Vor dem Duell

Die ersten TV-Duelle zwischen Edmund Stoiber und Gerhard Schröder zogen 2002 bereits jeweils um die 15 Millionen Zuschauer an. Drei Jaher später war es wieder Gerhard Schröder, der sich nun mit Angela Merkel messen musste. 21 Millionen Zuschauer bedeuteten damals einen Marktanteil von fast 60 Prozent. Auch in diesem Wahljahr wird es ein TV-Duell geben; wieder wird es auf Wunsch von Angela Merkel nur zu einer Auflage kommen. Am kommenden Sonntag, dem 13. September, werden sich Merkel und Frank-Walter Steinmeier 90 Minuten direkt gegenüber stehen und den Fragen von gleich vier Moderatoren stellen. Eine kleine Auswahl von interessanten Perspektiven vor dem Duell.

tvduell

Thorsten Faas analysiert im „Wahlen nach Zahlen“-Blog auf Zeit Online, wie die Zuschauer TV-Duelle wahrnehmen. Am Beispiel des Duells Stoiber-Schröder zeigt er auf, wie fein das Gespür der Zuschauer für die Aussagen der Politiker wirklich ist.

Doch auch die Echtzeitmessungen des zweiten Duells zeigen Chancen und Gefahren solcher Ereignisse – Duelle sind “High Risk Television”. Gerhard Schröder konnte in der ersten Hälfte der Debatte, die folgende Grafik zeigt es, mit seiner Absage an eine Zusammenarbeit mit der PDS punkten, vor allem aber, wie schon im ersten Duell, mit seiner Ablehnung des Irak-Kriegs. Dass TV-Debatten tatsächlich “Miniatur-Wahlkämpfe” sind, zeigt sich auch darin, denn dieses Thema dominierte den Wahlkampf 2002 bekanntlich insgesamt.

Für Faas ist ganz klar, dass nur die kleinste Unachtsamkeit eines Kandidaten zu einem spannenden Abend führen könnte. „Dem bisherigen Grundtenor, der die Erwartungen im Vorfeld der Debatte prägt, nämlich dass es eher langweilig werden wird, ist daher nur bedingt zuzustimmen. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit genügt und es ist mehr Spannung da, als es einem der beiden Kontrahenten vielleicht lieb ist.“

Hinter den Kulissen von 2002

Michael Spreng kann als Berater von Edmund Stoiber einen sehr genauen Einblick in die TV-Duelle geben:

Mein Interesse war, die Duelle so formalisiert und regelementiert wie möglich durchzuführen, um dem situativ stärkeren Politiker, Gerhard Schröder, wenig Freiraum zu geben. Wir hatten uns dazu ausführlich mit den amerikanischen TV-Duellen beschäftigt und eine Mitarbeiterin von mir hatte in den USA mit den dort Verantwortlichen gesprochen. Das Ziel war, salopp gesagt, Stoiber ein stützendes Korsett zu verpassen, Schröder dagegen eine ihn einengende Zwangsjacke. Dies gelang in den Verhandlungen mit der SPD und den TV-Sendern auch – mit dem Ergebnis, dass Stoiber im ersten Duell als Sieger wahrgenommen wurde, weil er besser war, als von den Medien erwartet. Das zweite Duell verlor Stoiber, unter anderem auch deshalb, weil Schröder aus dem ersten Duell gelernt hatte und die Zwangsjacke sprengte.

Ebenfalls im „Wahlen nach Zahlen“-Blog weist Juergen Maier darauf hin, dass die Wahrnehmung der Debatten nicht immer direkt erfolgt. Die Berichterstattung über die TV-Duelle beeinflusst ganz klar die öffentliche Meinung dazu: „Damit kommt ein vierter Akteur ins Spiel, der neben den beiden Kandidaten und den Fernsehzuschauern über die Effekte von TV-Debatten entscheidet: die Massenmedien, die über Debatten breit berichten – und zwar höchst selektiv und stark wertend. Sie sind in der Lage, persönliche Beobachtungen zurechtzurücken; sie sind auch in der Lage, Einschätzungen, die vorher nicht existiert haben, zu generieren“

Drei Szenarien für das Duell

Andreas Grieß hat in einer interessanten Übersicht drei mögliche Szenarien für das TV-Duell ausgemacht:

1. Beide reden, sagen aber nichts. Merkel werde versuchen, sich nicht angreifbar zu machen und die möglichst neutralen Moderatoren und ein fahriger Steinemeier werden es nicht schaffen, sie „auf konkrete Aussagen festzunageln“. Ergebnis: Die Zeitungen würden titeln „TV-Duell ohne klaren Sieger“, jeder würde je nach parteipolitischer Brille den einen oder die andere vorne sehen – in der Wahlentscheidung spielte das Duell für kaum einen eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit gibt Grieß mit „traurigen 65%“ an.

2. Steinmeier zwingt Merkel in die Enge oder diese verhaspelt sich. Wenn Steinmeier es dagegen schaffe, die bisher inhaltlich zurückhaltende Kanzlerin zu konkreten Aussagen zu zwingen, könnte das ihr Image verändern. Ergebnis: Überschriften wie „Steinmeier bringt Merkel in Erklärungsnot“ würden genauso wie die Frage „Wahlausgang wieder offen?“ die Runde machen. An den Stammtischen könnte der Satz „Die konnte ja wirklich keine Antwort geben“ häufig fallen. Viele würden ihre Wahlentscheidung noch einmal überdenken. Die SPD und andere Parteien dürften gewinnen, die CDU könnte noch kräftig verlieren. Der Wahlkampf würde in den letzten zwei Wochen noch eine Wende nehmen, denn auf einmal wäre die CDU gezwungen offensiv mit Inhalten zu werben. Für Grieß ein unrealistischer Fall, er nennt 20% Wahrscheinlichkeit.

3. Merkel blamiert Steinmeier. Steinmeier müsse angreifen, dabei könne er sich auch verrennen. „Kritisiert oder attackiert er nur, kann er schnell unsympathisch oder verzweifelt wirken. Wenn Merkel dabei ruhig bleibt und die Übersicht behält, kann sie dann den Spieß sogar umdrehen und ihrerseits Steinmeier attackieren.“ Ergebnis: Es würde heißen, Steinmeier hätte sich die Zähne ausgebissen. Zwei Wochen vor der Wahl würde das TV-Duell schon als letztes Aufbäumen der SPD und Steinmeiers verstanden werden. Eine Kanzlerschaft Steinmeiers würde kaum noch einer für möglich halten, das Werben um Stimmen würde für die SPD damit fast unmöglich. Für den zweiten spektakulären Fall nennt Grieß eine Wahrscheinlichkeit von 15%.

Rhetorikanalyse von Merkel und Steinmeier

Als Ergänzung zu diesen Varianten kann man die Analyse von Ulrich Sollmann betrachten, der sich mit dem Auftreten, der Rhetorik von Merkel und Steinmeier befasst: „Die Wähler werden sich während des TV-Duells selbst ihr Bild davon machen, welcher Verhaltensstil sie eher ansprechen wird. Merkel kann dabei besser punkten, wenn sie bei Konfrontation mehr auf ihre eigene Kraft und Energie vertraut. Steinmeier kann stärker überzeugen, wenn er statt zu viel zu überlegen auch mal einen Überraschungsangriff wagt.“

Einen umfassenden Einstieg in die Geschichte der TV-Duelle bietet das ZDF – ergänzt durch fachkundige Analysen von Dr. Christoph Bieber. Er meint:

„Tendenziell mehr zu verlieren hat die Kanzlerin. Die Debatte ist in den letzten Tagen darauf hinaus gelaufen, dass sie sich dem Wahlkampf mehr oder weniger verweigert“, meint Christoph Bieber. Die öffentliche Nachfrage nach dem Duell sei aber inzwischen derart groß, dass eine Weigerung teilzunehmen „genau wie in den USA als Kneifen ausgelegt würde, das konnte sich auch Frau Merkel nicht erlauben. Das kann man als Bruch, als Wiedereintreten in die Wahlkampfsphäre interpretieren.“ Das TV-Duell wird nach seiner Einschätzung noch etwas länger das dominante Ereignis im Wahlkampf sein: „Man erhält einen kurzen, knappen Einstieg in das Wahlkampfgeschehen. Diejenigen, die sich umfassend in allen Medien informieren, werden nichts Neues erfahren, es sei denn, es kommt zu einem Patzer.“

Interessanterweise findet sich auf den Interneseiten der beteiligten TV-Sender ARD, ZDF, RTL und Sat.1 bisher kein prominent platzierter Hinweis auf das TV-Duell in 3 Tagen. Wenige Tage vorm Duell scheint es den Sendern nicht daran gelegen zu sein, groß auf dieses aufmerksam zu machen. Wir werden vor dem Duell noch genauer auf die medialen Begleiterscheinungen eingehen.

Bild: RTL

Die Wahl ohne Web?

Die größte Schwäche der ZDF „Wahl im Web“ aus Erfurt zu den Landtagswahlen in Sachsen, Saarland und Thüringen war erneut die Rolle, die dem Internet zugesprochen wurde. Der Titel „Wahl im Web“ war einmal mehr nur Beiwerk für eine Sendung, die zwischen Hochrechnungen und Wahlanalysen ihr Profil nicht finden konnte.

kavka

Bei der ersten Ausgabe des Formats zur Landtagswahl in Hessen im Januar diesen Jahres war die Verteilung noch klarer. Es gab Netscouts für Internetseiten, für Blogs und Twitter. Schnell wurde in der Sendung deutlich, dass nur Blogs und Twitter die Schnelligkeit und Aktualität des Geschehens wirklich aufzeigen konnte. Doch gerade diese beiden Elemente fehlten in der heutigen Ausgabe nahezu vollkommen.

Wenig Aktualität

Nun kann man das Internet als Wahlbegleitung aus zwei Perspektiven sehen. Zum einen ist da der Online-Wahlkampf, auf den man einen Rückblick werfen kann. Doch statt diesen wirklich kompetent zusammen zu fassen, warf man im ZDF lieber mehr als einen Blick auf Kuriositäten von peinlichen Videos bis zu sinnbefreiten Online-Spielen. Zum zweiten aber sollte der Titel „Wahl im Web“ deutlich machen, was zeitgleich während der Öffnungszeiten der Wahllokale und den ersten Analysen tatsächlich im Internet passiert. Dieser aktuelle Aspekt fehlte im Verlauf des Formats nahezu völlig.

bieber

Erst in den Hintergrundgesprächen mit Dr. Christoph Bieber kam etwas Substanz in die Berichterstattung. Zugleich muss man sich aber fragen, ob der Zuschauer einen so fundierten Einstieg in das Verhältnis von Politik und Internet innerhalb der kurzen Sendung wirklich aufnehmen möchte – wo doch auf allen anderen Kanälen sich Hochrechnungen, Analysen und Kommentare in ihrer Aktualität miteinander messen.

Web 2.0 ist kein Allheilmittel

Ein weiterer Störfaktor war der gebetsmühlenartige Hinweis auf die mangelnde Interaktion auf den Internetseiten der Parteien. Das Web 2.0 ist kein Allheilmittel für einen Wahlkampf, dem es schon an den grundsätzlichen Anforderungen eines „Web 1.0“ fehlt. Irrelevante Informationen werden von allen Parteien in den Vordergrund gestellt und die für den Wähler wichtigen Interessen weiten teils versteckt.

Und so bestand die „Wahl im Web“ aus Erfurt aus einer Reihe von Elementen, die nicht so recht zusammen passen wollten. Skype-Gespräche mit Zeitungsredakteuren zum Onlinewahlkampf können noch eine ganz gute Quelle sein, blieben aber in diesem Fall zu vage und häufig schlicht uninteressant. Die Wahlanalysen der beiden Politikwissenschaftler Bieber und Debus waren allemal interessant, hatten aber nur noch wenig mit dem Web zu tun.

Fazit

Wie schon bei der „Wahl im Web“ zur Europawahl kann daher auch dieses Mal das Fazit nur lauten, das Web zur Wahl wieder in den Vordergrund zu rücken. Und ebenso muss man das ZDF auch heute dafür loben, dem Konzept weiterhin so viel Spielraum zu geben. Zur Bundestagswahl sollte dann allerdings die Übertragung im Web nicht eine Dreiviertelstunde früher beginnen als auf dem ZDFinfokanal. Die blockierende Übertragung vom Reitsport hätte nun wirklich unterbrochen werden können.

zdfinfokanal_reitturnier

Bilder: ZDF Screenshots, Montage

Kanzlermacher aus Mainz

vlcsnap-1844879Eine Menge Spott erntete das ZDF mit seiner Ankündigung, einen „Kanzler!“ zu suchen. Ob denn eine Casting-Show dem Ernst der Sache angemessen sei, wurde gefragt. Andere warfen ein, es sei schon seltsam, wenn der Journalismus sich mittlerweile schon seine Politiker selbst kreiere. Auch meine Erwartungen an „Ich kann Kanzler!“ (19. Juni, 21.15 Uhr live im ZDF) waren alles andere als euphorisch.

Doch bereits die Vorausscheidung der 40 Kandidaten, an geschichtsträchtiger Stelle im alten Bonner Bundestag ausgerichtet, hinterließ irgendwie einen positiven Eindruck bei mir. Sicher, „Ich kann Kanzler!“ war nicht die große Politik. Dennoch, die Kandidaten waren sympathisch, voller Engagement und einer inneren Begeisterung, die jeder Zuschauer gespürt haben muss. Ob das ZDF mit Jacob Schrot den nächsten Kanzler gefunden hat? Wohl eher nicht. Aber einen der größten Idealisten seiner Generation.

Mehr Professionalität hätte gut getan

Schade, dass das Format sich dauerhaft selbst einbremste. Warum ein Kanzlerkandidat eine politische Quizshow durchspielen musste, verstehe ich auch dann nicht, wenn Günther Jauch in der Jury sitzt. Der beste, inhaltsreichste und herausforderndste Teil der Sendung war das Duell der beiden letzten Kandidaten. Peter Frey schaffte es, die Kandidaten etwas hinter ihrer Phrasenwand hervor zu holen und so etwas wie Kontroversität zu provozieren. Auch die Diskussionsrunde über vom ZDF ausgewählte Themen wie EU-Beitritt der Türkei oder Adoptionsrecht für homosexuelle Paare hätte ausgebaut werden können.

Stattdessen hätte ich sehr gut darauf verzichten können, zu sehen wie sich unsere Spitzenpolitiker an der protokollarischen Rangordnung (Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzlerin) die Zähne ausbissen. Auch die millionste Ausstrahlung von politischen Versprechern gehört nicht in eine Freitagabend-Live-Sendung, sondern auf YouTube und Clipfish.

Nicht nur die Planung der Programmelemente, auch der Moderator strahlte Unprofessionalität aus. Der „sonst so korrekte Nachrichtenschönling Steffen Seibert“ (sueddeutsche) vergas kontinuierlich alle eingeübten Abläufe und sprach auch noch offen über seine eigenen Fehler. Die Kandidaten zu Siezen schien den Moderator vor ungeahnte Probleme zu stellen. Auch mit seinen Gästen ging er auf verstörende Weise unhöflich um, rief Peter Frey hinterher, dieser wolle ihm scheinbar zum Abschied die Hand nicht reichen.

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Auch junge Kanzler leben offline

Höchst verwundert war ich über die Zahlen von wahl.de. Seltsam irgendwie, dass nur zwei der Kandidaten eine eigene Homepage betreiben und der Höhepunkt ihrer Online-Aktivitäten ein schnell zusammen geschustertes meinVZ-Edelprofil war. Über 4000 Unterstützer für Antje Krug sind immerhin eine Ansage. Schade, dass die jungen Kanzler neben all der Politik nicht mehr zu begreifen scheinen, dass Politikvermittlung und Bürgernähe auf den Marktplätzen im Internet nicht weniger wichtig ist als auf denen unter freiem Himmel.

Wie groß das Versäumnis ist, kann man sich mit einem Gedankenspiel verdeutlichen. Wenn ich mir vorstelle, einer der Kandidaten hätte die vergangenen Monate genutzt und wäre nicht nur mit einer Präsentation seiner Person und seiner Visionen ins Netz gegangen, sondern hätte sich intensiv in den Dialog mit seinen Unterstützern, mit Skeptikern und Mit-Kandidaten gestürzt. Er hätte in die sozialen Netzwerke nicht nur mit einem Edelprofil einsteigen, sondern die junge Generation direkt ansprechen können.

Vielleicht wäre ja der ein oder andere wirklich angesteckt worden. In jedem Fall aber hätten die politikinteressierten Internetnutzer ihre Anliegen vorgebracht, hätten Ideen mitentwickelt, konkretisiert, und im Ende mitgetragen. Hätten ihren bevorzugten Kandidaten gefunden und während der Sendung unterstützt, angefeuert und bei der Abstimmung mit Freude zum Telefonhörer gegriffen.

Eine neue Ladung Kanzler?

Wird das ZDF eine Version 2.0 von „Ich kann Kanzler!“ auflegen, die die bisherigen Schwächen ausbügelt? Immerhin riet Steffen Seibert mehr als einmal, ein ausgeschiedener Kandidat solle es im nächsten Jahr wieder probieren. Ob das mehr als ein zu viel versprechendes Dieter-Bohlen-Zitat bleibt, wir werden es herausfinden.

Hoffentlich gibt es dann nicht nur mehr Inhalt und weniger Show, mehr Professionalität und weniger Pannen. Schön wäre es, wenn dann auch der Gewinn nicht mehr so schäbig wirken würde. Denn die sueddeutsche moniert nicht zu Unrecht den „Hauptgewinn, der mehr über die junge Generation aussagt als jede Studie: Ein Praktikum. Und ein Kanzlerinnen-Monatsgehalt von 16.000 Euro, das aber nur zweckgebunden ausgegeben werden darf.“

 

Zum Nachlesen: Kandidatenprofile bei wahl.de, „Ich kann Kanzler!“ bei twitter, die unterdurchschnittlichen TV-Quoten, die eher zurückhaltende Blogosphäre über die Sendung und die gute Zusammenfassung von Matthias Matussek. Und als Dessert: ein Screenshot von ichkannkanzler.de, aufgenommen vor einer halben Stunde.

Bilder: ZDF

Wal mit Scheuklappen

Die „Wahl im Web“ zur Europa-Wahl kämpfte mit ähnlichen Problemen wie die letzte Ausgabe zur Landtagswahl im Hessen. Die Sendung schlingerte zwischen aktueller Webbeobachtung, erklärenden Expertengesprächen und Rückbetrachtung des Wahlkampfs.

screen3Natürlich muss auch eine Sendung, die sich mit der Aufnahme der Wahl im Internet beschäftigt, die komplizierte Welt der EU erklären. Ein Job, den Professor Christian Calliess von der FU Berlin auch ganz hervorragend bestritten hat. Auch Dr. Christoph Bieber von meiner Heimatuni in Gießen konnte mit seinen Erläuterungen zum Thema Netz und Politik sicherlich Vielen komplexe Sachverhalte näher bringen. Professor Karl-Rudolf Korte war zwar nebenan in der ZDF-Hauptsendung zu Gast, mischte sich aber per Twitter-Nachrichten mit interessanten, teils kontroversen Analysen des Wahlergebnisses ein.

Dennoch fehlte wieder ein wenig der namensgebende Charakter der Sendung. Dr. Bieber hatte in seinem Blog, auch von Kavka angesprochen, eine Vorherrschaft von Twitter für die Sendungsgestaltung vorhergesagt – und wurde nicht bestätigt. Die Besuche bei den „Twitter-Scouts“ waren keineswegs prägend für die Sendung, sondern eher auflockerndes Zwischengeplänkel. Auch die Twitter-Scouts selbst müssen sich fragen lassen, ob wirklich die ausgewählten Kurznachrichten die Richtigen waren und man nicht mehr ins Detail und auf die Meinungsäußerung der Nutzer hätte eingehen sollen.

screen2Die angekündigte europaweite Ausrichtung der Netzrecherchen konnten nicht wirklich überzeugen. Interessante Hinweise kamen vor allem von den polnischen und ungarischen Gästen, die über ihre heimische Netzwelt und die politischen Bedingungen vor Ort berichteten. Solche Elemente hätten ausgebaut werden müssen- während ich auf einen rappenden Halbnazi Strache, einen pöbelnden Berlusconi und die Freundeszahlen von Sarkozy bei Facebook hätte verzichten können.

Bemerkenswert waren in jedem Fall die Besuche der Spitzenkandidaten von CDU und Grünen. Hans-Gert Pöttering und Reinhard Bütikofer besuchten die „Wahl im Web“ und stellten sich den Zuschauerfrage aus dem Chat. Dass nicht alle Spitzenkandidaten kommen konnten oder wollten, schmälert diesen Erfolg nicht.

Im Vergleich zur letzten, bewusst studentisch und unprofessionell gehaltenen Ausgabe aus dem Gießener Hörsaal wirkte schon das Set in Berlin viel anspruchsvoller. Da fällt es aber auch mehr auf, wenn die Sendung zwischenzeitlich chaotisch, konzeptlos oder ziellos wirkt. Markus Kavka hatte eine große Aufgabe zu bewältigen, nämlich alle Beteiligten und auch noch zahlreiche Gäste zu Wort kommen zu lassen. Nicht immer passte das zum Konzept der Sendung.

Zwei Ausgaben von „Wahl im Web“ stehen für dieses Jahr noch auf dem Programm, angekündigt für die Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und in Thüringen am 30. August und natürlich die Bundestagswahl am 27. September. Für die beiden Sendungen sollte das ZDF das Netz noch weiter in den Vordergrund rücken und so dem Namen der Sendung mehr Inhalt verleihen. Einen sehr guten, lobenswerten und innovativen Ansatz hat das ZDF aber auch mit den beiden ersten Ausgaben gezeigt.

Alle Bilder: Screenshots, ZDF

Obamasuche mit dem Zweiten

Seien Sie unser Obama! Bewerben Sie sich für unsere Show: Ich kann Kanzler!

Achim Winter erklärt mit diesen Worten die Politik-Castingshow des ZDFs, die unter dem Titel „Ich kann Kanzler!“ am 19. Juni live gezeigt werden soll. Am Ende werden die Zuschauer bestimmen, wen sie für das größte politische Talent der Sendung halten.

Ich kann Kanzler!

Mit der „Idee hinter der Sendung“ steckt sich das ZDF gewaltig hohe Ziele. Die Enttäuschung der Wähler von den deutschen Politikern, die mit immer abgedroscheneren Worthülsen viel sagen und wenig verändern – das sei der Grund für die neue Sendung. Und damit böte sich für jeden Interessierten die Gelegenheit, selbst etwas zu verändern. Man suche eben „Junge Menschen, die gerne etwas politisch verändern wollen“. Denn es sei an der Zeit, gegen Politikverdrossenheit vorzugehen.

Zwei Gefahren warten auf die Sendung, deren Tragweite das ZDF nicht vernachlässigen sollte.

  1. Enttäuschte Zuschauer: Erwartungen wecken möchte man mit der Sendung; Erwartungen für eine neue Politikergeneration mit mehr Charisma, Durchsetzungsfähigkeit und Echtheit als die gegenwärtig amtierende. Es ist aber unwahrscheinlich, dass das Format mit nur einer geplanten Livesendung inklusive zeitraubender Abstimmung dies überhaupt darstellen kann. Gerade der überstrapazierte Vergleich mit der Massenbewegung um Barack Obama zeugt nicht gerade von Bescheidenheit oder Bewusstsein für die begrenzten zeitlichen Möglichkeiten eines Freitagabends.
  2. Enttäuschte Gewinner: Unterstellt man den Teilnehmern mal durchaus ernstes Interesse an Politik und ein ehrliches Interesse, sich selbst für das Land einzusetzen, könnte der Preisträger sich angesichts des ausgelobten Preises etwas ausgenutzt vorkommen. Ein Kanzlergehalt ist natürlich eine nette Offerte, beläuft sich in Deutschland immerhin auf etwa 220.000 € pro Jahr. Aber ob rein materielle Unterstützung wirklich das Ziel eines begabten Idealisten ist? Das zusätzlich als Gewinn gesetzte Praktikum „im Zentrum der Macht“ gilt es erst noch zu spezifizieren, bevor man hier genauere Bewertungen vornehmen kann.

Richtigen Fokus setzen

Fakt ist natürlich auch, dass eine solche Sendung immer nur Talentsuche sein kann, nie aktiv in den politischen Prozess eingreifen. Wenn das ZDF es schafft, diesen Fokus zu setzen, dann kann die Sendung wirklich interessant werden. Wenn aber den Zuschauern ein neuer Obama verkauft werden soll, der am liebsten ab nächster Woche dann im Kanzleramt sitzen darf, dann schlägt die ganze Sendung fehl.

PS: Noch lässt das ZDF offen, wer die Sendung moderieren wird. Die zuletzt erfolgreich gelaufene „Wahl im Web“ hatte noch Markus Kavka moderiert und sich damit für junge, politische Formate empfohlen. Für die ein oder andere sehr wahrscheinliche Neuauflage der Webwahl dürfte er damit gesetzt sein, aber ob das ZDF ihn in die große Freitagabend-Liveshow wirft, bleibt abzuwarten. Achim Winter, der den ersten Kurzspot produzieren durfte, wird wohl ebenso wenig als Moderator eingesetzt. Produzent der Sendung ist im Übrigen die „I & U Information und Unterhaltung TV Produktion“ von Günther Jauch. Eine Beteiligung Jauchs als Moderator ist aber reine Spekulation.

Bild: ZDF