Die Sekundanten des Duells

Schaute man sich gestern auf den Internetseiten von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 um – man wäre nicht auf die Idee gekommen, dass am Sonntag schon das wichtigste Wahlkampfereignis, das direkte Aufeinandertreffen von Merkel und Steinmeier im TV-Duell auf jenen vier Sendern gezeigt wird. Aber auch bei den Parteien war keine Vorankündigung zu finden, kein Hinweis auf eine entweder euphorische oder kritische Begleitung des Duells. Dieses etwas diffuse Bild lichtet sich mittlerweile und so kann man eine erste Prognose für die Debattenbegleitung stellen.

5074-tv-duell-profilbild1Erstaunlicherweise steigen in diesem Jahr nicht nur unabhängige Kommentatoren, sondern auch die Parteien selbst ins hektische Live-Geschäft ein. Die SPD kündigt groß auf ihrer Internetseite an, das Duell gleich auf drei Kanälen zu begleiten. Im noch recht jungen Schwarz-Gelb-Watchblog wird sich an Merkels Aussagen abgearbeitet werden, während Facebook und Twitter die wirklich direkte Rezeption übernehmen sollen. Die Sozialdemokraten statten ihre Anhänger sogar mit einem neuen Profilbild aus, mit dem in sozialen Netzwerken auf das Duell hingewiesen werden soll. Nette Idee.

Parteien mischen sich im Netz ein

Auch die CDU wird sich in die Diskussion einmischen. Andreas Jungherr vom Team Deutschland nennt Twitter und die „entsprechenden Foren“ als christdemokratische Werkzeuge. Hauptsächlich dürfte wohl das Team Deutschland den Ton angeben, möglicherweise schaltet sich auch die Online-Redaktion ein. Für die Grünen wird Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke direkt aus dem Umfeld des Studios twittern. In einer Mail aus der Unterstützerseite linksaktiv.de wies Die Linke ihre Unterstützer darauf hin, dass sie via Live-Ticker,  Twitter und Facebook die Behauptungen von Steinmeier und Merkel prüfen wollen. Einzig die FDP scheint sich aus der direkten Debatte heraushalten zu wollen, was angesichts der lauten Töne von Guido Westerwelle in den letzten Tagen etwas verwunderlich wirkt.

Redaktionelles Rundumpaket

Aus der weniger parteiischen Berichterstattung lassen sich nur einige Beispiele hervor heben. Co-Autor Malte wird gemeinsam mit Dr. Christoph Bieber und Christian Marx vom ZMI Gießen ein Live-Blog für das ZDF schreiben. Dort gibt es bereits eine sehr interessante Einführung zu lesen. Ein weiteres Highlight ist das Live-Transcript von wahl.de, wo in beeindruckender Kleinarbeit jede Aussage der beiden Kandidaten live mitgeschrieben wird und direkt kommentiert werden kann. Spiegel Online wagt ein für hiesige Verhältnisse beachtenswertes Experiment und lässt in einer Kooperation mit Facebook die Nutzer auf der eigenen Seite kommentieren.

Die große Bandbreite von Kommentierungen im Internet können den schlechten Eindruck aber nicht wett machen, den die Sender selbst verursacht haben. Aus Angst um die eigene Quote wird es weder eine Radioübertragung noch einen Online-Stream geben. Eine gute Begründung, warum man eine so große Zahl von Wählerinnen und Wählern vom TV-Duell ausschließen will, kann man auch nicht liefern.

Was passiert nach der Debatte?

Diese fehlende Live-Übertragung im Internet könnte sich als Hindernis für die sogenannte Post-Debate erweisen, also für die Nachbereitung des TV-Duells. Während es den Journalisten aus Print und Fernsehen relativ leicht fallen wird, ihre Anmerkungen zur Geltung zu bringen, fehlt den Internetnutzern voerst eine Aufzeichnung. Sobald aber ein Mitschnitt des Duells es bis auf YouTube schafft, werden auch hier möglicherweise interessante Verarbeitungsformen auftauchen. Alan Schroeder beschreibt als amerikanischer Experte für TV-Duelle, was zur Präsidentschaftswahl 2008 passierte:

In the American debates of 2008, video-sharing websites like YouTube became another very important tool in post-debate reactions, because they allowed people to go back and watch debate highlights.  The original debate was therefore compressed into a few selected clips, which took on a life of their own.

John McCains eigenes Team sezierte das Auftreten von Barack Obama und bearbeitete den Videomitschnitt auf sehr pointierte Art und Weise. Ob auch die Parteien sich trauen werden, so offensiv mit dem noch fast sakral behandelten Medium Fernsehen umzugehen, muss man offen lassen. Die deutsche Nutzerschaft jedenfalls hat ihre Zuneigung zum „Remixen“ von politischen Videos im Internet schon bewiesen.

Bild: ZDF

Vor dem Duell

Die ersten TV-Duelle zwischen Edmund Stoiber und Gerhard Schröder zogen 2002 bereits jeweils um die 15 Millionen Zuschauer an. Drei Jaher später war es wieder Gerhard Schröder, der sich nun mit Angela Merkel messen musste. 21 Millionen Zuschauer bedeuteten damals einen Marktanteil von fast 60 Prozent. Auch in diesem Wahljahr wird es ein TV-Duell geben; wieder wird es auf Wunsch von Angela Merkel nur zu einer Auflage kommen. Am kommenden Sonntag, dem 13. September, werden sich Merkel und Frank-Walter Steinmeier 90 Minuten direkt gegenüber stehen und den Fragen von gleich vier Moderatoren stellen. Eine kleine Auswahl von interessanten Perspektiven vor dem Duell.

tvduell

Thorsten Faas analysiert im „Wahlen nach Zahlen“-Blog auf Zeit Online, wie die Zuschauer TV-Duelle wahrnehmen. Am Beispiel des Duells Stoiber-Schröder zeigt er auf, wie fein das Gespür der Zuschauer für die Aussagen der Politiker wirklich ist.

Doch auch die Echtzeitmessungen des zweiten Duells zeigen Chancen und Gefahren solcher Ereignisse – Duelle sind “High Risk Television”. Gerhard Schröder konnte in der ersten Hälfte der Debatte, die folgende Grafik zeigt es, mit seiner Absage an eine Zusammenarbeit mit der PDS punkten, vor allem aber, wie schon im ersten Duell, mit seiner Ablehnung des Irak-Kriegs. Dass TV-Debatten tatsächlich “Miniatur-Wahlkämpfe” sind, zeigt sich auch darin, denn dieses Thema dominierte den Wahlkampf 2002 bekanntlich insgesamt.

Für Faas ist ganz klar, dass nur die kleinste Unachtsamkeit eines Kandidaten zu einem spannenden Abend führen könnte. „Dem bisherigen Grundtenor, der die Erwartungen im Vorfeld der Debatte prägt, nämlich dass es eher langweilig werden wird, ist daher nur bedingt zuzustimmen. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit genügt und es ist mehr Spannung da, als es einem der beiden Kontrahenten vielleicht lieb ist.“

Hinter den Kulissen von 2002

Michael Spreng kann als Berater von Edmund Stoiber einen sehr genauen Einblick in die TV-Duelle geben:

Mein Interesse war, die Duelle so formalisiert und regelementiert wie möglich durchzuführen, um dem situativ stärkeren Politiker, Gerhard Schröder, wenig Freiraum zu geben. Wir hatten uns dazu ausführlich mit den amerikanischen TV-Duellen beschäftigt und eine Mitarbeiterin von mir hatte in den USA mit den dort Verantwortlichen gesprochen. Das Ziel war, salopp gesagt, Stoiber ein stützendes Korsett zu verpassen, Schröder dagegen eine ihn einengende Zwangsjacke. Dies gelang in den Verhandlungen mit der SPD und den TV-Sendern auch – mit dem Ergebnis, dass Stoiber im ersten Duell als Sieger wahrgenommen wurde, weil er besser war, als von den Medien erwartet. Das zweite Duell verlor Stoiber, unter anderem auch deshalb, weil Schröder aus dem ersten Duell gelernt hatte und die Zwangsjacke sprengte.

Ebenfalls im „Wahlen nach Zahlen“-Blog weist Juergen Maier darauf hin, dass die Wahrnehmung der Debatten nicht immer direkt erfolgt. Die Berichterstattung über die TV-Duelle beeinflusst ganz klar die öffentliche Meinung dazu: „Damit kommt ein vierter Akteur ins Spiel, der neben den beiden Kandidaten und den Fernsehzuschauern über die Effekte von TV-Debatten entscheidet: die Massenmedien, die über Debatten breit berichten – und zwar höchst selektiv und stark wertend. Sie sind in der Lage, persönliche Beobachtungen zurechtzurücken; sie sind auch in der Lage, Einschätzungen, die vorher nicht existiert haben, zu generieren“

Drei Szenarien für das Duell

Andreas Grieß hat in einer interessanten Übersicht drei mögliche Szenarien für das TV-Duell ausgemacht:

1. Beide reden, sagen aber nichts. Merkel werde versuchen, sich nicht angreifbar zu machen und die möglichst neutralen Moderatoren und ein fahriger Steinemeier werden es nicht schaffen, sie „auf konkrete Aussagen festzunageln“. Ergebnis: Die Zeitungen würden titeln „TV-Duell ohne klaren Sieger“, jeder würde je nach parteipolitischer Brille den einen oder die andere vorne sehen – in der Wahlentscheidung spielte das Duell für kaum einen eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit gibt Grieß mit „traurigen 65%“ an.

2. Steinmeier zwingt Merkel in die Enge oder diese verhaspelt sich. Wenn Steinmeier es dagegen schaffe, die bisher inhaltlich zurückhaltende Kanzlerin zu konkreten Aussagen zu zwingen, könnte das ihr Image verändern. Ergebnis: Überschriften wie „Steinmeier bringt Merkel in Erklärungsnot“ würden genauso wie die Frage „Wahlausgang wieder offen?“ die Runde machen. An den Stammtischen könnte der Satz „Die konnte ja wirklich keine Antwort geben“ häufig fallen. Viele würden ihre Wahlentscheidung noch einmal überdenken. Die SPD und andere Parteien dürften gewinnen, die CDU könnte noch kräftig verlieren. Der Wahlkampf würde in den letzten zwei Wochen noch eine Wende nehmen, denn auf einmal wäre die CDU gezwungen offensiv mit Inhalten zu werben. Für Grieß ein unrealistischer Fall, er nennt 20% Wahrscheinlichkeit.

3. Merkel blamiert Steinmeier. Steinmeier müsse angreifen, dabei könne er sich auch verrennen. „Kritisiert oder attackiert er nur, kann er schnell unsympathisch oder verzweifelt wirken. Wenn Merkel dabei ruhig bleibt und die Übersicht behält, kann sie dann den Spieß sogar umdrehen und ihrerseits Steinmeier attackieren.“ Ergebnis: Es würde heißen, Steinmeier hätte sich die Zähne ausgebissen. Zwei Wochen vor der Wahl würde das TV-Duell schon als letztes Aufbäumen der SPD und Steinmeiers verstanden werden. Eine Kanzlerschaft Steinmeiers würde kaum noch einer für möglich halten, das Werben um Stimmen würde für die SPD damit fast unmöglich. Für den zweiten spektakulären Fall nennt Grieß eine Wahrscheinlichkeit von 15%.

Rhetorikanalyse von Merkel und Steinmeier

Als Ergänzung zu diesen Varianten kann man die Analyse von Ulrich Sollmann betrachten, der sich mit dem Auftreten, der Rhetorik von Merkel und Steinmeier befasst: „Die Wähler werden sich während des TV-Duells selbst ihr Bild davon machen, welcher Verhaltensstil sie eher ansprechen wird. Merkel kann dabei besser punkten, wenn sie bei Konfrontation mehr auf ihre eigene Kraft und Energie vertraut. Steinmeier kann stärker überzeugen, wenn er statt zu viel zu überlegen auch mal einen Überraschungsangriff wagt.“

Einen umfassenden Einstieg in die Geschichte der TV-Duelle bietet das ZDF – ergänzt durch fachkundige Analysen von Dr. Christoph Bieber. Er meint:

„Tendenziell mehr zu verlieren hat die Kanzlerin. Die Debatte ist in den letzten Tagen darauf hinaus gelaufen, dass sie sich dem Wahlkampf mehr oder weniger verweigert“, meint Christoph Bieber. Die öffentliche Nachfrage nach dem Duell sei aber inzwischen derart groß, dass eine Weigerung teilzunehmen „genau wie in den USA als Kneifen ausgelegt würde, das konnte sich auch Frau Merkel nicht erlauben. Das kann man als Bruch, als Wiedereintreten in die Wahlkampfsphäre interpretieren.“ Das TV-Duell wird nach seiner Einschätzung noch etwas länger das dominante Ereignis im Wahlkampf sein: „Man erhält einen kurzen, knappen Einstieg in das Wahlkampfgeschehen. Diejenigen, die sich umfassend in allen Medien informieren, werden nichts Neues erfahren, es sei denn, es kommt zu einem Patzer.“

Interessanterweise findet sich auf den Interneseiten der beteiligten TV-Sender ARD, ZDF, RTL und Sat.1 bisher kein prominent platzierter Hinweis auf das TV-Duell in 3 Tagen. Wenige Tage vorm Duell scheint es den Sendern nicht daran gelegen zu sein, groß auf dieses aufmerksam zu machen. Wir werden vor dem Duell noch genauer auf die medialen Begleiterscheinungen eingehen.

Bild: RTL