Die CDU Hessen und ihr Problem mit der Zeit

Der durchschnittliche CDU Wähler in Hessen ist 60 Jahre und älter, sagt die Forschungsgruppe Wahlen [PDF]. Grund genug, sich mal ein kleines Gedankenspiel zu erlauben. Neulich noch hat Altpräsident Roman Herzog vor einer Rentnerdemokratie gewarnt, wir kehren den Gedanken jetzt mal um und fragen provokativ:

Wie wäre die Landtagswahl in Hessen 2008 ausgegangen, wenn Rentner nicht hätten mitwählen dürfen?

Als Vorbemerkung noch: Dies ist natürlich keine Forderung, den Rentnern das Wahlrecht zu entziehen. Vielmehr geht es um die Rentner von morgen, denn Wahlentscheidungen ändern sich ja eben nicht mit dem Eintritt in die verdiente Altersruhe.

Wähler unter 60 bei der Landtagswahl 2008 in HessenUnd schon ist das Problem offenkundig. Waren bei der (gleichberechtigten) Wahl CDU und SPD noch gleichauf, so stürzt die CDU unter Ausschluss der Rentner auf katastrophale 33% ab, während die SPD sich zu 41% aufschwingen kann. Somit würde es sogar, mit den 10% der Grünen, tatsächlich für einen rot-grünen Machtwechsel reichen.

DIe CDU besonders in Hessen sollte sich also ernsthaft Gedanken machen, wie sie den Wählern von morgen sympathischer werden kann – denn die Zeit arbeitet gegen sie.

In der Steilkurve

„Roland Kochs rasanter Imagewechsel vom rechten Hardliner zum Freund der Grünen lässt selbst Parteifreunde schwindelig werden“

Das sind Titel und Untertitel eines Artikel im Spiegel dieser Woche. Und in der Tat, der knallharte Machtmensch aus Eschborn scheint die noch im Januar auf Hochglanz polierte Keule in die Höhle gestellt zu haben und irgendwo über einen Plüschhandschuh gestolpert zu sein. Neue Freunde hat er, und neue Ideen.

Tarek Al-Wazir, grüner Fraktions- und Landesvorsitzende, beispielsweise ist so einer dieser neuen Freunde. Noch vor wenigen Wochen verweigerte er Roland Koch den Handschlag, weil dieser in immer stärker ausartenden Ausländerfeindlichkeitsäußerungen erstrahlen wollte. Doch neuerdings hört man ganz andere Töne von Roland Koch: „Auf der persönlichen Ebene mögen wir uns“ – Al Wazir dürfte verdutzt reagiert haben.

Und nicht nur persönlich gibt sich Koch wie neu geboren, auch inhaltlich kommt die Hessen-CDU auf ganz neue Ideen.

„Windkraftmonster“ hieß es noch im Wahlkampf, neuerdings möchte Koch sein Hessen „zum Musterland der regenerativen Energien machen“ – mit ähnlichen Plänen, wie denen von Rot-Grün. Richtig, das waren genau die Pläne, die noch im Januar „völlig unrealistisch“ waren. Ein neues Wort hat er auch gelernt, „Nachhaltigkeit“ ist Kochs neue Lieblingsvokabel.

Und sogar in der Bildungspolitik gibt es Kehrtwenden, als ob Parteibücher getauscht worden wären. Wenn Hans-Jürgen Irmer, Flügelmann von ganz Rechts, den Grünen und der SPD in der Bildungspolitik nach dem Mund reden muss, dürfte sich ihm der urdeutsche Magen umdrehen.

Kurzum, das Wort „Brautwerbung“ wählt der Spiegel scheinbar nicht umsonst. Doch geht es hier wirklich um eine inhaltliche und persönliche Annäherung, um eine zukünftige und absehbare Zusammenarbeit zu erleichtern? Um sich schonmal über neu gefundene Schnittmengen und Sympathien zu verständigen?

Bei den Grünen ist man vom Gegenteil überzeugt und geht von einem anderen Ziel dieser Aktivitäten aus:

Wenn Roland Koch sich also nicht inhaltlich an grüne Positionen annähert, um diese dann umzusetzen. Wenn er nicht neue Freunde sammelt, mit denen er dann in Eintracht Politik machen möchte.

NeuwahlkampfSondern wenn er sich vielmehr bereits im Neuwahl-Kampf sieht. Die Wählerstimmen also, die er im Januar durch sein knallhartes und ausgrenzendes Verhalten verloren hat, ganz einfach wiederzugewinnen versucht. Sozusagen schonmal demonstrieren: „Seht mal, ich bin doch gar kein Hardliner. Ich hab sogar mit der SPD und den Grünen geredet, kümmere mich um Umwelt und Bildung.“

Und weiter könnte er sagen: „SPD und Grüne, die haben ja nicht mal ihr gebrochenes Wahlkampfversprechen durch eine Zusammenarbeit mit der LINKEN umsetzen können. Ich dagegen schaffe es, dieses Land endlich wieder vernünftig zu regieren.“

Im Moment sieht es tatsächlich aus, als könnte er mit solch einer Linie Erfolg haben. In einer Umfrage von letzter Woche hat eine Schwarz-Gelbe Koalition in Hessen wieder eine Mehrheit.

Tausche Kohlekraftwerk, gegen Elbvertiefung

Ein wenig an ein Tauschgeschäft errinnert fühlt man sich schon, wenn man heute die Ergebnisse der letzten Verhandlungsrunde zwischen CDU und Grünen (GAL) in Hamburg liest (Beispiel: SPIEGEL-Online, NDR-Online).

Beide Parteien mussten jeweils zähneknirschend eines ihrer Wahlkampfversprechen in den Wind schlagen.
Entgegen des Vorhabens der Grünen wird die Elbe nun doch um einen Meter auf 14,50 Meter ausgebaggert. Dafür erreichten die Grünen im Tausch für die Elbvertiefung das die CDU in Fragen Kohlekraftwerk einknickte: Im Koalitionsvertrag soll nun der Passus aufgenommen werden, dass es der politischer Wille der Koalition sei, dass das Kraftwerk nicht zu bauen. SPIEGEL-Online weiß gar zu berichten, dass es nun auf ein Gaskraftwerk hinauslaufen würde.

Jetzt bleibt abzuwarten, wie sich die Grüne-Basis bei Abstimmung des Koalitionsvertrag auf der Landesmitgliederversammlung am 27. April verhalten wird. Gleiches gilt auch für die CDU-Mitglieder auf dem „kleinen“ Parteitag der CDU-Hamburg einen Tag später am 28. April…

Christa Sager zeigte sich auf jeden Fall schon mal froh darüber, »Dass wir jetzt nicht den Beck machen müssen«. (Quelle: ZEIT-Online)

Trotzdem bleibt sowohl CDU als auch Grünen erst einmal nichts weiter übrig als abwarten…

Der Spiegel feiert, doch hat er Recht?

Roland Koch hat die Wahl dramatisch verloren. Und das ist gut so. Die Anti-Ausländer-Nummer zieht offenbar nicht mehr – und darauf können wir endlich mal richtig stolz sein.
Kochs Absturz – Brutalstmögliche Quittung für den Populisten.

So schön ich eine solche Aussage finde, im Moment scheint sie nicht ganz der Realität zu entsprechen. Sicherlich, Roland Koch hat verloren, laut Hochrechnungen im Moment um die 12 Prozentpunkte. Aber ganz ehrlich, dass ist aus einer absoluten Mehrheit weniger dramatisch. Denn immer noch ist der hessische CDU-Politiker nicht aus dem Rennen, in den späteren Hochrechnungen steigt er sogar wieder richtig ein.

36,5% für die CDU, 37% für die SPD – klar ist das nicht. Und wenn man auf die so viel beschworene Lagerbildung sieht, dann liegt CDU/FDP als bürgerliches Lager im Moment sogar mit 53 Sitzen vor Rot-Grün mit 51 Sitzen (beide Zahlen Stand 21:41, ARD infratest dimap). Es wird wohl eine spannende Woche auf uns zukommen.

Eine wirkliche Abstrafung für Koch hätte aber anders ausgesehen.

Stoiber in Dillenburg – oder: Wahlkampf in Mittelhessen

Edmund Stoiber in der Stadthalle Dillenburg
Schon seit Wochen hatte der Kreisverband Lahn-Dill der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Werbung gemacht. Am 23.01., nur 4 Tage vor der bevorstehenden Landtagswahl in Hessen, werde der ehemalige bayrische Ministerpräsident und jetzige EU-Chefentbürokratisierer direkt in den Wahlkampf eingreifen. Warum dies ausgerechnet in Dillenburg passieren soll – Joschka Fischer bekam von den Grünen immerhin die Landeshauptstadt als Bühne bereitet – bleibt wohl ein christdemokratisches Geheimnis.

Und so fand sich angesichts dieses hohen Besuches die gesamte konservative Prominenz auf der Bühne der Stadthalle zu Dillenburg. Zuerst saß dort einsam am langen Tisch Alexander Beer, der jugendliche Stellvertreter des Landtagsabgeordneten Clemens Reif. Erst mit der Ankunft Stoibers füllten sich die Plätze auf der Bühne. Natürlich mit dem Gastgeber, Clemens Reif, mit der Ersten Stadträtin Dillenburgs, Elisabeth Fuhrländer. Auch Bürgermeister Michael Lotz und die lokale Bundestagsabgeordnete Sybille Pfeiffer durften nicht fehlen.

Doch noch war kein Stoiber in Sicht, und so saß Beer weiter allein. Sybille Pfeiffer, unsere Frau im Bundestag, leistete einen Kraftakt am Podium. Als einführende Worte war wohl gedacht, was Pfeiffer an Warnungen und Wahlkampfgetöse von sich gab. Die üblichen, in diesem Wahlkampf mittlerweile zu den Standardwaffen der CDU gehörenden, Warnungen vor einer kommunistischen Koalition, vor Rot-Grün-Rot waren ebenso zu vernehmen wie die Tiraden gegen Ypsilantis Einheitsschule. Hessen habe es doch gerade erst geschafft, dass sein Abitur bundesweit anerkannt sei – ein Punkt, auf den auch der große Bayer später noch eingehen wird. Weiterlesen