Bernd Luckes Ausstieg – oder Parteiengründung 101

Bernd Lucke tritt aus der AfD aus, der Partei, die er mit gegründet hat und für die er im Europaparlament sitzt, die er seit Jahren entscheidend geprägt hat. Die tagesschau hat auf Facebook das Statement als Video veröffentlicht: Link.

Ohne näher auf meine Ansichten zur AfD einzugehen, lohnen sich dennoch einige tiefere Betrachtungen:

  1. Im Vergleich zur letzten Parteineugründung in Deutschland, der Piratenpartei, konnte die AfD einen deutlich breiteren Teil der Bevölkerung hinter sich vereinen. Das mag zu einem großen Teil an der thematischen Ausrichtung liegen, aber auch die Währungspolitik ist kein besonders massentaugliches Politikfeld, vielleicht  nicht mehr als die Digitalpolitik. Dennoch taugte die AfD deutlich mehr als Identifikationsangebot, weil sie schon durch ihre Positionierung als „Alternative“ für „Deutschland“, also Abgrenzung von dem bestehenden Parteipolitischen Angebot und mit bewusster Orientierung auf nationale Interessen, programmatisch einen Projektionsraum für nicht unwesentlich in der Bevölkerung verankerte Ansichten bot.
  2. Ebenfalls gemein mit der Piratenpartei hatte die AfD einen jedenfalls medial vermittelt kometenhaften Aufstieg. Nicht nur die Bürger sehnen sich offenbar nach neuen Angeboten, auch die Medien stürzen sich auf alles neue. Auch die strukturelle Verteilung der errungenen Wahlerfolge ähnelt bei der AfD durchaus den Piraten. Eine bundespolitische Relevanz jedoch haben beide nicht erlangt. Denn:
  3. Den Weg zu einem Wahlerfolg bei einer Bundestagswahl hat in beiden Fallen die Partei sich nicht selbst verbaut, sondern eine unglückliche Positionierung der Wahltermine. Wäre die Bundestagswahl 2013 nur ein Jahr später erfolgt, wäre die AfD sicher im Bundestag vertreten. Auch die Piratenpartei hat ihren Wahlerfolg gewissermaßen überlebt. Das hat vor allem einen Grund:
  4. Es scheint zu der Neugründung von Parteien dazu zu gehören, dass sie ein Sammelbecken für politisch enttäuschte, für Querdenker und Infragesteller bilden. Mischt man dazu in den beiden Fällen Piratenpartei und AfD die entsprechenden Bezugsrahmen, also eine linksalternative Digitalpolitik auf der einen Seite und eine fiskalradikale deutschnationale Politik auf der anderen Seite, besteht besonders für neu gegründete Parteien das Gefahr der zahlenmäßigen Unterwanderung aus den entsprechenden extremen Milieus. Die neuen Parteien besitzen naturgemäß noch nicht die strukturelle Festigkeit und auch quantitative Stabilität von Mitgliedern, die sich im engeren Rahmen der Gründungsüberlegungen bewegen, um nicht innerhalb von wenigen Monaten durch Neumitgliedschaften inhaltlich oder wesentlich völlig verändert zu werden.
  5. Auch wenn man in Deutschland froh sein kann, dass unsere politisch extremste Parteienentwicklung der letzten Jahre die AfD war, ist es doch nicht ohne Genugtuung, dass ich hier – möglicherweise verfrüht, das Präteritum benutze.

Europawahl ist online nur so nebenbei

Für Wahl.de habe ich in einem Blogbeitrag untersucht, wie sich die Europawahl auf den Internetseiten der Parteien widerspiegelt. Getestet habe ich so:

Ich habe mir die Internetseiten der großen deutschen Parteien angesehen, zuerst also der bereits im Europaparlament vertretenen Fraktionen von CDU, SPD, Grünen, FDP und Der Linken. In allen letzten Umfragen lag außerdem die Alternative für Deutschland über der Sperrklausel, also habe ich auch die AfD mit aufgenommen. Und als Kontrastprogramm soll auch die Piratenpartei als stark online-fokussierte Wahlkämpfer etwas Aufmerksamkeit bekommen.

Was erwarte ich auf den Internetseiten? In den „Pflichtübungen“ geht es um simple Fakten: Europawahlprogramm und Vorstellung der Kandidatenliste. Wie leicht lässt sich das auffinden? Wie umfangreich sind die Informationen aufbereitet? Gibt es beispielsweise nur PDFs, oder wurde das Programm herunter gebrochen, verständlich gemacht und in verschiedenen Formaten angeboten?

Die „Kür“ ist eine offene Rubrik, die die Pflichtübungen ergänzen kann. Gibt es Material aus der Kampagne, wird zu Spenden aufgerufen oder gibt es gar etwas richtig Spannendes? Wahlkampf ist auch auf der Straße nicht nur Programm-Broschüre und Kandidatenliste. Was also sehen wir zur Europawahl 2014 im Internet?

Die komplette Betrachtung gibt es auf Wahl.de, aber das Fazit schonmal vorweg:

Immerhin, bis auf die FDP haben alle Parteien mehr oder weniger leicht zugänglich die grundlegenden Infos im Angebot. Schade, dass noch nicht überall Barrierefreiheit und Zugänglichkeit zum Standard gehören. Aber mehr als ein paar Links, PDFs und kurze Texte gibt es fast nirgendwo. Wo ist denn das Storytelling, von dem beispielsweise Robert Heinrich von den Grünen noch hier im Blog sprach? Europa ist ein komplexes Thema, für das sich viele Wähler nicht interessieren. Wenn man dann schon einmal das Glück hat, die Bürger auf die eigene Internetseite zu ziehen, dann muss ihnen einfach mehr geboten werden. Wie die Grünen Wahlziele in 2 Minuten zur letzten Bundestagswahl zum Beispiel oder interessante Erklär-Videos. Es muss ja auch nicht immer Multimedia sein, gut geschriebene, knapp formulierte Texte mit erklärenden Bildern wären schonmal ein Anfang.

Und so wundert es nicht, dass bis auf die SPD keine Partei ihre Startseite wirklich auf den Europawahlkampf trimmt. Die Europawahl 2014 auf den Internetseiten der deutschen Parteien ist zu finden, wenn man denn wirklich will. Ein Wahlkampf, der seinen Namen verdient, sieht auch online anders aus. Wo auch immer die Kampagnen-Etats eigensetzt wurden, Online läuft die Europawahl nur so nebenbei.

Das Piraten-Wiki im Warnstreik

Bei der Piratenpartei schlagen ganz gerne mal die Wogen höher, als das in anderen Parteien der Fall ist. Es wird persönlicher diskutiert, ab und an auch mal beleidigt, provoziert und polemisiert. Offenbar wurde dies in den letzten Monaten etwas viel, denn jetzt geht das Herzstück der Piratenpartei, das Wiki, in den Warnstreik.

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Für den Zeitpunkt, an dem das Wiki wieder online geht, dokumentieren wir hier die vollständige Begründung: Weiterlesen

Dialog zwischen Plenum und Tribüne

Vor einer Woche erst fiel die Entscheidung, dass nun im Hessischen Landtag nicht nur die Abgeordneten twittern dürfen, sondern auch die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne. Nach einem kurzen Dagegenhalten von Seiten der Regierungsfraktionen schlossen sich dann auch alle mit Begeisterung an bei der Abschaffung dieser absurden Beschränkung:

Öffentlich aufgefallen war dies zuletzt im März, als Mitglieder der Piratenpartei Hessen unter dem Twitter-Namen „Landtagswatch_HE“ (@LTW_HE) von der Besuchertribüne aus die Landtagsdebatten kommentieren wollten – bis es ihnen unter dem Verweis auf die Hausordnung untersagt wurde. Daraufhin setzten sich die Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei für eine Änderung der Hausordnung ein. Die Regierungsparteien CDU und FDP schlossen sich dem schließlich an.

Gestern fand also das erste Plenum mit den neuen Spielregeln statt, Twittern aus dem Saal und von der Empore. Und diese Möglichkeit wird rege genutzt. Piraten und Parlamentarier schreiben hin und her, greifen sich an und werben zwei Tweets später wieder um Verständnis. Die Auseinandersetzung der etablierten Parteien mit den Piraten ist spätestens jetzt auch in Hessen angekommen. Dabei geht es nicht immer friedlich, nicht stets stilsicher zu. Wir wollen ein paar Auszüge aus der Debatte hier dokumentieren:

[Direkttwitter] Weiterlesen