Politisches Morgengezwitscher

Thorsten Schäfer-Gümbel wird für diejenigen, die sich für Politik im und mit dem Internet interessieren, wohl auf ewig mit dem Kurznachrichtendienst Twitter verknüpft bleiben. Er war der erste deutsche Politiker, der im Jahre 0 nach Barack Obama eine gewisse Prominenz mit seinem Zwitschern erlangen konnte. Dabei ging der Erfolg nicht wirklich auf das Konto einer ausgefeilten Inhalts-Strategie, vielmehr war er eben erst einmal dabei und redete auch tatsächlich mit diesen Twitterati. Das war genug für die Presse, um ausgiebig darüber zu berichten. Nach der Wahl in Hessen 2009 wurde dieser Sachverhalt noch offensichtlicher. Schon legendär sind Schäfer-Gümbels Tweets über den morgendlichen Kaffee – die nicht zuletzt zur Parodie der Titanic führten…

Irgendetwas hat sich seitdem verändert. Wenn man nun morgens das erste Mal in die Twitter-Nachrichten schaut, berichtet Schäfer-Gümbel immer noch gern über Kaffee oder gern auch mal über den morgendlichen Stau auf der A5. Aber damit hört es nicht auf. Schäfer-Gümbel zeigt vielmehr, wie man auch als Landespolitiker sinnvolle und tagesaktuelle Botschaften in 140 Zeichen versenden kann. Ein paar Beispiele: Weiterlesen

Mit Kurznachrichten in die Medien

Innerhalb von nur 71 Tagen musste Thorsten Schäfer-Gümbel Ende 2008 vom einfachen Abgeordneten zum landesweit bekannten Spitzenkandidaten der hessischen SPD werden. Er knüpfte an den damals viel beachteten Online-Wahlkampf des amerikanischen Präsidenten Barack Obama an und erzeugte damit große Medienresonanz. Mit Werkzeugen wie dem Kurznachrichtendienst Twitter machte er ohne millionenschwere Imagekampagne Schlagzeilen als Politiker des Internetzeitalters.

Nach der gescheiterten Regierungsbildung der hessischen SPD im Jahr 2008 musste sich Thorsten Schäfer-Gümbel unerwartet als der neue Spitzenkandidat bekannt machen. Zudem hatte die SPD – wie die anderen hessischen Parteien – durch den zweiten Wahlkampf innerhalb eines Jahres kaum Zeit, einen Wahlkampf auf herkömmliche Art zu planen und umzusetzen. Auch die finanziellen Mittel waren knapp und mussten entsprechend gezielt eingesetzt werden. Daher setzte Schäfer-Gümbel zur Landtagswahl 2009 stark auf Online-Wahlkampf. Gemeinsam mit der Kölner barracuda digitale agentur wollte er die die Medienaufmerksamkeit nutzen, die US-Präsident Barack Obama wenige Monate zuvor auf innovative Kampagnen im Internet gelenkt hatte.

Schnell über das Internet bekannt werden

Neben seinen Aktivitäten auf YouTube und den bekannten Sozialen Netzwerken (Facebook oder Wer-kennt-wen) setzte Schäfer-Gümbel auf den Kurznachrichtendienst Twitter. Dort können kurze Textnachrichten mit bis zu 140 Zeichen veröffentlicht werden. Durch die Begrenzung der Zeichenzahl lassen sich die Nachrichten schnell lesen und erreichen interessierte Leser fast in Echtzeit, die ebenso spontan antworten und so eine öffentliche Diskussion entstehen lassen. An diesem schnellen, kurzlebigen Nachrichtenfluss nehmen die Nutzer entsprechend insbesondere über internetfähige Mobiltelefone teil. Auf diesem Weg erhielt der Politiker Schäfer-Gümbel direkte Rückmeldungen und baute wechselseitige Kommunikationsbeziehungen zu seinen Twitterkontakten auf – zu einem Zeitpunkt, zu dem Twitter in Deutschland noch wenig verbreitet war und hauptsächlich von Medienexperten und Journalisten beachtet wurde.

Neugier auf Online-Kommunikation bringt Medienaufmerksamkeit

Durch diesen gezielten Einsatz des Internets konnte Schäfer-Gümbel große Aufmerksamkeit durch die »klassischen« Massenmedien erlangen. Nach der US-Präsidentschaftswahl waren die Journalisten an berichtenswerten Internetaktivitäten von Politikern besonders interessiert. Zahlreiche Medien wie die BILD-Zeitung und das ZDF verglichen Schäfer-Gümbel deshalb mit dem eben gewählten Obama. Auch wenn die Berichterstattung sich ironische Anmerkungen über die ungleichen Verhältnisse nicht nehmen ließ, hatte sich Thorsten Schäfer-Gümbel große Medienaufmerksamkeit verschafft und auf diese Weise seinen Bekanntheitsgrad innerhalb kurzer Zeit gesteigert. Dadurch, dass er Twitter auch nach der Wahl konsequent nutzt, hat er sich darüber hinaus Glaubwürdigkeit als Internetpolitiker erarbeitet.

Die barracuda digitale agentur und der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel tauschen sich gern über Online-Wahlkampf aus. Beide sind auch bei Twitter als @oliverbarracuda und @tsghessen ansprechbar.

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Diesen Report haben wir als Mitglieder der KampagnenPraxis geschrieben. Wir sind eine Arbeitsgemeinschaft junger Fachleute an der Schnittstelle zwischen politischer Kommunikation und den Internetmedien. Wir zeigen Kampagnen- und Kommunikationsverantwortlichen lokaler und regionaler politischer Akteure in zweiwöchentlichen Reports Beispiele, wie sie das Internet erfolgreich nutzen können. Abonnieren Sie unsere Reports einfach auf unserer Internetseite.

Schäfer-Gümbel und die SPD

Das Personalkarussel der SPD dreht sich bereits mit einer solchen Geschwindigkeit, dass sich Hubertus Heil, Peer Steinbrück und Franz Müntefering nicht mehr fest halten können. Wie weit der personelle Umbruch der Sozialdemokraten aber wirklich gehen wird, das ist in dieser ersten Phase der Bereinigung noch nicht abzusehen.

Bisher sind es noch nicht dir ganz großen Erneuerungen, wenn mit Gabriel, Steinmeier und Nahles eine Semiverjüngung angestrebt wird. Offensichtlich aber wird, dass eine junge Generation von Landespolitikern sich langsam in Stellung bringt. Heiko Mass aus dem Saarland brachte sich stark in die Debatte über eine Bündelung von Fraktions- und Parteivorsitz ein. Hannelore Kraft soll mit einer herausgestellteren Position als Parteivize für den anstehenden Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gestärkt werden.

3187094383_9df8840edfIn dieser Stimmung kann es nicht verwundern, dass auch der Name von Thorsten Schäfer-Gümbel genannt wird. Als Vorsitzendem der hessischen SPD steht es ihm auch zu, die unter Kurt Beck für die starken Linken aus Hessen reservierten Posten anzustreben. Doch bei der Diskussion scheint es nicht nur um einen Platz in Präsidium und Vorstand zu gehen, sondern um erste Revierkämpfe der Nachwuchssozialdemokraten. Schäfer-Gümbel hielt sich dabei etwas stärker zurück und ließ andere für sich einfordern, was ihm zustehe. Einzig über die Postenvergabe in den Hinterzimmern beschwerte er sich doch selbst.

In der Tat würde einiges für einen stärkeren Part von TSG in Berlin sprechen. In Hessen muss er derzeit ebenso eine Partei mit schlechten Wahlergebnissen und Richtungsstreiten versöhnen. Als Vertreter einer offenkundig wirksam vermittelten linken SPD-Politik könnte er für eine vorsichtige rotrote Öffnung einstehen (zu den Bedingungen für Rot-Rot-Grün im Böll-Blog). Aber bei all den Anzeichen darf man nicht übersehen, dass Schäfer- Gümbel in Hessen einen Marathon läuft, dessen Zielflagge noch lange nicht in Sicht ist. Eingebunden als Oppositions- und Parteiführer sind selbst die größten Kräfte irgendwann gebunden.

Schäfer-Gümbel muss derweil nur zu seinem grünen Oppositionsfreund schauen, um eine Idee seiner bundespolitischen Zukunft zu bekommen. Tarek Al-Wazir gehört zu den größten grünen Nachwuchstalenten und wird von Wählern und Politikern parteiübergreifend geschätzt. Dennoch oder gerade aus diesem Grund sieht Al-Wazir seine Arbeit weiterhin in Hessen. Nicht aber ohne seinen Einfluss auf Bundesebene stetig und ruhig auszubauen.

piraten

Durch eine solche, unaufdringliche Übernahme von Verantwortung kann auch TSG seiner Partei und sich selbst helfen. Warum nicht den ausgewiesen netzaffinenen Schäfer-Gümbel daran arbeiten lassen, die verlorenen Wähler vom Piratenschiff zu befreien?

Bilder: flickr Nils Bremer, Screenshot unrepräsentative Umfrage

Zwei Wochen nach der Hessenwahl

Die Wahllokale sind schon eine Weile geschlossen und die vor Kraft strotzende FDP hat der CDU immerhin 3 ganze Ministerien abgerungen. Die Amtsträger aller Parteien waren nach den Wahlen vollauf beschäftigt. Die Einen mussten in wohl eher freundschaftlichen Verhandlungen einen Koalitionsvertrag vereinbaren, die Anderen ihre mehr oder minder großen Wahlerfolge verarbeiten. Bleibt da noch Zeit für das Stiefkind Internet? Was ist nach dem ersten Onlinewahlkampf 2009 noch zu sehen, wer nutzt die neuen Möglichkeiten auch über den Wahlkampf hinaus?

Am Wahlabend selbst machte sich für Netzaffine Wähler der erste Unmut breit angesichts der offensichtlichen Prioritätenverschiebung unter Zeitdruck: Keinerlei Stellungnahmen oder Jubeleien auf den offiziellen Internetauftritten der Parteien. Man war wohl noch zu beschäftigt, je nach Ergebnis betreten oder euphorisch in die Kameras der übermächtigen alten Medienlandschaft zu schauen.

Eine Haltung, die offensichtlich nicht mal nur mit dem Zeitdruck, sondern mit einer binären Notwendigkeitsdefinition zusammen hängt. Entweder es ist Wahlkampf, dann tun wir aber bitteschön mal was im Internet. Muss man ja auch mittlerweile, das allgegenwärtige Mantra des Barack Obama verpflichtet geradezu. Und dann gibt es da die Zeit nach der Wahl, in der man sich offensichtlich eher über das errungene Landtagsmandat und die möglicherweise im Vergleich zu vorherigen Bezügen üppigen Saläre Gedanken macht. Bestes Beispiel sind mal wieder die im hessischen Internetwahlkampf 2009 eher glücklos agierenden Grünen, auf deren eigens geschalteter Programmseite „Jetzt aber Grün“ noch immer zur Wahl aufgerufen und mit Pressemitteilungen vom 17. Januar informiert wird.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-14-47Scheinbar glaubt man den Wahlkampfauftritt im Internet schon vergessen zu haben, sobald man die Umleitung der Domain www.gruene-hessen.de auf diese wieder gelöscht hatte. Immerhin, auf der offiziellen Seite bedanken sich die Grünen bei den Wählerinnen und Wählern und geloben einen konsequenten Einsatz für grüne Inhalte.

bildschirmfoto-2009-01-31-23-37-29Dabei macht die grüne Spitzenkandidatin Kordula Schulz-Asche mit ihrem engagiert genutzten Twitter-Account vor, dass auch Grüne in Hessen verstehen können, wie das Internet auch nach der Wahl genutzt werden kann. Nach leichten Anlaufschwierigkeiten kommuniziert sie mittlerweile – in über 100 Tweets allein nach der Wahl – wie losgelöst mit den verschiedensten Lesern. Auch wenn ihr spät im Wahlkampf dazu gekommenes Blog dem noch etwas hinterher hinkt (letzte Aktualisierung am 20. Januar), so viel Kontinuität über Wahlkampfzeiten hinaus macht Hoffnung auf mehr.

Von Twittergates und Koalitionsvereinbarungen

Auch der prominenteste Hessenpolitik-Twitterer Thorsten Schäfer-Gümbel ist nach der Wahl aktiv, kommt aber weder bei Authentizität noch bei der Nachrichtenzahl an die grüne Schulz-Asche heran. In den letzten Tagen leistete er sich gar einen kleinen Faux-pas, der Diskussionen über die Beteiligung der Online-Agentur aufkommen lies. Ob man nun der hastigen Richtigstellung und den Besserungsgelobnissen für klarere Kennzeichnung folgt oder nicht, es zeigt sich mal wieder, wie empfindlich die Web- und vor allem Twittergemeinde bei der Glaubwürdigkeit von Netzpolitikern ist. Dieses ‚Twittergate‘ wird wohl auch ein Gesprächsthema bei der Essenseinladung sein, die TSG als etwas konstruiert wirkende Marketingaktion seinem 2014. Follower versprach. Die glückliche Gewinnerin Birgit Hoff wird als EmmaPeel_ hoffentlich von dem Treffen berichten.

bildschirmfoto-2009-02-01-00-21-49Ein Glaubwürdigkeitsproblem wie das des Schäfer-Gümbel kam bei den CDU-Twitterern gar nicht erst auf, da man den Internetwahlkampf in der Landesgeschäftsstelle gleich komplett an das jungdynamische webcamp09 auslagerte. Vermuten könnte man nun, dass die Jugendlichen auch nach der Wahl noch genügend Zeit haben, eine wie auch immer geartete Nachberichterstattung zu liefern. Diese Erwartung wird allerdings nur in Ansätzen erfüllt, was wohl auch an der eben nicht mehr ganz so großen Zahl von Beteiligten liegen mag. Die Restbelegschaft des webcamp hat sich nach eigenen Aussagen dann doch lieber zum Feiern frei genommen, das scheinbar einige Tage Nachwirkungen aufzuweisen hatte. Zur Koalitionsvereinbarung ist das webcamp09 nun aber wieder da und man darf gespannt sein, wie die Mannschaft den Schritt vom Wahlkampfvehikel zum Organ der Regierungsfraktion meistert.

Hoffnung auf mehr

So dürftig das politische Engagement im Internet nach der Wahl auch aussehen mag, gemessen an der Ausgangslage ist es in jedem Fall erfreulich. Dass Kordula Schulz-Asche und Thorsten Schäfer-Gümbel weiter twittern, war möglicherweise zu erwarten – aber keineswegs als sicher zu betrachten. Wie der gesamte vergangene Internetwahlkampf in Hessen ist auch die post-campaigning Nutzung des Webs durch die bekannten Akteure nur ein Anfang, zeigt aber auch die ein oder andere erfreuliche Überraschung. Vielleicht wird ja das webcamp09 nach seiner nun anstehenden Rollenfindung eine solche werden.