Fast Forward

Einiges hat sich in der deutschen Parteienlandschaft geändert, nicht zuletzt mit der letzten Bundestagswahl. Die SPD verliert sich in einer Abwärtsspirale aus personellen Desastern und Führungskrise und zeichnet damit den Prototyp der sterbenden Volkspartei. In einer völlig unwissenschaftlichen Prognose beschreibe ich mein Bild der Parteien zur Bundestagswahl 2017.

Die CDU fuhr bei der Bundestagswahl 2013 massive Verluste ein und Bundeskanzlerin Merkel musste den Parteivorsitz genauso abgeben wie die Schlüssel zum Kanzleramt. In einem Machtkampf zwischen Vertretern einer sozialen Moderne und Apologeten des Konservativen taumelte die Partei durch 4 Jahre Opposition. Die immer älter werdenden Mitgliederschaft ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Umfragewerte für die bevorstehende Wahl 2017 sehen die Christdemokraten bei etwa 20%.

Für die SPD konnte die Regierungsbeteiligung in 2013 wenig bewirken. Immer noch fehlt der Partei die überzeugende soziale Botschaft, die Wählerinteressen vereinen könnte. Zu konsequent ist die Konkurrenz von Grünen und Linken, auch die an die soziale Merkel-CDU verlorenen Stimmen konnten die Sozialdemokraten nicht wieder gewinnen. Ein Stamm von Traditionswählern sichert der SPD mit 15% in den Umfragen des Vorwahlkampfs 2017 gerade noch zweistellige Werte. Der 15. Vorsitzende seit der Wende macht keine gute Figur in der Vorbereitung des Wahlkampfs.

Die Linke ging einen schwierigen Weg, als sich 2013 Oskar Lafontaine und Gregor Gysi aus der Parteiführung zurück zogen. Laut brach die Debatte über Demokratie und Sozialismus, über Kapitalismus und Staatswirtschaft los. Auch die Vergangenheit der PDS-Hälfte der Partei wurde vielleicht zum ersten mal richtig thematisiert. Tausende Mitglieder traten in diesen Jahren der Aufarbeitung aus der Partei die Linke aus. Doch so an der Realität geläutert erschließt sich die Partei ganz neue Wählergruppen. Für die kommende Bundestagswahl 2017 sehen Demoskopen die Linke bei 20%.

Die Grünen sind mit einer umfassenden personellen Erneuerung aus den Oppositionsjahren 2009 bis 2013 gekommen und haben als einzige Partei eine wirklich überzeugende Idee der Zukunft vorbringen können. Die grüne Zukunft als Wirtschaftsmotor und Sozialstaatsprinzip hat große Teile der Bevölkerung überzeugt. 2017 werden voraussichtlich die Grünen das erste mal den Bundeskanzler stellen, da sie in den Befragungen mit 25% sogar vor der CDU liegen und auf die flexibleren Koalitionsmöglichkeiten zurück greifen können.

Die FDP hat sich mit ihrer Regierungsbeteiligung von 2009 offensichtlich keinen großen Gefallen getan. Als die Steuergeschenke noch für kurze Freude unter den Bürgerinnen und Bürgern gesorgt hatten, war schon längst abgezeichnet, dass die Finanzierungslücke einfach zu groß ist. Das Ansehen der FDP als Partei der steuerlichen Vernunft wurde davon so nachhaltig beschädigt, dass sie heute in 2017 mit den fantastischen Forderungen der Linkspartei des frühen 21. Jahrhunderts verglichen wird. Den liberalen Themenkomplex von Bürgerrechten in Offline- und Onlinewelt hat die FDP durch ihre Zugeständnisse an die CDU nahezu unbesetzt gelassen und damit den Grünen ein Monopol darauf ermöglicht. Abgestraft von den Wählerinnen und Wählern steht die FDP in aktuellen Umfragen bei 10%.

Die 10% Stimmanteile für die immer zahlreicher werdenden kleinen Parteien sind ein deutliches Signal, dass die Parteienlandschaft bald um weitere Mitglieder ergänzt werden wird. 2009 sah es beinahe so aus, als ob die Piratenpartei als erste Kleinpartei den Sprung in den Bundestag schaffen könnte. Doch die arivierten Parteien begriffen rechtzeitig, dass es an ihnen war, die Themen Bürgerrechte und Medienpolitik überzeugend zu vertreten.

Bild: flickr lukelukeluke

Die Parteien und das Internet

Noch nie zuvor spielte das Thema Internet in einem deutschen Wahlkampf eine derart übergeordnete Rolle wie zur diesjährigen Bundestagswahl. An allen Stellen versuchten sich die Parteien gegenseitig mit ihren Kampagnen zu überbieten. Doch erweckte es den Eindruck, als ob das vielfach präsentierte „digitale Glanzpapier“ der Parteien lediglich aus Altpapier hergestellt wurde. Alle Parteien stellten dar, wie aktiv sie im Internet waren und was sie alles gemacht hätten, doch fragte man nach den Organisationsstrukturen hinter den Kampagnen, schaute man häufig in lange Gesichter. Noch immer wird das Internet an vielen Stellen als reine Präsentationsplattform von Wahlkampfmaterialien in digitaler Form angesehen. Wir haben deshalb den Test gemacht. Noch während des Wahlkampfes haben wir alle im Bundestags vertretenen Parteien angeschrieben und gefragt, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie im Rahmen des Bundestagswahlkampfes für ihre Onlineangebote beschäftigen.
 Das Ergebnis war ernüchternd, von den fünf angeschriebenen Parteien antworteten gerade einmal zwei promt und zwei antworteten erst gar nicht. Insgesamt meldeten sich auf die Frage nur CDU, Linkspartei und Bündnis90/Die Grünen. So schrieb die Linkspartei:

„Eine eindeutige Festlegung der Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die sich mit sogenannten Neuen Medien befassen, ist leider schwierig zu ermitteln, weil unsere Redaktionen für Print- und Online-Medien zusammengelegt sind. In dem Arbeitsbereich „Redaktion“ des WahlQuartiers sind 20 Personen beschäftigt. Agenturseitig sind zwei – bei speziellen Projekten auch mehr – Mitarbeiter mit der Betreuung des Online-Wahlkampfes befasst.“

CDU:

„Ihre Frage nach den Mitarbeitern der neuen [Medien, M.K.] lässt sich nicht genau beantworten, da das Internet eine wichtige Querschnittsaufgabe in vielen Arbeitsbereichen der CDU-Bundesgeschäftsstelle darstellt. Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten dauerhaft als Onlineredakteure bei der CDU. Zusätzlich beschäftigen sich im teAM Deutschland etwa 8-10 Personen schwerpunktmäßig mit Online-Aufgaben und 15 Personen sind im Schichtdienst für die Beantwortung der via Internet eingehenden Bürgeranfragen zuständig. Hinzu kommen dann noch zahlreiche Fachreferenten , die sich im Rahmen ihrer Aufgaben auch um Online-Angebote kümmern. […] Extern beschäftigen wir derzeit noch weitere Personen. Zwei bis drei Mitarbeiter von CDU TV und externe Programmierer und Grafiker in unserem Rechenzentrum. Das sind aktuell 5 Personen.“

Bündnis90/Die Grünen:

„In der Bundesgeschäftsstelle von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN arbeiten momentan 3 MitarberInnen im Bereich neue Medien, zusätzlich arbeiten c.a. 5 feste MitarbeiterInnen in den Agenturen im Rahmen unserer Accounts. Dazu kommen dann noch, je nach Bedarf, Teilzeitkräfte, Grafiker, Programmierer, etc.“

Was bleibt also als Fazit? Die deutschen Parteien sind auf dem richtigen Weg und erste neue und positve Ansätze sind zu erkennen. Doch solange das Internet an vielen Stellen weiterhin als reines Präsentationsmedium ohne Rückkanal gesehen wird, besteht noch viel Lernbedarf. Spannend bleibt deshalb auch die Frage, ob und in welcher Form das Internet in den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielt. Politiker der verschiedensten Parteiströmungen hatten beispielsweise im Wahlkampf angekündigt, dass Überlegungen lohnenswert seien, einen Netzbeauftragten in der Regierung einzuführen. Ethusiastische Stimmen sprechen gar schon davon, dass zukünftig ein Ministerium das Thema Internet thematisch mit abdecken könnte. Woanders ist man uns da schon etwas voraus. Erst kürzlich erzählte Vincent Ducrey, seines Zeichens „French Government New Media Advisor“ der Sarkozy-Regierung (eine solche Bezeichnung erscheint in Deutschland nach wie vor wie ein Witz), dass er mit einem festen Team von 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die neuen Medien bespielen würden. Die Regierung Obama und ihren CIO Vivek Kundra (+ Team) muss man dabei erst gar nicht mehr erwähnen. Bildnachweis: flickr.com (kirklau)

Das Vermächtnis der SED

Nachdem im Saarland und in Thüringen die Beteiligten im letzten Moment kniffen, wird es unter Matthias Platzeck nun die zweite rot-rote Koalition auf Landesebene geben. Wowereit verliert seine Berliner Einzigartigkeit und der Umgang mit der Linken wird „hoffähig“ (ZEIT) gemacht. Kritik bleibt besonders von bürgerlicher Seite nicht aus. Die Kritik ist das gute Recht der politischen Gegner, problematisch ist der Umgang mit der Partei „Die Linke“ an sich.

Für viele ist die Linke nichts mehr als die Nachfolgepartei der SED und als solche für das Unrecht in der so oft zitierten „zweiten deutschen Diktatur“ verantwortlich zu machen. Hier taucht es schon auf, das beliebte Motiv des Vergleichs. Christian Wulff sprach im Bundestagswahlkampf von den „Radikalen von links und rechts“ und meinte damit nichts anderes als dass Nazis und Kommunisten gleichermaßen zu verurteilen sind. Man könnte nun polemisch fragen, wo denn die 6 Millionen Juden, Schwulen, Lesben, oder Sinti und Roma der DDR waren – doch damit ließe man sich nur auf ein Niveau herab, auf dem diese Diskussion nicht geführt werden sollte.

Ich benutze den Vergleich nur ungern, aber schon einmal mussten in der deutschen Geschichte Entscheidungen über die ewige Schuld oder Wiedereinbindung ganzer Menschenmassen gesprochen werden, die sich in einem diktatorischen System Schuld aufgeladen hatten. Nach dem Nationalsozialismus ging man einen Weg, der die Haupttäter vor Gericht und die Mitläufer zurück an ihren Platz stellte.

Diesen Umgang sollte man auch mit der Linkspartei pflegen und jeden einzelnen Täter auch vor Gericht stellen. Die aber, denen man keine strafrechtliche Anklage vorbringen kann, die dürfen nicht für ewig an den Pranger gestellt werden.

Denn man darf die Linkspartei nicht mehr als exaktes Abbild der SED betrachten. Die Partei hat sich weiter entwickelt, mit einer Abspaltung der SPD fusioniert und nicht zuletzt völlig neue Wählerschichten erschlossen. Ob eine eindeutige Haltung gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan oder einen Mindestlohn von 8 Euro – die Linkspartei bewegt die Menschen mit ihren Forderungen. Mehr noch, für viele ist die Linke zu einer letzten Projektion von Zukunft und Hoffnung im Parteienspektrum geworden.

Die Linke nun als „Schmuddelkind“, mit dem man nicht spielt, aus der politischen Arena schieben zu wollen, hat eben auch ganz direkte Konsequenzen. Man würde damit einer großen Zahl deutscher Bürgerinnen und Bürger ins Gesicht sagen, dass sie Verbrecher gewählt haben, die ins Gefängnis und nicht in ein Parlament gehörten.

Natürlich ist die Linke noch unbeholfen und man kann ihr sicherlich auch einen begrenzten Realismus bis hin zum Populismus unterstellen. Doch aus der politischen Landschaft ätzen kann man sie nicht.

Dafür sprechen schon die simplen Tatsachen, die von Meinungsforschern regelmäßig erhoben werden: Die Linke wird immer wichtiger. Eine Politik voll von Forderungen, wie sie die Linkspartei kennzeichnet, kann nur an der Realität scheitern. Nur in Regierungsverantwortung lässt sich beurteilen, ob die Forderungen kühne Visionen waren oder vollkommen unrealistisch. In der Opposition dagegen wird die Linke immer weiter fordern.

Bild: flickr dielinke_sachsen

Schäfer-Gümbel und die SPD

Das Personalkarussel der SPD dreht sich bereits mit einer solchen Geschwindigkeit, dass sich Hubertus Heil, Peer Steinbrück und Franz Müntefering nicht mehr fest halten können. Wie weit der personelle Umbruch der Sozialdemokraten aber wirklich gehen wird, das ist in dieser ersten Phase der Bereinigung noch nicht abzusehen.

Bisher sind es noch nicht dir ganz großen Erneuerungen, wenn mit Gabriel, Steinmeier und Nahles eine Semiverjüngung angestrebt wird. Offensichtlich aber wird, dass eine junge Generation von Landespolitikern sich langsam in Stellung bringt. Heiko Mass aus dem Saarland brachte sich stark in die Debatte über eine Bündelung von Fraktions- und Parteivorsitz ein. Hannelore Kraft soll mit einer herausgestellteren Position als Parteivize für den anstehenden Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gestärkt werden.

3187094383_9df8840edfIn dieser Stimmung kann es nicht verwundern, dass auch der Name von Thorsten Schäfer-Gümbel genannt wird. Als Vorsitzendem der hessischen SPD steht es ihm auch zu, die unter Kurt Beck für die starken Linken aus Hessen reservierten Posten anzustreben. Doch bei der Diskussion scheint es nicht nur um einen Platz in Präsidium und Vorstand zu gehen, sondern um erste Revierkämpfe der Nachwuchssozialdemokraten. Schäfer-Gümbel hielt sich dabei etwas stärker zurück und ließ andere für sich einfordern, was ihm zustehe. Einzig über die Postenvergabe in den Hinterzimmern beschwerte er sich doch selbst.

In der Tat würde einiges für einen stärkeren Part von TSG in Berlin sprechen. In Hessen muss er derzeit ebenso eine Partei mit schlechten Wahlergebnissen und Richtungsstreiten versöhnen. Als Vertreter einer offenkundig wirksam vermittelten linken SPD-Politik könnte er für eine vorsichtige rotrote Öffnung einstehen (zu den Bedingungen für Rot-Rot-Grün im Böll-Blog). Aber bei all den Anzeichen darf man nicht übersehen, dass Schäfer- Gümbel in Hessen einen Marathon läuft, dessen Zielflagge noch lange nicht in Sicht ist. Eingebunden als Oppositions- und Parteiführer sind selbst die größten Kräfte irgendwann gebunden.

Schäfer-Gümbel muss derweil nur zu seinem grünen Oppositionsfreund schauen, um eine Idee seiner bundespolitischen Zukunft zu bekommen. Tarek Al-Wazir gehört zu den größten grünen Nachwuchstalenten und wird von Wählern und Politikern parteiübergreifend geschätzt. Dennoch oder gerade aus diesem Grund sieht Al-Wazir seine Arbeit weiterhin in Hessen. Nicht aber ohne seinen Einfluss auf Bundesebene stetig und ruhig auszubauen.

piraten

Durch eine solche, unaufdringliche Übernahme von Verantwortung kann auch TSG seiner Partei und sich selbst helfen. Warum nicht den ausgewiesen netzaffinenen Schäfer-Gümbel daran arbeiten lassen, die verlorenen Wähler vom Piratenschiff zu befreien?

Bilder: flickr Nils Bremer, Screenshot unrepräsentative Umfrage

3 Tage, 72 Stunden, 48h

In den letzten Stunden vor der Wahl geben die Parteien doch noch einmal Gas. In den Fußgängerzonen der Republik wurden heute bereits im Morgengrauen die ersten Wahlkampfstände aufgebaut, Angela Merkel sprach zum Wahlkampfabschluss in Berlin und Herausforderer Frank-Walter Steinmeier nutzte die Gunst der Stunde um in Detmold noch einmal die letzten unentschlossenen SPD-Symphatisanten zu mobilisieren.

Doch auch die individuelle Ansprache an die Wähler kam an diesem letzten Wahlkampftag nicht zu kurz. Etliche Bundestagsabgeordnete nutzen die verbleibenden Stunden für Hausbesuche, die Tageszeitungen waren vollgespickt mit jeweils passenden Werbeanzeigen der Parteien und die meisten Briefkästen wurden an diesem Wochenende von einer Werbeflyer-Flut überrollt.

Doch in diesem Jahr wird in den letzten Stunden nicht nur offline mobilisiert, sondern auch die Parteikampagnen im Netz erreichen ihren Höhepunkt. Alle Zeichen stehen auf Endspurt.

Das TeAM-Deutschland (CDU) ruft zu den letzten „72 Stunden“ auf, die Grünen zu „3 Tage wach“ und die Linkspartei zu „48h“. SPD und FDP haben zwar keine gezielten Countdown-Projekte gestartet, aber auch hier versucht man die Wähler mit Pop-ups auf den Startseiten zum wählen zu animieren.

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Screenshots: „72 Stunden“, „3 Tage wach“, „48h“