Gegenüber der Kanzlerin

„Staatsmann, das kann ich auch“ – so fasst die WELT den gestrigen Auftritt von Kurt Beck vor dem Bundestag zusammen. Anlässlich der Ratifizierung des EU-Vertrags von Lissabon redet der SPD-Chef direkt nach der Kanzlerin.

Von einem direkten „Rede-Duell“ hatten manche Abgeordnete vorher gesprochen, und in der Tat hat Kurt Beck seine Aufgabe unerwartet gut gemacht. Gegen eine gewohnt sachliche Bundeskanzlerin schien der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz sich in seiner Rolle wesentlich wohler zu fühlen als beim Zusammenhalten der derzeitigen Chaos-SPD.

Aber wie kommt es eigentlich, dass er direkt nach der Kanzlerin sprechen durfte? Schließlich ist dem Bundestag ziemlich gleichgültig, ob jemand Parteivorsitzender oder Kanzlerkandidat ist – er ist schlicht normaler Abgeordneter.

Es sei denn, der Betreffende ist gleichzeitig Ministerpräsident. Dann kommt eine wenig bekannte, aber sehr interessante Regelung in der Bundestagsgeschäftsordnung zum Tragen:

Die Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates sowie ihre Beauftragten müssen nach Artikel 43 Abs. 2 des Grundgesetzes auf ihr Verlangen jederzeit gehört werden. [§43 GO]

Und der dort erwähnte Artikel des Grundgesetzes besagt:

Die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie müssen jederzeit gehört werden. [§43 Abs. 2 GG]

Ein interessantes Privileg, das der Föderalismus hier für sich einnimmt. Und man sieht dieses Privileg bereits in der Aufstellung der Sitze im Reichstagsgebäude, denn dort sitzen die Vertreter der Länder rechts des Präsidiums – also genau gegenüber der Kanzlerin auf der Regierungsbank.

Sitz des Bundesrats im Bundestag