In der Steilkurve

„Roland Kochs rasanter Imagewechsel vom rechten Hardliner zum Freund der Grünen lässt selbst Parteifreunde schwindelig werden“

Das sind Titel und Untertitel eines Artikel im Spiegel dieser Woche. Und in der Tat, der knallharte Machtmensch aus Eschborn scheint die noch im Januar auf Hochglanz polierte Keule in die Höhle gestellt zu haben und irgendwo über einen Plüschhandschuh gestolpert zu sein. Neue Freunde hat er, und neue Ideen.

Tarek Al-Wazir, grüner Fraktions- und Landesvorsitzende, beispielsweise ist so einer dieser neuen Freunde. Noch vor wenigen Wochen verweigerte er Roland Koch den Handschlag, weil dieser in immer stärker ausartenden Ausländerfeindlichkeitsäußerungen erstrahlen wollte. Doch neuerdings hört man ganz andere Töne von Roland Koch: „Auf der persönlichen Ebene mögen wir uns“ – Al Wazir dürfte verdutzt reagiert haben.

Und nicht nur persönlich gibt sich Koch wie neu geboren, auch inhaltlich kommt die Hessen-CDU auf ganz neue Ideen.

„Windkraftmonster“ hieß es noch im Wahlkampf, neuerdings möchte Koch sein Hessen „zum Musterland der regenerativen Energien machen“ – mit ähnlichen Plänen, wie denen von Rot-Grün. Richtig, das waren genau die Pläne, die noch im Januar „völlig unrealistisch“ waren. Ein neues Wort hat er auch gelernt, „Nachhaltigkeit“ ist Kochs neue Lieblingsvokabel.

Und sogar in der Bildungspolitik gibt es Kehrtwenden, als ob Parteibücher getauscht worden wären. Wenn Hans-Jürgen Irmer, Flügelmann von ganz Rechts, den Grünen und der SPD in der Bildungspolitik nach dem Mund reden muss, dürfte sich ihm der urdeutsche Magen umdrehen.

Kurzum, das Wort „Brautwerbung“ wählt der Spiegel scheinbar nicht umsonst. Doch geht es hier wirklich um eine inhaltliche und persönliche Annäherung, um eine zukünftige und absehbare Zusammenarbeit zu erleichtern? Um sich schonmal über neu gefundene Schnittmengen und Sympathien zu verständigen?

Bei den Grünen ist man vom Gegenteil überzeugt und geht von einem anderen Ziel dieser Aktivitäten aus:

Wenn Roland Koch sich also nicht inhaltlich an grüne Positionen annähert, um diese dann umzusetzen. Wenn er nicht neue Freunde sammelt, mit denen er dann in Eintracht Politik machen möchte.

NeuwahlkampfSondern wenn er sich vielmehr bereits im Neuwahl-Kampf sieht. Die Wählerstimmen also, die er im Januar durch sein knallhartes und ausgrenzendes Verhalten verloren hat, ganz einfach wiederzugewinnen versucht. Sozusagen schonmal demonstrieren: „Seht mal, ich bin doch gar kein Hardliner. Ich hab sogar mit der SPD und den Grünen geredet, kümmere mich um Umwelt und Bildung.“

Und weiter könnte er sagen: „SPD und Grüne, die haben ja nicht mal ihr gebrochenes Wahlkampfversprechen durch eine Zusammenarbeit mit der LINKEN umsetzen können. Ich dagegen schaffe es, dieses Land endlich wieder vernünftig zu regieren.“

Im Moment sieht es tatsächlich aus, als könnte er mit solch einer Linie Erfolg haben. In einer Umfrage von letzter Woche hat eine Schwarz-Gelbe Koalition in Hessen wieder eine Mehrheit.

Ungehindert und ohne Nachteil

Dagmar Metzger ist in der vergangenen Woche eine deutschlandweit bekannte Person geworden. Mit ihrer Weigerung, eine Rot-Grüne Regierung unter Tolerierung der Linken im Hessischen Landtag zu wählen, hat sie für Aufsehen gesorgt – wurde von der „Bild“ sogar zu „Deutschlands ehrlichster Politikerin“ ernannt.

Doch der Druck auf die Direktkandidatin aus Darmstadt ist groß, bereits Ende der Woche wurden Forderungen laut nach einer Mandatsniederlegung oder gar einem Parteiausschlussverfahren (Schattenminister Hermann Scheer). Andrea Ypsilanti dazu:

„Wer die Mehrheitsmeinung der Partei nicht mitvertreten kann, muss die Konsequenzen ziehen und sein Mandat zurückgeben“, sagte Ypsilanti der „Frankfurter Rundschau“. „Sonst wird die Fraktion handlungsunfähig und unzuverlässig. Dann wäre eine stabile Regierung nicht machbar.“ (SpON)

Mir stellen sich dann jedoch ein paar Fragen.

Wieviel Respekt bringt die SPD in Hessen noch den 19.480 Menschen aus dem Wahlkreis Darmstadt-Stadt II entgegen, die Dagmar Metzger als ihre Direktkandidatin in den Landtag gewählt haben? Denn nicht die Mehrheitsmeinung der Partei hat sie in den Landtag gebracht, sondern eben diese Wähler.

Ist nicht eigentlich unser Wahlrecht so ausgelegt, dass Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes [sind], an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Art. 38 GG)? Spricht nicht sogar die Hessische Verfassung von der Möglichkeit, das Mandat „ungehindert und ohne Nachteil“ auszuüben? (Art. 76 HV)

Haben wir nicht genau aus diesem Grunde eine Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht, damit verschiedene Meinungen und Interessen der Bevölkerung auch im Parlament vertreten sind?

Wenn die SPD jetzt beginnt, sich die Abgeordneten, die nicht in ihre Linie passen, einfach aus dem Landtag zu werfen und durch beliebigere zu ersetzen, sehe ich da ein äußerst kritisches Verständnis von demokratischer Legitimation, das sich die Partei sehr genau überlegen sollte.

In Zeiten einer seit Jahren zunehmenden Politikverdrossenheit und einer immer geringer werdenden Mitgliederbasis speziell der SPD sollte man sich schon sehr sicher sein, bevor man den Willen des Volkes derart für gering schätzt.

So gehts aber nicht, Andrea

So gehts aber nicht, AndreaSo gehts aber nicht, AndreaSo gehts aber nicht, AndreaDenkt jedenfalls unsere Zeitung und nimmt diese Empörung zum Anlass für eine gelinde formuliert als agressiv zu bezeichnende Berichterstattung über kürzlich gemachte Aussagen der hessischen SPD-Spitzenkandidatin über Koalitionsaussagen und Wahlversprechen. Oder „würden Sie von Andrea Ypsilanti einen Gebrauchtwagen kaufen?“ wie der Leiter der Nachrichtenredaktion Michael Klein im „Standpunkt“ fragt.

Dabei steht die Zeitung mit ihrer Reaktion durchaus nicht alleine, wie der Spiegel-Bericht über die neuesten Umfragen zeigt.

Des Volkes Wille

Am 5. April findet sich der neu gewählte Hessische Landtag zur konstituierenden Sitzung zusammen. Doch angesichts stetig sinkender Wahlbeteiligung (aktuell 64,3) fragt man sich doch, auf welch großen Rückhalt in der Bevölkerung sich die Abgeordneten eigentlich noch stützen. Nimmt man einfach mal die Zahl der Wahlberechtigten als Basis für die Anteilsverteiligung und eben nicht wie sonst die Zahl der gültigen Stimmen, dann kommt folgendes Ergebnis heraus:

desvolkeswille.gif

So kann sich also die CDU als stärkste Kraft mit 23,7% nicht mal auf ein Viertel der Wahlberechtigten stützen. Auch die SPD, bekanntermaßen ja knapp hinter der CDU, erreicht mit 23,6% wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Grüne und Linke gar wären mit 4,8% und 3,3% nicht mal im Landtag vertreten, nur die FDP würde es mit 6,0% als dritte Kraft in die so geschwächte Volksvertretung schaffen.

Schauen wir uns die Zusammensetzung einmal grafisch an:

Des Volkes Wille

Demnach würde sich nicht mal eine große Koalition aus CDU und SPD auf eine absolute Mehrheit im Landtag stützen können – sondern würden vom größten Block, dem Rest der Nichtwähler (38,6% inkl. Sonstige), in Schach gehalten.

Angeregt durch einen Beitrag von Silke Gebel (Grüne Jugend).

Hochburgen der NPD bei der Landtagswahl 2008 in Hessen

Da ich hierzu im Netz keine ausgewerteten Zahlen finden konnte, habe ich das Datenmaterial des Statistischen Landesamtes kurzerhand selbst analysiert. Ich beziehe mich hier auf die Anteile an den gültig abgegebenen Landesstimmen, wie allgemein auch üblich.

  1. 5,4% in Hirzenhain im Wahlkreis 26 (Wetterau II)
  2. 5,0% in Wölfersheim im Wahlkreis 27 (Wetterau III)
  3. 3,7% in Hauneck im Wahlkreis 11(Hersfeld)
  4. 3,6% in Kefenrod im Wahlkreis 26 (Wetterau II)
  5. 3,5% in St. Gedern im Wahlkreis 26 (Wetterau II)

Für Hochburgen anderer Parteien verweise ich auf die interessante Aufstellung des hr. Dort erfährt man zum Beispiel:

Dass die Linken in Cornberg im Wahlkreis 10 (Rotenburg) 13,3% eingefahren haben.

Dass die CDU in Poppenhausen (Wasserkuppe) im Wahlkreis 15 (Fulda II) unglaubliche 59,% geholt hat.

Und dass die SPD in Nieste im Wahlkreis 2 (Kassel-Land II) noch unglaublichere 61,7% verbuchen konnte.