Feuerwerk ab und zeigte die Bissigkeit, die dem Duell der Regierenden fehlte. Auch der Parteikanal der Grünen mischte sich bei Twitter ein. Die Linke setzte mehr auf Facebook als Kommentarfeld und veröffentliche die Beiträge parallel bei Twitter. Da Facebook aber mehr Zeichen zulässt, verlor man durch die bei Twitter auf 140 Zeichen abgeschnittene Nachricht schnell die Lust am Mitlesen. Kurzentschlossen kommentierten die Jungen Liberalen dann doch noch bei Twitter mit dem Verbandsprofil und durch den Vorsitzenden. Vereinzelt äußerten sich auch Bundestagsabgeordnete der FDP.

Diverse Live-Blogs boten die wohl interessanteste Berichterstattung über das TV-Duell. Bei hingesehen.net konnte man auch ohne Fernsehgerät nah am Geschehen bleiben und der SPD-nahe Blog von Mathias Richel/Malte Welding zog zahlreiche Kommentatoren an. Der prominenteste Live-Blog kam vom ZDF, gefüllt direkt aus dem Studio in Berlin und den ZDF-Büros in Mainz. Angetreten mit 4 Live-Bloggern hätte man eigentlich während des Duells einiges mehr erwarten können. Zum Ende der Übertragung aber liefen die Experten zu Hochtouren auf und gaben früh sehr treffende Einordnungen ab.

wahlde

Tragisch war es schon fast, dass das eigentlich ambitionierteste Projekt des Abends schlicht unter den Anforderungen zusammen brach. Das Team von wahl.de hatte ein Live-Transcript auf die Beine gestellt und wollte nicht nur die Aussagen der Kandidaten direkt wiedergeben, sondern auch direkt von den Besuchern kommentieren lassen. Eine unfassbare Zahl an Zugriffen zeigte ein großes Interesse an dem Angebot, verhinderte aber gleichzeitig dessen Siegeszug. Vielleicht kann die Nachricht etwas trösten, dass auch das ZDF, Spiegel Online und Bild.de teilweise Probleme mit dem Datenverkehr hatten. Die halbe Nacht saß manbei wahl.de in Berlin noch an der Nacharbeit. Damit wird aber das Kanzlerduell-Transcript zu einem Teil der Nachbereitung des Duells und damit nicht weniger interessant. Seit heute morgen ist es komplett online und lädt zu Kommentaren ein.

Im TV kam von alldem nichts an. Das Internet schien ein Paralleluniversum zu sein. Doch ein Blick in die Kommentare hätte manche Fehler des Duells noch korrigieren können.

Vier gegen zwei

Nun folgen nach dem TV-Duell die ersten Auswertungen und eine Frage wird die Runde machen: War es nun ein Duett oder ein Duell? Ich kann mir den Sinn der Frage nicht so recht anschließen. Die Gegenüberstellung von Kanzlerin und Vizekanzler kann selbstverständlich keine so drastische Kontrastbildung hervorbringen, wie eine große Opposition. Woher also die Verwenderung über die mangelnde Agressivität?

merkel_steinmeier

Vielmehr muss man sich nach diesem Duell fragen, ob nicht eher die vier Moderatoren von Klöppel über Illner bis hin zu Limbourg und Plasberg die Debatte gebremst haben. Die Moderatoren haben nicht regelnd in die Debatte eingegriffen, sondern abseits aller Höflichkeit Gedanken unterbrochen. So tragen Illner, Klöppel, Plasberg und Limbourg mehr zu dem politikverdrossenen Ergebnis des Duells bei, als die beiden Kandidaten. Leider werden die Wählerinnen und Wähler das nach dem Duell nicht so realisieren. Für sie steht der Eindruck fest, dass Steinmeier und Merkel keine konkreten Antworten gegeben haben. Tatsächlich haben sie das aber versucht.

moderatoren

Doch gegen die vorlauten Moderatoren kamen sie kaum zum Zug. Die Themenkomplexe waren völlig verschoben dimensioniert und wurden im Galopp abgearbeitet. Wann ging es eigentlich im Duell um die Zukunft unseres Landes? Kaum ein Wort zur Bildung, kaum ein Wort zu Bürgerrechten.

Die Schwächen der Sendung findet man in anderer Abbildung auch im Internet. Die Debattenbegleitung schwächelte auf fast allen Plattformen. Während einzig der Medienhype von twitter nicht vor den Besuchermassen zusammenbrach, stürzten die Angebote von Spiegel Online, Bild.de, der Tagesschau oder dem ZDF ebenso in die Warteschleife wie das Live-Transcript von wahl.de. Doch diese Pannenbeschreibung kann eigentlich nur erfreulich sein, zeugt sie doch von einem ungeahnten Interesse der Internetnutzer an diesem eigentlich klassischen TV-Format. Die Wähler wollen mitreden, wollen sich informieren und austauschen.

Experimente online und im TV

Diese Beschreibung der Online-Debatte als Experiment kann gleich wieder zurück auf die Fernsehsendung übertragen werden. Im ewigen Kampf zwischen Parteiproporz und eitlen Sendeanstalten kann kein gewinnbringender Höhepunkt des medialen Wahlkampfs entstehen. Nicht vier Moderatoren müssen sich in Zukunft in einen Streit mit den Kandidaten stürzen, sondern zwei Kandidaten müssen miteinander streiten. Es geht um eine Verschiebung der Prioritäten hin zu einer treffenderen Debatte.

Man wird auch darüber reden müssen, ob sich Deutschland wirklich nur anderthalb Stunden Zeit nehmen möchte, um sich ein Bild von den Perspektiven machen zu können. Stefan Raab kann mit seinem „Schlag den Raab“ immerhin bis weit über Mitternacht die Zuschauer fesseln.

Bilder: ZDF

Die Sekundanten des Duells

Schaute man sich gestern auf den Internetseiten von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 um – man wäre nicht auf die Idee gekommen, dass am Sonntag schon das wichtigste Wahlkampfereignis, das direkte Aufeinandertreffen von Merkel und Steinmeier im TV-Duell auf jenen vier Sendern gezeigt wird. Aber auch bei den Parteien war keine Vorankündigung zu finden, kein Hinweis auf eine entweder euphorische oder kritische Begleitung des Duells. Dieses etwas diffuse Bild lichtet sich mittlerweile und so kann man eine erste Prognose für die Debattenbegleitung stellen.

5074-tv-duell-profilbild1Erstaunlicherweise steigen in diesem Jahr nicht nur unabhängige Kommentatoren, sondern auch die Parteien selbst ins hektische Live-Geschäft ein. Die SPD kündigt groß auf ihrer Internetseite an, das Duell gleich auf drei Kanälen zu begleiten. Im noch recht jungen Schwarz-Gelb-Watchblog wird sich an Merkels Aussagen abgearbeitet werden, während Facebook und Twitter die wirklich direkte Rezeption übernehmen sollen. Die Sozialdemokraten statten ihre Anhänger sogar mit einem neuen Profilbild aus, mit dem in sozialen Netzwerken auf das Duell hingewiesen werden soll. Nette Idee.

Parteien mischen sich im Netz ein

Auch die CDU wird sich in die Diskussion einmischen. Andreas Jungherr vom Team Deutschland nennt Twitter und die „entsprechenden Foren“ als christdemokratische Werkzeuge. Hauptsächlich dürfte wohl das Team Deutschland den Ton angeben, möglicherweise schaltet sich auch die Online-Redaktion ein. Für die Grünen wird Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke direkt aus dem Umfeld des Studios twittern. In einer Mail aus der Unterstützerseite linksaktiv.de wies Die Linke ihre Unterstützer darauf hin, dass sie via Live-Ticker,  Twitter und Facebook die Behauptungen von Steinmeier und Merkel prüfen wollen. Einzig die FDP scheint sich aus der direkten Debatte heraushalten zu wollen, was angesichts der lauten Töne von Guido Westerwelle in den letzten Tagen etwas verwunderlich wirkt.

Redaktionelles Rundumpaket

Aus der weniger parteiischen Berichterstattung lassen sich nur einige Beispiele hervor heben. Co-Autor Malte wird gemeinsam mit Dr. Christoph Bieber und Christian Marx vom ZMI Gießen ein Live-Blog für das ZDF schreiben. Dort gibt es bereits eine sehr interessante Einführung zu lesen. Ein weiteres Highlight ist das Live-Transcript von wahl.de, wo in beeindruckender Kleinarbeit jede Aussage der beiden Kandidaten live mitgeschrieben wird und direkt kommentiert werden kann. Spiegel Online wagt ein für hiesige Verhältnisse beachtenswertes Experiment und lässt in einer Kooperation mit Facebook die Nutzer auf der eigenen Seite kommentieren.

Die große Bandbreite von Kommentierungen im Internet können den schlechten Eindruck aber nicht wett machen, den die Sender selbst verursacht haben. Aus Angst um die eigene Quote wird es weder eine Radioübertragung noch einen Online-Stream geben. Eine gute Begründung, warum man eine so große Zahl von Wählerinnen und Wählern vom TV-Duell ausschließen will, kann man auch nicht liefern.

Was passiert nach der Debatte?

Diese fehlende Live-Übertragung im Internet könnte sich als Hindernis für die sogenannte Post-Debate erweisen, also für die Nachbereitung des TV-Duells. Während es den Journalisten aus Print und Fernsehen relativ leicht fallen wird, ihre Anmerkungen zur Geltung zu bringen, fehlt den Internetnutzern voerst eine Aufzeichnung. Sobald aber ein Mitschnitt des Duells es bis auf YouTube schafft, werden auch hier möglicherweise interessante Verarbeitungsformen auftauchen. Alan Schroeder beschreibt als amerikanischer Experte für TV-Duelle, was zur Präsidentschaftswahl 2008 passierte:

In the American debates of 2008, video-sharing websites like YouTube became another very important tool in post-debate reactions, because they allowed people to go back and watch debate highlights.  The original debate was therefore compressed into a few selected clips, which took on a life of their own.

John McCains eigenes Team sezierte das Auftreten von Barack Obama und bearbeitete den Videomitschnitt auf sehr pointierte Art und Weise. Ob auch die Parteien sich trauen werden, so offensiv mit dem noch fast sakral behandelten Medium Fernsehen umzugehen, muss man offen lassen. Die deutsche Nutzerschaft jedenfalls hat ihre Zuneigung zum „Remixen“ von politischen Videos im Internet schon bewiesen.

Bild: ZDF

Vor dem Duell

Die ersten TV-Duelle zwischen Edmund Stoiber und Gerhard Schröder zogen 2002 bereits jeweils um die 15 Millionen Zuschauer an. Drei Jaher später war es wieder Gerhard Schröder, der sich nun mit Angela Merkel messen musste. 21 Millionen Zuschauer bedeuteten damals einen Marktanteil von fast 60 Prozent. Auch in diesem Wahljahr wird es ein TV-Duell geben; wieder wird es auf Wunsch von Angela Merkel nur zu einer Auflage kommen. Am kommenden Sonntag, dem 13. September, werden sich Merkel und Frank-Walter Steinmeier 90 Minuten direkt gegenüber stehen und den Fragen von gleich vier Moderatoren stellen. Eine kleine Auswahl von interessanten Perspektiven vor dem Duell.

tvduell

Thorsten Faas analysiert im „Wahlen nach Zahlen“-Blog auf Zeit Online, wie die Zuschauer TV-Duelle wahrnehmen. Am Beispiel des Duells Stoiber-Schröder zeigt er auf, wie fein das Gespür der Zuschauer für die Aussagen der Politiker wirklich ist.

Doch auch die Echtzeitmessungen des zweiten Duells zeigen Chancen und Gefahren solcher Ereignisse – Duelle sind “High Risk Television”. Gerhard Schröder konnte in der ersten Hälfte der Debatte, die folgende Grafik zeigt es, mit seiner Absage an eine Zusammenarbeit mit der PDS punkten, vor allem aber, wie schon im ersten Duell, mit seiner Ablehnung des Irak-Kriegs. Dass TV-Debatten tatsächlich “Miniatur-Wahlkämpfe” sind, zeigt sich auch darin, denn dieses Thema dominierte den Wahlkampf 2002 bekanntlich insgesamt.

Für Faas ist ganz klar, dass nur die kleinste Unachtsamkeit eines Kandidaten zu einem spannenden Abend führen könnte. „Dem bisherigen Grundtenor, der die Erwartungen im Vorfeld der Debatte prägt, nämlich dass es eher langweilig werden wird, ist daher nur bedingt zuzustimmen. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit genügt und es ist mehr Spannung da, als es einem der beiden Kontrahenten vielleicht lieb ist.“

Hinter den Kulissen von 2002

Michael Spreng kann als Berater von Edmund Stoiber einen sehr genauen Einblick in die TV-Duelle geben:

Mein Interesse war, die Duelle so formalisiert und regelementiert wie möglich durchzuführen, um dem situativ stärkeren Politiker, Gerhard Schröder, wenig Freiraum zu geben. Wir hatten uns dazu ausführlich mit den amerikanischen TV-Duellen beschäftigt und eine Mitarbeiterin von mir hatte in den USA mit den dort Verantwortlichen gesprochen. Das Ziel war, salopp gesagt, Stoiber ein stützendes Korsett zu verpassen, Schröder dagegen eine ihn einengende Zwangsjacke. Dies gelang in den Verhandlungen mit der SPD und den TV-Sendern auch – mit dem Ergebnis, dass Stoiber im ersten Duell als Sieger wahrgenommen wurde, weil er besser war, als von den Medien erwartet. Das zweite Duell verlor Stoiber, unter anderem auch deshalb, weil Schröder aus dem ersten Duell gelernt hatte und die Zwangsjacke sprengte.

Ebenfalls im „Wahlen nach Zahlen“-Blog weist Juergen Maier darauf hin, dass die Wahrnehmung der Debatten nicht immer direkt erfolgt. Die Berichterstattung über die TV-Duelle beeinflusst ganz klar die öffentliche Meinung dazu: „Damit kommt ein vierter Akteur ins Spiel, der neben den beiden Kandidaten und den Fernsehzuschauern über die Effekte von TV-Debatten entscheidet: die Massenmedien, die über Debatten breit berichten – und zwar höchst selektiv und stark wertend. Sie sind in der Lage, persönliche Beobachtungen zurechtzurücken; sie sind auch in der Lage, Einschätzungen, die vorher nicht existiert haben, zu generieren“

Drei Szenarien für das Duell

Andreas Grieß hat in einer interessanten Übersicht drei mögliche Szenarien für das TV-Duell ausgemacht:

1. Beide reden, sagen aber nichts. Merkel werde versuchen, sich nicht angreifbar zu machen und die möglichst neutralen Moderatoren und ein fahriger Steinemeier werden es nicht schaffen, sie „auf konkrete Aussagen festzunageln“. Ergebnis: Die Zeitungen würden titeln „TV-Duell ohne klaren Sieger“, jeder würde je nach parteipolitischer Brille den einen oder die andere vorne sehen – in der Wahlentscheidung spielte das Duell für kaum einen eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit gibt Grieß mit „traurigen 65%“ an.

2. Steinmeier zwingt Merkel in die Enge oder diese verhaspelt sich. Wenn Steinmeier es dagegen schaffe, die bisher inhaltlich zurückhaltende Kanzlerin zu konkreten Aussagen zu zwingen, könnte das ihr Image verändern. Ergebnis: Überschriften wie „Steinmeier bringt Merkel in Erklärungsnot“ würden genauso wie die Frage „Wahlausgang wieder offen?“ die Runde machen. An den Stammtischen könnte der Satz „Die konnte ja wirklich keine Antwort geben“ häufig fallen. Viele würden ihre Wahlentscheidung noch einmal überdenken. Die SPD und andere Parteien dürften gewinnen, die CDU könnte noch kräftig verlieren. Der Wahlkampf würde in den letzten zwei Wochen noch eine Wende nehmen, denn auf einmal wäre die CDU gezwungen offensiv mit Inhalten zu werben. Für Grieß ein unrealistischer Fall, er nennt 20% Wahrscheinlichkeit.

3. Merkel blamiert Steinmeier. Steinmeier müsse angreifen, dabei könne er sich auch verrennen. „Kritisiert oder attackiert er nur, kann er schnell unsympathisch oder verzweifelt wirken. Wenn Merkel dabei ruhig bleibt und die Übersicht behält, kann sie dann den Spieß sogar umdrehen und ihrerseits Steinmeier attackieren.“ Ergebnis: Es würde heißen, Steinmeier hätte sich die Zähne ausgebissen. Zwei Wochen vor der Wahl würde das TV-Duell schon als letztes Aufbäumen der SPD und Steinmeiers verstanden werden. Eine Kanzlerschaft Steinmeiers würde kaum noch einer für möglich halten, das Werben um Stimmen würde für die SPD damit fast unmöglich. Für den zweiten spektakulären Fall nennt Grieß eine Wahrscheinlichkeit von 15%.

Rhetorikanalyse von Merkel und Steinmeier

Als Ergänzung zu diesen Varianten kann man die Analyse von Ulrich Sollmann betrachten, der sich mit dem Auftreten, der Rhetorik von Merkel und Steinmeier befasst: „Die Wähler werden sich während des TV-Duells selbst ihr Bild davon machen, welcher Verhaltensstil sie eher ansprechen wird. Merkel kann dabei besser punkten, wenn sie bei Konfrontation mehr auf ihre eigene Kraft und Energie vertraut. Steinmeier kann stärker überzeugen, wenn er statt zu viel zu überlegen auch mal einen Überraschungsangriff wagt.“

Einen umfassenden Einstieg in die Geschichte der TV-Duelle bietet das ZDF – ergänzt durch fachkundige Analysen von Dr. Christoph Bieber. Er meint:

„Tendenziell mehr zu verlieren hat die Kanzlerin. Die Debatte ist in den letzten Tagen darauf hinaus gelaufen, dass sie sich dem Wahlkampf mehr oder weniger verweigert“, meint Christoph Bieber. Die öffentliche Nachfrage nach dem Duell sei aber inzwischen derart groß, dass eine Weigerung teilzunehmen „genau wie in den USA als Kneifen ausgelegt würde, das konnte sich auch Frau Merkel nicht erlauben. Das kann man als Bruch, als Wiedereintreten in die Wahlkampfsphäre interpretieren.“ Das TV-Duell wird nach seiner Einschätzung noch etwas länger das dominante Ereignis im Wahlkampf sein: „Man erhält einen kurzen, knappen Einstieg in das Wahlkampfgeschehen. Diejenigen, die sich umfassend in allen Medien informieren, werden nichts Neues erfahren, es sei denn, es kommt zu einem Patzer.“

Interessanterweise findet sich auf den Interneseiten der beteiligten TV-Sender ARD, ZDF, RTL und Sat.1 bisher kein prominent platzierter Hinweis auf das TV-Duell in 3 Tagen. Wenige Tage vorm Duell scheint es den Sendern nicht daran gelegen zu sein, groß auf dieses aufmerksam zu machen. Wir werden vor dem Duell noch genauer auf die medialen Begleiterscheinungen eingehen.

Bild: RTL