Liberale und Integration

Zwei Zitate, die ich nur kurz gegenüber stellen möchte. Zuerst der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) in der heutigen aktuellen Stunde des hessischen Landtags zum Schweizer Volksentscheid über Minarette:

Wir alle sind klug beraten, wenn wir uns mit dem Ergebnis ernsthaft und ergebnisoffen auseinandersetzen, wenn wir erfahren und erkennen, dass die Schweizer Bevölkerung ganz offensichtlich entsprechende Ängste artikuliert hat und ich glaube wir sind klug beraten, wenn wir daraus – sowohl in der Art der der Auseinandersetzung als auch in der praktischen Arbeit – politische Konsequenzen ziehen.

Ich glaube wir sind gut beraten, uns des Ergebnisses dieser Entscheidung etwas intensiver und vorurteilsfreier zu widmen. Ist es klug, von einem schändlichen Ergebnis zu sprechen? Ich glaube, es ist nicht klug. Es zeit nämlich, dass man da nicht ergebnisoffen herangeht, sondern wieder mit den selben Scheuklappen, die mit Ursache dafür sind, dass es so viel Ängste in der Gesellschaft gibt. Wir lösen doch nicht Angst damit, dass wir deren Ursachen tabuisieren, oder es als schändlich beschreiben.

Diesen Äußerungen nachstellen möchte ich einen Kommentar von Malte Lehming im Tagesspiegel unter dem Titel Bist du liberal? Oder in der FDP? Freiheiten und Grundrechte haben immer weniger Fürsprecher.

Es folgt die Religionsfreiheit. Auch sie ist ein Menschenrecht, muss als solches vom Staat garantiert werden und hat Vorrang selbst vor demokratisch herbeigeführten Entscheidungen. Wie kommt es dann, dass der deutsche Außenminister, angeblich ein Liberaler, nach dem Schweizer Minarettbauverbotsreferendum nicht etwa dieses bedauerte, sondern meinte, die Schweizer in Schutz nehmen zu müssen? Und warum hören wir nichts von FDPlern, wenn zum Beispiel christliche Missionarinnen im Jemen ermordet werden? Da kneifen sie. Und so wirkt es wie Hohn, dass sie jetzt gar einen eigenen Menschenrechtsbeauftragten stellen wollen.

Bild: Screenshot hr-online

Christean Wagner trifft Jesus

Es scheint ihm auf der Seele gebrannt zu haben. Christean Wagner, Fraktionschef der hessischen CDU, läuft marodierend durch die Medienlandschaft und trägt dabei wahlweise das Kruzifix oder das CDU-Parteiprogramm vor sich her. In der FAZ forderte Wagner eine Rückbesinnung der CDU auf das „C“ in ihrem Namen als Konsequenz aus der etwas ungünstig verlaufenen Wahl:

„Wir müssen uns mutig zu unserem christlichen Glauben bekennen. Wir müssen klar und deutlich sagen, dass wir als Partei auf einem christlichen Fundament stehen. Das kommt mir bisher zu kurz“, sagte Wagner der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am Mittwoch. Seine Partei müsse wieder „stärker konservative Wähler ansprechen und das C in unserem Parteinamen betonen“. Denn mit dem C verbinde die Union ein „christliches Wertefundament“, auf das sie stolz sein müsse. (Quelle: pro)

Auch in ideaSpektrum, einem evangelikalen Nachrichtenmagazin, für das ich auch als freier Autor arbeite, darf Wagner im Editorial seine Forderungen verbreiten. Ohne klare Argumentationslinie stolpert Wagner durch die Absätze. Mal beklagt er das Verschwinden von Christlichen Werten aus den Parteien im gleichen Atemzug mit dem Verbot von Kruzifixen in Klassenräumen, mal geht es ihm gleich ums Ganze, wenn er Papst Benedikt recht gibt: Man könne heute doch kaum noch von Gott reden, ohne an den Rand gedrängt zu werden.

Sogar Ernst-Wolfgang Böckenförde kommt zu seinem Zitat, wenn Wagner wiedergibt: „Der freiheitliche, säukalrisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ So wie Christean Wagner die Debatte der vorpolitischen Legitimation des Rechtsstaats hier einwirft, scheint er nicht mal im Ansatz verstanden zu haben, worum es dabei geht. Es heißt natürlich nicht, dass nur ein christliches Fundament einen Staat solide tragen kann.

Einen Seitenhieb auf die Linke und ihre DDR-Vergangenheit bringt Wagner gleich mit in seinem Aufruf unter. Wieder beruft er sich auf Ratzinger und behauptet, eine Gesellschaft ohne Gott zerstöre sich selbst. Das habe man schließlich in den „großtotalitären Experimenten des letzten Jahrhunderts“ gesehen. Wollte man der These genauer nachgehen, müsste man schon den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur einbeziehen. Denn dass eine Demokratie ohne Gottesbezug nicht zwangsläufig zur Diktatur werden muss, sollte klar sein.

Schließlich stellt Wagner fest, nur die CDU stehe für ein christliches Wertefundament. In der FAZ hat er auch schon konkretisiert, was für ihn dazu gehört:

Als Beispiel nannte Wagner die Bewahrung des menschlichen Lebens bei den Themen Embryonenschutzgesetz und Spätabtreibungen. „Hier müssen wir deutlich von einer christlichen Grundlage aus diskutieren.“ Wagner sprach sich außerdem gegen die vom künftigen Koalitionspartner FDP geforderte Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften mit der Ehe aus. Der FAZ sagte der CDU-Politiker: „Hier gilt wortwörtlich für mich der Artikel 6 des Grundgesetzes, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der Verfassung stehen. Bei aller Toleranz in Fragen der persönlichen Lebensverhältnisse darf es hier keine Gleichstellung geben.“ (Quelle: pro)

In seinem idea-Text setzt Wagner die Zwischenüberschrift „Wie bei Jesus: Gebt dem Kaiser…“. An dieses Prinzip „Wie bei Jesus“ hätte sich Wagner mal halten sollen. Immerhin weist er auch selbst darauf hin, dass Jesus schon vom säkularisierten Staat gesprochen hat:

„Um es klarzustellen: Deutschland ist ein säkularer Staat. In Abgrenzung zu islamischen Staaten, in denen der Koran als verbindliches Gesetz und staatliche Rechtsordnung gilt, sind Staat und Religion in unserem Land klar getrennt. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und  Gott, was Gottes ist.“ Die Bergpredigt ist kein Regierungsprogramm.“

Warum Wagner das zwar erwähnt, aber nicht in seine Gedanken einbezieht, versteht wohl nichtmal er selbst.

Und wenn er es schon wie Jesus machen will: Glaubt Wagner wirklich, dass Jesus vollkommen ohne Grund wieder einen Tiefschlag gegen die Gleichstellung von Homosexuellen gelandet hätte? Wenn er es wirklich wie Jesus machen wollte, würde er zuerst den Balken im eigenen Auge suchen, bevor er sich über den Splitter im Auge des Gegenübers echauffieren müsste. Wenn er es wirklich wie Jesus machen wollte, würde er sich zuerst liebevoll um die Zölner und Huren kümmern, um die Ausgestoßenen der Gesellschaft.

Noch zugespitzter: Wäre Jesus ein Politiker gewesen, hätte er keine Politik für den Mittelstand gemacht, sich nicht zuerst um die Rechte von Christen und Kirchen gekümmert. Jesus hätte Politik gemacht für die Armen, für die von der Gesellschaft ausgregrenzten. Politik für Hartz IV-Empfänger und Langzeitarbeitslose, für die Arbeitsrechte von Prostituierten und Behinderten – und ganz sicher hätte Jesus Politik für Schwule und Lesben gemacht.

Nicht einmal Christean Wagner kann erklären, warum Jesus nicht in der CDU gewesen wäre.

Bild: Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks

Schäfer-Gümbel und die SPD

Das Personalkarussel der SPD dreht sich bereits mit einer solchen Geschwindigkeit, dass sich Hubertus Heil, Peer Steinbrück und Franz Müntefering nicht mehr fest halten können. Wie weit der personelle Umbruch der Sozialdemokraten aber wirklich gehen wird, das ist in dieser ersten Phase der Bereinigung noch nicht abzusehen.

Bisher sind es noch nicht dir ganz großen Erneuerungen, wenn mit Gabriel, Steinmeier und Nahles eine Semiverjüngung angestrebt wird. Offensichtlich aber wird, dass eine junge Generation von Landespolitikern sich langsam in Stellung bringt. Heiko Mass aus dem Saarland brachte sich stark in die Debatte über eine Bündelung von Fraktions- und Parteivorsitz ein. Hannelore Kraft soll mit einer herausgestellteren Position als Parteivize für den anstehenden Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gestärkt werden.

3187094383_9df8840edfIn dieser Stimmung kann es nicht verwundern, dass auch der Name von Thorsten Schäfer-Gümbel genannt wird. Als Vorsitzendem der hessischen SPD steht es ihm auch zu, die unter Kurt Beck für die starken Linken aus Hessen reservierten Posten anzustreben. Doch bei der Diskussion scheint es nicht nur um einen Platz in Präsidium und Vorstand zu gehen, sondern um erste Revierkämpfe der Nachwuchssozialdemokraten. Schäfer-Gümbel hielt sich dabei etwas stärker zurück und ließ andere für sich einfordern, was ihm zustehe. Einzig über die Postenvergabe in den Hinterzimmern beschwerte er sich doch selbst.

In der Tat würde einiges für einen stärkeren Part von TSG in Berlin sprechen. In Hessen muss er derzeit ebenso eine Partei mit schlechten Wahlergebnissen und Richtungsstreiten versöhnen. Als Vertreter einer offenkundig wirksam vermittelten linken SPD-Politik könnte er für eine vorsichtige rotrote Öffnung einstehen (zu den Bedingungen für Rot-Rot-Grün im Böll-Blog). Aber bei all den Anzeichen darf man nicht übersehen, dass Schäfer- Gümbel in Hessen einen Marathon läuft, dessen Zielflagge noch lange nicht in Sicht ist. Eingebunden als Oppositions- und Parteiführer sind selbst die größten Kräfte irgendwann gebunden.

Schäfer-Gümbel muss derweil nur zu seinem grünen Oppositionsfreund schauen, um eine Idee seiner bundespolitischen Zukunft zu bekommen. Tarek Al-Wazir gehört zu den größten grünen Nachwuchstalenten und wird von Wählern und Politikern parteiübergreifend geschätzt. Dennoch oder gerade aus diesem Grund sieht Al-Wazir seine Arbeit weiterhin in Hessen. Nicht aber ohne seinen Einfluss auf Bundesebene stetig und ruhig auszubauen.

piraten

Durch eine solche, unaufdringliche Übernahme von Verantwortung kann auch TSG seiner Partei und sich selbst helfen. Warum nicht den ausgewiesen netzaffinenen Schäfer-Gümbel daran arbeiten lassen, die verlorenen Wähler vom Piratenschiff zu befreien?

Bilder: flickr Nils Bremer, Screenshot unrepräsentative Umfrage

Kein Breitband für Hessen

Noch 2006 sah es so aus, als habe die hessische Landesregierung die Wichtigkeit von Breitbandversorgung für das gesamte Bundesland verstanden. „Mehr Breitband für Hessen“ war der Name einer Initiative, die der damalige Wirtschatfsminister Rhiel gestartet hatte. Man dürfe nicht zulassen, dass der Anschluss an schnelles Internet das Land spalte. Unternehmen dürften nicht durch zu langsame Netzverbindung einen Standortnachteil bekommen, den sie auch beim besten Willen nicht beeinflussen können. Und so bot man Vorträge an und versuchte, mit den Anbietern ins Gespräch zu kommen. In größerem Umfang Geld selbst in die Hand nehmen kam damals nicht in Frage, es war schlicht keines dafür da.

45 Millionen für den Straßenbau

3 Jahre später befindet sich auch Hessen mitten in der weltweiten Wirtschaftskrise. Reihenweise müssen die Unternehmen Kurzarbeit anmelden und die drohenden Entlassungen verunsichern das gesamte Konsumklima. Die Bundesregierung hat die Gefahr scheinbar erkannt und geht mit dem Konjunkturpaket II mit massiven staatlichen Investitionen gegen die Rezession an. Auch für Hessen springen dabei 720 Millionen Euro heraus. Bei der Verwendung aber verfallen die hessischen Konservativen und Liberalen wieder in Gründerzeit-Romantik und investieren in den Straßenbau (etwa 45 Millionen Euro) und die Sanierung von Schulen und Hochschulen.

Keine Frage, die hessischen Bildungseinrichtungen sind teilweise oder größtenteils, wer weiß das so genau, in desolatem baulichem Zustand. Auch meine Gießener Justus-Liebig-Universität kämpft mit zu wenig Geldern für dringend notwendige Arbeiten an Gebäuden und technischer Ausstattung. Daher kommt es natürlich auch bei einer solch großen Summe wie annähernd einer Dreiviertel-Milliarde darauf an, wie man das Geld verteilt. Ausreichen dürfte es wohl für keine der anvisierten Bereiche.

2,3 Millionen für den Breitbandausbau

Unverständnis erntet die hessische Landesregierung nun für die lächerlich wirkenden 2,3 Millionen Euro, die sie aus dem Konjunkturpaket in deie Breitbandversorgung steckt. Man wolle „die weißen Flecken im ländlichen Raum schließen“, möglichst bis 2013. Noch Anfang des Jahres hatte Ministerpräsident Roland Koch erklärt, für eben jenes Vorhaben brauche man etwa 150 Millionen Euro.

Das Konjunkturpaket II war dabei aber explizit auch dafür vorgesehen, bis 2010 die weißen Flecken auf der Breitband-Karte in Deutschland verschwinden zu lassen. Das Nachbarland Niedersachsen macht auch promt vor, wie es geht, und pumpt 80 Millionen Euro aus dem Paket in den Breitband-Ausbau. Auf der CeBit schwärmte Bundeskanzlerin Angela Merkel gar von einer Glasfaser-Anbindung für dreiviertel aller deutschen Haushalte bis 2014.

Weder eine notwendige Anbindung an bisher verfügbare Techniken bis 2010, noch die wünschenswerte Aufrüstung auf die nächste Verbindungsgeneration bis 2014 werden in Hessen möglich sein. Für das Land Hessen könnte die scheinbar beiläufig entschiedene Verteilung der größte Standortnachteil der kommenden Jahrzehnte werden.

Als Nachbemerkung sei noch erwähnt, dass weder auf der Internetseite des Hessischen Wirtschaftsministerium, noch unter den Pressemitteilungen der Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei irgendein Kommentar zu dem Sachverhalt zu finden ist. Quelle dieses Beitrages ist daher auch um so bezeichnender die hiesige Lokalpresse.

Bildquelle: Breitbandatlas BMWi [PDF]

Männer für die wichtigen Aufgaben

Man könnte die thematische Verteilung der Ministerien zwischen Männern und Frauen schon als traditionell beschreiben. Wissenschafts, Umwelt- und Bilungsministerium werden von Frauen geleitet, während sich die Leithammel die möglicherweise männlicheren Zuständigkeiten für Wirtschaft, Justiz und Finanzen aufgeteilt haben. Die Besetzung der Ministerien führte offenbar zu einigen Unstimmigkeiten zwischen der schwächelnden CDU und ihren neuen Koalitionspartnern von der FDP.

Ministerpräsident Roland Koch

koch

Roland Koch hat eine beeindruckend lange Amtszeit als Ministerpräsident von Hessen vorzuweisen, angesichts einiger Skandale von unglücklich geführten Wahlkämpfen bis Schwarzgeldkassen seiner CDU. Nun wurde er mit leicht schwächelnder Mehrheit von 62 Stimmen seiner 66 Abgeordneten starken schwarzgelben Regierungskoalition erneut gewählt und tritt damit seine dritte Amtszeit in der Staatskanzlei an.

Auch das Wahlergebnis vom 18. Januar zeugt nicht unbedingt von einer überragenden Unterstützung seiner Person und Politik durch die Bürgerinnen und Bürger. Seine bürgerliche Mehrheit hat der Eschborner Konservative hauptsächlich den wieder erstarkten Liberalen um Jörg-Uwe Hahn zu verdanken. Die CDU konnte sich trotz der historischen SPD-Schwäche im Wahlkampf nicht genug absetzen oder hat über die Jahre hinweg zu viele Bürgerinnen und Bürger verärgert, als dass sie von dem sozialdemokratischen Wählereinbruch hätte profitieren können. Weiterlesen