Normalfall Briefwahl

In der Schweiz finden an diesem Sonntag die Parlamentswahlen statt. Die in den deutschen Medien leider kaum beachtete Wahl bietet alleine schon durch early voting und eVoting ein durchaus spannendes Betrachtungsfeld. Während hierzulande nach jeder Wahl mit Erschrecken die immer wieder steigende Anzahl der Briefwähler kommentiert wird, ist die Briefwahl in der Schweiz inzwischen schon die Regel. Bei Wikipedia heißt es dazu:

„In der Schweiz ist die Briefwahl bei nationalen Wahlen und bei fast allen kantonalen und kommunalen Wahlen und Abstimmungen inzwischen der Normalfall. Sämtliche Wahl- und Abstimmungsunterlagen werden den Wählern vorgängig per Post zugestellt. Die Zahl der offenen Wahllokale, in denen die Stimme noch an der Urne abgegeben werden kann, wurde in den letzten Jahren deutlich reduziert. In der Schweiz schließen die Wahllokale am Abstimmungssonntag mittags um zwölf.“

Weiterlesen

Ich bin Deutschland. Ich bin Muslim.

Seit 31 Jahren wird mir beim ersten Kennenlernen immer wieder die gleiche Frage gestellt. „Woher kommst du?“ Auch wenn es nicht so gemeint ist, impliziert diese Frage immer auch ein „Du bist keiner von uns“. Und ich habe die Frage immer mit: „Aus Syrien“ beantwortet, da wo meine beiden Eltern herkommen. Ich war halt Ausländer. So war sie halt meine Welt. Ich bin mit dem Stempel, den man mir aufgedrückt hat, klargekommen. 26 Jahre lang. Dann bin ich mit 26 Jahren das erste Mal in Syrien gewesen. Ich habe das Land und die Menschen dort schätzen und lieben gelernt. Die Syrer sind sehr kontaktfreudige Menschen. Innerhalb von 4 Wochen hatte ich 60 neue Nummern in meinem Handy. Aber obwohl mich die Menschen dort herzlich aufgenommen haben, habe ich für mich festgestellt: „Ich bin kein Syrer.“ Auch wenn dort ein Teil meiner Familie lebt, ist das nicht meine Heimat. Ich bin in Aachen geboren und großgeworden. Meine Heimat heißt Deutschland.

Seit dem ich das für mich erkannt habe, lautet meine Antwort auf die Frage: „Woher kommst du?“ immer „Aus Deutschland“. Verdutzte Gesichter sind zumeist die Reaktion: „Achso… ja aber ich meine… also deine Eltern“. „Die sind beide Deutsche“. „Ja, gut aber ich meine… also ursprünglich…“

Ich bin Deutscher. Aachen ist meine Heimatstadt und Deutschland ist meine Heimat. Ich bin seit 31 Jahren Teil dieser Gesellschaft. Ich fiebere in der WM mit der deutschen Nationalmannschaft mit. Wenn ich die Bilder der Deutschen Einheit sehe, kommen mir die Tränen. Ich wähle hier. Ich lebe hier. Ich arbeite hier. Und ich habe meine Mutter hier begraben.

Auch wenn meine Antwort „Aus Deutschland“ meist nicht erwartet wird, hat man scheinbar kein Problem damit.

Es ist aber nun des Schicksals Fügung, dass ich auch noch Muslim bin. Und meine Religion ist ein Teil von mir. Ein sehr intimer Teil sogar. Und ein Teil meiner Religion ist die Moschee. Und genauso wie ich zu Deutschland gehöre, gehört meine Moschee zu Deutschland. Inklusive Minarett.

In Syrien stehen Kirchen, die knapp 2000 Jahre alt sind. Inklusive Kirchturm. Sie gehören so zum Stadtbild, wie die Christen zu Syrien gehören. In Syrien gibt es sogar drei Dörfer (eines davon ist Maloula), die immer noch Aramäisch sprechen, die Sprache, die Jesus sprach.

Durch den Volksentscheid in der Schweiz und die dadurch losgetretenen Debatten in Deutschland spürt man es jedoch wieder… dieses Unterschwellige: „Du bist keiner von uns“.
„Du darfst deine Moschee ja bauen, aber das Minarett passt mir nicht. Es stört einfach. Ich möchte es nicht sehen.“ Das Minarett, was man aber verbieten will, ist ein Teil meiner Moschee, ein Teil meiner Religion und ein Teil meiner Identität. Wer meine Moschee aber nicht sehen will, der will auch mich nicht. Das ist die Botschaft, die bei mir ankommt. Die Aussage „Du darfst deine Moschee doch bauen, aber nur ohne Minarett“ ist gleichzusetzen mit der Aussage „Ich mag Ausländer, aber nur nicht ihre Hautfarbe“

Menschen, die aus welchem Grund auch immer, ein Land verlassen und in ein neues Zuhause ziehen, bringen das, was ihnen am wichtigsten ist, mit. Nach der Familie ist das ihre Religion. Das haben Menschen schon immer getan. Überall auf der Welt. Wer diese Mitbringsel nicht respektieren will, der respektiert den Menschen nicht. Und wer Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion nicht respektiert, der trägt rechtes Gedankengut in sich, auch wenn er sich das nicht selbst eingestehen will.

Tamim Swaid ist 31 Jahre alt und lebt  in Aachen. Er ist User Interface Designer und Gründer des Startups CoboCards.com. Für uns hat er seinen Kommentar bei CARTA auf Stephan Russ-Mohls „Medienhype um Minarette“ zu einem Gastbeitrag erweiter.

Bild: Minarett in Rendsburg, flickr by sahinakif

Liberale und Integration

Zwei Zitate, die ich nur kurz gegenüber stellen möchte. Zuerst der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) in der heutigen aktuellen Stunde des hessischen Landtags zum Schweizer Volksentscheid über Minarette:

Wir alle sind klug beraten, wenn wir uns mit dem Ergebnis ernsthaft und ergebnisoffen auseinandersetzen, wenn wir erfahren und erkennen, dass die Schweizer Bevölkerung ganz offensichtlich entsprechende Ängste artikuliert hat und ich glaube wir sind klug beraten, wenn wir daraus – sowohl in der Art der der Auseinandersetzung als auch in der praktischen Arbeit – politische Konsequenzen ziehen.

Ich glaube wir sind gut beraten, uns des Ergebnisses dieser Entscheidung etwas intensiver und vorurteilsfreier zu widmen. Ist es klug, von einem schändlichen Ergebnis zu sprechen? Ich glaube, es ist nicht klug. Es zeit nämlich, dass man da nicht ergebnisoffen herangeht, sondern wieder mit den selben Scheuklappen, die mit Ursache dafür sind, dass es so viel Ängste in der Gesellschaft gibt. Wir lösen doch nicht Angst damit, dass wir deren Ursachen tabuisieren, oder es als schändlich beschreiben.

Diesen Äußerungen nachstellen möchte ich einen Kommentar von Malte Lehming im Tagesspiegel unter dem Titel Bist du liberal? Oder in der FDP? Freiheiten und Grundrechte haben immer weniger Fürsprecher.

Es folgt die Religionsfreiheit. Auch sie ist ein Menschenrecht, muss als solches vom Staat garantiert werden und hat Vorrang selbst vor demokratisch herbeigeführten Entscheidungen. Wie kommt es dann, dass der deutsche Außenminister, angeblich ein Liberaler, nach dem Schweizer Minarettbauverbotsreferendum nicht etwa dieses bedauerte, sondern meinte, die Schweizer in Schutz nehmen zu müssen? Und warum hören wir nichts von FDPlern, wenn zum Beispiel christliche Missionarinnen im Jemen ermordet werden? Da kneifen sie. Und so wirkt es wie Hohn, dass sie jetzt gar einen eigenen Menschenrechtsbeauftragten stellen wollen.

Bild: Screenshot hr-online

Angst vor dem Minarett

Was mit der Abstimmung in der  Schweiz losgetreten  wurde ist eine Diskussion, die nicht jedem schmeckt, die aber offenbar umso nötiger geführt werden muss. In den vergangenen Tagen habe ich ganz persönlich mit meinen Familienmitgliedern so ausführlich und erhitzt über ein Thema diskutiert, das sie schon lange beschäftigt und das ich aus eigener Überzeugung als zu wenig relevant angesehen habe.

Beim abendlichen Anschauen von Frank Plasbergs Diskussion über das Minarett-Verbot in der Schweiz war erstaunliches zu beobachten. Es war erneut der trotzige Wolfgang Bosbach, der die Ängste in der Gesellschaft am deutlichsten symbolisieren konnte. Bosbach ist ja beileibe kein unerfahrener Politiker, der auch schon zahlreiche positive Begegnungen mit Moslems hatte und auch von diesen berichtet. Doch die Angst und Verunsicherung, die schon fast aus seinen Augen hervorleuchtete, war nicht zu übersehen. Worum aber geht es dieser großen Mehrheit in unserer, aber auch der Schweizer Gesellschaft?

Minarette sind nicht das Problem

Es kann nur schwerlich der Bau von Minaretten an sich sein. Unabhängig von der Frage, ob es etwas in der Verfassung eines Landes zu regeln gilt, das eigentlich mehr die städtischen Bauordnungen betrifft, muss es doch um weit mehr gehen. Die Schweizer haben mit ihrem Protestwahlgang mehr eine Meinungsäußerung abgegeben, als das tatsächlich ein praktikables Gesetz hervor gegangen wäre. Man muss sich nur verdeutlichen, dass nach der nun beschlossenen Regelung die repräsentativste, schönste und größte Moschee gebaut werden darf – nur auf einen Turm an ihrer Seite muss sie verzichten.

In Deutschland ist der Bau von Minaretten weit weniger umstritten, als die kurzfristigen Befragungen der sensationsgierigen Fernsehprogramme das vermuten lassen. Kaum jemand wir das oben beschriebene Szenario eines repräsentativen Moscheebaus gut heißen, solange auf das Minarett verzichtet wird. Eine wahrscheinlichere Stufe wäre da schon gleich der ganze Moscheebau an sich. Ein Blick ins Detail zeigt aber, wie aberwitzig auch diese Vorstellung anmuten muss. Denn es ist beileibe nicht so, dass es keine Moscheen in Deutschland gäbe. Sie sind vielmehr nicht als solche sichtbar. Problematisch wird hier nur die Manifestation in Form von orientalisch anmutender Architektur. Ein Lagerhaus in deutschem Einheitsweiß getüncht darf so viel Gebetsteppiche beherbergen, wie man sich das nur vorstellen kann.

Verdrängte Säkularisierung

Doch ich bin der Meinung, dass selbst eine solche Skepsis vor Moscheebauten nur ein Symptom ist und nicht die eigentliche Malaise. Michel Friedmann sprach gestern bei Plasberg von der Angst einer säkularisierten Gesellschaft vor dem Sakralen. Weil immer weniger Deutsche in eine Kirche oder Religionsgemeinschaft gehen, müssten die sehr diszipliniert wirkenden Moslems bedrohlich wirken. Doch diese Analyse trifft nicht annähernd das Problem. Vielmehr scheint die deutsche Gesellschaft nicht begriffen zu haben, dass und wie stark sie mittlerweile säkularisiert ist. Man begreift sich immer noch als christlich und kann nur so überhaupt einen Dualismus der Religionen, eine Konfrontation von Christentum und Islam in Deutschland annehmen.

Würde man dagegen begreifen, welch geringe Rolle die Religion im Alltagsleben der meisten Menschen spielt; würde man sich verdeutlichen, wie viele Atheisten und Agnostiker es in unserem Land gibt: Man wäre dennoch nicht am Kern des Problems angekommen. Was aber kann der Kern noch sein?

Teil einer Kultur

Der viel berufene Unterschied der Kulturen jedenfalls wohl kaum. Die deutsche Jugend zeigt das eindrücklich. Wer weiß schon noch, welche Musik aus welchem Kulturraum kommt. Selbst in unserer provinziellen, kleinstädtischen Gegen sieht man auf den Jugendseiten der Tagesschau die Lieblingsmusik der Jugendlichen und Teenager, die auf Bushido ebenso abfahren wie auf Fler. Die beiden Rapper setzen bewusst auf die gleiche Musik. Doch während Bushido eigentlich Moslem ist, betont Fler sein Deutschsein. Daran stören wird sich niemand. Fakt ist doch, dass jeder in Deutschland lebende Bürger, egal welcher Staatsangehörigkeit, zwangsläufig Teil einer gemeinsam entstehenden und sich immer wieder wandelnden Kultur ist.

In den Gesprächen mit meinen Eltern und Großeltern kommt man irgendwann zu dem immer gleichen Punkt, den ich für den entscheidenden halte. Das Bild von Moslems ist bei ihnen nicht durch persönliche Erfahrungen geprägt, sie kennen höchstens den türkischen Reifenhändler am Ortseingang. Mit einem Moslem, der seinen Glauben auslebt, sind sie noch nie in Kontakt geschweige denn in eine Diskussion gekommen. Nein, ihr Bild ist geprägt von einer medialen Berichterstattung, die von Ehrenmorden und Genitalverstümmelung, von Zwangsverheiratungen und Kopftuchstreitigkeiten an Schulen bestimmt ist.

Angst ums Recht

Seltsam genug, dass es nicht kulturelle, religiöse oder persönliche Vorbehalte sind, sondern rechtliche. Denn ausgerechnet unser Rechtssystem ist das mit den geringsten Anpassungsschwierigkeiten. Nahezu alle Bereiche, die mit einem fundamental ausgelebten Islam Probleme aufwerfen könnten, sind zweifelsfrei geregelt. Verfassungsfeindliche Tendenzen werden beobachtet und geahndet. Ehrenmorde und Frauenbeschneidung sind kein juristisches Streitthema, sondern klar bestimmt. Und Fragen nach Kopftüchern und Schwimmunterrichtsbefreiung sind auf dem Weg dahin.

Was uns also fehlt, ist eine bewusste Zurückstellung der rechtlichen Diskrepanzen und eine Betonung des gemeinsamen Lebens. Wir sind uns näher, als wir denken und es wird Zeit, dass wir einander begegnen.

Bild: flickr Grauer Mausling

Hopp Schwiiz

Vieles erinnerte mich dieses Wochenende an eine Reise in die Vergangenheit.
Genauer gesagt zwei Jahre zurück: Mai 2006, Deutschland bereitete sich auf die Fussballweltmeisterschaft im eigenen Land vor.

Ähnlich geht es momentan den Schweizern und Österreichern, die gebannt den Beginn der Alpen-EM entgegen sehnen.
Denn vom 7. bis 29. Juni geht es in den beiden Ländern darum, wer neuer Fussballeuropameister wird oder ob gar Griechenland es auch die nächsten vier Jahre bleiben wird.

Plakate schmücken schon jetzt die Bahnhöfe, alle Geschäfte ob Designerladen, Super- oder Getränkemarkt warten mit einer Palette an EM Fanartikeln auf. Banken zeigen ihr gespanntes Abwarten in Form von distalen Countdowndisplays im Schaufenster, die schon jetzt die Sekunden bis zum Mega-Ereignis der letzten Jahre zählen.

In der Schweiz hat sich ebenfalls eine weitere Form der Ünterstützng schon jetzt durchgesetzt, die Anteilnahme verschiedener bekannter Unternehmen. Vor allem in Form der Worte „HOPP“, Besonders prominent sind mir dabei Heinz Ketchup und Mars aufgefallen.
Denn wer in der Schweiz dieser Tage versucht ein Mars zu kaufen, wird vergeblich danach suchen…