Politisches Morgengezwitscher

Thorsten Schäfer-Gümbel wird für diejenigen, die sich für Politik im und mit dem Internet interessieren, wohl auf ewig mit dem Kurznachrichtendienst Twitter verknüpft bleiben. Er war der erste deutsche Politiker, der im Jahre 0 nach Barack Obama eine gewisse Prominenz mit seinem Zwitschern erlangen konnte. Dabei ging der Erfolg nicht wirklich auf das Konto einer ausgefeilten Inhalts-Strategie, vielmehr war er eben erst einmal dabei und redete auch tatsächlich mit diesen Twitterati. Das war genug für die Presse, um ausgiebig darüber zu berichten. Nach der Wahl in Hessen 2009 wurde dieser Sachverhalt noch offensichtlicher. Schon legendär sind Schäfer-Gümbels Tweets über den morgendlichen Kaffee – die nicht zuletzt zur Parodie der Titanic führten…

Irgendetwas hat sich seitdem verändert. Wenn man nun morgens das erste Mal in die Twitter-Nachrichten schaut, berichtet Schäfer-Gümbel immer noch gern über Kaffee oder gern auch mal über den morgendlichen Stau auf der A5. Aber damit hört es nicht auf. Schäfer-Gümbel zeigt vielmehr, wie man auch als Landespolitiker sinnvolle und tagesaktuelle Botschaften in 140 Zeichen versenden kann. Ein paar Beispiele: Weiterlesen

Schirrmacher und das Netzwerkbarometer

von Christoph Bieber

„Wer braucht im Wahlkampf eigentlich Freunde?“ lautete die Frage vor gut einem Jahr, als das Netzwerkbarometer erstmals an den Start ging – Anlass war damals die Landtagswahl in Hessen, der nicht unspektakuläre Start in das Superwahljahr 2009. Damals begab sich der Homo Politicus auf noch unvermessenes Gelände und setzte ein erstes Signal in Richtung innovativer Wahlkampfberichterstattung im Web 2.0.

Im Laufe des Jahres wurde es auf diesem Feld noch richtig eng, vor allem zahlreiche Agenturen nutzten die politische Aktivität im „Social Web“ als Bühne zum Schaulaufen für potenzielle Auftraggeber. Angebote wie wahl.de (compuccino), wahlradar.de (linkfluence/Publicis), politReport.de (cognita AG) oder der Wahl-imWeb-Monitor (Weber Shandwick) fügten der eher konventionellen Berichterstattung über den Online-Wahlkampf durch die üblichen Verdächtigen eine neue Facette hinzu: die automatisierte Erfassung der Politiker-Aktivität auf den Plattformen des Web 2.0. Solche „Aggregatoren“ sorgten damit erstmals für eine großflächige Abbildung der politischen Nutzung von Facebook, Twitter & Co. Weil die Abfragen (Frank Schirrmacher würde sagen: die Algorithmen) nicht allein auf die Beiträge der Politiker abgestimmt bleiben mussten, lenkten die verschiedenen Darstellungen häufig auch die Blicke auf bislang unbekannte Ausschnitte der politischen Online-Öffentlichkeit: wer vernetzt sich mit wem, wer teilt welche Informationen auf welcher Plattform, wer antwortet auf welchen Kommunikations-Anreiz innerhalb der eigenen Partei oder beim politischen Gegner?

Wenn nun das Netzwerkbarometer in seine zweite Auflage startet, orientiert es sich aber weniger an den Agentur-Algorithmen, sondern den eigenen Erfahrungen aus dem Vorjahr: der Ansatz auf Homo Politicus ist nämlich kein automatisierter, sondern setzt stets die eigenhändige Systematisierung, Kontrolle und Interpretation der Daten voraus. Genau das war im vergangenen Jahr die große Schwäche der aufwändig produzierten Aggretatoren: angesichts der Datenflut kapitulierten die Anbieter nicht selten vor tiefer schürfenden Analysen – auf eine ertragreiche Untersuchung zur Social Media-Nutzung im Online-Wahlkampf des Jahres 2009 müssen wir daher noch warten. Informationsüberlastung im Schirrmacher-Sinn scheint hier tatsächlich einmal das richtige Stichwort.

Womit wird sich nun das Netzwerk-Barometers in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen? Zunächst einmal ist es spannend zu beobachten, inwiefern die Landespolitiker Opfer des deutschen „Offline-Herbstes“ geworden sind. Haben die (wenigen) einen Vorteil, die auf die kontinuierliche Kommunikation mit ihren Fans, Freunden und Followern gesetzt haben? Oder können Versäumnisse aus den vergangenen Monaten rasch aufgeholt werden? Wirkt auch in 2010 noch so etwas wie der „Obama-Effekt“ oder besinnt man sich auf Landesebene eher auf „campaigning as usual“ (Wesselmänner, Handzettel, Tapeziertische)? Gibt es auch im Landtagswahlkampf wieder spektakuläre Ausrutscher, die umgehend im Internet dokumentiert werden und sich dort in Echtzeit verbreiten? Setzen erneut die Piraten die Maßstäbe im Social Web? Und schließlich: ist (oder: bleibt) das Netz eine abgeschottete Plattform für „Nerds“ oder zeigen sich „spill-over“-Effekte in Richtung der alten Medien?

Die Daten aus dem Netzwerkbarometer werden diese und andere Fragen sicher nicht vollständig beantworten können, aber sie tragen mit Sicherheit zum besseren Verständnis moderner politischer Kommunikation bei. Und das ist gut so.

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Dr. Christoph Bieber ist wissenschaftlicher Assistent an der JLU Gießen und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Neuen Medien auf politische und gesellschaftliche Prozesse. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem Publikationen zum Thema Online-Wahlkampf, die Zukunft der Mediendemokratie und Interaktivität. Dr. Bieber betreibt das Blog Internet und Politik.

Zwei Wochen nach der Hessenwahl

Die Wahllokale sind schon eine Weile geschlossen und die vor Kraft strotzende FDP hat der CDU immerhin 3 ganze Ministerien abgerungen. Die Amtsträger aller Parteien waren nach den Wahlen vollauf beschäftigt. Die Einen mussten in wohl eher freundschaftlichen Verhandlungen einen Koalitionsvertrag vereinbaren, die Anderen ihre mehr oder minder großen Wahlerfolge verarbeiten. Bleibt da noch Zeit für das Stiefkind Internet? Was ist nach dem ersten Onlinewahlkampf 2009 noch zu sehen, wer nutzt die neuen Möglichkeiten auch über den Wahlkampf hinaus?

Am Wahlabend selbst machte sich für Netzaffine Wähler der erste Unmut breit angesichts der offensichtlichen Prioritätenverschiebung unter Zeitdruck: Keinerlei Stellungnahmen oder Jubeleien auf den offiziellen Internetauftritten der Parteien. Man war wohl noch zu beschäftigt, je nach Ergebnis betreten oder euphorisch in die Kameras der übermächtigen alten Medienlandschaft zu schauen.

Eine Haltung, die offensichtlich nicht mal nur mit dem Zeitdruck, sondern mit einer binären Notwendigkeitsdefinition zusammen hängt. Entweder es ist Wahlkampf, dann tun wir aber bitteschön mal was im Internet. Muss man ja auch mittlerweile, das allgegenwärtige Mantra des Barack Obama verpflichtet geradezu. Und dann gibt es da die Zeit nach der Wahl, in der man sich offensichtlich eher über das errungene Landtagsmandat und die möglicherweise im Vergleich zu vorherigen Bezügen üppigen Saläre Gedanken macht. Bestes Beispiel sind mal wieder die im hessischen Internetwahlkampf 2009 eher glücklos agierenden Grünen, auf deren eigens geschalteter Programmseite „Jetzt aber Grün“ noch immer zur Wahl aufgerufen und mit Pressemitteilungen vom 17. Januar informiert wird.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-14-47Scheinbar glaubt man den Wahlkampfauftritt im Internet schon vergessen zu haben, sobald man die Umleitung der Domain www.gruene-hessen.de auf diese wieder gelöscht hatte. Immerhin, auf der offiziellen Seite bedanken sich die Grünen bei den Wählerinnen und Wählern und geloben einen konsequenten Einsatz für grüne Inhalte.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-37-29Dabei macht die grüne Spitzenkandidatin Kordula Schulz-Asche mit ihrem engagiert genutzten Twitter-Account vor, dass auch Grüne in Hessen verstehen können, wie das Internet auch nach der Wahl genutzt werden kann. Nach leichten Anlaufschwierigkeiten kommuniziert sie mittlerweile – in über 100 Tweets allein nach der Wahl – wie losgelöst mit den verschiedensten Lesern. Auch wenn ihr spät im Wahlkampf dazu gekommenes Blog dem noch etwas hinterher hinkt (letzte Aktualisierung am 20. Januar), so viel Kontinuität über Wahlkampfzeiten hinaus macht Hoffnung auf mehr.

Von Twittergates und Koalitionsvereinbarungen

Auch der prominenteste Hessenpolitik-Twitterer Thorsten Schäfer-Gümbel ist nach der Wahl aktiv, kommt aber weder bei Authentizität noch bei der Nachrichtenzahl an die grüne Schulz-Asche heran. In den letzten Tagen leistete er sich gar einen kleinen Faux-pas, der Diskussionen über die Beteiligung der Online-Agentur aufkommen lies. Ob man nun der hastigen Richtigstellung und den Besserungsgelobnissen für klarere Kennzeichnung folgt oder nicht, es zeigt sich mal wieder, wie empfindlich die Web- und vor allem Twittergemeinde bei der Glaubwürdigkeit von Netzpolitikern ist. Dieses ‚Twittergate‘ wird wohl auch ein Gesprächsthema bei der Essenseinladung sein, die TSG als etwas konstruiert wirkende Marketingaktion seinem 2014. Follower versprach. Die glückliche Gewinnerin Birgit Hoff wird als EmmaPeel_ hoffentlich von dem Treffen berichten.

bildschirmfoto-2009-02-01-00-21-49Ein Glaubwürdigkeitsproblem wie das des Schäfer-Gümbel kam bei den CDU-Twitterern gar nicht erst auf, da man den Internetwahlkampf in der Landesgeschäftsstelle gleich komplett an das jungdynamische webcamp09 auslagerte. Vermuten könnte man nun, dass die Jugendlichen auch nach der Wahl noch genügend Zeit haben, eine wie auch immer geartete Nachberichterstattung zu liefern. Diese Erwartung wird allerdings nur in Ansätzen erfüllt, was wohl auch an der eben nicht mehr ganz so großen Zahl von Beteiligten liegen mag. Die Restbelegschaft des webcamp hat sich nach eigenen Aussagen dann doch lieber zum Feiern frei genommen, das scheinbar einige Tage Nachwirkungen aufzuweisen hatte. Zur Koalitionsvereinbarung ist das webcamp09 nun aber wieder da und man darf gespannt sein, wie die Mannschaft den Schritt vom Wahlkampfvehikel zum Organ der Regierungsfraktion meistert.

Hoffnung auf mehr

So dürftig das politische Engagement im Internet nach der Wahl auch aussehen mag, gemessen an der Ausgangslage ist es in jedem Fall erfreulich. Dass Kordula Schulz-Asche und Thorsten Schäfer-Gümbel weiter twittern, war möglicherweise zu erwarten – aber keineswegs als sicher zu betrachten. Wie der gesamte vergangene Internetwahlkampf in Hessen ist auch die post-campaigning Nutzung des Webs durch die bekannten Akteure nur ein Anfang, zeigt aber auch die ein oder andere erfreuliche Überraschung. Vielleicht wird ja das webcamp09 nach seiner nun anstehenden Rollenfindung eine solche werden.

Freunde – auch nach der Wahl?

Gastbeitrag von Dr. Christoph Bieber zum Abschlussstand des „Netzwerk-Barometers“ von Homo Politicus.

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Für etwas mehr als zwei Wochen hat das Netzwerk-Barometer die Aktivität der hessischen Online-Kampagnen auf verschiedenen „Social Network Sites“ begleitet und aufgezeichnet – das Ergebnis stellt zwar nur einen kleinen Ausschnitt dieser neuen Episode im Internet-Wahlkampf dar, liefert aber durchaus schon einige interessante Resultate.

In sämtlichen Online-Netzwerken, den Kommunikationsdienst Twitter hier einmal mit eingeschlossen, hat die Zahl der Freunde, Unterstützer und Follower kontinuierlich zugenommen. Allerdings mit unterschiedlicher
Dynamik: während StudiVZ und Facebook vergleichsweise „flache“ Zuwachsraten aufweisen, haben sich Wer-kennt-Wen und Twitter als die Netzwerke mit den größten Zuwachsraten entpuppt. Gerade in den letzten Tagen vor der Wahl haben dabei offenbar erste „Netzwerkeffekte“ gegriffen: höhere absolute Unterstützerzahlen führen auch zu einem schnelleren Wachstum – sehr gut zu sehen etwa bei Thorsten Schäfer-Gümbel, der am Wahlwochenende täglich mehr als einhundert neue Freunde bzw. Follower hinzugewonnen hat. Auch nach der Wahl steigen die Kurven weiter an, allerdings vermutlich nur dann, wenn auch die Netzwerkplattformen auch weiterhin mit Inhalten, Nachrichten und Kommentaren versorgt werden.

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Im bislang nur zwischen SPD und Grünen möglichen Parteienvergleich (das Facebook-Profil von Roland Koch wird in Kürze in das Netzwerk-Barometer aufgenommen) zeigen sich auch leichte Unterschiede, die mit Blick auf die Nutzerdemografie näher zu untersuchen wären: während „TSG“ bei Wer-kennt-Wen den Spitzenwert mit knapp zweieinhalbtausend Freunden erzielt und Facebook (877 Freunde/674 Unterstützer) sowie StudiVZ (837 Freunde), ist Kordula Schulz-Asche vor allem bei Facebook erfolgreich – allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau (443).

Spannend bleibt in den nächsten Tagen die Reaktion auf das bislang verhaltene Online-Echo auf den Wahlabend – mit nur wenigen Ausnahmen haben sich die Spitzenkandidaten vor allem in den alten Medien zum Wahlergebnis geäußert. Am Tag nach der Wahl dominieren offenbar die parteiinternen Gremien und Entscheidungsprozesse – das Netz muss warten. Man wird sehen, wie Freunde und Follower auf diese leichte „Vernachlässigung“ reagieren werden. Vielleicht nicht unbedingt mit der Aufkündigung der digitalen Freundschaft, aber vermutlich doch mit der ein oder anderen Nachfrage, ob das Internet denn doch wieder nur als Wahlkampf-Gimmick herhalten musste.

Dr. Christoph Bieber ist wissenschaftlicher Assistent an der JLU Gießen und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Neuen Medien auf politische und gesellschaftliche Prozesse. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem Publikationen zum Thema Online-Wahlkampf, die Zukunft der Mediendemokratie und Interaktivität. Dr. Bieber betreibt das Blog Internet und Politik.

Der erste Internetwahlkampf 2009

Das war er also, der erste Internetwahlkampf im Jahr 2009. Wenn man die mediale Berichterstattung betrachtet, übertrumpfte er schon fast den eigentlichen Wahlkampf in Hessen. Selbst die großen TV-Sender ließen es sich nicht nehmen, in allen möglichen und unmöglichen Sendungen über den Netzwahlkampf in Hessen zu berichten und nur selten fehlte dabei der Vergleich mit der Internetnutzung des schon mantrahaft beschworenen Obama. Die herausragende Medienwirksamkeit bedeutete aber noch lange nicht, dass der Internetwahlkampf objektiv betrachtet wirklich ‚gut’ war und ebenso wenig, dass er den Bedürfnissen der Wähler gerecht wurde.

Zwei grundsätzliche Tendenzen lassen sich in diesem äußerst kurzen Wahlkampf im Internet feststellen. Zum einen ist im Vergleich zur letzten Hessenwahl im vergangenen Jahr ein Anstieg des Engagements zu bemerken. Gerade die großen Parteien CDU und SPD haben das Internet viel stärker genutzt als zuvor. Daneben steht der zum ersten Mal in Hessen in dieser Form umgesetzte direkte Kontakt mit den Bürgern, der ihnen die Möglichkeit der beidseitigen Kommunikation erlaubte.

Stärkere Nutzung des Internets als Verbreitungsmöglichkeit

Eine schwache Reichweite kann man den Onlineaktivitäten von Roland Koch, Thorsten Schäfer-Gümbel und ihren Mitbewerbern kaum vorwerfen. Immer mehr Unterstützer und Freunde konnten sie in den sozialen Netzwerken sammeln oder als Besucher für ihre Internetauftritte gewinnen. Bei der sonst so konservativen hessischen CDU kann man da schon fast von einem Innovationsrausch sprechen, betrachtet man das innerhalb so kurzer Zeit aufgestellte webcamp09. Ein Team von fast 30 ehrenamtlich arbeitenden Jugendlichen sorgte rund um die Uhr für eine mediale Bepflasterung ihres Weblogs, die an Kreativität selten zu wünschen übrig ließ. Ob man nun mit Roland Koch vor der Videoübertragung ins Internet saß und live mit den Nutzern chattete, oder man wenige Stunden nach Ende der Veranstaltungen bereits die Berichte und Interviews im Netz finden konnte. Auch so bizarre Fundstücke wie der ein oder andere Schnellrestaurantbesuch des geschäftsführenden Ministerpräsidenten wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Und die CDU unterstütze das webcamp in erstaunlichem Ausmaße, nahezu alle Minister und Parteifunktionäre besuchten die Jugendlichen und sahen sich deren Arbeit mit wachsender Faszination an. Auf der großen Wahlkampfveranstaltung mit Angela Merkel vor 4000 Zuschauern wurde das webcamp auf Großleinwand in einem Videoclip vorgestellt und die Besucher aufgerufen, doch zu Hause einmal auf der Seite vorbei zu schauen. Selbst die angereiste Bundeskanzlerin ließ sich von den webcampern interviewen, für den Reporter sicherlich ein besonderes Highlight im Wahlkampf.

Wie die CDU mit ihrem Webcamp zeigten viele der hessischen Parteien gute Ansätze in einem Internetwahlkampf, der aber auch ebenso zahlreiche Schwächen hatte. Gerade die grundsätzlichsten Informationen für interessierte Wähler wurden nicht bereit gestellt. Offensichtlich fehlte es denn Parteien an Verständnis für die Wünsche und Ansprüche der Interessenten. Kein Wähler möchte eine Internetseite einer Partei besuchen und sich erst durch verschachtelte Menüs oder eine Flut von Pressemitteilungen klicken. Stattdessen sucht er wohl eher nach einer kurzen Zusammenfassung der inhaltlichen Positionen und einer Vorstellung der Spitzenkandidaten.

Einzig die hessischen Grünen boten auf ihrer Wahlkampfseite jetztabergruen.de in der späteren Phase des Wahlkampfs unter dem Titel „Kurz und Knackig“ eine Übersicht über das Wahlprogramm an. Ein „Aufbruch für Hessens Schulen“ oder die Betonung von Natur- und Umweltschutz wurde auf der Startseite gefordert und dann in knappen Artikeln skizziert. Diese Artikel waren aber weder grafisch aufbereitet noch mit Bildmaterial veranschaulicht. Bei allen anderen Parteien fehlte solch ein leichter Zugang zu den selbstverständlichsten Informationen völlig. Man hielt es in den Wahlkampfzentralen scheinbar für ausreichend, einfach das komplette Wahlprogramm in endlosen PDF-Dokumenten zu veröffentlichen. Welcher Wähler sich diese Textwüsten wohl durchgelesen haben mag? Dabei zeigten die Wählerinnen und Wähler bereits durch das Aufrufen der Internetseite ein gewisses Interesse an der Partei und ihren Angeboten. Um so unverständlicher, dass man den einmal aktiv gewordenen Besuchern einen einfachen Zugang zu den gesuchten Informationen verwehrte.

Öffnung zum Dialog mit den Wählern

Mit einem Videoaufruf wandte sich der Thorsten Schäfer-Gümbel als Spitzenkandidat der SPD im Dezember an die hessischen Bürger. Er gestand zum ersten Mal den Fehler des Wortbruchs ein und war damit der erste SPD-Politiker, der das Scheitern der Regierungsbildung auch auf das gebrochene Wahlversprechen von Andrea Ypsilanti zurück führte, nicht mit der Linkspartei zusammen zu arbeiten. Aber forderte Schäfer-Gümbel die insgesamt mehr als 50.000 Zuschauer zum Dialog über die wirklich entscheidenden Fragen für die Zukunft des Landes auf. Allen Unkenrufen der Medien über die angeblich unprofessionelle Art des Videos zum Trotz wurde es zu einem vollen Erfolg und hunderte Zuschriften über die verschiedensten Kanäle von E-Mail bis Facebook-Nachrichten erreichten Schäfer-Gümbel und sein Team. Begeistert von der Menge der Fragen versprach der Spitzenkandidat, die Fragen zu Themenkomplexen zusammen zu fassen und dann zu erklären. Eine erste Auswahl las er aber direkt über den Schreibtisch gebeugt vor und beantwortete sie den Fragenden, die er sogar persönlich ansprach.

Leider hielten die später dann tatsächlich erscheinenden Themenvideos diese Direktheit nicht aufrecht und verkamen einmal mehr zu Wahlkampfansprachen, die eigentlich gar nicht mehr auf die gestellten Fragen eingingen. Der Wiesbadener Kurier lies Jugendliche die Videos anschauen und befragte sie anschließend dazu. Die Vorschläge der Kritiker zeigen dabei genau das Problem auf, das die Videos charakterisierte. Statt den lehrerhaft wirkenden Erläuterungen hätten sie es lieber gesehen, wenn Thorsten Schäfer-Gümbel die Fragen der Zuschauer auch mit Menschen vor der Kamera diskutiert hätte. Vielleicht wäre auch eine „Chat-Sprechstunde“ eine gute Idee gewesen, werfen sie ein. Die jetzt gezeigte Varainte dagegen finden die Jugendlichen weder spannend noch informativ und kommentieren knapp aber deutlich: „Der redet ja wie im Parlament“.

Kurz vor Ende des Wahlkampfes wendet sich auch Roland Koch, scheinbar inspiriert vom Erfolg seines Gegenübers, mit einem Aufruf an die Wähler. Der Kontakt mit Politikern sei durch die neuen Möglichkeiten des Internets wesentlich einfacher geworden. Die Politik sei auf die Anregungen und Fragen der Bürgerinnen und Bürger angewiesen und daher sollten sie diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme auch nutzen. Was Roland Koch aber hier verspricht, ist kein neuer Dialog mit den Wählern über die Zukunft des Landes sondern nur eine Verdeutlichung der ohnehin schon existierenden Möglichkeit, den Abgeordneten des Landtags oder eben auch dem Ministerpräsidenten zu schreiben.

Lernen aus Innovationen und Schwächen

In beiden Tendenzen, der insgesamt stärkeren Nutzung des Internets im Wahlkampf und im direkten Bürger-Dialog, zeigten sich im kürzesten Hessen-Wahlkampf aller Zeiten erstaunliche Ansätze. Aber auch die Schwächen waren in beiden Tendenzen auch deutlich zu erkennen. Die Kürze des Wahlkampfs und die großen Finanzierungsschwierigkeiten können nur zum Teil die Versäumnisse oder die verschenkten Möglichkeiten rechtfertigen.

In jedem Falle wird der diesjährige Internetwahlkampf seine Auswirkungen auf die zukünftige Wahlkampfführung nicht nur in Hessen haben. Der Erfolg und die Reichweite der Angebote hat die hessische Politik überrascht und sie erste Schritte in der Wirkung von politischen Werkzeugen im Internet lernen lassen. Man darf gespannt sein, ob bereits bei der Bundestagswahl im September Lernerfolge zu sehen sein werden.