Zwei Nachrichten aus dem deutschen Internet

Ich weiß nicht, was am heutigen 10. September so besonders ist, aber gleich aus zwei deutschen Städten gibt es an diesem Tag spannendes zum Thema Politik und Internet zu berichten:

1. Hamburg

Die Freie und Hansestadt Hamburg legt ihre Daten offen. Noch nicht alle, aber alle verfügbaren Daten – und das freiwillig. Bisher konnte man dem Informationsfreiheitsgesetz gemäß viele Informationen der öffentlichen Verwaltung bereits auf Antrag erhalten. Hamburg dreht den Spieß jetzt um:

Man soll ja vorsichtig sein mit diesem Begriff, aber das, was am heutigen Donnerstag in Hamburg passiert, kommt einer Revolution sehr nahe. Es ist nicht nur eine technische, sondern auch ein radikale politische Umwälzung – jedenfalls für deutsche Verhältnisse. Von heute an können die Bürger alle wesentlichen Akten der Hamburger Verwaltung im Internet abrufen: alle staatlichen Gutachten, Vermessungsdaten, Luftmessdaten, Senatsentscheidungen, die Empfänger von Subventionen und Zuwendungen, ein Baumkataster, das sämtliche Straßenbäume ver- und bezeichnet – und fast alle Verträge, die Hamburg mit Unternehmen schließt. (Quelle: Abendblatt)

2. Frankfurt

Schon seit einigen Jahren hat Frankfurt versucht, seine Bürger an den politischen Entscheidungen der Stadt zu beteiligen. Tatsächlich aber hat kaum jemand den Frankfurter Bürgerhaushalt genutzt, die guten Ideen waren dazu bereits in der Umsetzung. Jetzt soll alles besser werden, die Stadt will aus den Fehlern gelernt haben. hr-online.de berichtet:

Der Stadtkämmerer hofft nun, deutlich mehr Menschen anzusprechen. Eine Zahl nannte er nicht. Becker betonte, die Ideenplattform sei anders konzipiert als der Bürgerhaushalt. Die Plattform auf der bereits bestehenden Seite „FFM Frankfurt fragt mich“ ist für alle Themen von Abfall bis Wohnungsbau offen und steht das ganze Jahr über zur Verfügung. Beim Bürgerhaushalt war eine Beteiligung nur zum Haushalt und nur während der Haushaltsaufstellung möglich.

Piratenfraktion entert in Rekordgeschwindigkeit

Schöne Notiz drüben beim Hamburger Wahlbeobachter:

Nachdem die Piratenpartei am vergangenen Sonntag erfolgreich das Berliner Abgeordnetenhaus geentert hatte, stellte sie nicht mal 12 Stunden später bereits die Webseite der neuen Piratenfraktion vor. Zudem verfügt sie bereits jetzt über einen Twitteraccount, obwohl sich die Fraktion noch gar nicht offiziell konstituiert hat. Dies zeigt eindrucksvoll, dass die Piraten Ernst machen mit ihrem Vorhaben, die Bürger stärker und dialogorientierter in die parlamentarische Arbeit, auch via www einzubinden.

Die Piraten geben mal wieder das Tempo im Internet vor. Auch wenn sie auf ihrer Facebook-Seite nach der Wahl langsamer waren als die CDU – die Fraktionsarbeit haben sie schneller aufgenommen, als man es für möglich halten sollte.

Sehr lesenswert ist auch die unter dem Zitat folgende Analyse zu 6 Monaten Hamburger Bürgerschaft – wie Web 2.0 sind die Fraktionen?

Kompliziertes Wahlrecht oder unbekannte Kandidaten?

Als im Februar in Hamburg die neue Bürgerschaft gewählt wurde, sank die Wahlbeteiligung einmal mehr – um 6 Punkte auf 56 Prozent. Nicht wenige schrieben das dem Hamburger Wahlrecht zu, dass nicht gerade zu den trivialsten im Lande gehört. Aber haben die Hamburger das Wahlsystem wirklich nicht verstanden? Immerhin gab es nur 3% ungültige Stimmen. Die Uni Hamburg hat jetzt in einer Studie genauere Erhebungen durchgeführt:

Die meisten Hamburgerinnen und Hamburger kennen sich mit dem neuen Wahlrecht gut aus. Beim Bekanntheitsgrad der Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten gibt es jedoch noch großen Nachholbedarf. Nur ein knappes Fünftel kennt zehn oder mehr der Kandidatinnen und Kandidaten in seinem Wahlkreis.

Und auch wenn die Entwicklung nicht positiv verlaufen ist, hält man in der Studie fest:

Die Wahlbeteiligung ist bei der Bürgerschaftswahl 2011 auf den historischen Tiefstwert von 57,3% gesunken. Der Anteil der ungültigen Stimmen auf der Landesliste hat sich im Vergleich zur Wahl 2008 verdreifacht. Nahezu alle Wähler/-innen haben jedoch das Stimmpotenzial von jeweils fünf Stimmen auf der Landes- und der Wahlkreisliste genutzt.

Die Wählerinnen und Wähler wissen dabei zumindest grundlegend recht gut Bescheid über ihr Wahlrecht:

Bei der Wählerbefragung (N = 3104 – insgesamt 3104 Befragungen) konnte ein Basiswissen zum Wahlrecht festgestellt werden. So hat der im Fragebogen integrierte Wissenstest ergeben, dass fast alle Wähler/-innen (jeweils um die 95%) mit der Anzahl der zu vergebenden Stimmen und der grundsätzlichen Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens vertraut sind. Die komplexeren Fragen zum Wahlrecht konnten nur von wesentlich weniger Wähler/innen richtig beantwortet werden.

Das eigentlich überraschende Ergebnis der Studie ist aber nicht, wie gut die Wähler in Hamburg mit ihrem Wahlrecht vertraut sind, sondern wie wenig sie ihre eigenen Kandidaten kennen – nicht gerade ein kleines Problem, wenn man beim Wählen so hohen Einfluss auf deren Wahlergebnisse hat:

Während den Wähler/-innen das Wahlrecht weitgehend bekannt ist, kennen sie ihre Kandidaten/-innen kaum. Über ein Viertel der befragten Wähler/-innen kennt keine/n einzige/n Wahlkreiskandidaten/-in. Einem weiteren Viertel sind nur 1, 2 oder 3 Kandidaten/-innen namentlich bekannt. Nur ein knappes Fünftel gibt an, zehn oder mehr Wahlkreiskandidaten/-innen zu kennen.

Interessant auch der Vergleich mit der hessischen Kommunalwahl nur wenig später. Auch hier gibt es ein Wahlrecht mit großen Einflussmöglichkeiten auf die personelle Zusammensetzung der Parlamente, auch hier werden immer wieder die Rufe laut, sinkende Wahlbeteiligungen lägen am komplizierten Wahlsystem. Dabei ist die Stimmabgabe in Hessen sogar noch übersichtlicher als in Hamburg. An all dem ist ja sicher einiges dran, das Wahlsystem müsste wesentlich besser erklärt werden. Aber warum stellt man sich nicht auch in Hessen leise die Frage: Wie soll ich eigentlich meine Vertreter im Parlament mitbestimmen, wenn ich sie gar nicht kenne?

Links:

In eigener Sache: Wahl im Web

Am Sonntag fällt der Startschuss für das Superwahljahr 2011. Los geht es mit der Bürgerschaftswahl in Hamburg. Über den Hamburger Wahlkampf wurde u.a. schon hierhier , hier, hier und hier gebloggt.

Wie bereits üblich wird es auch an diesem Sonntag wieder eine Neuauflage der „interaktivsten Sendung am Wahlabend“ geben. Zur neuen Sendezeit (22.15-23.45 Uhr) bin ich ein weiteres Mal gemeinsam mit Thorsten Fass und Christoph Bieber mit von der Partie. Es lohnt sich also den ZDFinfokanal anzuschalten bzw. auf login.zdf.de vorbeizuschauen und auch @ZDFlogin im Auge zu behalten.

Kolumne: Nutze die ruhige Zeit

So hatten sich das die Hamburger Wahlkämpfer sicher nicht vorgestellt. Statt ein entspanntes wahlkampffreies Jahr zu genießen, müssen sie nach dem Scheitern der schwarz-grünen Koalition innerhalb kürzester Zeit Kampagnen für die Neuwahl aus dem Boden stampfen. Keine leichte Aufgabe.

Wieder werden schnell neue Internetseiten zu den Kampagnen erstellt. Dabei liegt gerade hier ein Denkfehler. Noch immer wird das Internet von vielen Parteifunktionären als reines Wahlkampfmedium verstanden. Doch Politik zu kommunizieren ist eine Aufgabe, die die Legislatur überdauert. Natürlich, der Wahlkampf muss zuspitzen und Druck aufbauen. Aber was man politisch erreichen will, das muss man auch zu anderen Zeiten kommunizieren.

Außerhalb des Wahlkampfs haben Politiker die Zeit fürs Netz und könnten den Kontakt zu den Wählern stärken. Einem Politiker, der seine Webpräsenz nur in Wahlkampfzeiten nutzt, nehmen die Wähler die Ernsthaftigkeit weniger ab, als einem Kollegen, der sie auch im Politalltag pflegt. Hätten die Politiker diesen Grundsatz in Hamburg beachtet, könnten sie jetzt – in Hinsicht auf die Onlinepräsenzen – gelassener auf die Wahl blicken.

[Erschien zuerst in: politik&kommunikation, Februar 2011]