Brave new world (Vorratsdatenspeicherung 2050?)

Ein wenig mulmig kann einem ja schon werden, wenn man in der aktuellen SPIEGEL-Ausgabe den Artikel über Gordon Bell liest.
Seit nun mehr über zehn Jahren arbeitet Bell an der Vision, sein komplettes Leben zu digitalisieren. Was mit dem einscannen von Kindheitserinnerungen und Familienbildern begann entwickelte sich über die Jahre zu einem Kooperationsprojekt mit Microsoft, welches unter dem Namen „MyLifeBits“ bekannt wurde.

Mitlerweile geht Bell soweit, dass er rund um die Uhr eine kleine Kamera bei sich trägt, die alle 30 Sekunden Bilder von seiner Umgebung schießt und diese direkt auf einem Rechner archiviert.


Gleichzeitig versucht er auch sonst alles was seine Sinne aufnehmen gleichzeitig zu digitalisieren. Genauso wenig wie Bell vor der Speicherung seiner GPS-Daten halt macht (er trägt immer einen GPS-Sender bei sich), hält er sich auch nicht bei der Speicherung persönlicher Gespräche zurück. Selbst jeden Streit mit seiner Frau kann er noch heute revue passieren lassen.

Für Gordon Bell steht hinter all dem der Traum vom ewigen Gedächnis. Der Traum nie wieder etwas zu vergessen und die Möglichkeit auch noch Jahre später alle eigenen Handlungen nachvollziehen zu können. Es wird gar davon gesprochen, dass es weniger Ehebrüche und Scheidungen geben würde, da sich Ehepartner nie wieder wegen vermeintlichen Versprechen in die Haare bekommen müssten.

Was zunächst als nette Spielerei eines Technik-Freaks wirkt, bietet wirklich vieles worüber man sich in den nächsten Jahren Gedanken machen sollte. Denn Microsoft wird das Projekt nicht ohne Grund fördern. Dahinter stehen selbstverständlich auch wirtschaftliche Interessen: Das digitale „zweite“ Gedächnis als Konsumgut.

Ist dies wirklich eine Erfindung die wir brauchen, wollen und verkraften?
Führt es nicht dazu, dass wir uns unter die Herrschaft und Kontrolle einer Maschine stellen und uns auf diese Weise gar steuern lassen?
Wer garantiert mir, dass sich niemand Zugriff zu meinem „zweiten“ Gedächnis verschafft oder dieses gar manipuliert?
Und auch nicht ohne Grund ist unser Gehirn so angelegt, dass wir vergessen. Es muss nicht nur ein Nachteil sein, Dinge zu vergessen. Das natürliche Vergessen kann helfen, über traumatische Erlebnis hinweg zukommen. Und sorgt dafür, dass negative Erlebnisse langsam aussortiert werden und letztlich die positiven Errinnerungen übrig bleiben. Wie beispielsweise der Urlaub, der während des Aufenthaltes am Urlaubsort durch das schlechte Wetter eher getrübt wurde. Einige Jahre später denkt man im nachhinein jedoch mit Freude an die schönen Erlebnisse zurück, die selektiert zurück geblieben sind.

LINK: Artikel von Gordon Bell und seinem Kollegen Jim Gemmel im „Spektrum der Wissenschaft“ und interessante Leserbriefe.