Liste der twitternden MdBs

Nachdem unsere bisherige Liste der politischen Twitterer einfach nicht mehr zu pflegen war, haben wir uns entschieden, den Kreis etwas zu verkleinern. In Zusamenarbeit mit wahl.de listen wir jetzt alle offiziell twitternden Bundestagsabgeordneten auf. Die Liste wird durch wahl.de immer wieder überarbeitet und ergänzt, alle erschienen Accounts sind bestätigt und somit keine Fakes. Der Vorteil: Sortierbar nach Parteizugehörigkeit, Bundesland oder schlicht der Anzahl der Follower kann man jederzeit einen Überblick über die twitternden MdBs erhalten.

twitterndebundestagsabgeordnete

Wahlplakate 2009

Nur noch anderthalb Monate sind es bis zur Bundeswahl und allmählich haben alle Parteien ihre diesjährigen Wahlplakate vorgestellt. Auf homopoliticus.de finden sich alle Plakatmotiven von CDU, SPD, Grünen, FDP und der Linken mit einer Analyse von Achim Schaffrinna.

Interessant ist die Verteilung von Themen- und Personenwahlkampf unter den Parteien. Die Kanzlerinnenpartei CDU stellt ihre beliebten (und manche unbeliebtere) Spitzenpolitiker rund um Angela Merkel auf. Die SPD setzt dagegen auf einen Themenwahlkampf für Frank-Walter Steinmeier, der als einziger Spitzensozialdemokrat ein eigenes Plakat erhält. Auf der anderen Seite des Spektrums setzen die Grünen durchweg auf Inhalte und werfen mit einer schon unüberschaubaren Menge an Forderungen um sich. Wer soll bei 11 Themenplakaten noch durchblicken? Die Spitzenkandidaten Trittin und Künast jedenfalls fehlen auf den Plakatmotiven (Update: Mit Dank an Till Westermayer haben wir die Personenplakate der Grünen eingefügt). Den ausgewogensten Mix zwischen Themen und Köpfen zeigt die Linkspartei, die Lafontaine und Gysi mit gleich 4 Motiven prominent neben den 6 Themenplakaten positioniert.

Für uns kommentiert Achim Schaffrinna vom Design Tagebuch die Gestaltung der Wahlplakate 2009. Vielen Dank dafür.

CDU

cdu_kanzlerinnenplakatcdu_ministerplakat_bildungcdu_ministerplakat_familiecdu_ministerplakat_innencdu_ministerplakat_landwirtschaftcdu_ministerplakat_verteidigungcdu_ministerplakat_wirtschaft

Die gestalterische Qualität zeigt sich in vielen Bereichen. Das Farbkonzept ist ausgereift. Blaue Töne schaffen Vertrauen, die dank der türkisfarbenen Akzente, die mal dezent und mal stärker gesetzt sind, keine Schwere und keine Trägheit verkörpern, sondern eine lebendige Frische ausstrahlen. Orange als fester Bestandteil des Corporate Designs der CDU ergänzt das Konzept. Der variable Aufbau und die Ausrichtung der typografischen Elemente unterstreicht diese Lebendigkeit, die man in der hier gezeigten Galerie wunderbar veranschaulicht sieht. Bei der Typografie fiel die Wahl – trotz eigener Hausschrift („CDU Kievit“) – auf die Helvetica, die bauchiger ist und weiter läuft. Der enge Zeilenabstand in Kombination mit Großbuchstaben lässt die Plakate zeitgemäß erscheinen. Das Besondere an den Plakaten ist, dass sie nicht in Baukastenmanier entstanden sind – also anderer Kopf rein > neue Überschrift > fertig – sondern ausgehend von der Fotografie jeweils eine individuelle Anordnung von Text und Bild geschaffen wurde. Einzig das CDU-Logo ist als feste Konstante stets rechts unten eingebunden. Die Fotos selbst sind allesamt Momentaufnahmen und keine Porträts. Auch das unterscheidet sie von den Mitbewerbern. In Photoshop wurde nachträglich hier ein Blendenfleck und da ein Weichzeichner angelegt um den Eindruck des Flüchtigen zu unterstreichen. Das Konzept hinter den Plakaten lautet: Natürlichkeit ist Trumpf.

Fazit: Tolle Arbeit. Feine Plakate. Würde man nicht eine Partei wählen, sondern die Gestaltung der Plakate, wäre dies mein Favorit.

SPD

spd_kanzlerplakatspd_themenplakat_arbeitspd_themenplakat_bildungspd_themenplakat_energiespd_themenplakat_gesundheitspd_thesenplakat_arbeitspd_thesenplakat_bildungspd_thesenplakat_energiespd_thesenplakat_gesundheitspd_thesenplakat_wirtschaft

Nach der mutigen, gestalterisch einzigartigen und von einigen Seiten kritisierten SPD-Kampagne zur Europawahl fallen die Plakate zur Bundestagswahl doch eher gewöhnlich aus. Aufmacher der Plakate sind Textbotschaften, die in imposanter Größe und Stärke, gesetzt in der SPD-Hausschrift „TheSans“, auch bei schneller Vorbeifahrt noch aufgeschnappt werden können. Die Aufbereitung eines Informationskonzentrats, dass leicht konsumiert werden kann, ist ein tragendes Moment solcher Wahlwerbeplakate. Statt Köpfe werden Gründe präsentiert, die sich die Bundespartei vielleicht vom Oberbürgermeister von Hannover Stephan Weil „abgeguckt“ hat. Neben der rein typografischen Serie, gibt es eine Linie, in der Menschen wie du und ich „ihren“ Grund benennen. Gutausehend sind sie. Die Attraktivität der abgebildeten Menschen soll bestenfalls in Form eines Image-Transfers auf die Partei abfärben. So jedenfalls die Philosophie hinter der Testimonial-Idee. Die Fotos sind inszeniert, wirken aber natürlich.

Fazit: Handwerklich gibt es nichts zu bemängeln. Das lässt sich auch zum Corporate Design der SPD sagen, obwohl ich mich immer noch mit dem neuen 3D-Logo der SPD schwer tue. Gestalterisch können sie nicht an die provozierende EU-Serie anknüpfen.

FDP

fdp_westerwellefdp_bruederlefdp_gerhardtfdp_homburgerfdp_hoyerfdp_niebelfdp_pieperfdp_pinkwartfdp_roeslerfdp_solmsfdp_themenplakat_arbeitfdp_themenplakat_bildungfdp_themenplakat_freiheitfdp_themenplakat_steuern

Einheitskost par Excellence! Diese Art der Wahlwerbung kennen wir seit Jahrzehnten und nehmen sie kaum noch zur Kenntnis. Da hilft auch das schreiende Gelb nicht. Ein Lächeln für die Kamera. Die Deutschlandfahne dezent im Hintergrund und eine, teils schlecht gesetzte Überschrift. Das ist stereotyp, abgegriffen und ebenso einfallslos wie die Botschaft „Mehr Netto vom Brutto“. Im Plakat von Otto Solms steht das gelb gesetzte „besser“ auf gelbem Untergrund. Oh wei. Liebe FDP-Plakat-Gestalter, das geht deutlich besser. Bitte denkt doch an die Menschen, die die Botschaften lesen sollen.

Fazit: Die Gestaltung, soviel lässt sich ablesen, ist kein Schwerpunkt der FDP. Sie liefert mit weitem Abstand das konservativste Angebot zum Thema Wahlwerbung.

Grüne

gruene_themenplakat_atomgruene_themenplakat_bildunggruene_themenplakat_biogruene_themenplakat_datengruene_themenplakat_elektroautosgruene_themenplakat_frauengruene_themenplakat_gengruene_themenplakat_jobsgruene_themenplakat_klimaschutzgruene_themenplakat_millionengruene_themenplakat_weltgruene_kuenast.jpggruene_oezdemir.jpggruene_roth.jpggruene_trittin.jpg

Nachdem WUMS gestalterisch eher nach hinten los ging, sind die Grünen wieder näher bei sich, wie ich meine. Die Plakate sind im rohen Graffiti-Look angelegt. Natürlich geht heute keiner mehr mit der Sprühdose los. Mit entsprechender Werkzeugspitze werden Schriftzüge und Bildelemente detailverliebt in Photoshop erstellt. Das ist handwerklich gekonnt. Ganz bewusst werden Schablonenkanten mit der Maus gesetzt, um den Eindruck zu vermitteln, man sei wild, rebellisch und authentisch. Street-Art ist ganz nah bei den Menschen. Das steckt hinter dem Konzept. Ich finde es gar nicht verwerflich, dass sich hier keiner die Finger mit Farbe schmutzig gemacht hat sondern nur der Anschein erweckt wird, man hätte die Wände besprüht. Der Aufbau nutzt, anders als SPD, FDP und Die Linke, keine Schablone. Man möchte meinen, je nach Lust und Laune wurden bildhafte Elemente und knackige Begriffe arrangiert. Grün, Gelb, Rot, Blau und Magenta erzeugen ein buntes Miteinander. Passt ja durchaus zu den Vorstellungen der Partei in Bezug auf das Zusammenleben von Menschen.

Fazit: Die Grünen präsentieren ein Design, das passt. Hinter der Unordnung steckt handwerkliche Akribi. Wer allerdings grundsätzlich die Partei nicht mag, dem wird vermutlich auch das Spröde und das Rohe in der Gestaltung nicht zusagen.

Die Linke

linke_gysilinke_gysi_grossflaechelinke_lafontainelinke_lafontaine_grossflaechelinke_themenplakat_afghanistanlinke_themenplakat_bildunglinke_themenplakat_hartzlinke_themenplakat_mindestlohnlinke_themenplakat_reichensteuerlinke_themenplakat_rente

Die Schriftart Helvetica findet sich bei der CDU und auch bei den Linken. Wohl eine der wenigen Gemeinsamkeiten der Parteien. Allerdings sieht man sie bei den Linken in einer sehr eng gestellten Form, die natürlich den Vorteil hat, dass man auf kleinem Raum viel unterbringen kann. Die Farbkombination Schwarz, Weiß, Rot ist alles andere als politisch unbelastet. Die schwarzen Lettern, in Kombination mit der scharf abgesetzten roten und weißen Fläche, wirken nicht nur nicht frisch und wenig natürlich, sie erscheinen aggressiv. Das Ausrufezeichen hinter jeder Überschrift ist gar nicht notwendig. Die Gestaltung selbst unterstreicht jede einzelne Forderung. Insofern ist es eigentlich eine gute Gestaltung, mögen muss man sie aber deswegen nicht. Stilistisch ist sie mir einfach zu hart, zu kompromisslos. Gerade die Bereitschaft zu Kompromissen zeichnet die Politik aus. Den Fotografien wiederum fehlt jede Stringenz und jeder Biss. Mal hängt die Unterlippe von Gisy schief und mal blickt Lafontaine offenbar vollkommen geistesabwesend in die Kamera. Das sind dann auch die einzigen Köpfe, die bei der Linken gedruckt wurden. Die anderen lassen ihren Hintern ablichten.

Fazit: Laut und wuchtig ist die Gestaltung. Hier werden keine feinen Töne angeschlagen. Auch wenn man den Stil nicht mag, so ist die Ausarbeitung der Plakate immer noch präziser als das Werk der FDP.

Soweit der Blick als Gestalter auf die Wahlplakate zur Bundestagswahl 2009. Ich fands spannend die Plakatserien der Parteien im Umfeld von Homo Politicus kommentieren zu dürfen. Überraschend ist für mich, dass die CDU in Bezug auf die Gestaltung gar nicht mal so konservativ erscheint, wie es ihrer Programatik entspricht. Sie gibt sich optisch jung, frisch und zeitgemäß. Die Grünen und die SPD liefern ansprechende Lösungen. Die Linke poltert in ihrem Erscheinungsbild und die FDP hat den Anschluss verloren und dümpelt im Design von gestern.

Achim Schaffrinna ist Diplom-Designer und Autor des Fachblogs Design Tagebuch. Lange Zeit im Agenturumfeld, arbeitet er heute als Leiter Design bei Madsack Online in Hannover und betreut dort seit Juni 2009 die digitalen Angebote des Verlagshauses Madsack.

Fotos: cdu.de, wahlkampf09.de, fdp.de, gruene.de, die-linke.de

Barrieren vor dem Bundestag

Mit viel Begeisterung wurde heute morgen die neue Webseite des deutschen Bundestages freigeschaltet. In den vergangenen Jahren war die Homepage vor allem für ihre Unübersichtlichkeit und bunte Ansammlung von Informationen bekannt. Deshalb wurde es um so erfreuter aufgenommen, als in der heutigen Pressekonferenz (Video!) mehr Transparenz und eine einfachere Handhabung der Webseite angekündigt wurde (die Website vor dem Relaunch).

Und tatsächlich präsentiert sich der deutsche Bundestag ungewöhnlich übersichtlich und mit vielen Bildern. Ein Herz für Petition zeigt der Punkt „Aktuelle Petitionen“ eine zentrale Position auf der Webseite ein. Zu recht aber kritisierten schon Kai Biermann und Christian Heise bei Zeit Online die immer noch mangelnde Transparenz und Dialogfreundlichkeit – trotz aller Ankündigungen.

Scheinbar völlig unbeachtet blieb beim Relaunch aber die Barrierefreiheit der Website, die für eine nicht gerade unerhebliche Zahl von Menschen in Deutschland relevant ist. Ruft man die Website des Bundestagses mit einem Browser für Sehbehinderte wie beispielsweise webformator auf, zeigt sich ein ernüchterndes Bild:

22859254

Der Bundestag verstößt mit seinen Barrieren vor dem Internetauftritt auch gegen geltendes Gesetz. Im Paragraph 11 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen aus dem Jahr 2002 ist die Vorschrift dafür eindeutig:

(1) Träger öffentlicher Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 gestalten ihre Internetauftritte und -angebote sowie die von ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen, die mit Mitteln der Informationstechnik dargestellt werden, nach Maßgabe der nach Satz 2 zu erlassenden Verordnung schrittweise technisch so, dass sie von behinderten Menschen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestimmt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nach Maßgabe der technischen, finanziellen und verwaltungsorganisatorischen Möglichkeiten

1. die in den Geltungsbereich der Verordnung einzubeziehenden Gruppen behinderter Menschen,
2. die anzuwendenden technischen Standards sowie den Zeitpunkt ihrer verbindlichen Anwendung,
3. die zu gestaltenden Bereiche und Arten amtlicher Informationen.

Erklärt mir den Weg aus der Krise

Aus der Krise hilft nur grün – mit dieser Kampagne gehen die Grünen in den Bundestagswahlkampf. Meine erste Reaktion war freundlich formuliert zurückhaltend. Aus der Krise hilft nur grün? Also erst mal haben wir ja nicht nur eine Krise. Und wie soll Grün jetzt da raus helfen? Und was genau ist grün überhaupt?

850b3185a7eb5139e887Interessanter wird der Blick auf die grüne Kampagne, wenn man sich die Themenplakate ansieht. Man kann sich über das etwas überzeichnete Retrodesign der Illustrationen wundern, aber „Klimaschutz wirkt!“ mit einem Helm auf einer Sonne zu symbolisieren, das ist gute Werbung. Nicht nur, dass die Botschaft leicht verständlich ist, das Plakat kommt auch noch mit zwei Worten und zwei Symbolen aus und ist somit auch aus der Ferne noch wirksam. Leider geht der Slogan „Aus der Krise hilft nur Grün“ als verbindendes Element etwas unter.

In jedem Fall funktioniert der Slogan „Aus der Krise hilft nur grün“ schon weit besser als das, was die Grünen selbst bisher in Interviews und Pressekonferenzen vermitteln konnten. Bei der kommenden Bundestagswahl wird es um Konzepte und Kompetenz gehen. Aus genau diesem Grund profitiert die Linke nicht von der Wirtschaftskrise und den teils dramatischen Einschnitten, die diese für die Menschen bringt. Deshalb profitiert auch eine taumelnde und ideenlose SPD nicht, sondern die Partei der Kanzlerin, die sich geschickt als Macherin positioniert. Hier könnten die Grünen als Partei mit Visionen punkten, könnten einen aktiven Gegenpart zur eher passiven Haltung von Angela Merkel stellen.

Dafür bleibt aber einiges mehr zu tun, als nur ein paar Plakate zu kleben. Auf der ganzen Linie müssen Politiker und Verbände verbreiten, was der Slogan aussagt. Aus der Krise hilft nur Grün? Dann erklärt es mir.

Bilder: gruene.de

Piratenfahne über dem Reichstag

Unaufhaltsam scheint er zu sein, der Erfolg der Piratenpartei. Vor zwei Wochen zog ein schwedischer Pirat in das Europaparlament ein, dank eines Wahlergebnisses von 7,1% für die vermeintlich hoffnungslose Kleinstpartei. Die Piratenpartei ist in Schweden mittlerweile die drittgrößte Partei – dabei wurde sie erst 2006 gegründet. Ihre Geschichte ist nicht zu trennen von der Tauschbörse Pirate Bay und der großen Debatte über Rechte und Freiheiten im Internet, die dadurch in Schweden entstand.

3643464463_37c94249a4Mehr Aufmerksamkeit werden die Piraten nun aber auch in Deutschland bekommen, denn seit gestern haben sie einen eigenen Abgeordneten im Bundestag. 100 Tage vor der Bundestagswahl tritt der SPD-Medienexperte Jörg Tauss aus seiner sozialdemokratischen Heimatspartei aus und wechselt zur Piratenpartei.

Tauss verlässt SPD wegen Netzpolitik

Tauss ist seit 1994 Mitglied des Bundestages und zog seitdem immer über die Landesliste Baden-Württemberg ein. Er war Medienbeauftrager der SPD-Bundestagsfraktion, Sprecher der Franktionsarbeitsgruppe Bildung und Forschung und Mitglied des Fraktionsvorstandes. Nicht zuletzt als Obmann der SPD im Unterausschuss „Neue Medien“ hat sich Jörg Tauss einiges Renommee in Sachen Medien und Internet erworben. Seinen Austritt begründete er auf seiner Internetseite:

Auf dem Feld der Innen- , Rechts- und Internetpolitik gibt es in der SPD jedoch eine schlimme Fehlentwicklung. Schleichend begonnen hat es bereits vor etlichen Jahren mit den Sperrverfügungen in Nordrhein- Westfalen. Den vorläufigen Höhepunkt hat diese bedrohliche Entwicklung jedoch vorgestern in der Zustimmung zu einem Gesetz gefunden, mit dessen Hilfe CDU und CSU eine staatliche Zensurinfrastruktur errichten werden. Stück für Stück hat sich die SPD von einer Bürgerrechtspartei, die mutig für Freiheit und Recht kämpft, zu einer Steigbügelhalterin der Union entwickelt, die ohne ein Zögern gewillt ist, eine sicherheitspolitische Aufrüstung ohne Ende zu befördern.

In einer einseitigen Sicht auf die „Innere Sicherheit“ werden Bedrohungen und Bekämpfungsstrategien isoliert betrachtet. Handlungsoptionen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen würden, werden noch nicht einmal mehr ernsthaft untersucht. Ein ernsthafter Dialog mit kritischen Bürgern findet nicht statt. Gegenüber Experten zeigt man sich beratungsresistent.

Für mich ist das die Ursache einer staatlichen Beschränkung von Freiheit ohne Augenmaß: Die Auslandskopfüberwachung, die Vorratsdatenspeicherung, die Onlinedurchsuchung, das BSI- und das BKA- Gesetz und nicht zuletzt die Internet- Sperre, das sind nur die bekannteren Beispiele dieser gefährlichen Entwicklung! Immer lauter ertönt der so dumme wie polemische Schlachtruf, wonach das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfte. Doch dieses war es nie. Das Internet wird so aber immer mehr zum bürgerrechtsfreien Raum! Dieses müssen wir stoppen.

Das Abstimmungsverhalten der SPD- Bundestagsfraktion beim sogenannten „Zugangserschwerungsgesetz“ ist für mich nur der letzte Beleg dafür, dass heute weder Internetexperten noch Bürgerrechtler ausreichendes Gehör im Parlament finden. Opposition gegen immer neue Beschränkungen von Freiheit wird in Deutschland inzwischen marginalisiert, in meinem Fall sogar beinahe als kriminell erachtet.

Piraten = SPD plus Medienkompetenz

Zum ersten Mal gibt es im Bundestag eine Partei, die ihre Positionen auf einen kleinen, aber überzeugt vertretenen Kernbereich konzentrieren. Und so ist es faszinierend, dass Jörg Tauss sich eigentlich nur im Bereich des Piraten-Programms von seiner Partei verabschiedet hat. Die für ihn skandalösen Entwicklungen seiner Partei haben ihn offensichtlich nicht dazu gebracht, der Sozialdemokratie abzuschwören. Über seiner Mitteilung zum Austritt steht: „Ich bin und ich bleibe Sozialdemokrat – und werde deshalb ein Pirat“.

In der laufenden Legislaturperiode wird das nicht mehr viele Auswirkungen haben. Eine Sitzung steht regulär noch an, am 3. Juni Juli soll unter anderem auch über Datenschutz zu reden sein. Wenn es das Bundestagsprotkoll hergibt, wird Tauss sich dort vermutlich für die Piraten zu Wort melden. Das Modell aber, das Tauss durch seinen Aus- und Eintritt eingeführt hat, könnte die Zukunft von kleinen Interessenparteien sein. Indem sich Tauss weiterhin ausdrücklich als Sozialdemokraten bezeichnet, hält er einen Nähe zur SPD, die weit über eine befreundete Partei hinaus geht. Er dockt sich bildhaft gesprochen an die SPD an und fährt in den meisten Situationen mit dem sozialdemokratischen Dampfer über den Ozean. In besonderen Fragen, die die Interessen seiner „Piraten“ betreffen, wird einer ihrer Abgeordneten (wer weiß, ob es einen geben wird) nicht nur seinen Einfluss auf das „Mutterschiff“ SPD einsetzen, sondern auch mit seiner eigenen Stimme ein Korrektiv bilden.

Stimme für Piraten nicht verloren

Somit wäre eine Stimme für die Piratenpartei keine verlorene Stimme mehr für alle, die bisher eher sozialdemokratisch gewählt haben. Sie würden lediglich eine „SPD plus Medienkompetenz“ wählen, wenn sie ihr Kreuz bei den Piraten machen. In allen anderen Bereichen unterstützten sie ja weiterhin eigentliche SPD-Politik. Wenn die Piratenpartei sich 1. diesen Gedanken von Tauss zu eigene macht und es 2. schafft, das richtig zu vermitteln – dann wird die SPD in großem Stil Stimmen an die Piraten verlieren. Klas Roggenkamp wettete jüngst auf ein Wahlergebnis von 3% für die Parteien bei der kommenden Bundestagswahl. Vielleicht hat er zu niedrig gegriffen.

Wie auch immer sich die Piratenpartei in den nächsten Wochen entwickelt, ob Tauss eventuell sogar um ein Direktmandat kämpfen wird oder eine Landesliste anführt. In jedem Falle steigt die Popularität, die Jörg Tauss in der Netzgemeinde genießt, von Tag zu Tag. Bei wahl.de ist er Big Mover, kann also den größten Zuwachs an Online-Unterstützern vorweisen. Vermutlich wird dann bald als sein Landesverband nicht mehr die SPD Baden-Württemberg zu sehen sein, sondern die Piratenpartei.

Bild: Das Foto steht unter CC-Lizenz und ist bei Nennung meines Twitter-Pseudonyms @opyh frei verwendbar.