eVoting statt Klebergate?

Unter Fußballern gilt: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß!“ So oder so ähnlich könnte man die Situation in Österreich derzeit auch gut beschreiben. Erst die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl, wegen Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Briefwahl-Unterlagen und nun die Verschiebung des neuen Termins wegen der mangelhaften Qualität des Klebstoffs auf den Briefwahl-Umschlägen. In Österreich will es mit der Briefwahl einfach nicht klappen.

Aber auch hierzulande häufen sich die Berichte über Unregelmäßigkeiten bei Briefwahl. Verschwundene Wahlunterlagen und falsch ausgezählte Stimmen sind nur die Spitze des Eisbergs. Der IT-Sicherheitsexperte Arnim Rupp sammelt bereits seit einigen Jahren Fälle von Wahlmanipulationen, die in Zusammenhang mit Briefwahlen stehen. Kurz ist seine Liste jedenfalls nicht.

Aber so, als sei nichts gewesen, gewinnt die Briefwahl weiter an Popularität. Von Wahl zu Wahl sind neue Rekorde zu verzeichnen, was den Anteil der Briefwähler angeht. Bei der Europawahl vor zwei Jahren haben 25,3 Prozent aller Wähler in Deutschland ihre Stimme per Briefwahl abgeben. Zum Vergleich: Bei der Europawahl 1994 waren es 10,9 Prozent. In Zeiten von Fernbeziehungen und flexiblen Arbeitsorten ist die Briefwahl eine Alternative zur Stimmabgabe am Erstwohnsitz geworden.

Obwohl die Manipulationsmöglichkeiten bei der Briefwahl vielfältig sind, fehlt eine Diskussion über die Gefahren im deutschsprachigen Raum vollständig. Dabei wäre es jetzt an der Zeit, um darüber und über andere Möglichkeiten zu diskutieren – beispielsweise elektronische Formen der Stimmabgabe.

Es ist keine zehn Jahre her, da wurden elektronische Wahlgeräte und eVoting unter Wahlleitern als eine Variante angesehen, um dem Flexibilitätsanspruch der heutigen Wähler gerecht zu werden. Insbesondere bei der Stimmauszählung haben Wahlcomputer dem Menschen in Sachen Tempo einiges voraus. Doch so schnell die Geräte und die Ideen für eVoting auftauchten, so schnell waren sie auch wieder verschwunden. Die Vorbehalte vieler Wähler waren einfach zu groß.

Gleichzeitig hatte das Bundesverfassungsgericht 2009 den weiteren Einsatz der damals verwendeten Wahlcomputer des Herstellers Nedap untersagt. Womit auch jeglicher Diskurs über eVoting erstarb. 

Ein Grund dafür ist sicherlich auch, dass sich nach wie vor – insbesondere unter Journalisten – die falsche Schlussfolgerung hält, dass der Einsatz elektronischer Wahlgeräte in Deutschland allgemein nicht zulässig sei. Eine Fehlinterpretation.
Im Urteil wurde bereits deutlich gemacht, dass der Einsatz der elektronischen Wahlgeräte mit technischen Veränderungen durchaus möglich sei.

„Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, bei den Wahlen elektronische Wahlgeräte einzusetzen, wenn die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle gesichert ist. Denkbar sind insbesondere Wahlgeräte, in denen die Stimmen neben der elektronischen Speicherung anderweitig erfasst werden. Dies ist beispielsweise bei elektronischen Wahlgeräten möglich, die zusätzlich zur elektronischen Erfassung der Stimme ein für den jeweiligen Wähler sichtbares Papierprotokoll der abgegebenen Stimme ausdrucken, das vor der endgültigen Stimmabgabe kontrolliert werden kann und anschließend zur Ermöglichung der Nachprüfung gesammelt wird.“

Es ist also recht verwunderlich, warum es das Thema seit so langer Zeit nicht mehr zurück auf die Tagesordnung geschafft hat. Wir brauchen mehr denn je einen Diskurs über die Modernisierung von Wahlen. Mit dem Siegeszug der Briefwahl findet bereits eine Modernisierung statt, die aber niemand wirklich intensiver beleuchtet und in Frage stellt.

Trumps Reaktion auf Orlando könnte die Stimmung kippen lassen

Donald Trump – fast ein Wunder, dass der Mann immer noch in den Nachrichten und so gut wie fest stehend als republikanischer Kandidat für die Präsidentschaftswahl im November. Kurz vor dem Ausscheiden seiner letzten Konkurrenten Kasich und Cruz hatte man kurz das Gefühl, dass sich die republikanische Partei noch einmal auflehnt, noch einmal versuchen will, seine Kandidatur zu verhindern. Es folgten Wochen des langsamen Annäherns, der Suche nach einem bemerkbaren aber nicht zu auffälligen Endorsement. Jetzt, nach dem Anschlag von Orlando, könnte die Stimmung wieder kippen. Trump hatte sich sehr schnell wie folgt auf Twitter geäußert:

In einem Telefoninterview setzte er sogar noch einen drauf und legte umständlich nahe, dass Obama entweder nicht schlau sei, oder vielleicht etwas anderes der Grund für seine Zurückhaltung sei. Was genau, das wolle er der Interpretation der Zuhörer offen lassen – ob Obama also als Muslim oder sogar als Terrorist diffamiert werden sollte, bleibt der eigenen Phantasie überlassen.

Vielleicht war die politische Ausnutzung des schlimmsten Waffenmassakers in der Geschichte der USA aber ein Schritt zu viel für Donald Trump. Vielleicht hat er jetzt auch die Unzufriedenen verschreckt, die bisher zu ihm tendiert haben. Ein Indikator? Immer mehr Late-Night-Talker geben jegliche Zurückhaltung gegenüber Trump auf. Samantha Bee hat das schon seit Monaten, aber wenn jemand wie Stephen Colbert in seiner Late Show Trump mit dem Hakenkreuz portraitiert und ihn als Arschloch bezeichnet, dann könnte das durchaus für eine kippende Stimmung im Land stehen:

Varoufakis‘ Einführung in die Wirtschaftstheorie – mit Hollywood-Analogien

Yanis Varoufakis mag verbranntes Land sein in der westlichen Sphäre. Sieht man einmal über Mittelfinger und Motorrad, über Homestories und vielleicht historische Fehler hinweg, lohnt es sich immer noch, ihm zuzuhören. Gerade wenn er bei TED einen Bogen spannt von Marx über Hayek bis Keynes – und die sich für ihn aufdrängenden Szenarien mit der Dystopie aus „Matrix“ und der Utopie aus „Star Trek“ vergleicht:

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Von Moral und Terrorwohnzimmern

Drüben auf Generation ZweiNull habe ich zwei Gedanken zum Terror, der wieder in Europa angekommen ist, veröffentlicht und verweise von hier aus besonders auf die Gedanken zur Vorratsdatenspeicherung:

Nach den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Frühjahr ist der Terror wieder in Europa angekommen. Während ich die heutige Berichterstattung über die Absagung des Freundschaftsspiels zwischen Deutschland und den Niederlanden verfolgt habe, sind meine Gedanken immer wieder abgeschweift und ich möchte zwei davon hier festhalten:

1. Sicherheit und Freiheit lassen sich nicht unbegrenzt abwägen

Schon kurz nach den Anschlägen in Paris fanden sich auf Twitter und Facebook Aussagen in zwei diametral entgegen gesetzten Richtungen: „Seht mal, die Franzosen haben die Vorratsdatenspeicherung und trotzdem hat es nichts geholfen“. Oder: „Wir sollten froh sein, dass es nicht schon längst zu Anschlägen gekommen ist, eben weil es kluge Sicherheitsmaßnahmen gibt“.

Die simple Wahrheit ist jedoch, dass das Eintreten eines Anschlages weder etwas über die Anzahl der verhinderten Anschläge verrät, noch über die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, die ihn möglicherweise verhindert hätten. Die Vorratsdatenspeicherungsbefürworter haben nie versprochen, dass alle Anschläge damit der Vergangenheit angehören.

Direkt-Wohnzimmerterror

Bernd Luckes Ausstieg – oder Parteiengründung 101

Bernd Lucke tritt aus der AfD aus, der Partei, die er mit gegründet hat und für die er im Europaparlament sitzt, die er seit Jahren entscheidend geprägt hat. Die tagesschau hat auf Facebook das Statement als Video veröffentlicht: Link.

Ohne näher auf meine Ansichten zur AfD einzugehen, lohnen sich dennoch einige tiefere Betrachtungen:

  1. Im Vergleich zur letzten Parteineugründung in Deutschland, der Piratenpartei, konnte die AfD einen deutlich breiteren Teil der Bevölkerung hinter sich vereinen. Das mag zu einem großen Teil an der thematischen Ausrichtung liegen, aber auch die Währungspolitik ist kein besonders massentaugliches Politikfeld, vielleicht  nicht mehr als die Digitalpolitik. Dennoch taugte die AfD deutlich mehr als Identifikationsangebot, weil sie schon durch ihre Positionierung als „Alternative“ für „Deutschland“, also Abgrenzung von dem bestehenden Parteipolitischen Angebot und mit bewusster Orientierung auf nationale Interessen, programmatisch einen Projektionsraum für nicht unwesentlich in der Bevölkerung verankerte Ansichten bot.
  2. Ebenfalls gemein mit der Piratenpartei hatte die AfD einen jedenfalls medial vermittelt kometenhaften Aufstieg. Nicht nur die Bürger sehnen sich offenbar nach neuen Angeboten, auch die Medien stürzen sich auf alles neue. Auch die strukturelle Verteilung der errungenen Wahlerfolge ähnelt bei der AfD durchaus den Piraten. Eine bundespolitische Relevanz jedoch haben beide nicht erlangt. Denn:
  3. Den Weg zu einem Wahlerfolg bei einer Bundestagswahl hat in beiden Fallen die Partei sich nicht selbst verbaut, sondern eine unglückliche Positionierung der Wahltermine. Wäre die Bundestagswahl 2013 nur ein Jahr später erfolgt, wäre die AfD sicher im Bundestag vertreten. Auch die Piratenpartei hat ihren Wahlerfolg gewissermaßen überlebt. Das hat vor allem einen Grund:
  4. Es scheint zu der Neugründung von Parteien dazu zu gehören, dass sie ein Sammelbecken für politisch enttäuschte, für Querdenker und Infragesteller bilden. Mischt man dazu in den beiden Fällen Piratenpartei und AfD die entsprechenden Bezugsrahmen, also eine linksalternative Digitalpolitik auf der einen Seite und eine fiskalradikale deutschnationale Politik auf der anderen Seite, besteht besonders für neu gegründete Parteien das Gefahr der zahlenmäßigen Unterwanderung aus den entsprechenden extremen Milieus. Die neuen Parteien besitzen naturgemäß noch nicht die strukturelle Festigkeit und auch quantitative Stabilität von Mitgliedern, die sich im engeren Rahmen der Gründungsüberlegungen bewegen, um nicht innerhalb von wenigen Monaten durch Neumitgliedschaften inhaltlich oder wesentlich völlig verändert zu werden.
  5. Auch wenn man in Deutschland froh sein kann, dass unsere politisch extremste Parteienentwicklung der letzten Jahre die AfD war, ist es doch nicht ohne Genugtuung, dass ich hier – möglicherweise verfrüht, das Präteritum benutze.