Fremdelt die Netzcommunity?

von Christian Marx

Der Vorwurf ist bestens bekannt und gehört zum Standardrepertoire vieler Besucher von Konferenzen, Tagungen und Camps, die sich mit dem Themenkomplex „Politik und Internet“ beschäftigen. Da heißt es gerne aus dem Munde engagierter Netzbürger, die Politik dürfe sich nicht abschotten, mithin: mehr politische Inhalte müssten ins Netz. Gleichfalls fordert man eine bessere Erreichbarkeit von Parteien, Politikern und Verwaltungseinheiten über Kommunikationskanäle wie Blogs, Facebook, Twitter und Co.

Am 4. März 2010 beschloss nun der Deutschen Bundestag einstimmig, eine Enquete-Kommission zum Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ einzurichten. Aufgabe einer solchen Kommission soll es sein, innerhalb der nächsten zwei Jahre netzrelevante Themen und Probleme mit Hilfe externen Sachverstandes gründlich und mit wenig tagespolitischem Zeitdruck zu diskutieren. Zudem soll deren Arbeit entscheidungsvorbereitend auf das Parlament wirken.

Zu diesem Zweck haben die Bundestagsfraktionen insgesamt 17 Abgeordnete und gleichviele Sachverständige in das Gremium entsandt. Und – das ist neu: Es gibt zum ersten Mal sowas wie einen 18. Sachverständigen, nämlich die sog. Netzcommunity, die sich durch Beiträge und Fragen in die Debatte einmischen soll.

Noch vor der großen Sommerpause -am 5. Juli- gab es die zweite Sitzung der Enquete-Kommission. Auf der Agenda stand eine öffentliche Anhörung mit acht geladenen Experten, die zum Thema „Chancen und Risiken der Digitalisierung in Deutschland“ Auskunft geben sollten. Neben dem Internetunternehmer Lars Hinrichs (Xing), dem Medienrechtler Prof. Dr. Thomas Hoeren, stand auch der Netzwerkforscher und Psychologieprofessor Dr. Peter Kruse im Anhörungssaal den Kommissionsmitgliedern Rede und Antwort. Aber nicht nur denen. Ein Fragerecht wurde auch den Bürgern, dem besagten 18. Sachverständigen, zugebilligt. Die Idee: Besucher der Internetseite http://www.bundestag.de/internetenquete sollten im Forum Fragen posten, die dann in die Sitzung einfließen konnten. Konkret: Am Ende jeder Fragerunde wählte das Sekretariat zwei Eingaben aus, die den Experten direkt gestellt wurden. So hatte nicht nur die 34-köpfige Kommission die Möglichkeit den Informationsfluß zu steuern, sondern auch Bürger mit Internetzugang konnten nachhaken und für sie relevante Anliegen in eine Frage an die Experten kleiden.

So weit, so partizipativ. Oder auch nicht. Man hätte vermuten können, engagierte Digital-Natives und –Immigrants würden dem Sekretariat geradezu die Bude einrennen. So laut die Rufe nach mehr Beteiligung oft über Twitter und einschlägige Blogs schallen, so ernüchternd das Resümee der tatsächlichen Nutzung. So mischten sich zu dieser Anhörung nur wenige Zuschauer und User ein, wie folgender Tweet von @mrtopf belegt:


Auch Dominique Roth von politik-digital konstatiert, dass es sich bislang eher um ein „sparsam genutztes Forum“ handele, das nun durch ein Weblog und einen Twitterkanal ergänzt würde.

Mit Sicherheit sind die Web 2.0 – Beteiligungsinstrumente des Deutschen Bundestages noch ausbaufähig. Kritik daran sollte stattfinden. Aber auch das Parlament steckt in einer gewissen Zwickmühle. Es muss die Balance finden zwischen einem gewachsenen parlamentarischen Kommunikationsmanagement und den veränderten Bedingungen einer modernen Öffentlichkeit. Ein Anpassungsprozess dieser beiden Strukturen geschieht freilich nicht über Nacht. Deswegen wäre es wichtig und wünschenswert, dass die Netzcommunity die Möglichkeit und Chance zur Mitarbeit nicht verstreichen ließe. Neben dem Anschauen des Videostreams und dem eifrigen Kommentieren via Twitter, gilt es nun, zusätzliche und offene Kanäle wie das Forum mit Inhalten und Fragen zu füllen. Das kann zeitweise sicherlich frustrierend sein, die Auswahl der eigenen Frage oder Anregung ist nämlich keineswegs garantiert.  Aber es lohnt sich bestimmt.

Die parlamentarische Sommerpause ist vorbei. Am Montag, dem 13. September 2010, wird sich die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft in ihrer fünften Sitzung unter anderem mit dem Thema Medienkompetenz befassen. Mehr Infos unter: http://www.bundestag.de/internetenquete/


Christian Marx lebt und arbeitet als freier Journalist in Berlin. In Gießen hat er Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie studiert. Zum Thema „Digitale Parlamentskommunikation“ schreibt er seine Abschlussarbeit.

Screenshot: Mediathek der Enquete-Kommission

7 Gedanken zu „Fremdelt die Netzcommunity?

  1. Das Problem mit dem Forum ist, dass es wieder einen neuen Account braucht, schwer zu bedienen ist, unübersichlich, wo genau man eigentlich die Frage stellen soll und ausserdem noch moderiert wird, die Frage also nicht direkt auftaucht. Ausserdem ist die Netzcommunity halt schon auf anderen Kanälen aktiv, ergo sollte man vielleicht Fragen aus Twitter oder Facebook nehmen.

    Ich hoffe allerdings, dass sich ein „da macht ja keiner mit“ nicht zum Einstellen aller Versuche führt. IMHO liegt der Fehler dann nicht bei den Bürgern, sondern bei den Politiker.

    Und bei der Anhörung selbst hat man ja auch gesehen, wo die Partizipation stattfindet: Auf Twitter. Es funktioniert also, aber den Kanal kann man halt nicht vorgeben, man kann nur experimentieren.

    Und wo es dann nicht funktioniert, das sind die Arbeitsgruppen. Da gibt es keine Live-Streams, vielleicht irgendwann mal irgendwelche Protokolle, ja man weiss ja nichtmal, wann die überhaupt tagen. Hier aber wäre Partizipation viel wichtiger, denn dort werden die Detailthemen erarbeitet. Es besteht von daher vielleicht auch die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, dass man bei ein paar Anhörungen mal reinhören darf, aber ansonsten halt eben doch alles hinter verschlossenen Türen passiert, wie es halt schon immer war. Und darunter mag dann natürlich auch der Partizipationswillen leiden. Ich glaube, Herr Kruse hat dieses Problem ja bei der Anhörung auch angesprochen.

  2. Da hat Herr Scholz recht.

    Was _wirklich_ „frustrierend“ ist, ist sich einen Videostream anzuschauen, in dem Organisatorisches geregelt wird und dann heißt es „So, jetzt gehen die Arbeitsgruppen in ihre Räume und fangen mit der tatsächlichen Arbeit an.“ und der Stream endet an der Stelle einfach.

    Wenn hier Input gewünscht ist, dann macht einen Stream zu den Sitzungen und werft mit einem Beamer eine Twitterwall an die Wand. So bekommt man mit ziemlicher Sicherheit reichlich Feedback und Fragen direkt in die Sitzung. Wenn man noch einen Troll-Schutz braucht, kann man auch jemanden an einen Bildschirm mit der Twitterwall setzen, der dann ab und zu die sinnvollen Tweets an die Arbeitsgruppe weitergibt.

    Oh, und zeichnet den Stream auf, für die Leute, die tagsüber arbeiten.

  3. Ich sehe ein Problem von denen, die Christian angesprochen hat, ganz deutlich: Das Vorgeben der Kanäle. So wie sich ein neuer Social Media Dienst gegen die etablierten Kanäle durchsetzen muß, müßte das auch so ein Dienst erstmal tun. Und hier kann es nur scheitern. Während neue Social Media Dienste mit neuen Ideen, Angeboten, Dienstleistungen oder Funktionen locken, sieht es hier ganz anders aus. Hier bekommt man nichts, hier soll man nur gefälligst geben, und zwar Input. Was mit dem Input dann wahrscheinlich geschieht, sieht man auf Abgeordnetenwatch.

    Auf der einen Seite haben wir hier das Netz, die Community, so wie sie sich in Jahren und Jahren etabliert und gebildet und entwickelt hat, und auf der anderen Seite? Da sind Menschen, die seit Monaten mit Brachialgewalt auf unser Zuhause eindroschen, mit Baggern und Abreißbirnen ankamen und lauthals drohten, Sprengstoff und Raketen einzusetzen, um alles niederzureißen und nach ihrem Gutdünken neu aufzubauen. Überrascht von dem nicht nachlassenden Widerstand gegen so eine gefühlte Enteignung setzen sie sich auf den Hosenboden, gucken verdutzt, setzen sich dann in unser Wohnzimmer und propagieren lauthals, daß wir doch jetzt bitte angepilgert kommen sollen, um unsere Anliegen den großen Herren anzutragen, auf dem vorgegebenen Weg. Formulare gibt’s beim Einwohnermeldeamt zwischen 15:00 Uhr und 17:30 Uhr.

    Dabei ist zu dieser Arroganz auch noch allein durch die Auswahl mancher „Experten“ bereits klar, daß hier nicht der Zweck darin besteht, unsere Sorgen und Nöte überhaupt anzuhören, sondern am Ende nur sagen zu können, „Ihr habt Eure Meinung mitgeteilt. Wir sehen das nicht so. *bamm*“. Beispiel: JMStV

    Meinen die Damen und Herren tatsächlich, verspieltes oder gar nie existentes Vertrauen damit zu gewinnen? Dieser Boden muß erstmal gut gemacht werden. Solange gleichzeitig tagein, tagaus Fakten ignoriert und Unwahrheiten gebetsmühlenartig und wider besseren Wissens wiederholt werden, um ein bereits fest definiertes Ziel zu erreichen (siehe BKA mit Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren) können wir doch nicht im Traum davon ausgehen, daß irgendein Wort über diese Kanäle, die von den Politikern selbst verteufelt und verabscheut werden, auch nur ansatzweise in Betracht gezogen werden.

    Daher gibt es keine nennenswerte Partizipation. Wir wissen, daß das nur eine Hinhaltetaktik ist. Wir wollen unsere Zeit und Kraft nicht hier verheizen lassen, wir nutzen die Zeit um auf die Straße zu gehen, denn das ist das einzige, was noch Wirkung zu zeigen scheint.

    Daß dann die FDP als _Regierungspartner_ auf Demos wie der „Freiheit statt Angst“ mitmarschieren ist genau die komödiantische Stilblüte, die jedem deutlich vor Augen führt, daß sie selbst nicht begreifen können, gegen was diese ganzen Menschen da überhaupt auf der Straße sind. Sollte man jemals einen bekennenden Torero bei einer PETA Demo marschieren sehen, ist der wohl des selben Geistes Kind.

  4. Ich habe diese Enquete-Kmmission abgeschrieben. Sie ist viel zu zäh, geheim, intransparent. Sie arbeitet ineffizient und heiße Themen werden nicht angepackt.

    Wenn man zum Beispiel ein Enquete-Mitgleid mehrfach darauf anspricht, warum die Regierung sich weigert, bestehende Gesetze wie das Zugangserschwerungsgestz anzuwenden, bekommt man keine Antwort.

    Man hat das Gefühl, dass man mit Beton spricht. Aber dem Beton wollen sie jetzt Persönlichkeitsrechte zuordnen. Was soll es, wenn man den Verdacht haben muss, dass selbst wenn der Bundestag neue Gesetze machen würde, dass er dann öffentlich schweigt, wenn die Regierung einfach rechtswidrig sagt, ich pfeife auf die Gesetze des Bundestages? Wie Leutheusser-Schnarrenberger beim Zugangserschwerungsgesetz, das die FDP in Bayern und Sachsen mit beschlossen hat im Bundesrat?

    Diese Leute sind nicht dialogfähig. Sie hören nur auf Demonstrationen, Presse und Petitionen, wenn sich große Menschenmassen gegen sie verbünden.

    Und nur jede Woche auf Twitter zu hören, auf welche Trinkgelage Johnny Schulz geht im Wahlkreis oder Frau Koehler ihre Termine aufzählt oder Zwangsdienste für Frauen nicht dem Recht auf Selbstbestimmung zusammenbringt aber den Wehrdienst für Männer duldet, ist mir die Zeit zu schade. Die wollen keinen Dialog, dann wird halt anders Politik gemacht.

  5. Pingback: Lesezeichen vom 10.9.2010 bis 12.9.2010 | Florian Altherr

  6. Noch etwas: Damals war es relativ schwer eine Frage zu stellen, da man gar keinen Kontext hatte. Man musste sich irgendwas abstraktes ausdenken.

    Auch ist das Fragenstellen an sich schon so das Problem, besser wäre eine Konversation. Aber die findet ja leider eher wenig in diesem Forum statt, u.a. weil sich die Mitglieder der Kommission daran auch gar nicht beteiligen. Wäre es nicht schön, wenn die Hauptarbeit in diesem Forum und nicht geschlossenen Arbeitsgruppen stattfinden würde? Dann nämlich hätte das Forum auch eine gewisse Relevanz. So aber eher nicht.

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