Negative Campaigning aus dem Social Web

Die britischen Wahlkämpfer Brown, Cameron und Clegg erfahren in diesem Jahr, dass Negative Campaigning nicht nur vom politischen Gegner kommen kann. Nein, auch das Web 2.0 schießt sich auf die Bewerber ein. Mit einfach zu bedienenden Werkzeugen kann jeder Nutzer selbst den gewünschten Kandidaten diffamieren oder der Lächerlichkeit preisgeben. Mit seinen eigenen Plakatmotiven, mit seinen eigenen Worten. Ein kurzer Überblick über die Tools.

David Cameron applaudiert sich selbst

David Cameron scheint es den Onlinern besonders angetan zu haben. Als Konservativer mit recht empathisch geführtem Wahlkampf sieht man sich im Netz dazu aufgerufen, seine wahre Seite zu zeigen. „Lassen Sie mich eins deutlich machen: Wir werden uns nie verändern, wir werden immer arrogante und rücksichtlose Konservative sein. Und wissen Sie was? Wir werden niemandem helfen. Denn es ist uns egal.“ Und das virtuelle Publikum applaudiert. Das Handwerkszeug für solche Mash-Ups bietet Speechbreaker, eine Website, auf der sich Redefragmente der Kandidaten neu arrangieren lassen.

Von den Reichen, für die Reichen

In die gleiche Kerbe schlägt ein Plakat, das ein Wahlplakat von David Cameron ein klein wenig uminterpretiert. Mit einem Werkzeug von andybarefoot.com kann man das Wahlplakat, das als Vorlage dient, mit eigenen Slogans und Logos hinterlegen. Die Ergebnisse finden sich auf mydavidcameron.com. Man kommt ins Grübeln, ob es sowas in Deutschland nicht auch für FDP-Plakate hätte geben müssen. Soziale Kälte und Klientelpolitik hätten jedenfalls gute Schlagzeilen abgegeben.

i don’t want to be rude, but

Eine dritte Spielerei hat es leider offensichtlich nicht lange im Netz gehalten, dabei findet sich auch hier eine schöne Idee. Nigel Farage, britisches Mitglied des Europaparlaments, hatte mit den Worten „I don’t wont to be rude, but“ eingeleitet zu einem rüpelhaften Frontalangriff (wunderbar anzuschauen auf YouTube, mit Reaktion von Martin Schulz) auf den neuen Ratspräsidenten Herman van Rompuy ausgeholt. Die Antwort ließ sich wohl auch mit einem Online-Tool bauen, das auch wenn es nicht mehr zu existieren scheint, doch wunderbare Ergebnisse produzieren konnte. Kommentieren muss man das wohl nicht mehr, lassen wir Bilder sprechen.

Rückblende Bundestagswahl 2009

Auch in Deutschland haben wir im vergangenen Jahr die Umwandlung von Parteiplakaten als Auftakt zum nutzergenerierten Negative Campaigning erlebt. Bei netzpolitik.org hatte man einen Wettbewerb ausgelobt, um die CDU-Wahlkampagne „Wir haben die Kraft“ umzuarbeiten. Die Gewinner können sich wirklich sehen lassen, nehmen den Urheber wirkungsvoll aufs Korn.

Das twitternde Unterhaus

Noch ist der Termin nicht offiziell bestätigt, doch am 6. Mai soll wohl das neue britische Unterhaus gewählt werden. Für den amtierenden Premier Gordon Brown eine äußerst wichtige Wahl, hat er doch das Amt von Tony Blair ohne neue Parlamentswahl übernommen (Ein Helmut Kohl hätte hier wohl zur Vertrauensfrage gegriffen). Brown kann den Termin der Wahl noch festlegen, hat dabei aber nicht mehr viel Spielraum. Denn in Großbritannien muss bis um Ablauf der Legislatur, zuzüglich einer Toleranz für die übliche Wahlkampfzeit von 6-8 Wochen, gewählt worden sein.

Twitter-Hype unter Abgeordneten

Ohne wirklichen Wahltermin ist der Wahlkampf auch noch in weiter Ferne. Doch es lohnt sich, schon jetzt einen Blick auf die Internetaktivitäten der britschen Parlamentsmitglieder zu werfen. In diesem Jahr scheint, wie auch zuletzt in Deutschland, ein regelrechter Hype um Twitter zu bestehen. Der Telegraph titelte auf seiner Internetseite vor wenigen Tagen: „MPs turn to Twitter to talk to voters“ und berichtet, dass immerhin 111 Abgeordnete bereits auf Twitter aktiv seien. 65 Labour-Abgeordnete bilden die klare Mehrheit, ihre konservativen Gegner sind mit nur 16 und die Liberal Democrats mit 23 Twitterern erfasst. Darüber hinaus seien sogar 226 Kandidaten beim Kurznachrichtendienst unterwegs.

Im Blog Election 10 mit dem fabulösen Untertitel „Wie Social Media Politik und im Besonderen die kommende Unterhauswahl beeinflusst“ kann man der Begeisterung des Telegraph nicht so ganz folgen. „Oh No They Don’t“ ist ein Artikel überschrieben, der die Bedeutung twitternder Abgeordneter herunter spielt – weil diese zu wenige Follower aufweisen können. Dabei sind Spitzenwerte von 13.000 Followern, gerade im Vergleich zur Bevölkerung einiges über dem, was deutsche Bundestagsabgeorndete erreichen.

Dreck fressende Tories


Wie in Deutschland kommt politisches Twittern auch in Großbritannien nicht ohne einen handfestens Skandal aus. In diesem Fall ist die Rede von einem Labour-MP, der in einem Tweet harsche Beleidigungen für seine Tory-Konkurrenten übrig hatte: Dreck fressende Schweine seien das. Die Tories sind reichlich ungehalten über diese Entgleisung und David Wright sucht sein Heil in Ausflüchten: Jemand habe seinen Account gehackt und nachträglich den Tweet verändert. In einem äußerst bekannten Blog weist ‚Guido Fawkes‘ darauf hin, dass dies gar nicht möglich sei. Man könne laut Twitter-FAQ Tweets schlicht nicht verändern.

First Lady erreicht Millionen

Die Spitzenkandidaten Gordon Brown und David Cameron scheinen nicht so viel von Twitter zu halten, doch Browns Ehefrau Sarah Brown gehört zu den erfolgreichsten meinst abonnierten Twitterern im Vereinigten Königreich. Mehr als 1 Millionen Follower kann sie vorzeigen und verursacht damit prompt Debatten, ob sie dieses Potenzial vielleicht für die Wahl Ihres Ehemannes einsetzen könnte.

Livestream der Twitter-MPs

Bleibt eigentlich nur noch ein faszinierendes Werkzeug vorzustellen. Im „Tweetminister“ lassen sich nämlich alle (hier wird auf Nutzerhinweise gesetzt) twitternden MPs nach Parteizugehörigkeit auswerten und in einem Livestream verfolgen. Man kann sogar seinen eigenen Abgeordneten über die Postleitzahl des jeweiligen Wohnorts und damit Wahlkreises suchen lassen – vielleicht ist er ja auch unter den twitternden Abgeordneten des britischen Unterhauses.

Bilder: Screenshots BBC News, Telegraph.