Christean Wagner trifft Jesus

Es scheint ihm auf der Seele gebrannt zu haben. Christean Wagner, Fraktionschef der hessischen CDU, läuft marodierend durch die Medienlandschaft und trägt dabei wahlweise das Kruzifix oder das CDU-Parteiprogramm vor sich her. In der FAZ forderte Wagner eine Rückbesinnung der CDU auf das „C“ in ihrem Namen als Konsequenz aus der etwas ungünstig verlaufenen Wahl:

„Wir müssen uns mutig zu unserem christlichen Glauben bekennen. Wir müssen klar und deutlich sagen, dass wir als Partei auf einem christlichen Fundament stehen. Das kommt mir bisher zu kurz“, sagte Wagner der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am Mittwoch. Seine Partei müsse wieder „stärker konservative Wähler ansprechen und das C in unserem Parteinamen betonen“. Denn mit dem C verbinde die Union ein „christliches Wertefundament“, auf das sie stolz sein müsse. (Quelle: pro)

Auch in ideaSpektrum, einem evangelikalen Nachrichtenmagazin, für das ich auch als freier Autor arbeite, darf Wagner im Editorial seine Forderungen verbreiten. Ohne klare Argumentationslinie stolpert Wagner durch die Absätze. Mal beklagt er das Verschwinden von Christlichen Werten aus den Parteien im gleichen Atemzug mit dem Verbot von Kruzifixen in Klassenräumen, mal geht es ihm gleich ums Ganze, wenn er Papst Benedikt recht gibt: Man könne heute doch kaum noch von Gott reden, ohne an den Rand gedrängt zu werden.

Sogar Ernst-Wolfgang Böckenförde kommt zu seinem Zitat, wenn Wagner wiedergibt: „Der freiheitliche, säukalrisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ So wie Christean Wagner die Debatte der vorpolitischen Legitimation des Rechtsstaats hier einwirft, scheint er nicht mal im Ansatz verstanden zu haben, worum es dabei geht. Es heißt natürlich nicht, dass nur ein christliches Fundament einen Staat solide tragen kann.

Einen Seitenhieb auf die Linke und ihre DDR-Vergangenheit bringt Wagner gleich mit in seinem Aufruf unter. Wieder beruft er sich auf Ratzinger und behauptet, eine Gesellschaft ohne Gott zerstöre sich selbst. Das habe man schließlich in den „großtotalitären Experimenten des letzten Jahrhunderts“ gesehen. Wollte man der These genauer nachgehen, müsste man schon den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur einbeziehen. Denn dass eine Demokratie ohne Gottesbezug nicht zwangsläufig zur Diktatur werden muss, sollte klar sein.

Schließlich stellt Wagner fest, nur die CDU stehe für ein christliches Wertefundament. In der FAZ hat er auch schon konkretisiert, was für ihn dazu gehört:

Als Beispiel nannte Wagner die Bewahrung des menschlichen Lebens bei den Themen Embryonenschutzgesetz und Spätabtreibungen. „Hier müssen wir deutlich von einer christlichen Grundlage aus diskutieren.“ Wagner sprach sich außerdem gegen die vom künftigen Koalitionspartner FDP geforderte Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften mit der Ehe aus. Der FAZ sagte der CDU-Politiker: „Hier gilt wortwörtlich für mich der Artikel 6 des Grundgesetzes, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der Verfassung stehen. Bei aller Toleranz in Fragen der persönlichen Lebensverhältnisse darf es hier keine Gleichstellung geben.“ (Quelle: pro)

In seinem idea-Text setzt Wagner die Zwischenüberschrift „Wie bei Jesus: Gebt dem Kaiser…“. An dieses Prinzip „Wie bei Jesus“ hätte sich Wagner mal halten sollen. Immerhin weist er auch selbst darauf hin, dass Jesus schon vom säkularisierten Staat gesprochen hat:

„Um es klarzustellen: Deutschland ist ein säkularer Staat. In Abgrenzung zu islamischen Staaten, in denen der Koran als verbindliches Gesetz und staatliche Rechtsordnung gilt, sind Staat und Religion in unserem Land klar getrennt. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und  Gott, was Gottes ist.“ Die Bergpredigt ist kein Regierungsprogramm.“

Warum Wagner das zwar erwähnt, aber nicht in seine Gedanken einbezieht, versteht wohl nichtmal er selbst.

Und wenn er es schon wie Jesus machen will: Glaubt Wagner wirklich, dass Jesus vollkommen ohne Grund wieder einen Tiefschlag gegen die Gleichstellung von Homosexuellen gelandet hätte? Wenn er es wirklich wie Jesus machen wollte, würde er zuerst den Balken im eigenen Auge suchen, bevor er sich über den Splitter im Auge des Gegenübers echauffieren müsste. Wenn er es wirklich wie Jesus machen wollte, würde er sich zuerst liebevoll um die Zölner und Huren kümmern, um die Ausgestoßenen der Gesellschaft.

Noch zugespitzter: Wäre Jesus ein Politiker gewesen, hätte er keine Politik für den Mittelstand gemacht, sich nicht zuerst um die Rechte von Christen und Kirchen gekümmert. Jesus hätte Politik gemacht für die Armen, für die von der Gesellschaft ausgregrenzten. Politik für Hartz IV-Empfänger und Langzeitarbeitslose, für die Arbeitsrechte von Prostituierten und Behinderten – und ganz sicher hätte Jesus Politik für Schwule und Lesben gemacht.

Nicht einmal Christean Wagner kann erklären, warum Jesus nicht in der CDU gewesen wäre.

Bild: Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks

Zwischen Freiheit und Würde

Heute beginnt in Marburg der „6. Internationale Kongress für Psychotherapie und Seelsorge“. In 120 Seminaren und Vorträgen werden sich fast 1000 Interessierte und Fachleute austauschen. Weit im Vorfeld der Veranstaltung wurde ihr wohl mehr Interesse zu teil, als den Veranstaltern lieb gewesen sein kann. Empörte Bürgerrechtler und Politiker protestierten gegen die Seminare dreier dort auftretender Referenten, denen eine „Umpolungsabsicht“ gegen Homosexuelle vorgeworfen wird.

Ich sehe mich nicht in der Lage zu beurteilen, ob nun die Seminare an sich tatsächlich eine mögliche sexuelle Umorientierung Homosexueller proklamieren oder ob sich eine Abwertung der Referenten durch vorherige Äußerungen zu dem Thema ergeben könnte. Ebenso wenig kann ich tatsächlich auf höchstwissenschaftlichem Niveau beurteilen, ob es wirklich eine anerkannte Meinung der Psychologie sein kann, Homosexualität sei veränderbar. Ohne Zweifel habe ich meine eigene Meinung zu dieser Frage und daher auch meine Vorbehalte gegen die Arbeit von Organisationen wie Wüstenstrom, die ebendas behaupten und durchführen. Doch ob deren Arbeit jeglichem medizinischen, neurologischen und psychologischen Wissen entspricht, kann ich nicht ermessen.

Es geht nicht um Recht und Unrecht haben

Diese Frage halte ich auch gar nicht für den entscheidenden Punkt in der Debatte. Hier stehen vielmehr zwei staatlich garantierte Grundrechte in elementarem Konflikt. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (und in geringerem Maße das der freien Wissenschaft) kollidiert mit der unantastbaren Würde des Menschen. Es ist völlig natürlich und gerechtfertigt, dass sich Schwule und Lesben in ihrer Identität gekränkt fühlen, wenn auch nur von einer Veränderbarkeit ihrer sexuellen Orientierung gesprochen wird. Homosexualität ist keine ungesunde Lebensweise oder eine schlechte Angewohnheit, sondern Teil ihres innersten Ichs. Die Kränkung wird dabei keineswegs abgemildert, wenn man die sexuelle Umorientierung nur einigen Wenigen, die dies ausdrücklich selbst wünschen, angedeihen lässt.

Es ist also nur rechtmäßig, wenn sich Lesben- und Schwulenverbände, Menschenrechtler und Politiker, Journalisten und Bürgerinnen und Bürger gegen eine solche Diskriminierung aussprechen. Aber wie weit darf der Protest gehen? Schließlich haben die Vertreter solcher Meinungen auch ein Recht, ihre Meinung frei zu äußern und so viele Kongresse zu veranstalten, wie sie gerne möchten. Der Staat darf sie daran nicht nur nicht hindern, sondern er ist vielmehr verpflichtet, sie bei der Ausübung ihrer Rechte zu schützen – mag es nun dem Einzelnen gefallen, oder nicht.

Darf der Staat unterstützen?

Dennoch muss sich der Staat fragen lassen, ob er solche Veranstaltungen unterstützen sollte. Ist es Aufgabe und wünschenswertes Anliegen der Stadt Marburg, dem Kongress Tagungsräume zur Verfügung zu stellen? Ähnliche Fragestellungen tauchten bei der letztjährigen Streitfrage des „Christivals“ auf, bei dem Bundesministerin von der Leyen die Schirmherrschaft übernommen hatte. Mit seiner finanziellen, ideellen oder infrastrukturellen Unterstützung hat der Staat auch die Pflicht, gemeinschaftsfördernd und verbindend zu wirken. Das Fördern von Meinungen, die er als problematisch ansieht, gehört dagegen nicht zu seinen Aufgaben. (Mehr zur Meinung der expliziten Bundesregierung weiter unten in der Linkliste)

Kritik muss Rechte beachten

Die protestführenden Gruppen, Institutionen und Personen wären im Interesse ihres Anliegens gut beraten, notwendige Grenzen ihrer Empörung einzuhalten und nicht in die Rechte ihrer Gegenüber einzugreifen. Viel zu groß ist sonst die Gefahr, dass ihre eigene Kritik damit angreifbar wird. Die Debatte hat im Verlauf der vergangenen Monate mehr als einmal gezeigt, dass diese Grenzen von beiden Seiten überschritten wurden. Geholfen haben sie damit niemandem.

Linkliste:

  • Eigentlich geht es auf dem 6. Internationaler Kongress für Psychotherapie und Seelsorge um „Identität – Der rote Faden in meinem Leben“, nicht um Homosexualität.
  • Volker Beck fühlt sich als Christ angewidert von einer „pharisäerhaften Selbstgefälligkeit dieser Homoheilungsapologeten). Die Veranstalter setzten sich immerhin der Gefahr aus, mit den Meinungen mancher ihrer Referenten identifiziert zu werden, selbst wenn sie diese nicht teilten. Außerdem weist er zu Recht darauf hin, dass auch diese vermeintlich hilfreichen Therapien große Gefahren für Menschen haben können.
  • Die Bundesregierung hält in einer Stellungnahme im Frühjahr 2008 fest: „Die Bundesregierung vertritt weder die Auffassung, dass Homosexualität einer Therapie bedarf, noch dass Homosexualität einer Therapie zugänglich ist.Homosexualität wird seit über 20 Jahren von der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftler aus Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie nicht als psychische Erkrankung angesehen. Dementsprechend wurde die Homosexualität bereits im Jahre 1974 von der amerikanischen Psychiatervereinigung (APA) aus ihrem Diagnoseklassifikationssystem „Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen“ (DSM) und im Jahre 1992 aus dem Diagnosekatalog der Weltgesundheitsorganisation (Internationale Klassifikation der Krankheiten, ICD) gestrichen. In der psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachwelt hat sich seither die Position durchgesetzt, dass die früher weit verbreitete psychoanalytische Auffassung von Homosexualität als pathologisch zu beurteilender Störung der psychosexuellen Entwicklung durch empirische Daten nicht gestützt wird.Die vor allem in den 60er und 70er Jahren häufig angebotenen so genannten „Konversions“- oder „Reparations“-Therapien, die auf eine Änderung von gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten oder der homosexuellen Orientierung abzielten, werden heute in der Fachwelt weitestgehend abgelehnt. Dies gründet sich auf die Ergebnisse neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen, nach denen bei der Mehrzahl der so therapierten Personen negative und schädliche Effekte (z. B. Ängste, soziale Isolation, Depressionen bis hin zu Suizidalität) auftraten und die versprochenen Aussichten auf „Heilung“ enttäuscht wurden.Für therapeutische Hilfen aus dem Bereich der so genannten affirmativen Therapien konnte dagegen ein Nutzen im Sinne einer geringeren Anfälligkeit bezüglich psychischer Erkrankungen nachgewiesen werden. Bei diesem Ansatz geht es um die unterstützende therapeutische Begleitung der Entwicklung der sexuellen Identität, die Integration der sexuellen Orientierung in das Selbstbild und die Stärkung des Selbstwertgefühls des Klienten.Wenn so genannte Konversionstherapien durch Organisationen oder Gruppierungen angeboten und beworben werden, so können hier unterschiedliche, meist religiöse oder weltanschauliche Motive eine Rolle spielen, die sich einem empirisch-wissenschaftlichen Ansatz entziehen.“
  • Mit breiter Unterstützung wehrt sich eine Initiative „Für Freiheit und Selbstbestimmung“ gegen die Proteste gegen den Marburger Kongress. Niemand bestreite die Würde homosexueller Menschen, dennoch sei Homosexualität mit einem hohen Risiko psychischer und physischer Erkrankungen verbunden und daher müsste auch suchenden Hilfe angeboten werden. Leider gehen die Verfasser nicht weiter darauf ein, dass eine immer noch viel zu oft diskriminierte Minderheit, die an einem natürlichen und freien Ausleben ihrer Identität gehindert wird, rein logisch nicht die gleichen Risikofaktoren für Krankheiten haben kann, die auch durch gesellschaftlichen Druck entstehen können.
  • Der AStA und das StuPa der Universität Trier fordern die Veranstalter, die Universität und die Stadt Marburg auf, sich deutlich von homophoben Positionen zu distanzieren und die entsprechenden Personen auszuladen. Sie zitieren Rosa von Praunheim: „Nicht der (die) Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er (sie) lebt.“

Bild: flickr Señor Bohnke