Piratenfahne über dem Reichstag

Unaufhaltsam scheint er zu sein, der Erfolg der Piratenpartei. Vor zwei Wochen zog ein schwedischer Pirat in das Europaparlament ein, dank eines Wahlergebnisses von 7,1% für die vermeintlich hoffnungslose Kleinstpartei. Die Piratenpartei ist in Schweden mittlerweile die drittgrößte Partei – dabei wurde sie erst 2006 gegründet. Ihre Geschichte ist nicht zu trennen von der Tauschbörse Pirate Bay und der großen Debatte über Rechte und Freiheiten im Internet, die dadurch in Schweden entstand.

3643464463_37c94249a4Mehr Aufmerksamkeit werden die Piraten nun aber auch in Deutschland bekommen, denn seit gestern haben sie einen eigenen Abgeordneten im Bundestag. 100 Tage vor der Bundestagswahl tritt der SPD-Medienexperte Jörg Tauss aus seiner sozialdemokratischen Heimatspartei aus und wechselt zur Piratenpartei.

Tauss verlässt SPD wegen Netzpolitik

Tauss ist seit 1994 Mitglied des Bundestages und zog seitdem immer über die Landesliste Baden-Württemberg ein. Er war Medienbeauftrager der SPD-Bundestagsfraktion, Sprecher der Franktionsarbeitsgruppe Bildung und Forschung und Mitglied des Fraktionsvorstandes. Nicht zuletzt als Obmann der SPD im Unterausschuss „Neue Medien“ hat sich Jörg Tauss einiges Renommee in Sachen Medien und Internet erworben. Seinen Austritt begründete er auf seiner Internetseite:

Auf dem Feld der Innen- , Rechts- und Internetpolitik gibt es in der SPD jedoch eine schlimme Fehlentwicklung. Schleichend begonnen hat es bereits vor etlichen Jahren mit den Sperrverfügungen in Nordrhein- Westfalen. Den vorläufigen Höhepunkt hat diese bedrohliche Entwicklung jedoch vorgestern in der Zustimmung zu einem Gesetz gefunden, mit dessen Hilfe CDU und CSU eine staatliche Zensurinfrastruktur errichten werden. Stück für Stück hat sich die SPD von einer Bürgerrechtspartei, die mutig für Freiheit und Recht kämpft, zu einer Steigbügelhalterin der Union entwickelt, die ohne ein Zögern gewillt ist, eine sicherheitspolitische Aufrüstung ohne Ende zu befördern.

In einer einseitigen Sicht auf die „Innere Sicherheit“ werden Bedrohungen und Bekämpfungsstrategien isoliert betrachtet. Handlungsoptionen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen würden, werden noch nicht einmal mehr ernsthaft untersucht. Ein ernsthafter Dialog mit kritischen Bürgern findet nicht statt. Gegenüber Experten zeigt man sich beratungsresistent.

Für mich ist das die Ursache einer staatlichen Beschränkung von Freiheit ohne Augenmaß: Die Auslandskopfüberwachung, die Vorratsdatenspeicherung, die Onlinedurchsuchung, das BSI- und das BKA- Gesetz und nicht zuletzt die Internet- Sperre, das sind nur die bekannteren Beispiele dieser gefährlichen Entwicklung! Immer lauter ertönt der so dumme wie polemische Schlachtruf, wonach das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfte. Doch dieses war es nie. Das Internet wird so aber immer mehr zum bürgerrechtsfreien Raum! Dieses müssen wir stoppen.

Das Abstimmungsverhalten der SPD- Bundestagsfraktion beim sogenannten „Zugangserschwerungsgesetz“ ist für mich nur der letzte Beleg dafür, dass heute weder Internetexperten noch Bürgerrechtler ausreichendes Gehör im Parlament finden. Opposition gegen immer neue Beschränkungen von Freiheit wird in Deutschland inzwischen marginalisiert, in meinem Fall sogar beinahe als kriminell erachtet.

Piraten = SPD plus Medienkompetenz

Zum ersten Mal gibt es im Bundestag eine Partei, die ihre Positionen auf einen kleinen, aber überzeugt vertretenen Kernbereich konzentrieren. Und so ist es faszinierend, dass Jörg Tauss sich eigentlich nur im Bereich des Piraten-Programms von seiner Partei verabschiedet hat. Die für ihn skandalösen Entwicklungen seiner Partei haben ihn offensichtlich nicht dazu gebracht, der Sozialdemokratie abzuschwören. Über seiner Mitteilung zum Austritt steht: „Ich bin und ich bleibe Sozialdemokrat – und werde deshalb ein Pirat“.

In der laufenden Legislaturperiode wird das nicht mehr viele Auswirkungen haben. Eine Sitzung steht regulär noch an, am 3. Juni Juli soll unter anderem auch über Datenschutz zu reden sein. Wenn es das Bundestagsprotkoll hergibt, wird Tauss sich dort vermutlich für die Piraten zu Wort melden. Das Modell aber, das Tauss durch seinen Aus- und Eintritt eingeführt hat, könnte die Zukunft von kleinen Interessenparteien sein. Indem sich Tauss weiterhin ausdrücklich als Sozialdemokraten bezeichnet, hält er einen Nähe zur SPD, die weit über eine befreundete Partei hinaus geht. Er dockt sich bildhaft gesprochen an die SPD an und fährt in den meisten Situationen mit dem sozialdemokratischen Dampfer über den Ozean. In besonderen Fragen, die die Interessen seiner „Piraten“ betreffen, wird einer ihrer Abgeordneten (wer weiß, ob es einen geben wird) nicht nur seinen Einfluss auf das „Mutterschiff“ SPD einsetzen, sondern auch mit seiner eigenen Stimme ein Korrektiv bilden.

Stimme für Piraten nicht verloren

Somit wäre eine Stimme für die Piratenpartei keine verlorene Stimme mehr für alle, die bisher eher sozialdemokratisch gewählt haben. Sie würden lediglich eine „SPD plus Medienkompetenz“ wählen, wenn sie ihr Kreuz bei den Piraten machen. In allen anderen Bereichen unterstützten sie ja weiterhin eigentliche SPD-Politik. Wenn die Piratenpartei sich 1. diesen Gedanken von Tauss zu eigene macht und es 2. schafft, das richtig zu vermitteln – dann wird die SPD in großem Stil Stimmen an die Piraten verlieren. Klas Roggenkamp wettete jüngst auf ein Wahlergebnis von 3% für die Parteien bei der kommenden Bundestagswahl. Vielleicht hat er zu niedrig gegriffen.

Wie auch immer sich die Piratenpartei in den nächsten Wochen entwickelt, ob Tauss eventuell sogar um ein Direktmandat kämpfen wird oder eine Landesliste anführt. In jedem Falle steigt die Popularität, die Jörg Tauss in der Netzgemeinde genießt, von Tag zu Tag. Bei wahl.de ist er Big Mover, kann also den größten Zuwachs an Online-Unterstützern vorweisen. Vermutlich wird dann bald als sein Landesverband nicht mehr die SPD Baden-Württemberg zu sehen sein, sondern die Piratenpartei.

Bild: Das Foto steht unter CC-Lizenz und ist bei Nennung meines Twitter-Pseudonyms @opyh frei verwendbar.

Ein Bürger des freien Internets

kennedyAls John F. Kennedy im Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg anlässlich des 15. Jubiläums der Luftbrücke seine Ansprache an die Berliner hielt, sprach er einen Satz aus, der zu weltweiter Berühmtheit gelangte.

„Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz ‚Ich bin ein Bürger Roms‘. Heute, in der Welt der Freiheit, ist der stolzeste Satz ‚Ich bin ein Berliner‘.“

Für ihn stand also Berlin wahrhaft sinnbildlich für das Streben der Menschen nach Freiheit. Wie die Berliner und die Deutschen im Allgemeinen unter der erzwungenen Trennung ihrer Nation litten und sich nach Freiheit sehnten, so sollte sich jeder freiheitsliebende Bürger der Welt mit ihnen solidarisieren.

In heutigen Zeiten steht Berlin aus der Sicht der Internetnutzer nicht mehr für die Freiheit, die der US-Präsident in dieser Stadt gerne gesehen hätte. Mag der Vergleich von politischem Autonomiebedürfnis und dem Angriff auf die Informationsfreiheit des Internets auch etwas konstruiert wirken,dennoch sei es erlaubt, die Frage zu stellen. Ob Deutschland das Signal wirklich aussenden möchte, das eine Verabschiedung der Gesetzesänderung bewirken würde. Soll es Deutschland sein, das eine Zensur des freien Informationsraums Internet herbeiführen möchte und sich damit in eine Tradition mit zweifelhaft freiheitlichen Staaten wie China stellt, bei denen Internetzensur die Entwicklung moderner Informationskultur behindert? Viele Internetnutzer sehen die von der Bundesregierung geplante Änderung des Telemediendienstgesetzes auch als bedrohliche Einschränkung ihrer Freiheit.

„Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“, unter diesem Titel möchte die Bundesregierung eine vom Bundeskriminalamt betrieben Sperrliste für Internetseiten erstellen, die in Kooperation mit Internetanbietern wirksam gemacht werden soll. Selbst wenn man die zahlreichen Lücken und Probleme des Gesetzesentwurfs vernachlässigt, die über die wackelige Definition von Kinderpornografie bis hin zu einer äußerst unrealistischen technischen Wirksamkeit reichen, bleibt doch der fatale Vorwurf der Zensur weiterhin bestehen.

Aus anderen Ländern, die von der Bundesregierung als erfolgreiche Verwender und damit Vorbilder im Betrieb solcher Zensurlisten genannt werden, ist bekannt, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der gesperrten Internetseiten tatsächlich kinderpornografischen Inhalt aufweisen. Auf netzpolitik.org verweist Lutz Donnerhacke auf eine finnische Studie zu den dortigen Sperrlisten mit beunruhigendem Ergebnis: „85% der gesperrten Seiten haben nichts mit Kinderpornografie zu tun, 5% enthalten Material mit minderjährigen Models, 2% enthalten wenige kinderpornografische Darstellungen oder Links zu derartigen Darstellungen, ganze 9 Seiten also weniger als 1% enthalten illegale kinderpornografische Inhalte, der Rest 8% nicht mehr existent.“ Diese erwähnten 85% der gesperrten Seiten sind also vollkommen unrechtmäßig von der Regierung gesperrte Seiten, die keinerlei mit der Sperre zusammenhängenden Strafbestand erfüllen. Es scheint hier nicht besonders abwegig, schlicht von Zensur zu sprechen.

Es wäre ein falsches Signal aus Deutschland in die Welt, wenn man mit einem so tragischen und schwierigen Thema ein handwerklich wie politisch fragwürdiges Vorgehen begründen wollte. Berlin sollte nicht die Stadt sein, von der aus Zensur weiter in die westliche Welt getragen wird. Berlin sollte die Stadt sein, die sich klar gegen Internetpornographie stellt, wenn man sie mit den bereits bestehenden Mitteln zur Strafverfolgung bekämpft. Und Berlin sollte die Stadt sein, die ein klares Zeichen für die Freiheit der Information im weltweiten Netz aussendet.

Damit am Ende alle Internetnutzer stolz sein können, Bürger des freien Internets sein zu können. Auch die Berliner.

Bildquelle: John F. Kennedy bei seiner Rede in Berlin, wikimedia commons.

Online-Petition gegen Netzzensur

Auch wir rufen an dieser Stelle alle Leser auf, die Online-Petition gegen die von der Bundesregierung geplante Internetzensur zu unterzeichnen. Noch fehlen mehr als die Hälfte der nötigen Unterschriften.

Text der Petition

Wir fordern, daß der Deutsche Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes nach dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22.4.09 ablehnt. Wir halten das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar, da die “Sperrlisten” weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit.

Begründung

Das vornehmliche Ziel – Kinder zu schützen und sowohl ihren Mißbrauch, als auch die Verbreitung von Kinderpornografie, zu verhindern stellen wir dabei absolut nicht in Frage – im Gegenteil, es ist in unser aller Interesse. Dass die im Vorhaben vorgesehenen Maßnahmen dafür denkbar ungeeignet sind, wurde an vielen Stellen offengelegt und von Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen mehrfach bestätigt. Eine Sperrung von Internetseiten hat so gut wie keinen nachweisbaren Einfluß auf die körperliche und seelische Unversehrtheit mißbrauchter Kinder.

Nochmal der Link zum Unterzeichnen: Petition: Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten vom 22.04.2009. Bei Twitter könnt ihr den Stand der Sammlung ganz einfach mitlesen.