Wissenschaftler ins Netz

Die Geisteswissenschaftler, oh diese schlimmen Geisteswissenschaftler. Forschen über das Netz, aber halten sich davon selbst fern. So kritisiert mspr0 vorgestern die Forschungselite. Halb Kritik, halb Rant – aber mit großer Reichweite. Er schreibt:

„Ehrlich, ich bin ein Fan der Geisteswissenschaft! […] Aber heute, da habe ich ein Problem mit Euch. Nicht als Fachbereich, Disziplin oder Feld als ganzes, sondern mit den einzelnen Vertretern. Ich habe ein Problem mit Euch, dem denkfaulen, behäbigen und selbstgerechten Personal, das bräsig in der Uni sitzt, Paper über über Themen schreibt, die keinen interessieren und die keiner liest, während die Welt sich rasant verändert. Eine Veränderung, die tragischer Weise nur aus einer Richtung kommt, in die Ihr Geisteswissenschaftler verpasst habt, zu gucken. Ich habe ein Problem mit Euch, die Ihr aus eitler Attitüde heraus das neue Feld des Geistes, der Kultur und des Menschen habt links liegen lassen und damit Euch selbst – Eure gesamte gesellschaftliche Relevanz – aufgegeben habt!“

Und auch die alten neuen Medien blasen ins gleiche Horn. Es scheint, als habe das ZDF mit Hyperland die Aufforderung an uns abgeschickt:

„Dabei gab und gibt es seit Beginn des Web-Zeitalters eine ganze Menge sozialwissenschaftlicher Forschung zum Thema, wie aktuell der Überblick von Martin Emmer zeigt. Aber wer außerhalb der Fachwelt hat beispielsweise je von Gerhard Vowe gehört, der aktuell eine Forschungsgruppe zur politischen Online-Kommunikation leitet?“

Aber schon vor dieser Aufforderung, endlich auch online zu gehen, haben wir gemeinsam mit der DFG-Forschergruppe “Politische Kommunikation in der Online-Welt” an deren neuen Internetseite gearbeitet. Seit heute ist der Auftritt online und wir sind gespannt, wie stark sich die Forschergruppe selbst in die Online-Diskussion zu ihrem Forschungsgegenstand einbringt.

Wir empfehlen in jedem Fall ein Abonnement des Feeds.

Disclaimer: Wie schon im Text geschrieben haben wir als Antwortzeit Kommunikationsagentur die Internetseite umgesetzt.

Deutschland dem Deutschen

Gerade hat Malte über die neue Internetseite der Berliner FDP berichtet. Aber neben dem Relaunch des Online-Auftrittst gibt es da noch einen ganz anderen interessanten Aspekt: Auf der Internetseite finden sich auch die Kampagnenmotive der Berliner Liberalen. Und die Slogans haben es in sich. Fröhlich wird herumgepöbelt, mal gegen die Einheitsschule und dann wieder gegen die autofreie Stadt ausgeteilt.

Es ist offensichtlich: Die FDP hat Angst und bellt wie ein angeschossener Hund. Kein Wunder bei einer Partei, die zwischen 2 und 4 Prozent von den Umfrageinstituten gesehen wird. Aber muss man den gleich so daneben greifen? Beispiel gefällig?

„Wie steht die FDP zur Integration? Wir meinen, dass es eine nette Geste wäre, in Paris nach Croissants statt nach Schrippen zu fragen.“

Das ist also der Beitrag der Berliner FDP zur Integrationsdebatte? Man will sich offenbar einreihen in die unkonstruktive Ätzerei von Sarrazin, Stadtkewitz und Konsorten. Natürlich kann man darüber diskutieren, wie viel bei der Integration davon abhängt, dass auch ausreichende Deutschkenntnisse vorhanden sind. Aber auch die Verniedlichung der „netten Geste“ kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die FDP in Berlin am liebsten gar keine anderen Sprachen mehr hören möchte. Mich würde ja interessieren, ob auch der Amerikaner oder Engländer nicht mehr nach „rolls“ fragen darf, sondern bitteschön die Worte „Brötchen“ oder „Schrippen“ lernen sollte. Weiterlesen

Kompliziertes Wahlrecht oder unbekannte Kandidaten?

Als im Februar in Hamburg die neue Bürgerschaft gewählt wurde, sank die Wahlbeteiligung einmal mehr – um 6 Punkte auf 56 Prozent. Nicht wenige schrieben das dem Hamburger Wahlrecht zu, dass nicht gerade zu den trivialsten im Lande gehört. Aber haben die Hamburger das Wahlsystem wirklich nicht verstanden? Immerhin gab es nur 3% ungültige Stimmen. Die Uni Hamburg hat jetzt in einer Studie genauere Erhebungen durchgeführt:

Die meisten Hamburgerinnen und Hamburger kennen sich mit dem neuen Wahlrecht gut aus. Beim Bekanntheitsgrad der Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten gibt es jedoch noch großen Nachholbedarf. Nur ein knappes Fünftel kennt zehn oder mehr der Kandidatinnen und Kandidaten in seinem Wahlkreis.

Und auch wenn die Entwicklung nicht positiv verlaufen ist, hält man in der Studie fest:

Die Wahlbeteiligung ist bei der Bürgerschaftswahl 2011 auf den historischen Tiefstwert von 57,3% gesunken. Der Anteil der ungültigen Stimmen auf der Landesliste hat sich im Vergleich zur Wahl 2008 verdreifacht. Nahezu alle Wähler/-innen haben jedoch das Stimmpotenzial von jeweils fünf Stimmen auf der Landes- und der Wahlkreisliste genutzt.

Die Wählerinnen und Wähler wissen dabei zumindest grundlegend recht gut Bescheid über ihr Wahlrecht:

Bei der Wählerbefragung (N = 3104 – insgesamt 3104 Befragungen) konnte ein Basiswissen zum Wahlrecht festgestellt werden. So hat der im Fragebogen integrierte Wissenstest ergeben, dass fast alle Wähler/-innen (jeweils um die 95%) mit der Anzahl der zu vergebenden Stimmen und der grundsätzlichen Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens vertraut sind. Die komplexeren Fragen zum Wahlrecht konnten nur von wesentlich weniger Wähler/innen richtig beantwortet werden.

Das eigentlich überraschende Ergebnis der Studie ist aber nicht, wie gut die Wähler in Hamburg mit ihrem Wahlrecht vertraut sind, sondern wie wenig sie ihre eigenen Kandidaten kennen – nicht gerade ein kleines Problem, wenn man beim Wählen so hohen Einfluss auf deren Wahlergebnisse hat:

Während den Wähler/-innen das Wahlrecht weitgehend bekannt ist, kennen sie ihre Kandidaten/-innen kaum. Über ein Viertel der befragten Wähler/-innen kennt keine/n einzige/n Wahlkreiskandidaten/-in. Einem weiteren Viertel sind nur 1, 2 oder 3 Kandidaten/-innen namentlich bekannt. Nur ein knappes Fünftel gibt an, zehn oder mehr Wahlkreiskandidaten/-innen zu kennen.

Interessant auch der Vergleich mit der hessischen Kommunalwahl nur wenig später. Auch hier gibt es ein Wahlrecht mit großen Einflussmöglichkeiten auf die personelle Zusammensetzung der Parlamente, auch hier werden immer wieder die Rufe laut, sinkende Wahlbeteiligungen lägen am komplizierten Wahlsystem. Dabei ist die Stimmabgabe in Hessen sogar noch übersichtlicher als in Hamburg. An all dem ist ja sicher einiges dran, das Wahlsystem müsste wesentlich besser erklärt werden. Aber warum stellt man sich nicht auch in Hessen leise die Frage: Wie soll ich eigentlich meine Vertreter im Parlament mitbestimmen, wenn ich sie gar nicht kenne?

Links:

Vier Plätze frei

Während die Kampagne zur Wiederwahl von Barack Obama immer mehr auf Touren kommt, steigt wieder die Chance, ab und zu wirklich bemerkenswerte Episoden daraus aufzugreifen. Heute: Dinner with Barack – oder wie der Präsident vier Spender zu seinen besten Kumpels macht.

Die Geschichte ist eigentlich ganz einfach. Obama braucht Geld für seine Wiederwahlkampagne, und da er nicht müde wird zu betonen, dass er von Lobbyverbänden keinen müden Cent nimmt, sondern vom „everyday American“ unterstützt werden will, muss die Kampagne besonders in der frühen Phase ihre Geldmittel einsammeln. Denn je mehr Geld schon so früh zur Verfügung steht, desto mehr Organisationsstrukturen kann die Kampagne aufbauen. Eine kluge Investition, sozusagen. Um die potenziellen Spenderinnen und Spender zu motivieren, setzt die Kampagnenführung immer wieder auf Anreize.

Es gab schon Tassen (thematisch passend zur „Birthers„-Debatte), T-Shirts – aber jetzt kommt ein Knaller: Ein Abendessen mit dem amerikanischen Präsidenten. Und dabei geht es nicht um irgendein aufgeblasenen Ball mit 1000 wichtigen Menschen, unter denen sich die vier Spender wie Aussätzige fühlen. Nein, Obama will sich ganz persönlich mit den Spendern treffen:

This won’t be a formal affair. It’s the kind of casual meal among friends that I don’t get to have as often as I’d like anymore, so I hope you’ll consider joining me.

Die vier Plätze werden verlost unter allen Spendern, egal welchen Betrag sie gespendet haben. Warum aber ist dieser „Preis“ so bemerkenswert? Schließlich will sich wohl nicht jeder unbedingt mit Volker Bouffier oder Angela Merkel auf ein Abendessen bei Bier und Steaks verabreden, oder? Nein, bemerkenswert ist nicht so sehr der Preis an sich. Natürlich, Obama ist ein cooler Typ, der mächtigste Mann der Welt – alles geschenkt. Bemerkenswert ist die Wertschätzung der Obama-Kampagne für den einzelnen Spender. Hier wird nicht einfach ein weiteres Formular aufgemacht und gesagt: „Ladet euer Geld hier ab und dann schnell weg!“. Obamas Kampagne ist sich bewusst, dass Spender ein Dankeschön erwarten, dass sie wert geschätzt werden wollen und möglicherweise (hoffentlich) auch ihre Gedanken, Ideen und Wünsche in die Kampagne einbringen wollen.

Das heißt, dass eine solche Spendenkampagne eben doch in Deutschland funktionieren würde. Unabhängig davon, wie attraktiv das gesellschaftliche Ereignis, einen wenig prominenten oder beliebten Politiker zu treffen, eben ist: Ein Treffen mit ihm ist für einen Spender ein Dankeschön und Ansporn zugleich. Und bietet dem Politiker die Chance, einmal seinen wichtigsten Unterstützern zuzuhören und etwas zu lernen.

PS: Bevor ein Leser oder eine Leserin auf die Idee kommt, auch mal mit Obama Abend zu essen: Sorry, gespendet werden darf nur von US-Staatsbürgern oder -Einwohnern. Sonst hätte ich schon längst das großartige 2012-T-Shirt abgegriffen.

Endgegner Mitgliederschwund

Die CDU in Nordrhein-Westfalen will ihren Mitgliederschwund bekämpfen und startet dafür (mal wieder) eine Mitglieder-Werbe-Kampagne. Die eigenen Mitglieder werden aufgefordert, im Bekannten- und Freundeskreis für eine Mitgliedschaft in der CDU zu werben. Als Lektion aus vergangenen, wenig erfolgreichen Aktionen, setzt man dieses mal auf Belohnungen. Als Hauptpreis lockt (?) ein Essen mit dem Landesvorsitzenden und Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Vorgesgestellt hat sich die CDU das so:

Jedes Mitglied, das ein Neumitglied wirbt, nimmt an einer Verlosung teil. Pro Neumitglied kommt ein Los in die Lostrommel, so dass sich die Gewinnchance erhöht, je erfolgreicher ein Werber ist.

Und die Preise?

Anfang des kommenden Jahres werden per Los die Gewinner ermittelt.

Jeweils fünf Gewinner werden eingeladen zu

  • einem Essen mit dem Fraktionsvorsitzenden Karl-Josef Laumann in Münster
  • einem Essen mit Generalsekretär Oliver Wittke in Düsseldorf,
  • einem Essen mit dem Chef der NRW-CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament Elmar Brok in Brüssel.

Außerdem werden die fünf erfolgreichsten Einzelwerber zu einer Fahrt nach Berlin mit einem Essen mit dem Landesvorsitzenden Norbert Röttgen eingeladen.

Ein interessanter Schritt für eine politische Werbe-Kampagne der CDU. Statt die Mitglieder besser mit Informationen und Handreichungen auszurüsten, setzt man auf den Spieltrieb und den Reiz der Gewinne. Neu ist die Methode allerdings nicht: Gene Koo wirft einen Blick auf das Soziale Netzwerk des Obama-Wahlkampfs my.barackobama.com genau aus dieser Perspektive:

It featured minimal graphics, no sound effects, and deeply flawed gameplay. Yet one of the most important game titles of 2008 was played by thousands and helped change the face of American politics. […]

MyBO awarded Obama supporters with points for taking real-world actions that would likely help the candidate win the primaries and the general election: making phone calls to voters, hosting gatherings, and donating money.

Prof. Dr. Christoph Bieber hat etwas später einen ähnlichen Vergleich für Deutschland auf die Piratenpartei bezogen:

Dabei ist „Spielen“ das zweite Schlüsselelement für den Erfolg der Piraten-Kampagne – denn die kollektive Anstrengung der „Nerds“ in schwarz-orange trägt Züge eines Rollenspiels. Die „Mission Bundestagswahl“ lässt sich in eine Folge einzelner „Quests“ zerlegen, an denen die über das ganze Bundesgebiet verteilten Mitspieler relativ koordiniert arbeiten. Gelöst wurden bisher die Aufgaben „Europawahl“, „Zulassung zur Bundestagswahl“, “Übernahme der Mehrheiten in den Sozialen Netzwerken“, das Extra-Level „Gewinnung von öffentlicher Aufmerksamkeit“ wurde etwas holprig erreicht, vielleicht auch unter Zuhilfenahme von „Cheats“. Und nun steht das vorerst letzte Level mit dem Endgegner „Wahlurne“ an.

Und nun zieht die CDU nach, übernimmt Kampagnenmuster von Obama und Piratenpartei? Nun, vollends tragfähig ist der Vergleich nicht: Es fehlen die digitalen „Highscores“ bei der CDU, und die Spieler werden nicht miteinander vernetzt. So kann ein Wettbewerb nur auf hypothetischer Basis entstehen. Aber vielleicht ist die Mitglieder-Werbe-Kampagne der CDU auch nur die Alpha-Version und wartet noch auf den ein oder anderen Patch.

via politik&kommunikation