Ein Bürger des freien Internets

kennedyAls John F. Kennedy im Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg anlässlich des 15. Jubiläums der Luftbrücke seine Ansprache an die Berliner hielt, sprach er einen Satz aus, der zu weltweiter Berühmtheit gelangte.

„Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz ‚Ich bin ein Bürger Roms‘. Heute, in der Welt der Freiheit, ist der stolzeste Satz ‚Ich bin ein Berliner‘.“

Für ihn stand also Berlin wahrhaft sinnbildlich für das Streben der Menschen nach Freiheit. Wie die Berliner und die Deutschen im Allgemeinen unter der erzwungenen Trennung ihrer Nation litten und sich nach Freiheit sehnten, so sollte sich jeder freiheitsliebende Bürger der Welt mit ihnen solidarisieren.

In heutigen Zeiten steht Berlin aus der Sicht der Internetnutzer nicht mehr für die Freiheit, die der US-Präsident in dieser Stadt gerne gesehen hätte. Mag der Vergleich von politischem Autonomiebedürfnis und dem Angriff auf die Informationsfreiheit des Internets auch etwas konstruiert wirken,dennoch sei es erlaubt, die Frage zu stellen. Ob Deutschland das Signal wirklich aussenden möchte, das eine Verabschiedung der Gesetzesänderung bewirken würde. Soll es Deutschland sein, das eine Zensur des freien Informationsraums Internet herbeiführen möchte und sich damit in eine Tradition mit zweifelhaft freiheitlichen Staaten wie China stellt, bei denen Internetzensur die Entwicklung moderner Informationskultur behindert? Viele Internetnutzer sehen die von der Bundesregierung geplante Änderung des Telemediendienstgesetzes auch als bedrohliche Einschränkung ihrer Freiheit.

„Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“, unter diesem Titel möchte die Bundesregierung eine vom Bundeskriminalamt betrieben Sperrliste für Internetseiten erstellen, die in Kooperation mit Internetanbietern wirksam gemacht werden soll. Selbst wenn man die zahlreichen Lücken und Probleme des Gesetzesentwurfs vernachlässigt, die über die wackelige Definition von Kinderpornografie bis hin zu einer äußerst unrealistischen technischen Wirksamkeit reichen, bleibt doch der fatale Vorwurf der Zensur weiterhin bestehen.

Aus anderen Ländern, die von der Bundesregierung als erfolgreiche Verwender und damit Vorbilder im Betrieb solcher Zensurlisten genannt werden, ist bekannt, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der gesperrten Internetseiten tatsächlich kinderpornografischen Inhalt aufweisen. Auf netzpolitik.org verweist Lutz Donnerhacke auf eine finnische Studie zu den dortigen Sperrlisten mit beunruhigendem Ergebnis: „85% der gesperrten Seiten haben nichts mit Kinderpornografie zu tun, 5% enthalten Material mit minderjährigen Models, 2% enthalten wenige kinderpornografische Darstellungen oder Links zu derartigen Darstellungen, ganze 9 Seiten also weniger als 1% enthalten illegale kinderpornografische Inhalte, der Rest 8% nicht mehr existent.“ Diese erwähnten 85% der gesperrten Seiten sind also vollkommen unrechtmäßig von der Regierung gesperrte Seiten, die keinerlei mit der Sperre zusammenhängenden Strafbestand erfüllen. Es scheint hier nicht besonders abwegig, schlicht von Zensur zu sprechen.

Es wäre ein falsches Signal aus Deutschland in die Welt, wenn man mit einem so tragischen und schwierigen Thema ein handwerklich wie politisch fragwürdiges Vorgehen begründen wollte. Berlin sollte nicht die Stadt sein, von der aus Zensur weiter in die westliche Welt getragen wird. Berlin sollte die Stadt sein, die sich klar gegen Internetpornographie stellt, wenn man sie mit den bereits bestehenden Mitteln zur Strafverfolgung bekämpft. Und Berlin sollte die Stadt sein, die ein klares Zeichen für die Freiheit der Information im weltweiten Netz aussendet.

Damit am Ende alle Internetnutzer stolz sein können, Bürger des freien Internets sein zu können. Auch die Berliner.

Bildquelle: John F. Kennedy bei seiner Rede in Berlin, wikimedia commons.

2 Gedanken zu „Ein Bürger des freien Internets

  1. Sehr gelungener Artikel.
    Problematisch ist imo vorallem die Tatsache, dass man keinerlei Möglichkeit besitzt, um nach zuvollziehen warum ein Seite gesperrt wurde. Ich gehe, ebenso, wie du davon aus, dass nur ein geschwindend geringer Teil aller Seiten die gesperrt werden, etwas mit Kinderpornographie zu tun haben.

    Ich denke, es ist das absolut falsche Signal der Bundesregierung und wird unweigerlich zu einem Einschnitt der Informationsfreiheit führen.

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