Wahlplakate 2009

Nur noch anderthalb Monate sind es bis zur Bundeswahl und allmählich haben alle Parteien ihre diesjährigen Wahlplakate vorgestellt. Auf homopoliticus.de finden sich alle Plakatmotiven von CDU, SPD, Grünen, FDP und der Linken mit einer Analyse von Achim Schaffrinna.

Interessant ist die Verteilung von Themen- und Personenwahlkampf unter den Parteien. Die Kanzlerinnenpartei CDU stellt ihre beliebten (und manche unbeliebtere) Spitzenpolitiker rund um Angela Merkel auf. Die SPD setzt dagegen auf einen Themenwahlkampf für Frank-Walter Steinmeier, der als einziger Spitzensozialdemokrat ein eigenes Plakat erhält. Auf der anderen Seite des Spektrums setzen die Grünen durchweg auf Inhalte und werfen mit einer schon unüberschaubaren Menge an Forderungen um sich. Wer soll bei 11 Themenplakaten noch durchblicken? Die Spitzenkandidaten Trittin und Künast jedenfalls fehlen auf den Plakatmotiven (Update: Mit Dank an Till Westermayer haben wir die Personenplakate der Grünen eingefügt). Den ausgewogensten Mix zwischen Themen und Köpfen zeigt die Linkspartei, die Lafontaine und Gysi mit gleich 4 Motiven prominent neben den 6 Themenplakaten positioniert.

Für uns kommentiert Achim Schaffrinna vom Design Tagebuch die Gestaltung der Wahlplakate 2009. Vielen Dank dafür.

CDU

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Die gestalterische Qualität zeigt sich in vielen Bereichen. Das Farbkonzept ist ausgereift. Blaue Töne schaffen Vertrauen, die dank der türkisfarbenen Akzente, die mal dezent und mal stärker gesetzt sind, keine Schwere und keine Trägheit verkörpern, sondern eine lebendige Frische ausstrahlen. Orange als fester Bestandteil des Corporate Designs der CDU ergänzt das Konzept. Der variable Aufbau und die Ausrichtung der typografischen Elemente unterstreicht diese Lebendigkeit, die man in der hier gezeigten Galerie wunderbar veranschaulicht sieht. Bei der Typografie fiel die Wahl – trotz eigener Hausschrift („CDU Kievit“) – auf die Helvetica, die bauchiger ist und weiter läuft. Der enge Zeilenabstand in Kombination mit Großbuchstaben lässt die Plakate zeitgemäß erscheinen. Das Besondere an den Plakaten ist, dass sie nicht in Baukastenmanier entstanden sind – also anderer Kopf rein > neue Überschrift > fertig – sondern ausgehend von der Fotografie jeweils eine individuelle Anordnung von Text und Bild geschaffen wurde. Einzig das CDU-Logo ist als feste Konstante stets rechts unten eingebunden. Die Fotos selbst sind allesamt Momentaufnahmen und keine Porträts. Auch das unterscheidet sie von den Mitbewerbern. In Photoshop wurde nachträglich hier ein Blendenfleck und da ein Weichzeichner angelegt um den Eindruck des Flüchtigen zu unterstreichen. Das Konzept hinter den Plakaten lautet: Natürlichkeit ist Trumpf.

Fazit: Tolle Arbeit. Feine Plakate. Würde man nicht eine Partei wählen, sondern die Gestaltung der Plakate, wäre dies mein Favorit.

SPD

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Nach der mutigen, gestalterisch einzigartigen und von einigen Seiten kritisierten SPD-Kampagne zur Europawahl fallen die Plakate zur Bundestagswahl doch eher gewöhnlich aus. Aufmacher der Plakate sind Textbotschaften, die in imposanter Größe und Stärke, gesetzt in der SPD-Hausschrift „TheSans“, auch bei schneller Vorbeifahrt noch aufgeschnappt werden können. Die Aufbereitung eines Informationskonzentrats, dass leicht konsumiert werden kann, ist ein tragendes Moment solcher Wahlwerbeplakate. Statt Köpfe werden Gründe präsentiert, die sich die Bundespartei vielleicht vom Oberbürgermeister von Hannover Stephan Weil „abgeguckt“ hat. Neben der rein typografischen Serie, gibt es eine Linie, in der Menschen wie du und ich „ihren“ Grund benennen. Gutausehend sind sie. Die Attraktivität der abgebildeten Menschen soll bestenfalls in Form eines Image-Transfers auf die Partei abfärben. So jedenfalls die Philosophie hinter der Testimonial-Idee. Die Fotos sind inszeniert, wirken aber natürlich.

Fazit: Handwerklich gibt es nichts zu bemängeln. Das lässt sich auch zum Corporate Design der SPD sagen, obwohl ich mich immer noch mit dem neuen 3D-Logo der SPD schwer tue. Gestalterisch können sie nicht an die provozierende EU-Serie anknüpfen.

FDP

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Einheitskost par Excellence! Diese Art der Wahlwerbung kennen wir seit Jahrzehnten und nehmen sie kaum noch zur Kenntnis. Da hilft auch das schreiende Gelb nicht. Ein Lächeln für die Kamera. Die Deutschlandfahne dezent im Hintergrund und eine, teils schlecht gesetzte Überschrift. Das ist stereotyp, abgegriffen und ebenso einfallslos wie die Botschaft „Mehr Netto vom Brutto“. Im Plakat von Otto Solms steht das gelb gesetzte „besser“ auf gelbem Untergrund. Oh wei. Liebe FDP-Plakat-Gestalter, das geht deutlich besser. Bitte denkt doch an die Menschen, die die Botschaften lesen sollen.

Fazit: Die Gestaltung, soviel lässt sich ablesen, ist kein Schwerpunkt der FDP. Sie liefert mit weitem Abstand das konservativste Angebot zum Thema Wahlwerbung.

Grüne

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Nachdem WUMS gestalterisch eher nach hinten los ging, sind die Grünen wieder näher bei sich, wie ich meine. Die Plakate sind im rohen Graffiti-Look angelegt. Natürlich geht heute keiner mehr mit der Sprühdose los. Mit entsprechender Werkzeugspitze werden Schriftzüge und Bildelemente detailverliebt in Photoshop erstellt. Das ist handwerklich gekonnt. Ganz bewusst werden Schablonenkanten mit der Maus gesetzt, um den Eindruck zu vermitteln, man sei wild, rebellisch und authentisch. Street-Art ist ganz nah bei den Menschen. Das steckt hinter dem Konzept. Ich finde es gar nicht verwerflich, dass sich hier keiner die Finger mit Farbe schmutzig gemacht hat sondern nur der Anschein erweckt wird, man hätte die Wände besprüht. Der Aufbau nutzt, anders als SPD, FDP und Die Linke, keine Schablone. Man möchte meinen, je nach Lust und Laune wurden bildhafte Elemente und knackige Begriffe arrangiert. Grün, Gelb, Rot, Blau und Magenta erzeugen ein buntes Miteinander. Passt ja durchaus zu den Vorstellungen der Partei in Bezug auf das Zusammenleben von Menschen.

Fazit: Die Grünen präsentieren ein Design, das passt. Hinter der Unordnung steckt handwerkliche Akribi. Wer allerdings grundsätzlich die Partei nicht mag, dem wird vermutlich auch das Spröde und das Rohe in der Gestaltung nicht zusagen.

Die Linke

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Die Schriftart Helvetica findet sich bei der CDU und auch bei den Linken. Wohl eine der wenigen Gemeinsamkeiten der Parteien. Allerdings sieht man sie bei den Linken in einer sehr eng gestellten Form, die natürlich den Vorteil hat, dass man auf kleinem Raum viel unterbringen kann. Die Farbkombination Schwarz, Weiß, Rot ist alles andere als politisch unbelastet. Die schwarzen Lettern, in Kombination mit der scharf abgesetzten roten und weißen Fläche, wirken nicht nur nicht frisch und wenig natürlich, sie erscheinen aggressiv. Das Ausrufezeichen hinter jeder Überschrift ist gar nicht notwendig. Die Gestaltung selbst unterstreicht jede einzelne Forderung. Insofern ist es eigentlich eine gute Gestaltung, mögen muss man sie aber deswegen nicht. Stilistisch ist sie mir einfach zu hart, zu kompromisslos. Gerade die Bereitschaft zu Kompromissen zeichnet die Politik aus. Den Fotografien wiederum fehlt jede Stringenz und jeder Biss. Mal hängt die Unterlippe von Gisy schief und mal blickt Lafontaine offenbar vollkommen geistesabwesend in die Kamera. Das sind dann auch die einzigen Köpfe, die bei der Linken gedruckt wurden. Die anderen lassen ihren Hintern ablichten.

Fazit: Laut und wuchtig ist die Gestaltung. Hier werden keine feinen Töne angeschlagen. Auch wenn man den Stil nicht mag, so ist die Ausarbeitung der Plakate immer noch präziser als das Werk der FDP.

Soweit der Blick als Gestalter auf die Wahlplakate zur Bundestagswahl 2009. Ich fands spannend die Plakatserien der Parteien im Umfeld von Homo Politicus kommentieren zu dürfen. Überraschend ist für mich, dass die CDU in Bezug auf die Gestaltung gar nicht mal so konservativ erscheint, wie es ihrer Programatik entspricht. Sie gibt sich optisch jung, frisch und zeitgemäß. Die Grünen und die SPD liefern ansprechende Lösungen. Die Linke poltert in ihrem Erscheinungsbild und die FDP hat den Anschluss verloren und dümpelt im Design von gestern.

Achim Schaffrinna ist Diplom-Designer und Autor des Fachblogs Design Tagebuch. Lange Zeit im Agenturumfeld, arbeitet er heute als Leiter Design bei Madsack Online in Hannover und betreut dort seit Juni 2009 die digitalen Angebote des Verlagshauses Madsack.

Fotos: cdu.de, wahlkampf09.de, fdp.de, gruene.de, die-linke.de

Die gelöschten Minister

phcwebGerade einmal 24 Stunden hatte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen den SPD-Ministerinnen und -Minstern nach dem Koaltionsbruch gegeben, um ihre Büros zu räumen. Der Zündstoff dieses Rauswurfs wurde bereits an anderen Stellen ausreichend diskutiert, wenn da nicht folgende Randnotiz in der gestrigen Ausgabe der Frankfurter Rundschau  zu finden gewesen wäre:

„Nach FR-Informationen wurden die Mitarbeiter dieser Häuser angewiesen, bis Mitternacht aus den Internetangeboten der Ministerien alle Mitteilungen der Ex-Minister Ute Erdsiek-Rave, Lothar Hay, Uwe Döring und Gitta Trauernicht zu löschen“ (Quelle: fr-online.de).

Und wirklich, sowohl von der Homepage der Landesregierung als auch von den Webseiten der Ministerien wurden alle Informationen über die ehemaligen SPD-Ministerinnen und -Minster gelöscht. In den meisten Fällen lassen sich die Mitteilungen der Ex-Ministerinnen und -Minister nur noch über die Suchmasken der Webseiten aufrufen. Da liegt der Verdacht nahe, dass man den Versuch unternommen hat alle Überbleibsel zu beseitigen, die an die ehemalige Koaltion zwischen CDU und SPD erinnern könnten. Doch damit sind die Informationen natürlich nicht für immer verloren:

Landesregierung: NEU & ALT

Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa: NEU & ALT

Innenministerium: NEU & ALT

Ministerium für Bildung und Frauen: NEU & ALT

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: NEU & ALT

 

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Bildnachweis: Screenshot http://www.schleswig-holstein.de/

Plädoyer gegen Volksparteien

20,8 Prozent der Wählerstimmen konnte die früher so große Sozialdemokratische Partei bei der letzten Europawahl in Deutschland gewinnen. In den Umfragen für die kommende Bundestagswahl steht die SPD auch nicht viel besser da. Das Politbarometer vom 12. Juni räumt ihr mit 22% den schlechtesten Wert seit Monaten ein. Dabei tut man doch im Willy-Brandt-Haus alles, um der Partei wieder mehr Profil zu verleihen. Aber was man auch versucht, die miserable Lage der SPD wird und wird nicht besser.

Von einer Volkspartei kann man bei der SPD wohl kaum noch reden. Es ist unwahrscheinlich, dass ihr Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier im Herbst eine Regierung bilden kann, weil der Abstand zur CDU unüberwindlich erscheint. Verständlich ist der Verdruss der Sozialdemokraten über diese Lage allemal. Aber besteht überhaupt die Möglichkeit, dass sich an der Situation noch etwas grundlegendes ändern wird?

Untergang der SPD

Wolfram Weimer, Chefredakteur des Cicero, sieht das ganze Fundament der SPD wegbrechen. Das klassische Arbeitermilieu als ehemalige Stütze der Partei schwinde mehr und mehr, denn das Land brauche eigentlich überhaupt keine Sozialdemokratie mehr. Längst sei Deutschland zu einem überladenen Sozialstaat geworden. Die größten Wahlerfolge der vergangenen Jahre habe die SPD daher gar nicht mehr mit ihrem inneren Auftrag erzielen können, sondern mit einer Abwendung davon.

Schröders Kanzlerschaft wird scheinbar nicht zu Unrecht als Grund für die schlechte Lage gesehen, in der sich seine Partei nun befindet. Die Aufweichung des Profils, der Identität der SPD hat kurzfristig zu Wahlerfolgen verholfen. Doch heute weiß kaum noch ein Wähler, wofür die Partei eigentlich steht und was ihre Ideen und Konzepte für die Zukunft des Landes sind. Jedes schlecht geführte Unternehmen zu retten kann offenbar nicht einmal in einer Wirtschaftskrise überzeugen.

Denkt man das einmal weiter, könnte man schnell zu dem Schluss kommen, die Zeit der großen Parteien sei vorbei und die SPD bei ihren 20 Prozent richtig aufgehoben. Dabei stört aber scheinbar die immer noch starke Christdemokratie. Betrachtet man sich deren Umfrageergebnisse über die vergangenen Jahre, ist zwar auch hier ein Abstieg sichtbar. Noch vor 5 Jahren lag die CDU in den Umfragen bei über 50 Prozent – und pendelt nun um die 10 Prozentpunkte tiefer. Dennoch könnte die Fraktion von CDU und CSU fast doppelt so viele Abgeordnete stellen wie die SPD, wenn die aktuellen Umfragen zu Wahlergebnissen würden.

Auch für die CDU kommt die Zeit

Aber auch die CDU wird nicht ewig eine Volkspartei bleiben können. Ihre Zukunftsaussichten sind nicht die Besten, denn ihre vergleichsweise ältere Wählerschaft wird nicht genug durch Nachwuchs gesichert. Wahrscheinlich wäre der Rückhalt der CDU noch stärker gefährdet, wenn es für ihre bisherigen Wähler mehr ernstzunehmende Alternativen als die schon profitierende FDP gebe. Auch wenn Franz Walter die Grünen noch so sehr im bürgerlichen Milieu angekommen sieht, verhindern doch soziale Unterschiede und eine schon historisch begründete Fremdheit, dass die Grünen als einzig denkbare Möglichkeit zur neuen bürgerlichen Auffangpartei der CDU-Wähler werden.

Die SPD sieht sich da schon größerer Konkurrenz gegenüber. Eine immer sozialdemokratischer werdende Politik der CDU-Kanzlerin Merkel auf der einen Seite, vor sozialen und ökologischen Ideen nur so sprühende Grüne und die das blauerote vom Himmel versprechende Linke auf der anderen Seite ziehen Wähler an, die früher am einen oder anderen Rand der SPD zu finden gewesen wären.

Seit der Gründung der Bundesrepublik hat sich die Parteienlandschaft verändert. Die alte Übersichtlichkeit mit den immer gleichen drei Parteien in nahezu allen Parlamenten wurde durch das Erscheinen der grünen Bewegung und zuletzt der Fusion aus PDS und ehemaligen Sozialdemokraten gründlich umgekrempelt. Auch andere kleine Parteien können in manchen Regionen beachtliche Erfolge verbuchen.

Parteien spiegeln die Gesellschaft

Die vielfältiger werdende Parteienlandschaft ist ein Abbild ihrer Gesellschaft, die in den letzten 60 Jahren noch viel abwechslungsreicher wurde als es der Weg von drei zu fünf Parteien beschreiben kann. Demokratie lebt aber von Parteien, die Interessen bündeln und glaubheft vertreten können. In einer so differenzierten Gesellschaft wie der heutigen braucht es also gar nicht wenige und dafür unwahrscheinlich große Parteien. Es sind keine Volksparteien, die die Interessen der Wähler besser zusammen fassen und engagiert in Politik übersetzen können.

Foto: Flickr Groote

Glos und die Kanzlerin

Michael Glos war wohl in seinem Amt nie wirklich zu Hause, konnte sich nicht mit der Arbeitsweise im Kabinett von Angela Merkel anfreunden. Seine jetzige Selbstdemontage aber wird auch durch dieses Vorwissen nicht mehr verständlich.

Seine Handlungsweise zeugt von einem zumindest fragwürdigen Verständnis von Kabinettsordnung und mangelndem Respekt vor der Kanzlerin. Sein Rücktrittsangebot stellte Glos nämlich nicht, wie es die Ordnung verlangt hätte, an Angela Merkel, sondern sandte den Brief gleich nach München in die CSU-Parteizentrale. Warum aber kann die kleine bayrische Partei über ganze Ministerämter verfügen? Gehört dies nicht eigentlich zu den Befugnissen des Bundeskanzleramts? Offensichtlich war Michael Glos sich dieser Tatsache nicht bewusst, oder aber – und das ist wahrscheinlicher – konnte die unterschwellig vermittelte Botschaft seiner so ausgedrückten Missachtung nicht abschätzen.

Dabei hat sich Angela Merkel in den vergangenen Monaten der CSU gegenüber durchaus loyal verhalten und hat im Vorfeld der für die Bayern denkbar knappen Europawahl Bereitschaft gezeigt, die Christsozialen beim Kampf um den Einzug ins Europarlament zu unterstützen. Zuletzt lies sie doch gar verlauten, sie könne sich nach der Bundestagswahl selbstverständlich auch Steuersenkungen vorstellen und gab somit einer mit gewohnter Penetranz vertretenen CSU-Forderung statt.

Im Interesse Horst Seehofers dürfte die Brüskierung der Kanzlerin wohl auch kaum gelegen haben. Natürlich, er versucht mit harten Forderungen das Profil der CSU gegenüber der großkoalitionären Schwesterpartei zu schärfen und spielt damit nebenbei noch den eigentlichen Programmatiker der CDU, die den noch relativ weit entfernten Wahlkampf im Sinne einer funktionierenden Zusammenarbeit mit der SPD noch nicht aufnehmen kann. Seine bundesdeutschen konservativen Freunde aber wirklich zu bedrängen oder ihnen gar respektlos gegenüber zu treten, das würde Seehofer nur schaden.

Es ist kein Geheimnis, dass die CSU als regierungsbeteiligte Fraktion Anspruch auf ein Ministerium hat und die zu besetzenden Posten auch weitgehend autonom vergibt. Alle anderen Parteien gehen natürlich ebenso vor; Merkel wird wohl kaum der SPD-Parteiführung Olaf Scholz als Müntefering-Nachfolger nahe gelegt haben. Die Tatsache also, dass Fraktionen ihre Ministerien selbst besetzen, ist ein völlig normaler Vorgang. Die Berufung und Abberufung der Minister allerdings ist und bleibt Kompetenz der Kanzlerin. Warum nun schrieb Michael Glos die scheinbar falsche Adresse auf das Couvert?

Zum einen ist Michael Glos wohl tatsächlich einfach amtsmüde und möchte angesichts der nahenden Bundestagswahl seiner Partei die Möglichkeit geben, einen schlagkräftigen Kandidaten für das Amt des Wirtschaftsministers aufzubauen. Ob dieses Manöver so überhaupt Sinn macht und ob Karl-Theodor von Guttenberg dafür der richtige Kandidat ist, darf jedenfalls bezweifelt werden.

Dazu scheint Michael Glos aber auch in seiner dreijährigen Amtszeit als Minister sein zuvor so bewundertes politisches Feingefühl verloren zu haben. Die Situation, in die er Merkel und Seehofer warf, ist für beide mehr als unangenehm. Seehofer wurde von dem Angebot, über das Wirtschaftsministerium disponieren zu können, vollkommen überrascht und gab als erste Reaktion seine Unterstützung Glos’ bisheriger Arbeit zu verstehen. Dennoch müsse er erst einmal in die Staatskanzlei und das Schreiben überhaupt lesen. Die Zeitungen und Nachrichtenagenturen meldeten zuerst eine Ablehnung des Gesuchs, einen Tag später aber die Nominierung Guttenbergs. Von Macht und Rückhalt in seiner Partei zeugt die Überraschtheit Seehofers nicht.

Angela Merkel dürfte sich in den vergangenen Tagen daher zu Recht über ihren bayrischen Koalitionspartner gewundert und geärgert haben. Handlungsspielraum allerdings hatte auch sie nicht, konnte ja schlecht das nicht an sie gerichtet Rücktrittsgesuch annehmen.

Besonders vor der Perspektive der anstehenden Wahlen sind das Besorgnis erregende Tendenzen in der Union, die die Öffentlichkeit mit wachsender Spannung verfolgen wird. Angela Merkel tut vielleicht gut daran, die CSU auch mal wieder in die Schranken zu verweisen und sich nicht auch noch in diesem Konflikt ein weiteres Mal entscheidungsarm zu präsentieren.

Wahlkampf offline

In keinem anderen Wahlkampf der jüngsten Zeit war so stark erkennbar wie wenig Geld die Parteien zur Verfügung hatten, wie in diesem Jahr in Hessen. Nachdem man im letzten Jahr in einen letztlich umfangreichen Wahlkampf viel Geld investiert hatte und auch kaum jemand daran dachte, dass es bereits 12 Monate später zu einer erneuten Wahl kommen würde, waren die Kassen nach der Landtagswahl relativ leer geräumt.

Doch wie bekannt kam es zu keiner Regierungsbildung und nun befinden sich die hessischen Parteien erneut im Landtagswahlkampf. Noch dazu im „Superwahljahr 2009“ in dem Europawahl und Bundestagswahl zu bewältigen sind. Zum Einen müssen die Parteien nun bereits für die anderen beiden Wahlen eingeplante Mittel anzapfen, zumAnderen wird auch darüber spekuliert, ob einige Parteien für den vorgezogenen Wahlkampf extra Kredite aufgenommen haben.
Dass die Kassen der Parteien jedoch schon bessere Zeiten erlebt haben und überall wo es möglich ist gespart wird, bemerkt man derzeit an einigen Stellen. So unter anderem auch an den Wahlplakaten.

In den letzten Wochen haben wir uns ausführlicher mit dem Wahlkampf der Parteien im Internet auseinander gesetzt und wollen nun auch die Plakatwerbung analysieren. Hierfür haben wir in den letzten Tagen die Wahlplakate in einigen hessischen Städten und Gemeinden fotografiert. Leider sind uns aber nicht alle Themenplakate vor die Linse gekommen, weshalb wir im folgenden eine kleine Auswahl anbieten.

Die finanzielle Notsituation der Parteien ist den Wahlplakaten dabei sehr deutlich anzusehen. Es wird fast einheitlich auf Schlichtheit und Text gesetzt. Anscheinend wurden für die Plakatgestaltungen dieses mal keine Werbeagenturen beauftragt, sondern Ideen und „Design“  kamen wohl direkt aus den Kampagnen. Man setze auf Inhalte, statt auf grafische Ausschmückungen. Doch über Sprüche wie „Wirklich wieder Koch?“ gehen die Inhalte meist dann doch nicht hinaus.
Selten wurden den Wählern solch kontrastarme Plakate geboten, die den Anschein erwecken, dass sie auf Grund der raschen Neuwahl in  Nacht und Nebelaktionen entstanden seien. Noch dazu kommt, dass es sich bei fast allen Themenplakaten um Negativwerbung (negative campaigning) handelt. Es wird also gezielt der Gegner angegriffen. Doch ohne Ausnahme bleiben diese themenlos, dies zeigen Sprüche wie „Unser Wort gilt“ der FDP.

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Positive Ansätze können zumindest in den Plakaten der CDU gesehen werden, die zeigen, dass wenigstens etwas Geld in die Plakatgestaltung investiert wurde. So wird auf einem blauen, zur Jahreszeit passenden, Farbton der Leitspruch „In Zeiten wie diesen“ dargestellt, der sich von dem Rest des Plakates durch eine orangene Schriftfarbe absetzt.

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Noch schlichter sieht es bei SPD, FDP und Grünen aus:

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Anderes ist bei der  Linkspartei zu erkennen: während sie im laufenden Wahlkampf bisher kaum in Erscheinung getreten ist, stelltdie Linke die einzige hessische Partei dar, die es geschafft hat thematische Plakate samt Visualisierungen rechtzeitig fertig zu stellen. So geht die Partei beispielsweise mit einem Themenplakat auf das Thema „Arbeisplatzsicherheit“ ein. Doch anders als die CDU belässt man es nicht bei dem – auch hier wenig einfallsreichen – Slogan, sondern ergänzt diesen durch weitere Informationen, die erst beim genaueren Betrachten des Plakates zu erkennen sind. Aber das eigentlich interessante ist, dass der Slogan durch ein Bild von den Opelwerken in Rüsselsheim und eine Uhr, die fünf vor zwölf zeigt, ergänzt wird. In Anspielung an die aktuelle Krise bei Opel.

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Auffällig ist auch, dass die Grünen in diesem Jahr auf ein Spitzenkandidatenplakat setzen. Im letzten Wahlkampf hatten man auf Großplakatwänden noch auf Themenplakate gesetzt, während man nun ein Kopfplakat des Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir vorzieht. Dies ist für die Grünen schon ein Schritt bei dem es verwundert, dass er weitestgehend umkommentiert blieb. Denn gerade dort  waren reine Personenplakate bislang eher unbeliebt. Nun geht man den in der Gesellschaft angesagten Trend mit und präsentiert leicht verdauliche Kost für die Wählerinnen und Wähler, die den Wahlkampf lieber an Personen fest machen wollen als an, oftmals vielschichtigen, Parteien.

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In Sachen Design scheint es also so, als ob den Parteien insgesamt gesehen entgangen sei, dass Plakatwerbung weiterhin ein wichgtiges Mittel im Wahlkampf darstellt, das nicht zu unterschätzen ist.
Bei der CDU hat man unterdessen jedoch in manchen hessischen Gemeinden (wie hier im Landkreis Marburg-Biedenkopf) das Gefühl, man versuche die fehlende Qualität in diesem Jahr durch Quantität zu ersetzen:

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Von den sogenannten „sonstigen“ Parteien ist momentan nichts zu sehen. Es ist zu erwarten, dass auch diese unter der finanziellen Belastung durch die Neuwahlen leiden und auf Wahlplakate, zumindest im großen Stil, verzichten werden. Es bleibt abzuwarten, ob die FWG noch plakatieren wird. Von unserer Seite konnten jedoch nur die hier dargestellten Plakate von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linkspartei entdeckt werden.

Doch trotz all dem findet man immerhin eine Neuerung im Rahmen des diesjährigen Plakatwahlkampfes. Sowohl  SPD als auch Grüne bieten im Internet die Möglichkeit der Plakatspende. Eine neue, aber gar nicht mal so dumme Idee. Möglicherweise könnte hierin gar ein Web2.0-Element im Wahlkampf der Parteien erkannt werden. Denn die Spender haben die Möglichkeit online zu bestimmen, wo das von Ihnen gesponserte Plakat aufgestellt bzw. plakatiert werden soll. So kann sowohl der Standort als auch der Zeitraum der Plakatierung vom Spender entschieden werden. Dieser bekommt seine Spende also direkt vor Augen und kann sich vergewissern, dass mit seinem Geld auch das finanziert wurde, was er bezahlt hat. Aber das entscheidende dabei ist, dass er  – wenn auch in einen beschränkten Rahmen – die Möglichkeit hat, auf den Wahlkampf seiner Partei Einfluss zu nehmen. Das heißt nicht alleine die Partei-Kampagne bestimmt, wo Plakatwerbung zu erfolgen hat.
Interessant wäre natürlich zu erfahren, ob überhaupt und wenn ja wie stark dieses Möglichkeit von den Parteianhängern wirklich genutzt wird. Doch es bleibt zu erwarten, dass die Kosten für ein einzelnes Plakat zu hoch sind um wirklich viele Einzelspender zu finden.

Rückblick 2008

Nach der Betrachtung der neuen Plakate scheint es nun sinnvoll, sich vergleichend dazu die Plakate des letzten Wahlkampfes noch einmal vor Augen zu führen. Dabei fällt sofort auf, dass sich die Parteien im letzten Jahr vor allem graphisch ausgefeilter präsentierten.
Beispielsweise die SPD mit ihren Plakaten „Jeder kann…“, „Koch kocht…“ und der sogenannten „Koch-Initative gegen erneuerbare Energien e.V.“:

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Und auch die Grünen verbanden prägnante Sprüche mit interessanten Bildern:

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Aus dem Rahmen fiel dabei natürlich trotz allem die CDU-Kampagne gegen Ende des Wahlkampfes. Doch auch insgesamt setzte die CDU stärker auf Textbotschaften, als auf Grafiken oder Bilder:

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Weitere Motive findet man im großartigen Archiv von politik-visuell oder bei der CDU, SPD 1 & 2 &3, FDP, Grüne und bei der Linken.

Fazit

Ob nun die Parteien aus dem letztjährigen Wahlkampf die Erkenntnis mitgenommen haben, dass bildgewaltige Plakate sich nicht lohnen und aus eben diesem Grund auf großflächigsten Text gesetz haben, darf bezweifelt werden. Die These der knappen Kassen und eines damit einhergehenden Verzichts auf teure Werbeagenturen ist sicherlich nicht ganz haltlos, wenn auch nicht offiziell bestätigt.

Gerade bei SPD und Grünen fällt der Unterschied am Meisten auf, deren Wahlplakate im letzten Jahr hochprofessionell wirkten. Auch die Linke konnte grafisch im letzten Jahr mehr überzeugen. Die FDP präsentiert sich gestalterisch auf ähnlich niedrigem Niveau. Einzig die CDU konnte optisch dazu gewinnen, die neue Plakatserie sieht wesentlich reifer und souveräner aus.