Die fragwürdige Begeisterung der Parteien für die Briefwahl

Bildquelle: flickr.com, Awaya Legends

Ob ich am 24. September wohl alleine im Wahllokal stehe und einsam meine Kreuze auf den Stimmzettel setze? Zumindest wenn ich mich in meinem Umfeld umhöre, deutet alles darauf hin, dass in den Wahllokalen nicht mit Menschenmassen zu rechnen ist. Egal mit wem ich in den vergangenen Tagen gesprochen habe, häufiger als jemals zuvor hörte ich das Wort Briefwahl. Gewählt wird daheim – unabhängig vom Wahltag.

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Mehr Briefwahl wagen (?)

„Mehr Briefwahl wagen!“ Das zumindest empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung in einer aktuellen Veröffentlichung. Eine antragsfreie Briefwahl (Stichwort All-Postal-Voting) wird als Möglichkeit aufgeführt, die Wahlbeteiligung hierzulande dauerhaft zu erhöhen.

Ein Verweis auf unsere Schweizer Nachbarn darf dabei natürlich nicht fehlen. In der Schweiz erhalten die Wähler bereits seit vielen Jahren Ihre Wahlunterlagen vorab auf dem Postweg und es steht ihnen frei die ausgefüllten Unterlagen im Wahllokal abzugeben oder per Post zu schicken. Die Wahlbeteiligung konnte dadurch dauerhaft erhöht werden.

In der Veröffentlichung der Bertelsmann-Stiftung heißt es weiter, dass die Akzeptanz der Briefwahl auch in Deutschland inzwischen sehr hoch sei. Laut einer Umfrage, die man beim Allensbach-Institut in Auftrag gegeben habe, mache es für 57,2 Prozent der Deutschen keinen Unterschied, ob sie am Wahlsonntag ins Wahllokal gehen oder ihre Stimme per Brief abgeben. Bei den jüngeren (16-29 Jahre) liege der Anteil sogar bei 72 Prozent. Deshalb sollen die politischen Entscheider davon überzeugt werden, sich für die Ausweitung der Briefwahl stark zu machen.

So weit so gut. An der Bertelsmann Veröffentlichung irritiert mich allerdings, dass der Brief als „(…) einziger flexibler Weg der Stimmabgabe (…)“ angesehen wird. Alternative Möglichkeiten der Stimmabgabe (eVoting!) finden dabei keine Erwähnung.

Digitale Formen der Stimmabgabe werden in den meisten Diskussionen inzwischen vollständig ausgeklammert. Zu unsicher. Dabei ist die Briefwahl keine bessere Variante. Wer garantiert mir, dass meine Wahlunterlagen überhaupt bis in die Wahlurne gelangen? Wahlunterlagen verschwinden zu lassen ist nach wie vor kein Hexenwerk. Da helfen auch Barcodes und Personalausweis-IDs nicht wirklich – auch wenn beides schon mal gute Schritte wären, um die mehrfache Abgabe von Stimmen zu verhindern.

Mich kann die Briefwahl einfach nicht überzeugen und ich bleibe dabei: Wenn eVoting als zu manipulationsanfällig angesehen wird, sollte man die Briefwahl ebenfalls nicht ausweiten.

Sind Briefwahlen die Lösung?

In den bayrischen Diözesen waren am Sonntag alle Katholiken dazu aufgerufen ihre neuen Pfarrgemeinderäte zu wählen. Unter normalen Umständen eine Meldung, die über die Landesgrenze hinaus kaum für Aufmerksamkeit gesorgt hätte. Spannend ist jedoch, dass die Kirchenmitglieder in Bayern ihre Stimmen in diesem Jahr fast ausschließlich per Briefwahl abgegeben haben. Den Wahlberechtigten wurden die Wahlunterlagen bereits vor dem Wahltag per Post zugeschickt. Auf diese Weise erhoffte man sich eine höhere Wahlbeteiligung. Auf der Website des Erzbistums München und Freising hieß es im Vorfeld dazu:

„Für die Allgemeine Briefwahl sprechen die positiven Ergebnisse in den Diözesen Würzburg und Eichstätt: Während die Wahlbeteiligung bei den letzten PGR-Wahlen in Bayern durchschnittlich 15,6 % betrug, lag die Wahlbeteiligung in der Diözese Würzburg bei 33,4 %. Dort waren alle Wahlberechtigten eingeladen, per Allgemeiner Briefwahl abzustimmen. In der Diözese Eichstätt konnten die Pfarrgemeinden „wählen“, ob sie auf die Allgemeine Briefwahl zurückgreifen. Die Wahlbeteiligung war dort in den Pfarrgemeinden, die dies nutzten, signifikant höher.“

Auch die Kirchenwahl zeigt, dass sich allgemein etwas zu verändern scheint. Seit einigen Jahren nun sind Wahlen nicht mehr zwangsläufig räumlich und zeitlich fest gebunden. Bei der Bundestagswahl haben jüngst knapp 25 Prozent aller Wähler ihre Stimme außerhalb des Wahllokals abgegeben. Der Anteil steigt seit Jahren, von Wahl zu Wahl. Zwar haben es die Briefwähler-Rekorde im Anschluss an die Bundestagswahl für ein paar Tage in die Medienberichterstattung geschafft, aber eine weitreichender Diskussion blieb auch dieses Mal aus. Dabei wäre es längst an der Zeit, den Ablauf von Wahlen in Deutschland auf den Prüfstand zu stellen.

Fakt ist, immer mehr Menschen nutzen die Möglichkeit unabhängig vom Wahltag zu wählen. Seit der Wahlrechtsänderung im Jahr 2008 dürfen sie dies auch offiziell. Zuvor war die Stimmabgabe außerhalb des Wahllokals rechtlich nur möglich, sofern triftige Hinderungsgründe Vorlagen.
Klar ist aber auch, der größte Teil aller Wähler ist nach wie vor im Wahllokal anzutreffen. Berücksichtigt man jedoch das vermutete Altersgefälle, ist davon auszugehen, dass es eine Relevanzsteigerung für das Thema geben wird. Aber leider sind es trotzdem noch immer bloß Spekulationen, wenn davon ausgegangen wird, dass besonders junge Menschen die Möglichkeit der Briefwahl nutzen. Es stellt sich deshalb die Frage, warum sich die Demoskopie anscheinend nicht für das Thema interessiert? Es wäre sicherlich spannend, im Rahmen der Interviews für die Sonntagsfrage mit abzufragen, ob die vorzeitige Stimmabgabe geplant oder bereits erfolgt ist. Die Frage, die sich mir immer wieder stellt ist, ob die Wahlbeteiligung ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Briefwahl seit Jahren kontinuierlich sinken würde.

Kaum jemand scheint sich zu fragen, welchen Einfluss Briefwahlen auf Wahlabläufe und -ergebnisse haben. Genauso scheint fast niemand die Briefwahl in Frage zu stellen. Sie ist als allgemeingültige Variante der Stimmabgabe inzwischen anscheinend voll anerkannt. Die gesetzlichen Sozialversicherungsträger in Deutschland führen die Sozialwahl als reine Briefwahl durch und Parteien stellen auf dem Postweg ihre personellen und politischen Entscheidungen zur Abstimmung. Doch kaum jemand äußert Angst vor Manipulationen – oder sie werden für den Komfort bewusst in Kauf genommen. Dabei sind die Möglichkeiten des Betrugs bei der Briefwahl vielfältig. An dem Prozess sind so viele Menschen beteiligt, dass Manipulationen nur schwer zu bemerken sind.

Klar ist, dass es einen Modernisierungsbedarf gibt, was die Möglichkeiten der Stimmabgabe angeht. Aber sind Briefwahlen die Lösung?

CSU (sic!) will Online-Wahlen

Diese Meldung braucht keine großen Worte, sie liefert sie schon selbst. Markus Söder, CSU-Finanzminister in Bayern, möchte Online-Wahlen. Als digitale Briefwahlen ausgelegt sollte mit ähnlichen Sicherheitsmechanismen wie beim Online-Banking jeder Bürger, jede Bürgerin von zu Haus aus Wählen können. Es wäre ein Treppenwitz des Wahlrechts, wenn die auch hier mit einigen Bedenken betrachteten Briefwahlen ausgerechnet über das Internet neu legitimiert würden. Söder wörtlich im Interview bei welt.de:

Söder: Wenn Online-Banking möglich ist, kann auch Online-Voting machbar sein, das heißt die elektronische Briefwahl. Neben der Stimmabgabe in der Wahlkabine oder der klassischen Briefwahl kann es auch möglich sein, seine Stimme in Form einer elektronischen Briefwahl abzugeben. Eine Vision ist, dass dies 2018 schon möglich ist. Dazu muss allerdings aus Sicherheitsgründen die Signaturen-Gesetzgebung noch vorangebracht werden. Eine erste Möglichkeit für eine solche elektronische Briefwahl könnte das neue Instrument der Volksbefragung sein. Eine Online-Volksbefragung wäre ein hervorragender Testlauf für eine elektronische Wahl.

Gedanken zur Briefwahl

Jeder vierte Wähler hat bei der Bundestagswahl seine Stimme per Briefwahl abgegeben (siehe handelsblatt.com). Nachdem bereits Tage vor dem Wahlsonntag ein neuer Rekord an Briefwählern erwartet wurde, gibt es damit nun die Bestätigung. Und spätestens jetzt wird klar, gewählt wird nicht mehr nur am Wahltag.

Von besonderer Relevanz ist diese Veränderung aber auch deshalb, da ich vermute, dass sich hier eine Generationenproblematik auftut. Per Brief gewählt wird in allen Altersgruppen, aber rein subjektiv betrachtet habe ich den Eindruck, dass insbesondere junge Wähler kaum noch im Wahllokal anzutreffen sind. Gewählt wird zu Hause. Es wäre also dringend an der Zeit zu untersuchen, wer per Brief wählt. Leider fehlt mir die Kenntnis, ob die Städte und Gemeinden Zahlen darüber erheben, bzw. erheben dürfen.

Dass immer mehr Menschen per Brief wählen ist das Eine. Das Andere sind die gleichzeitig vielfältig aufgetretenen Problem- und Beschwerdefälle – von der erwartbaren Dunkelziffer ganz abgesehen. Quer über die ganze Republik verteilt wird von Unregelmässigkeiten berichtet. Mal in harmloserer, mal in deutlich problematischerer Hinsicht (siehe Spiegel-Online). Ich hatte es schon vor der Wahl geschrieben: Die Briefwahl sollte in den Fokus genauerer Untersuchungen genommen werden. Man muss die Briefwahl ja nicht grundsätzlich verteufeln und sicher gibt es noch einige effektive Maßnahmen, die zu einer deutlichen Verbesserung führen würden.

Zwei lose Gedanken dazu von mir:

  1. Warum sind die Briefwahlunterlagen nicht halbwegs fälschungssicher? Die zu erwartenden Mehrkosten müssten es uns ja wert sein. Aktuell scheint man nur wenig Energie aufwenden zu müssen, um Briefwahlunterlagen zu fälschen (siehe golem.de).
  2. Warum habe ich als Wähler keine Möglichkeit zu erfahren, ob meine Briefwahlunterlagen im Wahllokal eingetroffen sind? Möglich wäre eine online abrufbare Empfangsbestätigung, wie es für Einschreiben bei der Post inzwischen Standard ist. Mein Vertrauen würde es in jedem Fall stärken, wenn ich wüsste, dass meine Briefwahlunterlagen ihr Ziel erreicht haben.