Erster Blick auf das Netzwerk-Barometer

Eine Woche ist es nur noch hin bis zum Wahltermin in Nordrhein-Westfalen. Und tatsächlich hat der Wahlkampf noch gewaltig Fahrt aufgenommen. Innerhalb einer Woche trafen zuerst die beiden Spitzenkandidaten Kraft und Rüttgers im TV-Duell aufeinander und mussten sich danach in einer Fünferrunde in der Wahlarena behaupten. Die CDU taumelt in Nordrhein-Westfalen in einer kaum zu glaubenden Art aus einer Affäre in die nächste und die SPD-Chefin provoziert immer deutlichere Erinnerungen an eine Frau aus Hessen. Wie haben sich die letzten Wochen auf die Unterstützerzahlen in den sozialen Netzwerken ausgewirkt und welche Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen?

Die Ausgangslage vom 22. Februar fassten wir unter der Überschrift „Rüttgers und Facebook an der Spitze“ zusammen. Diese Diagnose kann man auch kurz vor dem Wahlkampfabschluss so stehen lassen. Es ist klar, dass sich die Kampagnen von CDU, SPD und Grünen auf Facebook konzentiert haben und mit dieser Entscheidung richtig lagen. Die großen Interaktionsmöglichkeiten heben Facebook aus der Gruppe der sozialen Netzwerke in Deutschland hervor. Facebook wird, vor allem in der politischen Nutzung, die Mitbewerber von der VZ-Gruppe und den eher lokal basierten wer-kennt-wen.de und anderen klar verdrängen.

Beim Duell der Spitzenkandidaten zeigt sich in den Sozialen Netzwerken etwas weniger Bewegung als in den Umfragen der Meinungsforscher, doch in der Tendenz stimmen sie überein: Hannelore Kraft holt deutlich gegenüber Jürgen Rüttgers auf. Während das ZDF-Politbarometer bereits ein erfolgreiches Überholen Krafts vermeldet, fehlt in den Sozialen Netzwerken aber noch ein wenig dazu. Ohnehin wird das Rennen nur auf Facebook ausgetragen, da Hannelore Kraft auf der meinVZ-Plattform kaum Unterstützer sammeln konnte.

Interessant ist auch, dass die grüne Spitzenfrau Sylvia Löhrmann ihre gute Startposition nicht hat nutzen können. Am Ausgangspunkt mit 1222 Unterstützern bei Facebook gestartet, kann sie jetzt kurz vor dem Wahltermin nur 1544 Unterstützer vorweisen. Ja, tatsächlich verliert sie seit einem Monat wieder Freunde – wenn auch in geringem Maße. Blickt man auf den hohen Ausgangswert für Löhrmann, scheint sich abzuzeichnen, dass die Grünen im Netz bereits so stark verwurzelt sind, dass sie nur noch ein vergleichsweise geringes Mobilisierungspotenzial haben.

Als letzte Bemerkung sei noch auf die konsequente Abstinenz des FDP-Spitzenkandidaten Andreas Pinkwart hingewiesen. Auch kurz vor der Wahl ist man bei der FDP nicht der Versuchung erlegen, noch hastig ein Facebook-Profil zu eröffnen. Immerhin  konnte man damit einen seltsamen Eindruck vermeiden, wie er beim Besuch des Profils der linken Spitzenkandidatin Bärbel Beuermann entsteht. Bei den Liberalen scheint das Motto gewesen zu sein: Lieber gar kein Profil als ein so schlecht gepflegtes.

Versteckt eure Wahlprogramme

Am vergangenen Samstag hat mit der CDU auch die letzte der großen Parteien ihr Wahlprogramm für den Urnengang am 9. Mai beschlossen. Eigentlich wollten wir daher einen Blick auf die Inhalte der Agenden werfen. Doch auf dem Weg dorthin legen die Parteien ihren Bürgern so viele Steine in den Weg, dass dieser Artikel etwas anders aussehen muss. Wir geben die Wegbeschreibung, die die Parteien verweigern.

CDU mit kleinen Hinweisen

Als Nachzügler muss man den Konservativen wohl einen gewissen zeitlichen Bonus einrechnen. Doch ist es ja nicht so, dass man das Wahlprogramm noch gar nicht online gestellt hat. Man findet es nur nicht, wenn man sich auf www.cdu-nrw.de aufruft. Wenn man nicht unbedingt mit den parteiinternen Abläufen vertraut ist, wird man jedenfalls nicht das Wahlprogramm hinter dem großen Banner Nr. 3, auf dem der Landesparteitag präsentiert wird. Klickt man jedoch darauf, dann findet sich neben einer ellenlangen Presseerklärung ein kleiner Hinweis auf den „Beschluss des 31. Landesparteitags „Neue Sicherheit und Solidarität – Nordrhein-Westfalen 2020“ zum Download“ – auch bekannt als: das Wahlprogramm. Übrigens findet sich auch auf dem Unterstützernetzwerk „NRW für Rüttgers“, das einen umfassenden Live-Blog vom Landesparteitag führte, kein Link zum Wahlprogramm.

Linke ersetzt Wahlprogramm

Im Gegensatz zur CDU kann man vielleicht der LINKEN eine Absicht unterstellen. Schließlich hat man mit dem Dringlichkeitsprogramm das so kontrovers aufgenommene (und möglicherweise gar nicht so brisante) Wahlprogramm quasi aktualisiert, viele würden sagen: abgeschwächt. Zu finden ist das alte und immer noch gültige (?) Wahlprogramm auf den eigenen Servern. (Nach einem Link von Iris Bleyer)

Sozialliberale PDF

Bei der FDP lässt sich das Programm schon leichter auffinden. Auf der Startseite gibt es einen Button zur Landtagswahl, wo an erster Stelle über die bemerkenswerte Dialogsuche der FDP beim Schreiben des Programms berichtet wird. Auch ein Link zum Wahlprogramm selbst findet sich leicht. Zu mehr als einer PDF-Variante hat es, wie bei CDU und der LINKEN allerdings nicht gereicht.

Eine Tendenz, der sich die SPD gleich anschließt. Auch hier findet man leicht den Weg zum Wahlprogramm, in der riesigen und schick gemachten Bilderbühne auf der Startseite im Moment auf Rang 3 von 4. Hier verlinkt man nichtmal mehr auf eine Zwischenseite (die es mit etwas Suche auch gibt), sondern gleich auf die PDF. Man könnte die Wähler geschickter informieren.

Grüne zeigen, wie es geht

Fast schon verwundert registriert man nach so viel Lieblosigkeit die Programmseite der Grünen. Hier hat man richtig tief in die Trickkiste gegriffen. Über einen Link auf der Startseite kommt man zum „Grünen Zukunftsplan„, den man sich entweder als Kurzprogramm in „12 Gründe für Grün“ ansehen kann oder gleich mit seinen persönlichen Überzeugungen vergleichen – „Was sind deine Gründe?“ als Mitmach-Test. Es lässt sich ein Blick zurück auf den Programmparteitag werfen, denn die Eindrücke des Live-Blogs wurden festgehalten und zugänglich gemacht. Das Wahlprogramm selbst kann man nicht nur als PDF herunterladen, sondern auch barrierefrei direkt auf der Internetseite durchlesen. Sogar eine Wortwolke des Programms haben die Grünen eingebunden.

Mein persönliches Highlight aber sind die „Stimmen zum Programm“. Nach Verabschiedung des Wahlprogramms haben die Grünen auf dem Parteitag vertretene NGOs wie „Mehr Demokratie e.V.“ und den NABU um eine Stellungnahme gebeten. Und wer würde nicht gern solche Videos einbinden, wenn die Überschriften lauten: „Die Grünen haben alles richtig gemacht„, „So würden wir es auch machen„.

Piraten ganz stilecht

Am Rande sei noch erwähnt, dass das Programm der Piraten natürlich im parteieigenen Wiki zu finden ist. Aber auch wirklich nur dort.

Netzwerk-Barometer Nordrhein-Westfalen

Schon seit dem 8. Februar sammeln wir fleißig Daten, heute aber startet das Netzwerk-Barometer erst richtig. In den vergangenen zwei Wochen haben wir erste Eindrücke gewinnen können, wie die Sozialen Netzwerke im Landtagswahlkampf 2010 um den Düsseldorfer Landtag eingesetzt werden und welcher Kandidat auf besonders viele Unterstützer stoßen kann. Als Einstieg wollen wir kurz darstellen, in welcher Situation wir uns wiederfinden.

Nach dem Bundestagswahlkampf 2009 haben sich Soziale Netzwerke als Online-Verlängerung von Bürgerkontakten eine solide Basis in der politischen Landschaft gesichert. Während noch im Frühjahr beim hessischen Landtagswahlkampf ein gewisses Fremdeln der Politik mit den neuen Werkzeugen zu spüren war, werben heute die Kandidaten in Nordrhein-Westfalen ungewohnt offensiv schon auf den Startseiten ihrer Internetauftritte damit, auch in den wichtigen Sozialen Netzwerken mit einem Profil vertreten zu sein.


Datenbasis

Rüttgers und Facebook an der Spitze

Jürgen Rüttgers als amtierender CDU-Ministerpräsident steht deutlich an der Spitze der Netzwerker. Die meisten Unterstützer sammelt er auf Facebook, doch auch sein Profil bei meinVZ hat eine ganze Reihe Fans und sichert ihn zum Auftakt des Rennens die Favoritenrolle. Seine Herausforderin Hannelore Kraft setzt ebenfalls auf das amerikanisch-stämmige Netzwerk Facebook, bleibt aber auf Distanz zu beiden Rüttgers-Profilen. Bemerkenswert ist, wie dicht auf die SPD-Kandidatin schon Sylvia Löhrmann von den Grünen folgt. Das drüfte ein interessantes Rennen über die nächsten 10 Wochen werden. Schon jetzt spekuliert man fleißig über die wichtige Rolle der Grünen bei der Regierungsbildung im Frühsommer. Vielleicht reicht es ja auch in den Sozialen Netzwerken für einen Verfolgerplatz hinter Rüttgers – und vor Kraft.

Abgeschlagen finden sich am Ende die Profile von Hannelore Kraft bei meinVZ, das damit insgesamt deutlich an Bedeutung einbüßt, und von Bärbel Beuermann bei Facebook. So beiläufig, wie die Linken-Spitzenkandidatin ihr Profil dort einsetzt und auch insgesamt kein großes Aufheben um ihre Person macht, scheint hier wenig Dynamik in Sicht.

Ab dem 8. Februar werden wir also weiterhin Daten sammeln und wöchentlich unsere Auswertung aktualisieren. Ein stets aktueller Überblick findet sich auf der eigenen Seit des Netzwerk-Barometers für Nordrhein-Westfalen.

Landtagswahl in NRW

Nachdem das Jahr 2009 dem Namen eines Superwahljahres alle Ehre machte wird es 2010 nur eine einzige Wahl von Bundesrelevanz geben. Einzig und alleine in Nordrhein-Westfalen wird am 09. Mai 2010 der Landtag neu gewählt. Der amitierende Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) wird gegen SPD-Spitzenkandidatin Hanelore Kraft in den Wahlkampf ziehen.

Grund genug für uns, den kommenden Wahlkampf in altbekannter Manier genauer unter die Lupe zu nehmen. In den kommenden Wochen wollen wir uns insbesondere auf die Webaktivitäten der Parteien und Kandidaten konzentrieren. Doch zunächst lohnt sich erst einmal ein kurzer allgemeiner Blick auf das Land Nordrhein-Westfalen. Was sind die nordrhein-westfälischen Besonderheiten?


Quelle: Wikimedia

Nordrhein-Westfalen ist mit rund 18 Millionen Einwohnern das bevölerungsreichste und mit 34.080 km² gleichzeitig das viertgrößte deutsche Bundesland. Das Bundesland weist mit der Region Rhein-Ruhr eines der größten Metropolregionen der Welt auf.

Seit 2005 regiert in Nordrhein-Westfalen eine Koaltion aus CDU und FDP unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und seinem Stellvertreter Andreas Pinkwart (FDP), dem derzeitigen Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Übersicht des Kabinetts). Der Landtag wird in NRW alle fünf Jahre nach der personalisierten Verhältniswahl gewählt, bei dem der Mehrheitswahlaspekt dominiert.

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Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Nrw

Stimmverteilung


Quelle: Landeswahlleiterin NRW

Wahlbeteiligung


Quelle: Landeswahlleiterin NRW


Bildnachweis: Wikimedia

Ein schlechtes Jahr für die SPD

2008 war nun wirklich nicht das Jahr der Sozialdemokraten. Dabei war man so zuversichtlich in das Wahljahr gestartet. Schließlich begann Roland Koch sich gerade durch die Debatte um straffällige Jugendliche selbst zu demontieren und die SPD-Spitzenkandidatin erlebte einen nicht erwarteten Sympathieaufschwung. 50 Prozent aller Hessen wünschten sich Anfang des Jahres Andrea Ypsilanti als neue Ministerpräsidentin, nur 33 Prozent hätten lieber Roland Koch wieder im Amt gesehen. Doch der erste Dämpfer ließ nicht lange auf sich warten.

Wolfgang Clement, der ehemalige Superminister der Ära Schröder, stellte in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag Andrea Ypsilanti auf Grund ihrer Klima- und Energiepolitik als nicht wählbar dar und spielte damit Roland Koch einen indirekte Steilvorlage. Clement selbst gehört seit 2006 dem Aufsichtsrat der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power AG an. Die hessische SPD-Basis forderte daraufhin empört den Parteiausschluss Clements.

Trotz all dem schaffte es die hessische SPD Roland Koch und seiner CDU einen starken Stimmenverlust zu zufügen und so lag die SPD am Ende fast gleich auf mit der CDU. Der Einzug der Linken in den Landtag und das für die anderen Parteien schmerzhafte Erwachen in einem Fünfparteiensystem führte jedoch dazu, dass kein einfaches Bündnis der Farbcoloration schwarz-gelb oder rot-grün zustanden kam.

Wahlniederlage in Niedersachsen

Taggleich erlebten die Sozialdemokraten einer bitteren Wahlniederlage in Niedersachsen. Der amtierende Ministerpräsident Christian Wulff erreichte 42,5 Prozent und konnte, trotz des Einzuges der Linken, zusammen mit der FDP die Mehrheit stellen. Die SPD konnte nur 30,3 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. In dem niedersächsischen Wahlkampf schaffte es die SPD kaum, an prominenter Stelle aufzufallen. Viele Wähler kannten den SPD-Spitzenkandiaten Wolfgang Jüttner auch im Wahlkampf einfach nicht.

Regierungsbildung in Hessen?

In Hessen gestaltete sich die Regierungsbildung derweil als besonders schwierig. Andrea Ypsilanti hatte im Wahlkampf – und zu ihrem späteren Bedauern, noch in der Elefantenrunde am Wahlabend – beteuert, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei jeglicher Art kategorisch abzulehnen. Doch als sich zeigte, dass keine andere Möglichkeit mehr offen stehen würde, musste Ypsilanti sich entscheiden zwischen den beiden Möglichkeiten. Neuwahl oder doch das Wagnis einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei.

Am Ende hoffte man in einer rot-grüne Minderheitsregierung unter Duldung und Unterstützung der Linkspartei die Lösung gefunden zu haben. Diesen Plan machten relativ schnell die eigenen Abgeordneten und in diesem Zusammenhang damals vor allem die Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger zu Nichte.

Verlust des Koalitionspartners in Hamburg

Doch auch anderswo in Deutschland sah es nicht besser für die Sozialdemokraten aus. Denn in Hamburg zeichnete sich nach der Bürgerschaftswahl und der Wahlniederlage der SPD der Verlust des potentiellen Koaltionspartners und das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene ab. Und während man auf Seiten der Hamburger SPD noch erzürnt hoffte, dass ein solches Bündnis auf Grund mehrerer inhaltlicher Knackpunkte noch während den Koalitionsverhandlungen scheitert, kam die Zusammenarbeit schneller zustande als die meisten Beobachter erwartet hatten. Für die SPD schmerzhaft kam dabei hinzu, dass auch in anderen Bundesländern die Rufe nach dem Ende eines automatisierten Bündnisses zwischen Grünen und SPD bei den Mitgliedern der Grünen lauter wurden und Jamaika und Schwarz-Grün nicht mehr überall für völlig utopisch gehalten wurden.

Rücktritt von Kurt Beck

Kurt Beck, damaliger SPD-Bundesvorsitzender, machte in all dieser Zeit eine eher unglückliche Figur und schaffte es auch nicht eine Ordnung in die Debatte um die politische Situation in Hessen zu bringen. Ypsilanti wertete dies als Persilticket für das von ihr geplante rot-rot-grüne Bündnis.
Nach massivem öffentlichem und innerparteilichem Protest, aber vor allem auch unter Einfluss der Medien trat Kurt Beck dann am 7. September 2008 von seinem Amt als Parteivorsitzender der SPD zurück. Seinen Posten übernahm der ehemalige Parteivorsitzende Franz Müntefering, der mit seinem Comeback für viele der einzige SPD-Lichtblick in diesem Jahr darstellte.

„Wortbruchdebatte“ in Hessen

Nach dem ersten Scheitern der Wiesbadener Regierungsbildung startete Andrea Ypsilanti nach der Sommerpause einen erneuten Anlauf für eine rot-grüne Minderheitsregierung. Im Rahmen einer Reihe von Regionalversammlungen wurde die Basis auf das Bündnis eingestimmt und nahm wieder langsam an Fahrt auf.

Diese Zeit wurde vor allem von der so genannten „Wortbruchdebatte“ dominiert. Die, zum Schrecken der Bundespartei, auch vor den hessischen Landesgrenzen nicht halt machte. So hielten im Deutschlandtrend der ARD im November 2008 59 Prozent der Wähler die Aussage „SPD und Linkspartei arbeiten nach der Bundestagswahl“ für nicht glaubwürdig. Damit erreichte der Schaden nicht mehr nur die hessische SPD sondern war auch bundesweit angekommen.

Zweiter Versuch der Regierungsbildung in Hessen

Die hessische SPD ging trotzdem weiter ihren Weg und schaffte es, einen Koalitionsvertrag mit den Grünen auf die Beine zu stellen. An diesem Papier war sehr deutlich zu erkennen, in welcher Position sich die SPD befand. In den Bereichen Schul- und Umweltpolitik waren teilweise fast wortwörtliche Auszüge aus dem Landtagswahlprogramm der Grünen wieder zu finden, die SPD also viele Zugeständnisse machte. Doch noch immer war die eigene Fraktion uneinig. In den Medien wurde teilweise gar von der abstrusen Idee berichtet, dass SPD-Abgeordnete den Wahlakt zur Ministerpräsidentenwahl Anfang November mit den Digitalkameras ihrer Mobiltelefone in der Wahlkabine dokumentieren sollen, um somit Druck auf mögliche Abweichler auszuüben. Doch soweit ließen es die vier in die Öffentlichkeit getretenen „Abweichler“ erst gar nicht kommen. Trotz der eindeutigen Entscheidungen auf den Parteitagen von SPD (95 Prozent Zustimmung) und Grünen (98 Prozent Zustimmung), entdeckten diese am Tag vor der Wahl ihr Gewissen.

Ende des „Experiments Ypsilanti“

Damit war das „Experiment Ypsilanti“ gescheitert und die Regierungsbildung an ihrem endgültigen Ende. Nach dem sich die anderen Parteien relativ schnell auf Neuwahlen geeinigt hatten, musste auch die SPD sich dem Druck beugen. Die Abgeordneten sahen sich gezwungen, den Landtag am 18. November 2008 aufzulösen. Andrea Ypsilanti gab frustriert auf, als Nachfolger wurde der bis dahin weitgehend unbekannte Abgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel aus Gießen benannt.

Wolfgang Clement tritt aus der SPD aus

Die  nächste negative Schlagzeile lies nicht lange auf sich warten. Der Fall Wolfgang Clement wurde erneut aufgegriffen. Die SPD-Führung hatte in Berlin am 24. November 2008 das Verfahren mit einer Rüge durch das Parteischiedsgericht abgeschlossen und sah damit von einem Parteiausschluss ab. Clement unterdessen reichte die Rüge aus, um der SPD endgültig den Rücken zu kehren und öffentlichkeitswirksam am Folgetag aus der Partei auszutreten. Als einen Grund für den Austritt nannte er auch eine mangelnde Abgrenzung der SPD zur Linkspartei.

Die aktuelle Situation

Auch die letzten Sonntagsumfragen der großen Meinungforschungsinstitute lassen wenig Hoffnung zu. So steht die SPD derzeit in allen Umfragen zwischen 23 Prozent und 26 Prozent. Keine gute Ausgangslage für das Superwahljahr 2009 mit Bundes-, Europa- und mehreren Landtagswahlen. Den Auftakt macht die hessische Landtagswahl am 18. Januar 2009, die Wahl scheint für die SPD bereits jetzt gelaufen.

Es zeigt sich also, dass sich die Sozialdemokraten derzeit auf allen Ebenen in einem selbstzerstörerischen Richtungsstreit befinden. Deshalb wird vieles von der kommenden Landtagswahl in Hessen abhängen, die zeigen wird, ob eine Handlungsfähígkeit der SPD überhaupt noch vorstellbar ist. Mehr denn je zeigt sich, dass die SPD es schaffen muss, ihre verschiedenen Flügel zu vereinen. Nur so kann sie es verhindern, im kommenden Jahr bei den anstehenden Wahlen in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei idea.de