Wahl im Web: Stuttgart

Gastbeitrag von Dr. Christoph Bieber:

Okay, streng genommen gehörte Mainz auch in die Überschrift, doch der anstehende Doppelwahlsonntag dürfte eindeutig von den Ereignissen in Baden-Württemberg dominiert werden. Dementsprechend wird die nächste Ausgabe der „interaktivsten Wahlsendung“ (O-Ton zdf.de) auch vis-a-vis des Stuttgarter Hauptbahnhofs aufgezeichnet. Mit von der Partie sind selbstverständlich wieder Kollege Thorsten „Wahlforscher“ Faas und Malte „politicus“ Krohn.

Hier nun die übliche sneak preview auf die voraussichtlichen Online-Themen und -Schwerpunkte der insgesamt achten Wahl im Web-Sendung:

Obwohl im Jahr 2010 Rheinland-Pfalz unter den Flächenländern bundesweit den größten Zuwachs an Internet-Nutzern verzeichnen konnte, ist der Online-Wahlkampf nicht mitgewachsen. Besonders skeptisch ist man bei wahl.de, und auch die Kollegen von politik-digital.de sind nicht wirklich angetan von den Online-Performances an Rhein und Mosel. Einige Worte zu verlieren sind wohl über die Versuche, eine digitale Negativkampagne zu führen – Impulse lieferten hier die diversen Affären (Stichwort: Rheinland-Filz). Das eigentlich interessante ist dabei, dass diese „Schmutzkampagnen“ über die Jugendorganisationen der Parteien ausgetragen werden. Die Junge Union thematisiert den Rechtsbruch der SPD, auch die JuLis mokieren sich über SPD-Filz, während die JuSos ihrerseits schwarze Schafe zählen.

Ach ja: eine „verborgene“ Story des Online-Wahlkampfs in Rheinland-Pfalz ist das Schickal des regionalen sozialen Netzwerks Wer kennt wen? – dort sind (lt. wahl.de, siehe oben) respektable 27.000 Freunde von Kurt Beck registriert, ein Vielfaches der „Gefällt mir“-Daumenrecker. Angesichts des derzeitigen Facebook-Booms sind die „nativen Netzwerke“ wie StudiVZ und eben Wer-kennt-wen einer massiven Konvertierungswelle ausgesetzt: Facebook ist der neue Platzhirsch und wer seine Grundkenntnisse in einem anderen Netzwerk erworben hat, setzt sie nun immer häufiger auch beim Marktführer ein. Es bleiben damit die Fragen, ob sich bei WKW nur noch „Netzwerk-Zombies“ tummeln und ob bzw. wie die Wahlkampf-Strategen diese Entwicklung beurteilt haben. Ein klarer Fall für Social-Media-Malte, mit dem ich mir wohl wieder einen Stehtisch teilen werde. Am besten Frage ich ihn einfach, mal sehen, ob er die Zeit für eine Antwort findet.

Ein länderübergreifendes Thema ist die, sagen wir mal: ambivalente Nutzung von Online-Videos im Wahlkampf. Ein kleiner YouTube-Klassiker stammt dabei von Friedhelm Ernst, der mit immerhin mehr als 30.000 Zugriffen eine ordentliche Marke setzt. Der Online-Ruhm des Apothekers aus Bruchsal ist allerdings ein zweifelhafter, denn er resultiert zu weiten Teilen aus dem Fremdschäm-Effekt – vielleicht lässt sich Ernst damit in die Serie aus heftigst kommentierten Video-Fouls einreihen, die derzeit von Rebecca Black und Zachary Freiman angeführt wird.

Einige Wahlkampf-Videos sind weniger aufgrund des Formates interessant, sondern weil dabei Techniken kreativer Bildbearbeitung zum Einsatz kommen, die Henry Jenkins schon lange unter dem Begriff des Photoshop for Democracy diskutiert. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele, auch zum noch vor wenigen Monaten wichtigsten Wahlkampfthema, der Bahnhofskontroverse um das Projekt Stuttgart21.

Hier findet sich auch eine Verbindung zu einem weiteren Thema, das für die Organisation von Online-Wahlkämpfen hätte relevant sein können (und dies vielleicht auch war). Die Rede ist von der Affäre um den ehemaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg. Die Leistungsfähigkeit von Transparenz-Plattformen, die sich mit der Enthüllung und Verbreitung von geheim bzw. zurück gehaltenen Informationen befassen hat seit den verschiedenen WikiLeaks-Affären Konjunktur. Der immense Erfolg des Guttenplag-Wiki dürfte als eine Art Warnsignal in den Wahlkampfzentralen angekommen sein – Politiker-Fehltritte werden in Zeichen sozialer Netzwerke in Windeseile dokumentiert und weiterverbreitet (sofern dies zuvor nicht doch über die etablierten Kanäle der alten Massenmedien geschieht, wie etwa im Fall Brüderle).

Ergänzung (26.3.): Natürlich gibt es auch in Baden-Württemberg Beispiele für Negativ-Kampagnen, allen voran vermutlich Die aktuelle Restlaufzeit von Stefan Mappus (ein kleiner Eingriff aus Berlin in den Wahlkampf im Ländle) oder auch die Facebook-Seite Tschüss Schwarz-Gelb, die als Verlängerung der Online-Widerstände gegen den Stuttgarter Tiefbahnhof zu verstehen ist. Hier sammelt sich auch reichlich Material, das man unter dem Label Photoshop for Democracy betrachten könnte.

Neben diesen Themen und Ansatzpunkten stehen natürlich auch wieder die Ereignisse im so genannten Echtzeitweb im Vordergrund: wie reagieren die Parteien auf die Prognosen und Hochrechnungen ab 18 Uhr? Was sagen Freunde, Fans und Follower zur Sitzverteilung in Mainz und den Koalitionsoptionen in Stuttgart? Und wie bewertet wohl dieser Herr Twitter den Wahlabend?

In diesem Sinne: bis zum Sonntag!

Dr. Christoph Bieber ist wissenschaftlicher Assistent an der JLU Gießen und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Neuen Medien auf politische und gesellschaftliche Prozesse. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem Publikationen zum Thema Online-Wahlkampf, die Zukunft der Mediendemokratie und Interaktivität. Dr. Bieber betreibt das Blog Internet und Politik.

Unterstützung für Kurt Beck

In 259 Tagen ist Landtagswahl, so steht es auf der Unterstützerseite „Ich und Kurt Beck“. Weit mehr als ein halbes Jahr vor der Wahl tauchen also bereits die ersten Anzeichen für einen Wahlkampf in Rheinland-Pfalz auf, der auch im und mit dem Internet geführt werden wird. Und vielleicht ist es ein Signal, dass Wahlkampf nicht mehr nur noch in sechs-Wochen-Schritten gedacht wird.


Bisher ist noch nicht viel zu sehen, auf der von der SPD selbst initiierten Unterstützerseite mit der bildschönen Adresse ichundkurt.de. Bewusst scheint man das Bild des fürsorglichen Landesvaters von der SPD entkoppeln zu wollen, denn es prangt kein SPD-Logo und außer dem schlichten Namen der Generalsekretärin im Impressum lässt die Seite keine weiteren Rückschlüsse auf die Parteizentrale zu. Statt des Logos prangt eine etwas zweifelhafte Wortmarke als Logo am Rande der Seite: „PersBeckTive 2011“.

Es ist interessant, dass Kurt Beck als langjähriger Amtsinhaber sich als Perspektive zu verkaufen sucht. Steht er doch mehr für eine Weiterführung der Regierungsarbeit in der bekannten Weise – möge man diese nun positiv oder negativ beurteilen. Diese Positionierung als Hoffnungsträger seines Landes passt auch zu dem Versuch, eine Unterstützerseite für einen amtierenden Ministerpräsidenten zu etablieren – ein Werkzeug, das sich eigentlich mehr aus der Opposition anbietet.

Die PersBeckTive der Unterstützerseite dagegen ist schon klar: Man will frühzeitig Unterstützer dazu ermutigen, sich selbst aktiv für Kurt Beck einzusetzen. Dazu gibt es auf der Seite die Rubrik „Gute Tat“, in der bis zum Wahltag immer neue Missionen auf die Rollenspieler warten. Die erste Mission ist zur Zeit: Gewinne 10 neue Unterstützer.