Wurzeln wachsen langsam

Heute ging das grüne Mitgliedernetz für den Wahlkampf in diesem Jahr online. Bisher ist eine Beurteilung für Nichtmitglieder nicht möglich, nur Parteimitglieder haben in den letzten zwei Tagen ihre Zugangsdaten mit der Post bekommen. Einige Aussagen lassen sich aber auch ohne Einblick in das System treffen.

1. Nichtmitglieder müssen – vorerst – draussen bleiben

Auch wenn das „Wurzelwerk“ getaufte soziale Wahlkampfnetzwerk der Grünen heute online ging, werden Nichtmitgliedern jegliche Einblicke versagt. Grundsätzlich finde ich es einen legitimen Gedanken, weite Bereiche des Mitgliedernetz oder sogar den gesamten Zugang nur den eigenen Parteifreunden zu gewähren. Schließlich sind diese nicht nur die einzige Zielgruppe, es mangelt wohl auch nicht an internen Informationen.

Aber die Grünen wollen die Externen Besucher ja gar nicht aussperren, sondern bitten sich einfach noch einige Zeit mehr aus. Die Betreiber versprechen eine Öffnung für Besucher ab Ende nächster Woche, verschenken damit aber unnötig öffentliche Aufmerksamkeit. Für anderthalb Wochen Verzögerung riskiert man das ungute Gefühl der Intransparenz und versteckt die möglicherweise beeindruckenden neuen Möglichkeiten vor der Öffentlichkeit.

2. Auch Mitglieder kämpfen mit dem Wurzelwerk

Die Berichte über extreme Wartezeiten oder gar fehlende Erreichbarkeit des Wurzelwerks dauern schon den ganzen Tga an. Die Twitter-Suche malt ein beeindruckendes Bild davon. Lars Brücher spottet: „Logins werden sicher händisch freigeschaltet, wenn da einer eine rauchen ist, kann das ein bisschen dauern“. Till Westermayer kann auch sein Lied vom Anmeldevorgang singen: „Bisheriger Eindruck: das Login dauert über 5 Minuten. Bin noch immer nicht drinne.“ Über Fehler bei der Gruppenfunktion oder falsche Zuordnung in Landesverbände beklagen sich weitere Benutzer. Der Begriff „alpha“, also unfertige Software, macht schon die Runde.

Warum all diese technischen Probleme auch nach der langen Testphase mit einigen netzaffinenen Grünen noch immer bestehen, bleibt natürlich offen. Vermutlich sind es auch wirklich handfeste Probleme, mit denen die Betreiber zu kämpfen haben. Möglicherweise wäre aber dann doch eine spätere Veröffentlichung sinnvoll gewesen. Auch in der Natur wachsen Wurzeln eben langsam.

Zwei Wochen nach der Hessenwahl

Die Wahllokale sind schon eine Weile geschlossen und die vor Kraft strotzende FDP hat der CDU immerhin 3 ganze Ministerien abgerungen. Die Amtsträger aller Parteien waren nach den Wahlen vollauf beschäftigt. Die Einen mussten in wohl eher freundschaftlichen Verhandlungen einen Koalitionsvertrag vereinbaren, die Anderen ihre mehr oder minder großen Wahlerfolge verarbeiten. Bleibt da noch Zeit für das Stiefkind Internet? Was ist nach dem ersten Onlinewahlkampf 2009 noch zu sehen, wer nutzt die neuen Möglichkeiten auch über den Wahlkampf hinaus?

Am Wahlabend selbst machte sich für Netzaffine Wähler der erste Unmut breit angesichts der offensichtlichen Prioritätenverschiebung unter Zeitdruck: Keinerlei Stellungnahmen oder Jubeleien auf den offiziellen Internetauftritten der Parteien. Man war wohl noch zu beschäftigt, je nach Ergebnis betreten oder euphorisch in die Kameras der übermächtigen alten Medienlandschaft zu schauen.

Eine Haltung, die offensichtlich nicht mal nur mit dem Zeitdruck, sondern mit einer binären Notwendigkeitsdefinition zusammen hängt. Entweder es ist Wahlkampf, dann tun wir aber bitteschön mal was im Internet. Muss man ja auch mittlerweile, das allgegenwärtige Mantra des Barack Obama verpflichtet geradezu. Und dann gibt es da die Zeit nach der Wahl, in der man sich offensichtlich eher über das errungene Landtagsmandat und die möglicherweise im Vergleich zu vorherigen Bezügen üppigen Saläre Gedanken macht. Bestes Beispiel sind mal wieder die im hessischen Internetwahlkampf 2009 eher glücklos agierenden Grünen, auf deren eigens geschalteter Programmseite „Jetzt aber Grün“ noch immer zur Wahl aufgerufen und mit Pressemitteilungen vom 17. Januar informiert wird.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-14-47Scheinbar glaubt man den Wahlkampfauftritt im Internet schon vergessen zu haben, sobald man die Umleitung der Domain www.gruene-hessen.de auf diese wieder gelöscht hatte. Immerhin, auf der offiziellen Seite bedanken sich die Grünen bei den Wählerinnen und Wählern und geloben einen konsequenten Einsatz für grüne Inhalte.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-37-29Dabei macht die grüne Spitzenkandidatin Kordula Schulz-Asche mit ihrem engagiert genutzten Twitter-Account vor, dass auch Grüne in Hessen verstehen können, wie das Internet auch nach der Wahl genutzt werden kann. Nach leichten Anlaufschwierigkeiten kommuniziert sie mittlerweile – in über 100 Tweets allein nach der Wahl – wie losgelöst mit den verschiedensten Lesern. Auch wenn ihr spät im Wahlkampf dazu gekommenes Blog dem noch etwas hinterher hinkt (letzte Aktualisierung am 20. Januar), so viel Kontinuität über Wahlkampfzeiten hinaus macht Hoffnung auf mehr.

Von Twittergates und Koalitionsvereinbarungen

Auch der prominenteste Hessenpolitik-Twitterer Thorsten Schäfer-Gümbel ist nach der Wahl aktiv, kommt aber weder bei Authentizität noch bei der Nachrichtenzahl an die grüne Schulz-Asche heran. In den letzten Tagen leistete er sich gar einen kleinen Faux-pas, der Diskussionen über die Beteiligung der Online-Agentur aufkommen lies. Ob man nun der hastigen Richtigstellung und den Besserungsgelobnissen für klarere Kennzeichnung folgt oder nicht, es zeigt sich mal wieder, wie empfindlich die Web- und vor allem Twittergemeinde bei der Glaubwürdigkeit von Netzpolitikern ist. Dieses ‚Twittergate‘ wird wohl auch ein Gesprächsthema bei der Essenseinladung sein, die TSG als etwas konstruiert wirkende Marketingaktion seinem 2014. Follower versprach. Die glückliche Gewinnerin Birgit Hoff wird als EmmaPeel_ hoffentlich von dem Treffen berichten.

bildschirmfoto-2009-02-01-00-21-49Ein Glaubwürdigkeitsproblem wie das des Schäfer-Gümbel kam bei den CDU-Twitterern gar nicht erst auf, da man den Internetwahlkampf in der Landesgeschäftsstelle gleich komplett an das jungdynamische webcamp09 auslagerte. Vermuten könnte man nun, dass die Jugendlichen auch nach der Wahl noch genügend Zeit haben, eine wie auch immer geartete Nachberichterstattung zu liefern. Diese Erwartung wird allerdings nur in Ansätzen erfüllt, was wohl auch an der eben nicht mehr ganz so großen Zahl von Beteiligten liegen mag. Die Restbelegschaft des webcamp hat sich nach eigenen Aussagen dann doch lieber zum Feiern frei genommen, das scheinbar einige Tage Nachwirkungen aufzuweisen hatte. Zur Koalitionsvereinbarung ist das webcamp09 nun aber wieder da und man darf gespannt sein, wie die Mannschaft den Schritt vom Wahlkampfvehikel zum Organ der Regierungsfraktion meistert.

Hoffnung auf mehr

So dürftig das politische Engagement im Internet nach der Wahl auch aussehen mag, gemessen an der Ausgangslage ist es in jedem Fall erfreulich. Dass Kordula Schulz-Asche und Thorsten Schäfer-Gümbel weiter twittern, war möglicherweise zu erwarten – aber keineswegs als sicher zu betrachten. Wie der gesamte vergangene Internetwahlkampf in Hessen ist auch die post-campaigning Nutzung des Webs durch die bekannten Akteure nur ein Anfang, zeigt aber auch die ein oder andere erfreuliche Überraschung. Vielleicht wird ja das webcamp09 nach seiner nun anstehenden Rollenfindung eine solche werden.

Der erste Internetwahlkampf 2009

Das war er also, der erste Internetwahlkampf im Jahr 2009. Wenn man die mediale Berichterstattung betrachtet, übertrumpfte er schon fast den eigentlichen Wahlkampf in Hessen. Selbst die großen TV-Sender ließen es sich nicht nehmen, in allen möglichen und unmöglichen Sendungen über den Netzwahlkampf in Hessen zu berichten und nur selten fehlte dabei der Vergleich mit der Internetnutzung des schon mantrahaft beschworenen Obama. Die herausragende Medienwirksamkeit bedeutete aber noch lange nicht, dass der Internetwahlkampf objektiv betrachtet wirklich ‚gut’ war und ebenso wenig, dass er den Bedürfnissen der Wähler gerecht wurde.

Zwei grundsätzliche Tendenzen lassen sich in diesem äußerst kurzen Wahlkampf im Internet feststellen. Zum einen ist im Vergleich zur letzten Hessenwahl im vergangenen Jahr ein Anstieg des Engagements zu bemerken. Gerade die großen Parteien CDU und SPD haben das Internet viel stärker genutzt als zuvor. Daneben steht der zum ersten Mal in Hessen in dieser Form umgesetzte direkte Kontakt mit den Bürgern, der ihnen die Möglichkeit der beidseitigen Kommunikation erlaubte.

Stärkere Nutzung des Internets als Verbreitungsmöglichkeit

Eine schwache Reichweite kann man den Onlineaktivitäten von Roland Koch, Thorsten Schäfer-Gümbel und ihren Mitbewerbern kaum vorwerfen. Immer mehr Unterstützer und Freunde konnten sie in den sozialen Netzwerken sammeln oder als Besucher für ihre Internetauftritte gewinnen. Bei der sonst so konservativen hessischen CDU kann man da schon fast von einem Innovationsrausch sprechen, betrachtet man das innerhalb so kurzer Zeit aufgestellte webcamp09. Ein Team von fast 30 ehrenamtlich arbeitenden Jugendlichen sorgte rund um die Uhr für eine mediale Bepflasterung ihres Weblogs, die an Kreativität selten zu wünschen übrig ließ. Ob man nun mit Roland Koch vor der Videoübertragung ins Internet saß und live mit den Nutzern chattete, oder man wenige Stunden nach Ende der Veranstaltungen bereits die Berichte und Interviews im Netz finden konnte. Auch so bizarre Fundstücke wie der ein oder andere Schnellrestaurantbesuch des geschäftsführenden Ministerpräsidenten wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Und die CDU unterstütze das webcamp in erstaunlichem Ausmaße, nahezu alle Minister und Parteifunktionäre besuchten die Jugendlichen und sahen sich deren Arbeit mit wachsender Faszination an. Auf der großen Wahlkampfveranstaltung mit Angela Merkel vor 4000 Zuschauern wurde das webcamp auf Großleinwand in einem Videoclip vorgestellt und die Besucher aufgerufen, doch zu Hause einmal auf der Seite vorbei zu schauen. Selbst die angereiste Bundeskanzlerin ließ sich von den webcampern interviewen, für den Reporter sicherlich ein besonderes Highlight im Wahlkampf.

Wie die CDU mit ihrem Webcamp zeigten viele der hessischen Parteien gute Ansätze in einem Internetwahlkampf, der aber auch ebenso zahlreiche Schwächen hatte. Gerade die grundsätzlichsten Informationen für interessierte Wähler wurden nicht bereit gestellt. Offensichtlich fehlte es denn Parteien an Verständnis für die Wünsche und Ansprüche der Interessenten. Kein Wähler möchte eine Internetseite einer Partei besuchen und sich erst durch verschachtelte Menüs oder eine Flut von Pressemitteilungen klicken. Stattdessen sucht er wohl eher nach einer kurzen Zusammenfassung der inhaltlichen Positionen und einer Vorstellung der Spitzenkandidaten.

Einzig die hessischen Grünen boten auf ihrer Wahlkampfseite jetztabergruen.de in der späteren Phase des Wahlkampfs unter dem Titel „Kurz und Knackig“ eine Übersicht über das Wahlprogramm an. Ein „Aufbruch für Hessens Schulen“ oder die Betonung von Natur- und Umweltschutz wurde auf der Startseite gefordert und dann in knappen Artikeln skizziert. Diese Artikel waren aber weder grafisch aufbereitet noch mit Bildmaterial veranschaulicht. Bei allen anderen Parteien fehlte solch ein leichter Zugang zu den selbstverständlichsten Informationen völlig. Man hielt es in den Wahlkampfzentralen scheinbar für ausreichend, einfach das komplette Wahlprogramm in endlosen PDF-Dokumenten zu veröffentlichen. Welcher Wähler sich diese Textwüsten wohl durchgelesen haben mag? Dabei zeigten die Wählerinnen und Wähler bereits durch das Aufrufen der Internetseite ein gewisses Interesse an der Partei und ihren Angeboten. Um so unverständlicher, dass man den einmal aktiv gewordenen Besuchern einen einfachen Zugang zu den gesuchten Informationen verwehrte.

Öffnung zum Dialog mit den Wählern

Mit einem Videoaufruf wandte sich der Thorsten Schäfer-Gümbel als Spitzenkandidat der SPD im Dezember an die hessischen Bürger. Er gestand zum ersten Mal den Fehler des Wortbruchs ein und war damit der erste SPD-Politiker, der das Scheitern der Regierungsbildung auch auf das gebrochene Wahlversprechen von Andrea Ypsilanti zurück führte, nicht mit der Linkspartei zusammen zu arbeiten. Aber forderte Schäfer-Gümbel die insgesamt mehr als 50.000 Zuschauer zum Dialog über die wirklich entscheidenden Fragen für die Zukunft des Landes auf. Allen Unkenrufen der Medien über die angeblich unprofessionelle Art des Videos zum Trotz wurde es zu einem vollen Erfolg und hunderte Zuschriften über die verschiedensten Kanäle von E-Mail bis Facebook-Nachrichten erreichten Schäfer-Gümbel und sein Team. Begeistert von der Menge der Fragen versprach der Spitzenkandidat, die Fragen zu Themenkomplexen zusammen zu fassen und dann zu erklären. Eine erste Auswahl las er aber direkt über den Schreibtisch gebeugt vor und beantwortete sie den Fragenden, die er sogar persönlich ansprach.

Leider hielten die später dann tatsächlich erscheinenden Themenvideos diese Direktheit nicht aufrecht und verkamen einmal mehr zu Wahlkampfansprachen, die eigentlich gar nicht mehr auf die gestellten Fragen eingingen. Der Wiesbadener Kurier lies Jugendliche die Videos anschauen und befragte sie anschließend dazu. Die Vorschläge der Kritiker zeigen dabei genau das Problem auf, das die Videos charakterisierte. Statt den lehrerhaft wirkenden Erläuterungen hätten sie es lieber gesehen, wenn Thorsten Schäfer-Gümbel die Fragen der Zuschauer auch mit Menschen vor der Kamera diskutiert hätte. Vielleicht wäre auch eine „Chat-Sprechstunde“ eine gute Idee gewesen, werfen sie ein. Die jetzt gezeigte Varainte dagegen finden die Jugendlichen weder spannend noch informativ und kommentieren knapp aber deutlich: „Der redet ja wie im Parlament“.

Kurz vor Ende des Wahlkampfes wendet sich auch Roland Koch, scheinbar inspiriert vom Erfolg seines Gegenübers, mit einem Aufruf an die Wähler. Der Kontakt mit Politikern sei durch die neuen Möglichkeiten des Internets wesentlich einfacher geworden. Die Politik sei auf die Anregungen und Fragen der Bürgerinnen und Bürger angewiesen und daher sollten sie diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme auch nutzen. Was Roland Koch aber hier verspricht, ist kein neuer Dialog mit den Wählern über die Zukunft des Landes sondern nur eine Verdeutlichung der ohnehin schon existierenden Möglichkeit, den Abgeordneten des Landtags oder eben auch dem Ministerpräsidenten zu schreiben.

Lernen aus Innovationen und Schwächen

In beiden Tendenzen, der insgesamt stärkeren Nutzung des Internets im Wahlkampf und im direkten Bürger-Dialog, zeigten sich im kürzesten Hessen-Wahlkampf aller Zeiten erstaunliche Ansätze. Aber auch die Schwächen waren in beiden Tendenzen auch deutlich zu erkennen. Die Kürze des Wahlkampfs und die großen Finanzierungsschwierigkeiten können nur zum Teil die Versäumnisse oder die verschenkten Möglichkeiten rechtfertigen.

In jedem Falle wird der diesjährige Internetwahlkampf seine Auswirkungen auf die zukünftige Wahlkampfführung nicht nur in Hessen haben. Der Erfolg und die Reichweite der Angebote hat die hessische Politik überrascht und sie erste Schritte in der Wirkung von politischen Werkzeugen im Internet lernen lassen. Man darf gespannt sein, ob bereits bei der Bundestagswahl im September Lernerfolge zu sehen sein werden.