Der super tuesday, der keiner wurde…

Mit welcher Überschrift soll man einen solchen Beitrag eröffnen?

„Das Ende der Sozialdemokratie in Hessen“ oder „Die Rückkehr des Roland Kochs“?

Na ja, vielleich alles doch ein wenig zu reißerisch…

Schließlich war es von Anfang an deutlich, dass es sehr eng werden würde mit der Wahl  von Andrea Ypsilanti zur hessischen Ministerpräsidentin. Nachdem die Darmstädter Abgeordnete bereits im März diesen Jahres die Koaltionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen unterbrochen hatte, nahm man nun nach der Sommerpause und einigen SPD-Regionalkonferenzen später, die Verhandlungen zwischen SPD und Grünen wieder auf. Es wurde verhandelt und gestritten und am Ende kam ein 99seitiger Koaltionsvertrag dabei heraus.

Und gestern nun, 24 Stunden vor der Ministerpräsidentinnen-Wahl im hessischen Landtag, das aus durch die Ankündigung von drei Abgeordneten (plus Dagmar Metzger), die bei der Wahl nicht für Ypsilanti stimmen wollten.

Man könnte sich fragen, was ist das los in der hessischen Politik?

Bereits in der letzten Woche hatte die CDU-Fraktion die sehr abenteuerliche Idee diskutiert, eine Wahl Ypsilantis zu boykottieren und beim Aufruf zur Wahl einfach sitzen zu bleiben. Laut FAZ sollte dadurch sichergestellt werden, dass kein CDU-Parlamentarier für Ypsilanti stimmt, um Roland Koch eine auszuwischen. Die CDU hätte dies sogar durchziehen können, da eine Nichtbeteiligung die Wahl nicht ungültig gemacht hätte. Die hessische Verfassung verlangt nämlich lediglich, dass der Landtag den Regierungschef mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder wählt.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Reinhard Kahl, kommentierte die Überlegungen der CDU als „skandalös“. Sie würden offenkundig darauf zielen „(…) den frei gewählten Abgeordneten durch Fraktionsbeschluss ihr Wahlrecht zu entziehen“. Für ihn wäre dies ein unerträglicher Angriff auf die Rechte der Abgeordneten und er halte es für einen Verstoß gegen die demokratischen Spielregeln.

Und nun ist also genau diese „Freiheit“ der Abgeordneten der SPD zum Verhängnis geworden.

Das brisante an dem ganzen ist jedoch, dass die abdrünnigen Abgeordneten bis zum letzten Moment mit der Verkündung ihrer Entscheidung gewartet haben. Franz Münterfering kommentierte das Verhalten der Abgeordneten völig richtig:

Wenn man wirklich Gewissensnöte hat, dann weiß man das eher als 24 Stunden vorher.

Hier kann man, wenn man es ganz weit treibt, taktisches Kalkül sehen. Denn durch diese späte Erklärung hat die SPD nun vor allem ihren potentiellen Koaltionspartner gegen sich gebracht. Denn nicht nur die SPD hatte am Wochenende stundenlang über den Koaltionsvertrag debattiert. Auch die Grünen, die absichtlich den SPD-Parteitag abgewartet hatten, tagten am Sonntag in Frankfurt um den Koaltionsvertrag zu diskutieren. Und nun nach dem alle Weichen gestellt wurden, dieser Rückschlag. Dies wird nicht nur die SPD-Hessen bis auf weiteres Regierunsunfähig machen, sondern auch dazu führen, dass die Grünen sich erst einmal stark von ihr distanzieren werden.

Auf der anderen Seite konnte man die Kritik einiger SPD-Mitglieder verstehen, die mit dem Koaltionsvertrag unzufrieden waren. Schließlich hatte man seine beiden Wahlkampfthemen (Umwelt und Bildung) bei der Ressortverteilung sang- und klanglos verloren und musste noch weitere Eingeständnisse machen um die Grünen auf seine Seite zu ziehen.

In der Presse wird eine weitere Schuld des Scheiterns in der Einbeziehung Hermann Scheers in die hessische Regierung gesehen. Scheer sollte das Amt des Wirtschaftsministers bekommen, dass sich ursprünglich Jürgen Walter erhofft hatte. Dies habe einigen SPD-Insidern zu folge Walter zu einer „tickenden Zeitbombe“ gemacht.

Nun bleibt abzuwarten, wie es in Hessen weitergeht.

Klar ist in jedem Fall, Roland Koch geht gestärkt aus diesem „Vorfall“ hervor, während sowohl Ypsilanti als auch Walter für die SPD-Hessen nicht mehr tragfähig sein werden. Die SPD muss schnellstmöglich jemand zu finden versuchen, der das Ruder wieder in die Hand nimmt und es schafft die Risse (falls es sich nicht viel eher um riesige Spalten handelt) innerhalb des Landesverbands wieder zu glätten. Doch wer dies sein könnte, darüber rätseln derweil auch die Sozialdemokraten noch.

So wie es derweil aussieht stehen nun alle Zeichen auf Neuwahl. Da CDU und FDP aus alleiniger Kraft den Landtag nicht auflösen können, bleibt deshalb abzuwarten, wie die Grünen sich am Wochenende positionieren werden.

Klar ist ganz eindeutig, die SPD wird für längere Zeit in der Versenkung verschwinden. Und auch Tarek Al-Wazir war gestern in einer ersten Stellungnahme davon überzeugt, dass die SPD in Hessen damit für lange Zeit regierungsunfähig ist. Unklar ist natürlich momentan noch für wie lange. Im Internet werden schon Zahlen zwischen fünf und 15 Jahren diskutiert. Wie nachtragend die Wähler sein werden wird sich zeigen, doch in einem sind sich fast alle Kommentatoren einig: Die SPD wird bei Neuwahlen in Hessen rund um die 20%-Marke zu finden sein. Abzuwarten bleiben daneben auch die Auswirkungen auf die Bundesebene.

Das Messias-Duo

flickr SPD in Niedersachsenflickr Howie_BerlinNun ist es also soweit, das monatelange Siechtum von Kurt Beck hat ein Ende. Der Kragen ist ihm geplatzt, sein Nervenkostüm reichte am Ende ebenso wenig wie das seines Vorgängers Platzeck. Und dann zu gutem Schluss auch noch ein Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat.

Und in der Tat ist Steinmeier gar nicht so unschuldig an Becks scheitern. Sicherlich hat Beck es auch persönlich versäumt, eine klare Position zu beziehen oder die Flügel der Partei zu einen und zu befrieden. Aber in dieser wahrhaft stürmischen Phase fiel der immerhin als stellvertretender Vorsitzender seiner SPD nicht ganz verantwortungslose Steinmeier eher durch Abwesenheit und Stille auf. Und dieser Schweiger soll nun für die SPD als Nachfolger seines Mentors Gerhard Schröder Bundeskanzler werden.

Schröder genießt heutzutage nicht gerade den besten Ruf, der Begriff „Hartz IV“ ist schon weit mehr als ein geflügeltes Wort. Seine Agenda 2010 hat in der Bevölkerung tiefe Verunsicherung hinterlassen. An eben dieser Agenda war aber Frank-Walter Steinmeier keinesfalls unbeiteiligt. Als Schröder-Vertrauter seit niedersächsischen Zeiten und Kanzleramtschef steht er geradezu als Architekt für diese Politik. Und nur seine relative Unbekanntheit während dieser Jahre rettet ihn davor, auch als solcher gesehen zu werden. Das lässt das Erbe aber keinesfalls verschwinden.

Auch in seiner Partei dürfte Steinmeier einiges an Rückhalt fehlen. Noch nie hat er eine Wahl für ein öffentliches Amt bestritten, saß in keinem Parlament. Er ist der typische Bürokratenaufsteiger. Vom Referent für Medien in der niedersächsischen Staatskanzlei bis zum Kanzleramtschef unter dem Niedersachsen Schröder – weit entfernt von der Partei. Und jetzt hat ihn auch keinesfalls die Partei in seine Stellung gehoben, sondern vielmehr ein dunkles Cliquentum innerhalb der Führungskreise der SPD.

Genügend Vorzeichen also, um in eine spannende Zukunft der SPD zu sehen. Steinmeier und sein designierter Partei-Arm Müntefering haben noch ein gutes Jahr bis zur Bundestagswahl, um zu zeigen, wofür die SPD und vor allem sie beide stehen. Eine gute Einschätzung zum Richtungsstreit, der den beiden bevorsteht liefert wie immer Franz Walter, der SPD-Experte aus Göttingen.

Jede Disziplinlosigkeit, jede Intrige, jede Fehlentscheidung der Sozialdemokraten fällt von nun an auf Steinmeier. Und dieser hat in den nächsten Wochen auch mühsam zu klären, wie er das repräsentieren will, was die SPD seit ihrem Hamburger Programmparteitag alles beschlossen hat. Distanziert er sich davon, dann hat er Frau Nahles und ihren Anhang im Nacken. Bekennt er sich zur Politik der Reform der Schröder-Reformen, dann enttäuscht er seine Fans in der Partei und den Medien. Zwischen Skylla und Charybdis ist wenig Raum.

Für welche Koalitionen macht Steinmeier sich stark, welche kann er überhaupt erreichen? Was wird noch in Hessen passieren, wird ihm eine potentielle Rot-Rote Allianz in Hessen das Genick brechen? Und steht die eher schrödersche Ausrichtung der neuen/alten Parteiführung nicht konträr zur aktuellen Bevölkerungsmeinung? Wird Müntefering dem Druck und den Erwartungen standhalten, oder wieder so kurz angebunden alles hinwerfen, wie 2005 im Konflikt mit Andrea Nahles?

Viele Kommentatoren werden in der Richtungsentscheidung der SPD von diesem Wochenende eine Chance sehen. Das Bild, das mir von diesem Wochenende im Kopf bleiben wird, ist das einer öffentlichen Niederlage von Kurt Beck. So viele Fehler dieser als Parteichef gemacht haben mag, ob ein dienstältester Ministerpräsident Deutschlands eine solche Demontage verdient hat?

Die unanständigen Bayern

Ein äußerst interessantes Interview war in der letzten Woche in der Passauer Neuen Presse (bzw. auf deren Website) zu verfolgen: Der bayrische Ministerpräsident Günther Beckstein stellte sich den Fragen der Passauer Redaktion.

Die erste Fangfrage bewältigte er noch relativ souverän:

„Herr Ministerpräsident, heute bekommen Bayerns Schüler ihre Zeugnisse. Welche Noten geben Sie sich knapp zwei Monate vor der Landtagswahl?“

Beckstein: „Ich gebe mir eine Zwei plus. Und ich werde mich weiter anstrengen, damit die Wähler mir eine Eins mit Stern geben.“

Doch schon einige Zeit später stolperte Beckstein über folgende Frage:

„Die CSU geht mit 48 und 50 Prozent wieder einmal durchs Umfrage-Fegefeuer. Experten wie Professor Heinrich Oberreuter sagen, die CSU müsse aufhören, auf die 50 Prozent zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange, sie werde in Zukunft dauerhaft unter 50 Prozent liegen. Teilen Sie diese Prognose?“

Beckstein: „50 Prozent zu erreichen, ist immer schwer. Es gibt außer uns keine Partei in Deutschland, nicht einmal in Europa, die sich dieses Ziel setzt. Unser Ziel ist, eine echte Volkspartei zu sein, dass CSU und Bayern gleichgesetzt werden. Ein anständiger Bayer wählt CSU – das streben wir auch in Zukunft an. Es gibt eine Sonderstellung Bayerns in Deutschland: Wir sind ein eigenständiges Land, und die CSU ist eine eigenständige Partei. (…)

Und ungewollt spielte er damit der gesamten politischen Konkurrenz in die Hände:
So kamen prompte Reaktionen vor allem von SPD und FWG (Zusammenfassung bei polixea-portal.de).

Dazu bewies die SPD Reaktion und Schnelligkeit und baute Becksteins Fehltritt hurtig in ihren Wahlkampf ein.
Wenn das mal nicht unanständig ist…

Hier ruht die SPD

SPD Grabstein

Niemand in der SPD wusste, welche Leitidee der Agenda eigentlich zu Grunde lag. War hier der Sozialstaat Kern und Wurzel des wirtschaftlichen Übels, da er die Staatsquote nach oben getrieben, Eigenverantwortung, Selbstbeteiligung, Investitionsbereitschaft, Wachstumspotentiale, ja den Raum für individuelle Freiheit begrenzt und beschränkt hat?

Oder war der Sozialstaat für die Betreiber der Agenda ein zwar sanierungs- und umbaubedürftiges, aber doch gelungenes, attraktives, erhaltungswürdiges Sozialmodell zum Abbau scharfer Klassengegensätze, zur Förderung von Lebenschancen, zur Integration komplexer Gesellschaften? Eine gültige, verbindliche Antwort darauf haben die Sozialdemokraten bis heute nicht gegeben.

Und vor allem bei den jungen Netzwerkabgeordneten traf man deprimierend häufig auf solche, die in der einen Woche für diese, in der anderen Woche für jene Haltung zum Sozialstaat eintraten. Die sozialdemokratische Konfusion des Frühjahrs 2008 hat einen langen Vorlauf.

Der wohl renomierteste SPD-Forscher Frank Walter hält einen Nachruf auf diese vielleicht bald ehemalige Volkspartei. Erschreckend schlüssige Erklärung für die aktuell wohl offensichtliche Krise.