Von wegen bürgerlich

Kraftstrotzend sah man Guido Westerwelle am Wahlabend in die Kameras lächeln, das Ergebnis der FDP mutet fast schon irrsinnig hoch an. In den seitdem vergangenen Wochen kommt zu diesem triumphalen Bild des Wahlsiegers aber auch das des gestressten Verhandlers, der um seine Steuerversprechen hart kämpfen muss. Die F.A.S. schreibt daher auch – „Von wegen Traumpaar“ – über eine Wunschehe, die nicht so harmonisch verlauft, wie man vorher erzählen wollte. Und auch in der WELT heißt es, die „Sozialdemokraten waren bequem“.

So recht will das nicht passen in die Mär des bürgerlichen Lagers, das sich einsam als letzter Verteidiger der Sozialen Marktwirtschaft gegen Ökofundamentalismus und Altsozialisten stellt. Müsste man sich nicht eigentlich mit Bürger-Kuss statt Brüderkuss in die Arme fallen und eine konservativ-liberale Zukunft für Deutschland entwerfen?

Szenenwechsel. Auch eine andere deutsche Kleinpartei gewinnt an Stärke. Zwar nicht in gleichen Zahlen wie die FDP, doch haben die Grünen reale Machtperspektiven entwickelt. Mehr noch, man wird zu grünen Königsmachern, wie Marc Debus schreibt. Im Saarland ließen die Grünen den rot-roten Traum einer Abwahl von Peter Müller zerplatzen und wandten sich einem Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP zu.

Vielmehr könnten Bündnis 90/Die Grünen durchaus als teuer bezahlter Mehrheitsbeschaffer ein Weiterregieren von Christ- und Freidemokraten auf Bundesebene auch nach 2013 ermöglichen. Wie das aussehen kann hat man in den letzten Wochen im Saarland sehen können: Obwohl sie die kleinste Partei im Saarbrücker Landtag mit nur drei von 51 Sitzen darstellen, wurden den Grünen bereits vor den Koalitionsverhandlungen beachtliche inhaltliche Zusagen sowie zentrale Ministerien von CDU und FDP auf der einen wie auch von SPD und Linken auf der anderen Seite zugesichert.

Debus spitzt seine These weiter zu und sieht die Grünen gleich als neue, möglicherweise entscheidende Kraft der Zukunft:

Damit sind die Grünen in jener komfortablen Situation des Züngleins an der Waage, die im westdeutschen „Zweieinhalb-Parteiensystem“ von 1961 bis 1983 noch die FDP innehatte. Der Unterschied ist lediglich, dass die Liberalen noch die Wahl zwischen Union und SPD hatten, während die Grünen nun zwischen zwei Parteiblöcken – CDU/CSU und FDP auf der einen und SPD und Linke auf der anderen Seite – haben.

So treffend die Analyse von Marc Debus ist, man muss sie doch noch um einen Punkt erweitern: Das Lagersystem wie hier beschrieben wird hauptsächlich von den Liberalen errichtet. In nicht allzu ferner Zukunft werden sich die Freidemokraten die Frage stellen, wie konservativ sie eigentlich sind. Sie werden auch nicht um einen genaueren Blick auf die Schnittmengen mit der Union herum kommen. Wo das liberale Profil in den Koalitionsverhandlungen bleiben wird, werden die nächsten Tagen zeigen. Vielleicht wird man dann auch sehen, dass sich eine Schwarzgelbe Koalition nicht nur in den Verhandlungen etwas schwer tut, sondern dass sie in weiten Teilen ebenso wenig zusammen passt, wie manch andere Konstellation.

Um auf Debus zurück zu kommen: Aktuell sind nur die Grünen in der „komfortablen Situation des Züngleins an der Waage“. Doch auch die FDP kann sich diese Option wieder eröffnen. Mit manchen ihrer Positionen wir sie auch bei SPD und Grünen auf offene Ohren stoßen.

Bilder: Wahlplakate von CDU und FDP

Das Vermächtnis der SED

Nachdem im Saarland und in Thüringen die Beteiligten im letzten Moment kniffen, wird es unter Matthias Platzeck nun die zweite rot-rote Koalition auf Landesebene geben. Wowereit verliert seine Berliner Einzigartigkeit und der Umgang mit der Linken wird „hoffähig“ (ZEIT) gemacht. Kritik bleibt besonders von bürgerlicher Seite nicht aus. Die Kritik ist das gute Recht der politischen Gegner, problematisch ist der Umgang mit der Partei „Die Linke“ an sich.

Für viele ist die Linke nichts mehr als die Nachfolgepartei der SED und als solche für das Unrecht in der so oft zitierten „zweiten deutschen Diktatur“ verantwortlich zu machen. Hier taucht es schon auf, das beliebte Motiv des Vergleichs. Christian Wulff sprach im Bundestagswahlkampf von den „Radikalen von links und rechts“ und meinte damit nichts anderes als dass Nazis und Kommunisten gleichermaßen zu verurteilen sind. Man könnte nun polemisch fragen, wo denn die 6 Millionen Juden, Schwulen, Lesben, oder Sinti und Roma der DDR waren – doch damit ließe man sich nur auf ein Niveau herab, auf dem diese Diskussion nicht geführt werden sollte.

Ich benutze den Vergleich nur ungern, aber schon einmal mussten in der deutschen Geschichte Entscheidungen über die ewige Schuld oder Wiedereinbindung ganzer Menschenmassen gesprochen werden, die sich in einem diktatorischen System Schuld aufgeladen hatten. Nach dem Nationalsozialismus ging man einen Weg, der die Haupttäter vor Gericht und die Mitläufer zurück an ihren Platz stellte.

Diesen Umgang sollte man auch mit der Linkspartei pflegen und jeden einzelnen Täter auch vor Gericht stellen. Die aber, denen man keine strafrechtliche Anklage vorbringen kann, die dürfen nicht für ewig an den Pranger gestellt werden.

Denn man darf die Linkspartei nicht mehr als exaktes Abbild der SED betrachten. Die Partei hat sich weiter entwickelt, mit einer Abspaltung der SPD fusioniert und nicht zuletzt völlig neue Wählerschichten erschlossen. Ob eine eindeutige Haltung gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan oder einen Mindestlohn von 8 Euro – die Linkspartei bewegt die Menschen mit ihren Forderungen. Mehr noch, für viele ist die Linke zu einer letzten Projektion von Zukunft und Hoffnung im Parteienspektrum geworden.

Die Linke nun als „Schmuddelkind“, mit dem man nicht spielt, aus der politischen Arena schieben zu wollen, hat eben auch ganz direkte Konsequenzen. Man würde damit einer großen Zahl deutscher Bürgerinnen und Bürger ins Gesicht sagen, dass sie Verbrecher gewählt haben, die ins Gefängnis und nicht in ein Parlament gehörten.

Natürlich ist die Linke noch unbeholfen und man kann ihr sicherlich auch einen begrenzten Realismus bis hin zum Populismus unterstellen. Doch aus der politischen Landschaft ätzen kann man sie nicht.

Dafür sprechen schon die simplen Tatsachen, die von Meinungsforschern regelmäßig erhoben werden: Die Linke wird immer wichtiger. Eine Politik voll von Forderungen, wie sie die Linkspartei kennzeichnet, kann nur an der Realität scheitern. Nur in Regierungsverantwortung lässt sich beurteilen, ob die Forderungen kühne Visionen waren oder vollkommen unrealistisch. In der Opposition dagegen wird die Linke immer weiter fordern.

Bild: flickr dielinke_sachsen

Christean Wagner trifft Jesus

Es scheint ihm auf der Seele gebrannt zu haben. Christean Wagner, Fraktionschef der hessischen CDU, läuft marodierend durch die Medienlandschaft und trägt dabei wahlweise das Kruzifix oder das CDU-Parteiprogramm vor sich her. In der FAZ forderte Wagner eine Rückbesinnung der CDU auf das „C“ in ihrem Namen als Konsequenz aus der etwas ungünstig verlaufenen Wahl:

„Wir müssen uns mutig zu unserem christlichen Glauben bekennen. Wir müssen klar und deutlich sagen, dass wir als Partei auf einem christlichen Fundament stehen. Das kommt mir bisher zu kurz“, sagte Wagner der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am Mittwoch. Seine Partei müsse wieder „stärker konservative Wähler ansprechen und das C in unserem Parteinamen betonen“. Denn mit dem C verbinde die Union ein „christliches Wertefundament“, auf das sie stolz sein müsse. (Quelle: pro)

Auch in ideaSpektrum, einem evangelikalen Nachrichtenmagazin, für das ich auch als freier Autor arbeite, darf Wagner im Editorial seine Forderungen verbreiten. Ohne klare Argumentationslinie stolpert Wagner durch die Absätze. Mal beklagt er das Verschwinden von Christlichen Werten aus den Parteien im gleichen Atemzug mit dem Verbot von Kruzifixen in Klassenräumen, mal geht es ihm gleich ums Ganze, wenn er Papst Benedikt recht gibt: Man könne heute doch kaum noch von Gott reden, ohne an den Rand gedrängt zu werden.

Sogar Ernst-Wolfgang Böckenförde kommt zu seinem Zitat, wenn Wagner wiedergibt: „Der freiheitliche, säukalrisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ So wie Christean Wagner die Debatte der vorpolitischen Legitimation des Rechtsstaats hier einwirft, scheint er nicht mal im Ansatz verstanden zu haben, worum es dabei geht. Es heißt natürlich nicht, dass nur ein christliches Fundament einen Staat solide tragen kann.

Einen Seitenhieb auf die Linke und ihre DDR-Vergangenheit bringt Wagner gleich mit in seinem Aufruf unter. Wieder beruft er sich auf Ratzinger und behauptet, eine Gesellschaft ohne Gott zerstöre sich selbst. Das habe man schließlich in den „großtotalitären Experimenten des letzten Jahrhunderts“ gesehen. Wollte man der These genauer nachgehen, müsste man schon den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur einbeziehen. Denn dass eine Demokratie ohne Gottesbezug nicht zwangsläufig zur Diktatur werden muss, sollte klar sein.

Schließlich stellt Wagner fest, nur die CDU stehe für ein christliches Wertefundament. In der FAZ hat er auch schon konkretisiert, was für ihn dazu gehört:

Als Beispiel nannte Wagner die Bewahrung des menschlichen Lebens bei den Themen Embryonenschutzgesetz und Spätabtreibungen. „Hier müssen wir deutlich von einer christlichen Grundlage aus diskutieren.“ Wagner sprach sich außerdem gegen die vom künftigen Koalitionspartner FDP geforderte Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften mit der Ehe aus. Der FAZ sagte der CDU-Politiker: „Hier gilt wortwörtlich für mich der Artikel 6 des Grundgesetzes, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der Verfassung stehen. Bei aller Toleranz in Fragen der persönlichen Lebensverhältnisse darf es hier keine Gleichstellung geben.“ (Quelle: pro)

In seinem idea-Text setzt Wagner die Zwischenüberschrift „Wie bei Jesus: Gebt dem Kaiser…“. An dieses Prinzip „Wie bei Jesus“ hätte sich Wagner mal halten sollen. Immerhin weist er auch selbst darauf hin, dass Jesus schon vom säkularisierten Staat gesprochen hat:

„Um es klarzustellen: Deutschland ist ein säkularer Staat. In Abgrenzung zu islamischen Staaten, in denen der Koran als verbindliches Gesetz und staatliche Rechtsordnung gilt, sind Staat und Religion in unserem Land klar getrennt. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und  Gott, was Gottes ist.“ Die Bergpredigt ist kein Regierungsprogramm.“

Warum Wagner das zwar erwähnt, aber nicht in seine Gedanken einbezieht, versteht wohl nichtmal er selbst.

Und wenn er es schon wie Jesus machen will: Glaubt Wagner wirklich, dass Jesus vollkommen ohne Grund wieder einen Tiefschlag gegen die Gleichstellung von Homosexuellen gelandet hätte? Wenn er es wirklich wie Jesus machen wollte, würde er zuerst den Balken im eigenen Auge suchen, bevor er sich über den Splitter im Auge des Gegenübers echauffieren müsste. Wenn er es wirklich wie Jesus machen wollte, würde er sich zuerst liebevoll um die Zölner und Huren kümmern, um die Ausgestoßenen der Gesellschaft.

Noch zugespitzter: Wäre Jesus ein Politiker gewesen, hätte er keine Politik für den Mittelstand gemacht, sich nicht zuerst um die Rechte von Christen und Kirchen gekümmert. Jesus hätte Politik gemacht für die Armen, für die von der Gesellschaft ausgregrenzten. Politik für Hartz IV-Empfänger und Langzeitarbeitslose, für die Arbeitsrechte von Prostituierten und Behinderten – und ganz sicher hätte Jesus Politik für Schwule und Lesben gemacht.

Nicht einmal Christean Wagner kann erklären, warum Jesus nicht in der CDU gewesen wäre.

Bild: Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks

Kampagnenpraxis: Internet erfolgreich nutzen

Wir freuen uns, ein wirklich tolles Projekt vorzustellen, an dem wir mitarbeiten. Kampagnenpraxis beschreiben wir auf der Internetseite so:

Wir sind eine Arbeitsgemeinschaft junger Fachleute an der Schnittstelle zwischen politischer Kommunikation und den Internetmedien. Wir zeigen Kampagnen- und Kommunikationsverantwortlichen lokaler und regionaler politischer Akteure in zweiwöchentlichen Reports Beispiele, wie sie das Internet erfolgreich nutzen können.

Heute haben wir unseren ersten Report veröffentlicht. Wir zeigen, wie die SPD in Hamm gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern für die Stadt arbeitet:

Die SPD setzte für die Kommunalwahl in Hamm auf Zusammenarbeit mit der Bevölkerung: Die Bürgerinnen und Bürger zeigten der Partei im Internet auf, wo bei ihnen in der Nachbarschaft der Schuh drückt. Die SPD hörte zu und kümmert sich nun öffentlich sichtbar und gemeinsam mit den Betroffenen um die Probleme. Sie und ihre Oberbürgermeisterkandidatin leben damit vor, dass sie die Probleme vor Ort ernst nehmen und gemeinsam mit den Betroffenen lösen wollen.

Unsere Reports werden ab jetzt zweiwöchentlich erscheinen. Abonnieren kann man sie direkt auf der Internetseite.

Schäfer-Gümbel und die SPD

Das Personalkarussel der SPD dreht sich bereits mit einer solchen Geschwindigkeit, dass sich Hubertus Heil, Peer Steinbrück und Franz Müntefering nicht mehr fest halten können. Wie weit der personelle Umbruch der Sozialdemokraten aber wirklich gehen wird, das ist in dieser ersten Phase der Bereinigung noch nicht abzusehen.

Bisher sind es noch nicht dir ganz großen Erneuerungen, wenn mit Gabriel, Steinmeier und Nahles eine Semiverjüngung angestrebt wird. Offensichtlich aber wird, dass eine junge Generation von Landespolitikern sich langsam in Stellung bringt. Heiko Mass aus dem Saarland brachte sich stark in die Debatte über eine Bündelung von Fraktions- und Parteivorsitz ein. Hannelore Kraft soll mit einer herausgestellteren Position als Parteivize für den anstehenden Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gestärkt werden.

3187094383_9df8840edfIn dieser Stimmung kann es nicht verwundern, dass auch der Name von Thorsten Schäfer-Gümbel genannt wird. Als Vorsitzendem der hessischen SPD steht es ihm auch zu, die unter Kurt Beck für die starken Linken aus Hessen reservierten Posten anzustreben. Doch bei der Diskussion scheint es nicht nur um einen Platz in Präsidium und Vorstand zu gehen, sondern um erste Revierkämpfe der Nachwuchssozialdemokraten. Schäfer-Gümbel hielt sich dabei etwas stärker zurück und ließ andere für sich einfordern, was ihm zustehe. Einzig über die Postenvergabe in den Hinterzimmern beschwerte er sich doch selbst.

In der Tat würde einiges für einen stärkeren Part von TSG in Berlin sprechen. In Hessen muss er derzeit ebenso eine Partei mit schlechten Wahlergebnissen und Richtungsstreiten versöhnen. Als Vertreter einer offenkundig wirksam vermittelten linken SPD-Politik könnte er für eine vorsichtige rotrote Öffnung einstehen (zu den Bedingungen für Rot-Rot-Grün im Böll-Blog). Aber bei all den Anzeichen darf man nicht übersehen, dass Schäfer- Gümbel in Hessen einen Marathon läuft, dessen Zielflagge noch lange nicht in Sicht ist. Eingebunden als Oppositions- und Parteiführer sind selbst die größten Kräfte irgendwann gebunden.

Schäfer-Gümbel muss derweil nur zu seinem grünen Oppositionsfreund schauen, um eine Idee seiner bundespolitischen Zukunft zu bekommen. Tarek Al-Wazir gehört zu den größten grünen Nachwuchstalenten und wird von Wählern und Politikern parteiübergreifend geschätzt. Dennoch oder gerade aus diesem Grund sieht Al-Wazir seine Arbeit weiterhin in Hessen. Nicht aber ohne seinen Einfluss auf Bundesebene stetig und ruhig auszubauen.

piraten

Durch eine solche, unaufdringliche Übernahme von Verantwortung kann auch TSG seiner Partei und sich selbst helfen. Warum nicht den ausgewiesen netzaffinenen Schäfer-Gümbel daran arbeiten lassen, die verlorenen Wähler vom Piratenschiff zu befreien?

Bilder: flickr Nils Bremer, Screenshot unrepräsentative Umfrage