Prämie oder Abmahnung? Hessens Regierung auf Twitter

Und auf einmal ging alles ganz schnell. Nachdem heute Mittag hr-online berichtet hatte, dass sich auf Twitter unter dem Namen @hessenredaktion ein bis dato noch unbekannter Mitarbeiter der Landesregierung unter dem Landes-Wappen twittere, hat sich die Situation nur wenige Stunden später gedreht. Die Landesregierung hat den Trittbrettfahrer nicht nur enttarnt und verwarnt, sondern handstreichartig ein eigenes Angebot bei Twitter gestartet.

Damit hat der Trittbrettfahrer sein Ziel erreicht. hr-online schrieb über seine Motivation:

“Enttäuschung über die Öffentlichkeitsarbeit seines Arbeitgebers, der im interaktiven „Web 2.0″ bislang so gut wie nicht in Erscheinung getreten ist. Weder auf Facebook noch über Twitter informiert Regierungssprecher Bußer über aktuelle Regierungsanliegen. Er setzt bislang auf das klassische Internet (hessen.de), E-Mails und FAX – anders als beispielsweise der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert.“

Die Landesregierung reagierte prompt:

Hier startet der offizielle Twitteraccount der Hessischen #Staatskanzlei. Herzlich Willkommen! #Hessen #Landesregierung

Ein neuer Steffen Seibert wird Michael Bußer so aber nicht. Denn während Seibert die meiste Zeit selbst twittert und nur von Zeit zu Zeit bei ergänzenden Hinweisen seine Mitarbeiter dazwischen funken lässt – stets gekennzeichnet mit dem Hinweis BPA für Bundespresseamt – twittert Bußer überhaupt nicht selbst, sondern lässt das von Mitarbeiterinnen erledigen:

@chris_politicus …sein Stab u das sind die „Twittertwins“ Simone Koch (sek) und Silvia Sämann (sis). Ab jetzt Tweets mit Kürzeln ;-) (sek)

Immerhin schreibt sich die Landesregierung den Dialog so erstmals auch im sozialen Internet auf die Fahnen. Explizit fordern die „Twittertwins“ die BürgerInnen auf, sich auch mit Fragen an sie zu wenden. Vielleicht sollte man auch einmal fragen, ob dem Trittbrettfahrer von der HessenRedaktion jetzt ein Disziplinarverfahren droht oder ob er nicht doch eine Prämie bekommen sollte. Schließlich war er es, der die Aufmerksamkeit der Landesregierung auf das Web 2.0 gelenkt hat.

Zeiten ändern sich

Mit der Bekanntgabe seines Twitterprofils sorgte Regierungssprecher Steffen Seibert heute für einige Aufmerksamkeit im Internet und sammelt seitdem in rasantem Tempo Follower. Seibert hat also allem Anschein nach Twitter für sich entdeckt und darin einen neuen, sinnvollen Informationsweg  für die Bundesregierung gefunden. Doch das war nicht immer so.

Zeiten ändern sich und Menschen auch. Steffen Seibert, seit August 2010 Sprecher der Bundesregierung, ist heute mit einem eigenen Twitteraccount online gegangen und schaffte es durch unzählige Retweets sofort in die Timeline der halben deutschen Twittergemeinde. Und so blickt Seibert nach nicht einmal vier Stunden auf 2,803 Follower (Update 21:20 Uhr: 3,584).

Twitteraccount von Steffen Seibert

Durch die unglaubliche Aufmerksamkeit ist Seiberts Profil derzeit nur über die Twitter-API bzw. über die mobile Twitterseite abrufbar.

Nicht uninteressant erscheint Steffen Seiberts Twitterstart aber aus ganz anderer Perspektive. Vor seinem Karrieresprung nach Berlin war er den meisten als Anchorman der ZDF Nachrichtensendung „heute“  bekannt. Außerdem moderierte er im Herbst 2009 und Frühjahr 2010 die Sendung „Erst fragen, dann wählen“, zur Bundestagswahl und Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. In dieser Sendung war ich selbst damals, zusammen mit @Herr_Marx und @fabianpingel, als sogenannter Twitterscout mit von der Partie und hatte die Aufgabe während der Sendung Fragen und Kommentare der Zuschauer zu beantworten und zu sammeln (hier, hier und hier gab es bei uns im Blog bereits Beiträge dazu). Steffen Seibert zeigte sich im Rahmen der Sendung äußert kritisch gegenüber dieser, damals in Deutschland allgemein noch unbekannteren Kommunikationsplattform. So bezeichnete er Twitter als buntes Rauschen und fragte, ob da nicht hauptsächlich Wichtigtuer am Werk seien.

In einer Sendung von Johannes B. Kerner einige Zeit nach der ersten „Erst fragen, dann wählen“-Sendung hatte Seibert sich zwar etwas auf die Seite von Twitter gestellt – so erkannte er den Bedeutungsgewinn von Twitter durch die Proteste im Iran und gestand, dass ihm selbst, als Journalisten, die Plattform wichtige Informationen liefern würde. Trotzdem pflichtete er Kerner bei, der Twitter in seiner Sendung von A bis Z herunterputzte und wüst beschimpfte. Zitat Kerner: „Ich habe auch nicht vor, das anzufangen, weil (…) ich es für die Pest halte“ (Anm.: Die Sendungsmitschnitte bei YouTube wurden inzwischen leider alle entfernt). Seibert selbst stellte sich dem nicht wirklich entgegen und zeigte sich eher auch besorgt angesichts des Mißbrauchspotentials durch Fakeprofile und und dem hohen Maß an Unkontrollierbarkeit.

Woher also der Sinneswandel?
Insgesamt kein neuer Effekt, schon eine ganze Reihe von Medien und Politikern hatten über Twitter abgezogen und waren kurze Zeit später bereits die größten Anhänger der Plattform. So machte sich Spiegel-Online bspw. noch im Herbst 2008 über den twitternden SPD-Generalsekretär Hubertus Heil lustig, um später in den eigenen Follower Wettbewerb mit @saschalobo einzusteigen und sich in seiner Berichterstattung über die Proteste in Libyen, Ägypten und Tunesien in jüngster Vergangenheit immer häufiger auf Twitternachrichten zu berufen.
Und auch Johannes B. Kerner scheint seine Schimpftiraden schnell vergessen zu haben, so twittert er inzwischen bereits seit einiger Zeit mit seinem Redaktionsteam unter @kernersat1 und macht Werbung für seine Twitteraktivitäten, so als habe er nie eine andere Meinung vertreten.

Doch zurück zu Steffen Seibert: Viel spannender als die Frage nach seinem Sinneswandel, ist derzeit die Frage, was er zukünftig mit seinem neu geschaffenen Twitteraccount vorhat. Wird er über Twitter wirklich einen neuen Kommunikationsweg hin zur Bundesregierung etablieren? Wird er als Regierungssprecher zukünftig auf @replies reagieren und verfolgen (lassen), was die Menschen bei Twitter gerade bewegt? Oder wird Seibert lediglich einen weiteren Kanal aufbauen, über den von oben nach unten, im Stil eines kurzweiligen E-Mail-Verteilers, kommuniziert wird? Derzeit spricht die Anzahl der Profile, denen er folgt jedenfalls Bände: „0“. Zumindest den Twitterern aus dem direkten und indirekten Regierungsumfeld, wie @kristinakoehler, hätte er durchaus folgen können.

Vor allem aber bleibt spannend, ob die Erstellung der Twitteraccount Seiberts erster und letzter Ausflug in die sozialen Medien war oder ob wir ihn bald auch auf Facebook „liken“ können. Die Vanity-URL ist zumindest noch nicht vergeben.

Das twitternde Unterhaus

Noch ist der Termin nicht offiziell bestätigt, doch am 6. Mai soll wohl das neue britische Unterhaus gewählt werden. Für den amtierenden Premier Gordon Brown eine äußerst wichtige Wahl, hat er doch das Amt von Tony Blair ohne neue Parlamentswahl übernommen (Ein Helmut Kohl hätte hier wohl zur Vertrauensfrage gegriffen). Brown kann den Termin der Wahl noch festlegen, hat dabei aber nicht mehr viel Spielraum. Denn in Großbritannien muss bis um Ablauf der Legislatur, zuzüglich einer Toleranz für die übliche Wahlkampfzeit von 6-8 Wochen, gewählt worden sein.

Twitter-Hype unter Abgeordneten

Ohne wirklichen Wahltermin ist der Wahlkampf auch noch in weiter Ferne. Doch es lohnt sich, schon jetzt einen Blick auf die Internetaktivitäten der britschen Parlamentsmitglieder zu werfen. In diesem Jahr scheint, wie auch zuletzt in Deutschland, ein regelrechter Hype um Twitter zu bestehen. Der Telegraph titelte auf seiner Internetseite vor wenigen Tagen: „MPs turn to Twitter to talk to voters“ und berichtet, dass immerhin 111 Abgeordnete bereits auf Twitter aktiv seien. 65 Labour-Abgeordnete bilden die klare Mehrheit, ihre konservativen Gegner sind mit nur 16 und die Liberal Democrats mit 23 Twitterern erfasst. Darüber hinaus seien sogar 226 Kandidaten beim Kurznachrichtendienst unterwegs.

Im Blog Election 10 mit dem fabulösen Untertitel „Wie Social Media Politik und im Besonderen die kommende Unterhauswahl beeinflusst“ kann man der Begeisterung des Telegraph nicht so ganz folgen. „Oh No They Don’t“ ist ein Artikel überschrieben, der die Bedeutung twitternder Abgeordneter herunter spielt – weil diese zu wenige Follower aufweisen können. Dabei sind Spitzenwerte von 13.000 Followern, gerade im Vergleich zur Bevölkerung einiges über dem, was deutsche Bundestagsabgeorndete erreichen.

Dreck fressende Tories


Wie in Deutschland kommt politisches Twittern auch in Großbritannien nicht ohne einen handfestens Skandal aus. In diesem Fall ist die Rede von einem Labour-MP, der in einem Tweet harsche Beleidigungen für seine Tory-Konkurrenten übrig hatte: Dreck fressende Schweine seien das. Die Tories sind reichlich ungehalten über diese Entgleisung und David Wright sucht sein Heil in Ausflüchten: Jemand habe seinen Account gehackt und nachträglich den Tweet verändert. In einem äußerst bekannten Blog weist ‚Guido Fawkes‘ darauf hin, dass dies gar nicht möglich sei. Man könne laut Twitter-FAQ Tweets schlicht nicht verändern.

First Lady erreicht Millionen

Die Spitzenkandidaten Gordon Brown und David Cameron scheinen nicht so viel von Twitter zu halten, doch Browns Ehefrau Sarah Brown gehört zu den erfolgreichsten meinst abonnierten Twitterern im Vereinigten Königreich. Mehr als 1 Millionen Follower kann sie vorzeigen und verursacht damit prompt Debatten, ob sie dieses Potenzial vielleicht für die Wahl Ihres Ehemannes einsetzen könnte.

Livestream der Twitter-MPs

Bleibt eigentlich nur noch ein faszinierendes Werkzeug vorzustellen. Im „Tweetminister“ lassen sich nämlich alle (hier wird auf Nutzerhinweise gesetzt) twitternden MPs nach Parteizugehörigkeit auswerten und in einem Livestream verfolgen. Man kann sogar seinen eigenen Abgeordneten über die Postleitzahl des jeweiligen Wohnorts und damit Wahlkreises suchen lassen – vielleicht ist er ja auch unter den twitternden Abgeordneten des britischen Unterhauses.

Bilder: Screenshots BBC News, Telegraph.

Mit Kurznachrichten in die Medien

Innerhalb von nur 71 Tagen musste Thorsten Schäfer-Gümbel Ende 2008 vom einfachen Abgeordneten zum landesweit bekannten Spitzenkandidaten der hessischen SPD werden. Er knüpfte an den damals viel beachteten Online-Wahlkampf des amerikanischen Präsidenten Barack Obama an und erzeugte damit große Medienresonanz. Mit Werkzeugen wie dem Kurznachrichtendienst Twitter machte er ohne millionenschwere Imagekampagne Schlagzeilen als Politiker des Internetzeitalters.

Nach der gescheiterten Regierungsbildung der hessischen SPD im Jahr 2008 musste sich Thorsten Schäfer-Gümbel unerwartet als der neue Spitzenkandidat bekannt machen. Zudem hatte die SPD – wie die anderen hessischen Parteien – durch den zweiten Wahlkampf innerhalb eines Jahres kaum Zeit, einen Wahlkampf auf herkömmliche Art zu planen und umzusetzen. Auch die finanziellen Mittel waren knapp und mussten entsprechend gezielt eingesetzt werden. Daher setzte Schäfer-Gümbel zur Landtagswahl 2009 stark auf Online-Wahlkampf. Gemeinsam mit der Kölner barracuda digitale agentur wollte er die die Medienaufmerksamkeit nutzen, die US-Präsident Barack Obama wenige Monate zuvor auf innovative Kampagnen im Internet gelenkt hatte.

Schnell über das Internet bekannt werden

Neben seinen Aktivitäten auf YouTube und den bekannten Sozialen Netzwerken (Facebook oder Wer-kennt-wen) setzte Schäfer-Gümbel auf den Kurznachrichtendienst Twitter. Dort können kurze Textnachrichten mit bis zu 140 Zeichen veröffentlicht werden. Durch die Begrenzung der Zeichenzahl lassen sich die Nachrichten schnell lesen und erreichen interessierte Leser fast in Echtzeit, die ebenso spontan antworten und so eine öffentliche Diskussion entstehen lassen. An diesem schnellen, kurzlebigen Nachrichtenfluss nehmen die Nutzer entsprechend insbesondere über internetfähige Mobiltelefone teil. Auf diesem Weg erhielt der Politiker Schäfer-Gümbel direkte Rückmeldungen und baute wechselseitige Kommunikationsbeziehungen zu seinen Twitterkontakten auf – zu einem Zeitpunkt, zu dem Twitter in Deutschland noch wenig verbreitet war und hauptsächlich von Medienexperten und Journalisten beachtet wurde.

Neugier auf Online-Kommunikation bringt Medienaufmerksamkeit

Durch diesen gezielten Einsatz des Internets konnte Schäfer-Gümbel große Aufmerksamkeit durch die »klassischen« Massenmedien erlangen. Nach der US-Präsidentschaftswahl waren die Journalisten an berichtenswerten Internetaktivitäten von Politikern besonders interessiert. Zahlreiche Medien wie die BILD-Zeitung und das ZDF verglichen Schäfer-Gümbel deshalb mit dem eben gewählten Obama. Auch wenn die Berichterstattung sich ironische Anmerkungen über die ungleichen Verhältnisse nicht nehmen ließ, hatte sich Thorsten Schäfer-Gümbel große Medienaufmerksamkeit verschafft und auf diese Weise seinen Bekanntheitsgrad innerhalb kurzer Zeit gesteigert. Dadurch, dass er Twitter auch nach der Wahl konsequent nutzt, hat er sich darüber hinaus Glaubwürdigkeit als Internetpolitiker erarbeitet.

Die barracuda digitale agentur und der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel tauschen sich gern über Online-Wahlkampf aus. Beide sind auch bei Twitter als @oliverbarracuda und @tsghessen ansprechbar.

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Diesen Report haben wir als Mitglieder der KampagnenPraxis geschrieben. Wir sind eine Arbeitsgemeinschaft junger Fachleute an der Schnittstelle zwischen politischer Kommunikation und den Internetmedien. Wir zeigen Kampagnen- und Kommunikationsverantwortlichen lokaler und regionaler politischer Akteure in zweiwöchentlichen Reports Beispiele, wie sie das Internet erfolgreich nutzen können. Abonnieren Sie unsere Reports einfach auf unserer Internetseite.

Das Jahr in 140 Zeichen

Der Impuls kam – wie so oft – aus den USA: das Online-Magazin Politico.com bemerkte die Twitterisierung der Politik und kürte die 10 wichtigsten Tweets des Jahres.

Auch wenn Twitter im allgemeinen (und das politische Twittern im besonderen) hierzulande noch immer belächelt wird, so lässt sich eine solche Liste durchaus auch für Deutschland anlegen. Nach spontaner Nachfrage in gut twitternden Kreisen hier also eine kleine Liste der politischen Tweets des Jahres 2009.

(Achtung: es handelt sich hier „nur“ um eine chronologisch geführte Liste, kein wertendes Ranking!)

1. Zum Jahresauftakt zieht Thorsten Schäfer-Gümbel auf Twitter relativ alleine seine Bahnen, meldet sich zu allen Tages- und Nachtzeiten und kommentiert regelmäßig das Geschehen auf landes- wie bundespolitischer Ebene. Inzwischen scheint er auch perfekt für (auto)mobiles Twittern ausgerüstet zu sein.

Überhaupt scheint Hessen eine heimliche Twitter-Hochburg zu sein (siehe auch #9) – der neue Parlamentarische Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Helge Braun (Gießen), glänzt etwa mit diesem Hochqualitätstweet (Danke, @dr_meyer!).

2. Julia Klöckner und Ulrich Kelber verraten das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl.

Der Tweet „Leute, Ihr könnt in Ruhe Fußball gucke. Wahlgang hat geklappt.“ von @JuliaKloeckner scheint inzwischen gelöscht. Eine „Vorsichtsmaßnahme“ mit Blick auf die Landtagswahl 2011 in Rheinland-Pfalz, bei der die „Twitter-Sünderin“ (BILD) gegen Kurt Beck antreten wird?)

3. @mitzeichner zählt 50.000 Unterschriften für die Petition gegen Internetsperren – nach nicht einmal 70 Stunden Laufzeit.

Die Dynamik der Kampagne wirkt sich im Jahresverlauf maßgeblich auf die Entwicklung der Piratenpartei aus – deren Mitgliederzuwachs beginnt schlagartig mit dem Ablauf der Petition und der Bundestagsabstimmung zum Zugangserschwerungsgesetz im Juni.

4. Der langjährige SPD-Abgeordnete Jörg Tauss erklärt seinen Parteiaustritt und wechselt zur Piratenpartei.

Mit dem spektakulären Wechsel generierte Tauss einen massiven Follower-Zuwachs und katapultierte sich an die Spitze der politischen Twitter-Charts in Deutschland.

5. Patrick Rudolf (alias @pr_radebeul) plaudert die hochgeheimen Exitpolls für die Landtagswahlen in Sachsen, Saarland und Thüringen aus.

Der Stadtverordnete aus Radebeul versetzt damit Meinungsforscher, Medien und den Bundeswahlleiter in helle Aufregung.

6. Die erste Sitzung des 16. Bundestages wird zur Twitterparty – Sören Bartol, Volker Beck und Halina Wawricek feiern mit (vgl. auch die schöne Zusammenstellung drüben bei Homo Politicus).

7. @muentefering tritt zurück (Franz Müntefering aber noch nicht).

Der zugehörige Bericht der Agentur Metronaut („Wir waren Franz Müntefering“) erklärt vieles über das Führen eines Fake-Accouts und beinahe noch mehr über die Twitter-Kompetenz deutscher Journalisten.

8. Im Spätherbst beginnen die Hörsäle zu twittern – in München, Berlin, Marburg und anderswo informieren Twitter-Accounts über die aktuellen Ereignisse im Hochschulstreik.

Die Hashtags #unibrennt und #unsereuni dominieren die Rankings und sorgen für eine Vernetzung und Verbreitung der Studierendenproteste.

9. Kristina Köhler twittert als Bundesministerin weiter (und gibt auch das Briefeschreiben nicht auf).

Auch ohne ihre überraschende Berufung ins Familienministerium wäre @kristinakoehler im Jahresrückblick aufgetaucht – sie nutzte im Rahmen ihrer Bundestagskampagne nicht nur Twitter, sondern auch andere soziale Netzwerke massiv. Und setzte sich in ihrem Wahlkreis immerhin gegen die bisherige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul durch.

10. Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Helge Limburg stellt auf seine Weise Öffentlichkeit her (das ist der persönliche „Politeiatweet“ des Jahres von @codeispoetry – danke sehr!).

Zugleich erhält damit die Debatte um die „Rechtmäßigkeit“ des Twittern aus Plenarsitzungen neuen Schwung – in Augsburg ist bereits ein Twitter-Verbot für Sitzungen des Stadtrates in Kraft.

Der kleine Jahresrückblick auf die 140-Zeichen-Ereignisse zeigt, dass das umstrittene Phänomen Twitter zumindest in der deutschen Politik angekommen ist – von anderen Gesellschaftsbereichen lässt sich das nur bedingt behaupten. Die bisweilen arrogant und hämisch geführte öffentliche Debatte über Sinn bzw. Unsinn des Kürzestformates wird sicherlich auch im nächsten Jahr geführt werden.

Die US-Kollegen von Politico.com gehen von einer „Domestizierung“ und „Verharmlosung“ der Twitter-Kommunikation durch politische Akteure aus.

Danach sieht es in Deutschland eher nicht aus.

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Dieser Artikel erschien zuerst bei Internet und Politik.

Dr. Christoph Bieber ist wissenschaftlicher Assistent an der JLU Gießen und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Neuen Medien auf politische und gesellschaftliche Prozesse. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem Publikationen zum Thema Online-Wahlkampf, die Zukunft der Mediendemokratie und Interaktivität. Dr. Bieber betreibt das Blog Internet und Politik.