Die unendliche Eitelkeit der Großen Drei

Am Morgen des Nikolaustages meldete ZEIT Online die Einwilligung des US-Kongresses zu milliardenschwerer Hilfestellung für die Großen Drei, die amerikanischen Autobauer GM, Ford und Chrysler. Konkret haben sich die Abgeordneten auf einen Überbrückungskredit in Höhe von 15 bis 17 Milliarden Dollar verständigt, der die so hart getroffenen Konzerne zu mindestens bis ins nächste Jahr 2009 und damit in die Zuständigkeit des dann amtierenden Präsidenten Barack Obama rettet. Nun stutz der Laie. 15-17 Milliarden US-Dollar reichen etwa 4-8 Wochen? Was unglaublich klingt, vermittelt nur den Einblick in die Dimension der Autokrise in den Vereinigten Staaten.

Buick, Chevrolet, GMC; Hummer, Pontiac, und Saturn, Ford, Lincoln und Mercury, Chrysler, Dodge und Jeep. Dieses bunte Sammelsurium an Marken ist die amerikanische Vertriebslinie der großen Drei. Aus den Zentralen, alle bei Detroit im US-Bundesstaat Michigan gelegen, kommt eine gigantische Palette an Produkten, die jedoch qualitativ mit kaum einem Konkurrenten auch nur mithalten kann. Um die miserable Qualität der Produktlinie der drei Hersteller aufzuzeigen, kann man es sich sogar leisten, die großen SUV von Hummer oder Chevrolet zu vernachlässigen. Selbst wenn man nur die Limousinen, die Pick-Ups, die Cabrios oder Coupés der Amerikaner ansieht, wird das Desaster schon deutlich.

Schlecht verarbeitete Fahrzeuge, häufig mit Konkurrenz aus dem eigenen Hause, gehören ebenso dazu wie zu geringe und zu spät gestartete Synergieeffekte zwischen den eigenen, aber auch fremden Herstellern. Während Mercedes und BMW zusammen Hybridantriebe für ihre Luxuslimousinen entwickeln (und dabei selbst schon zu spät sind), haben es die amerikanischen Autobauer gerade mal zu gemeinsamen Produktionsplattformen im Konzern gebracht. Verbrauchswerte sind natürlich ein wichtiges Thema, das an den Detroiter Managementetagen vorbei gegangen zu sein scheint. Auf der Los Angeles Motorshow letzten Monat war das zukunftsträchtigste Modell der Chevrolet Volt, ein Elektroauto aus dem GM-Konzern. Doch sieht man genauer hinter diesen viel versprechenden Ansatz, findet man ein frühestens 2010 marktreifes Konzept, das zudem nur in Stückzahlen von einigen Zehntausend Einheiten produziert werden kann. GM alleine produziert bisher insgesamt fast 3,5 Millionen Fahrzeuge jährlich. Angesichts des Investitionsvolumens, das GM in der letzten Dekade einsetzte, eine dünne Ausbeute. 310 Milliarden Dollar hätten auch die Marktführerschaft bei neuen Energien im Autobau bedeuten können.

Zu den Schwächen der Produkte kommen noch Strukturschwächen in erschreckendem Ausmaße. Mit 73 Dollar pro Stunde verdient ein durchschnittlicher GM-Arbeiter mehr als 50% mehr als sein Kollege bei Toyota. Gigantische Schuldensummen für Pensions- und Gesundheitsfonds belasten die Unternehmen noch zusätzlich. Die Händlernetze von GM sind 7-mal so groß wie die des Konkurrenten Honda. Vor dem Hintergrund des eben genannten Investitionsvolumens von 310 Milliarden Dollar ist der Konzern GM heute nicht einmal mehr zwei Milliarden Dollar wert.

Doch all das ist scheinbar kein Grund für personelle Konsequenzen in Detroit, noch lange kein Anlass zu Schuldeingeständnis und Bescheidenheit. Bei der ersten Kongressanhörung vor einigen Tagen gab es große Verärgerung über die Konzernchefs. Mit Privatjets waren Mullaly, Wagoner und Nardelli von Detroit nach Washington geflogen, während zu Hause die Arbeiter ihre Jobs verloren. Zwei Wochen später war die Einsicht über die Symbolik dieser Flüge bei den Managern so groß, dass sie sich tatsächlich 10 Stunden lang in Hybridautos über Land chauffieren ließen. Doch Schuldeingeständnisse waren immer noch nicht deutlich zu vernehmen.

Dass die Krise der US-Autobauer nur mit der Finanzmarktkrise und dem schwachen Konsumklima zu tun habe, darauf beharren die Firmen immer noch. Und dass die Auswirkungen solcher ungünstigen Bedingungen wirklich drastische Auswirkungen haben können, sehen wir in Deutschland direkt vor unserer Haustür. BMW als Premiumhersteller hauptsächlich fürs Firmenwagengeschäft mit prinzipiell geringeren Absatzschwierigkeiten kriselt ebenso wie Konzerne, die für den Otto Normalverbraucher produzieren. Doch BMW und die Großen Drei lassen sich einfach nicht vergleichen. General Motors, Ford und Chrysler haben in Amerika eine Modellpolitik und einen Innovationsstopp vertreten, der in Deutschland nicht einmal beim schlechtesten Hersteller zu finden wäre.

Übrigens sind auch die Auswirkungen auf den deutschen Markt noch lange nicht beim Höchstmaß ihrer Zerstörungskraft angekommen. ZEIT-Redakteur Dietmar H. Lamparter zeigt dies unter dem Titel „Solidarisch aus Eigennutz – warum die deutsche Autobranche kein Interesse hat, dass ihre US-Konkurrenten zusammenbrechen“. In drei Thesen zeigt er die Zusammenhänge dazu auf. Ersten produzierten ohnehin fast alle wichtigen deutschen Autohersteller eben auch in Amerika und nutzten dort die gleichen lokalen Zulieferer, die ohne ihre Hauptabnehmer aus Detroit wohl in großem Umfange Pleiten vermelden werden. Zweitens treffe es auch deutsche Zulieferer wie Bosch, Continental, Mahle, Behr oder Getrag, die bereits in Amerika produzierten und die ebenfalls ein Niedergang der US-Kundschaft von GM, Ford und Chrysler dramatische Folgen haben wird. Drittens bleiben auch noch die US-Muttergesellschaften, die mit Opel und Saab beziehungsweise Volvo und Ford ihren europäischen Töchtern den Lebenssaft entziehen können.

In seinem Fazit geht Lamparter aber nicht weit genug. „Die deutsche Autobranche hat kein Interesse an einem abrupten Ausfall ihrer US-Konkurrenz. Klar möchte man ihr noch mehr Kundschaft abjagen. Aber dann doch lieber mittel- und langfristig. Und ohne dass man ständig gerissene Lieferketten flicken muss.“ Er impliziert, dass die US-Autobauer eben überlebensfähig wären und für einen fairen Wettbewerb in Zukunft bereit ständen.

Der ehemalige Luftfahrt-Manager Michael E. Levine, ein ausgewiesener GM-Experte, sieht im Wall Street Journal die Lage wesentlich realistischer. Er titelt: „Warum der Bankrott die beste Option für GM ist“. Dabei analysiert er nicht nur die aktuelle Situation messerscharf, sondern betrachtet auch die Möglichkeiten durchaus konstruktiv. Denn Chapter 11, wie in den USA der Bankrott heißt, bedeutet gerichtlich beaufsichtigten Gläubigerschutz. GM, Ford und Chrysler könnten also Bedingungen für sein Überleben aushandeln, die bei einem jetzt anvisierten „Bailout“, einem staatlichen Herauskaufen aus der Krise, nicht machbar wären. Die Firmen könnten mit Angestellten, Managern, Arbeitern, Rentnern, Händlern und Zulieferer realistisch verhandeln, welche Konditionen zu retten sind und welche nicht.

Das am 6. Dezember angekündigte Rettungspaket des amerikanischen Kongresses jedenfalls wird die Zukunft Detroits nicht sichern, die Bedingungen sind ebenso hart wie der Umfang des Pakets gering ist. Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi kündigte an: „Die Gelder müssen innerhalb von Wochen zurückgezahlt werden, um zu vermeiden, dass die Entwicklung neuer und für die Branche extrem wichtiger Technologien nicht gefährdet wird Die Gelder müssen innerhalb von Wochen zurückgezahlt werden, um zu vermeiden, dass die Entwicklung neuer und für die Branche extrem wichtiger Technologien nicht gefährdet wird“.

ZEIT-Herausgeber Josef Joffe sieht den Ausgang dieser US-Autokrise bereits deutlich vor Augen: „Vernunft ist in diesem Drama nicht gefragt. Barack Obama wird Milliarden zuschießen, Merkel auch. Falls gut isoliert, könnte Opel überleben. GM aber wird, auf Abermilliarden gebettet, sterben.“

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