Negative Campaigning aus dem Social Web

Die britischen Wahlkämpfer Brown, Cameron und Clegg erfahren in diesem Jahr, dass Negative Campaigning nicht nur vom politischen Gegner kommen kann. Nein, auch das Web 2.0 schießt sich auf die Bewerber ein. Mit einfach zu bedienenden Werkzeugen kann jeder Nutzer selbst den gewünschten Kandidaten diffamieren oder der Lächerlichkeit preisgeben. Mit seinen eigenen Plakatmotiven, mit seinen eigenen Worten. Ein kurzer Überblick über die Tools.

David Cameron applaudiert sich selbst

David Cameron scheint es den Onlinern besonders angetan zu haben. Als Konservativer mit recht empathisch geführtem Wahlkampf sieht man sich im Netz dazu aufgerufen, seine wahre Seite zu zeigen. „Lassen Sie mich eins deutlich machen: Wir werden uns nie verändern, wir werden immer arrogante und rücksichtlose Konservative sein. Und wissen Sie was? Wir werden niemandem helfen. Denn es ist uns egal.“ Und das virtuelle Publikum applaudiert. Das Handwerkszeug für solche Mash-Ups bietet Speechbreaker, eine Website, auf der sich Redefragmente der Kandidaten neu arrangieren lassen.

Von den Reichen, für die Reichen

In die gleiche Kerbe schlägt ein Plakat, das ein Wahlplakat von David Cameron ein klein wenig uminterpretiert. Mit einem Werkzeug von andybarefoot.com kann man das Wahlplakat, das als Vorlage dient, mit eigenen Slogans und Logos hinterlegen. Die Ergebnisse finden sich auf mydavidcameron.com. Man kommt ins Grübeln, ob es sowas in Deutschland nicht auch für FDP-Plakate hätte geben müssen. Soziale Kälte und Klientelpolitik hätten jedenfalls gute Schlagzeilen abgegeben.

i don’t want to be rude, but

Eine dritte Spielerei hat es leider offensichtlich nicht lange im Netz gehalten, dabei findet sich auch hier eine schöne Idee. Nigel Farage, britisches Mitglied des Europaparlaments, hatte mit den Worten „I don’t wont to be rude, but“ eingeleitet zu einem rüpelhaften Frontalangriff (wunderbar anzuschauen auf YouTube, mit Reaktion von Martin Schulz) auf den neuen Ratspräsidenten Herman van Rompuy ausgeholt. Die Antwort ließ sich wohl auch mit einem Online-Tool bauen, das auch wenn es nicht mehr zu existieren scheint, doch wunderbare Ergebnisse produzieren konnte. Kommentieren muss man das wohl nicht mehr, lassen wir Bilder sprechen.

Rückblende Bundestagswahl 2009

Auch in Deutschland haben wir im vergangenen Jahr die Umwandlung von Parteiplakaten als Auftakt zum nutzergenerierten Negative Campaigning erlebt. Bei netzpolitik.org hatte man einen Wettbewerb ausgelobt, um die CDU-Wahlkampagne „Wir haben die Kraft“ umzuarbeiten. Die Gewinner können sich wirklich sehen lassen, nehmen den Urheber wirkungsvoll aufs Korn.

„Ich habe eine Seite bei Facebook“

Im Januar verkündete die Koaltion aus Union und FDP, die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ (Der genaue Antragstext ist bei Carta zu finden). Nachdem es in den vergangenen Wochen ruhiger um die Kommission geworden ist, hat Politik-Digital nun die Besetzung der Enquete-Kommission veröffentlicht.

Leiten wird die Kommission der CDU-Politiker Axel Fischer. In Erscheinung getreten ist Fischer in den letzten Jahren insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktpolitik.
In der Enquete-Kommision wird er von fünf Parteikollegen unterstützt (Quelle: Politik-Digital).

„Die CDU/CSU-Fraktion entsendet weiterhin die Abgeordeten Thomas Jarzombek, Dr. Peter Tauber, Ansgar Heveling, Dr. Reinhard Brandl sowie Jens Koeppen als Obmann.“

Auch die anderen, im Bundestag vertretenen Parteien haben Abgeordnete ausgewählt, die sie entsenden werden:

„Die Fraktion der FDP wird mit Manuel Höferlin, Sebastian Blumenthal und Jimmy Schulz in der Kommission vertreten sein. Als Stellvertreter fungieren Stephan Thomae, Florian Bernschneider und Sylvia Canel.“

„Für die SPD werden Martin Dörmann, der auch im Unterausschuss für neue Medien sitzt, Johannes Kahrs, Lars Klingbeil und Aydan Özoguz an der Enquete-Kommission teilnehmen.“

„Bündnis 90/Die Grünen werden vertreten von Konstantin von Notz und Tabea Rößner.“

„Die Fraktion der Linken wird von Herbert Behrens und Halina Wawzyniak vertreten.“

Alle genannten Politiker können als mehr oder weniger netzaffin angesehen werden. Profile auf Kommunikationsplattformen wie Facebook, Twitter, MeinVZ, YouTube oder Wer-kenn-wen gehören zu dem Standardrepertoire der ausgewählten Politiker.

Trotzdem sieht sich der Leiter der Enquete-Kommision selbst nicht als Netzjunkie:

Wie nutzen Sie selbst das Internet? Würden Sie sich als Netzjunkie bezeichnen?
„Eher nicht. Ich nutze das Netz, um zu kommunizieren und mich zu informieren. Ich habe eine Seite bei Facebook. Aber ich habe nicht die Zeit, mich stundenlang im Internet aufzuhalten.“ (Quelle: Stuttgarter Zeitung)

Auch auf Grund dieser Aussage wird momentan viel an den Webauftritten der Kommissionsmitglieder kritisiert. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, weshalb wir nicht in diesen Reigen einsteigen wollen. Trotzdem fallen auf einigen Seiten handwerklich ungeschickte oder sogar bedenkliche Schnitzer auf.

Ein solcher Fall ist die Website des Kommissionsleiters Axel Fischer. Unter http://www.fischer-mdb.de/ ist eine Website zu finden, die schlicht und einfach schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat.

Ein Blick in den Quelltext der Website lässt interessantes erscheinen. Dass die Website nicht nur alt aussieht, sondern auch alt ist, zeigt beispielsweise, dass sie mit Frontpage 5.0 erstellt wurde. Einem Programm welches 2001 in Microsoft Office Professional enthalten und inzwischen doch leicht in die Jahr gekommen ist.

<meta name=“GENERATOR“ content=“Microsoft FrontPage 5.0″>

Und auch die Nutzung von Frames entspricht nicht mehr gerade den aktuellsten Standards. Aber ok,  auch hierüber lässt sich streiten.

Anders sieht die Sache aus, wenn man sich Fischers Wahlkampfwebsite http://www.ja-zu-fischer.de/ ansieht. Beim öffnen des Quelltext bleibt man bereits bei den Keywords hängen. Es handelt sich dabei um sogenannte Metadaten, die für den Besucher einer Website nicht direkt sichtbar sind und dazu dienen den Suchmaschinen einen Anhaltspunkt für die Einsortierung der Website zu geben.

Und so tauchen bei Axel Fischer neben vermuteten Begriffen wie „Fischer“, „CDU“, „Politiker“, „Union“ auch plötzlich Begriffe wie „superfischer“, „Fussball“, „Eigenheim“ und „Sex“ auf. Lange Zeit haben Programmierer versucht Suchmaschinen, wie Google, durch den „Sex-Trick“ zu überlisten und mit diesem Keyword einen weiter vorne platzierten Eintrag zu erhalten.

[Vielen Dank an @f_dt für den Hinweis!]

Screenshot: Facebook-Fanseite von Axel Fischer

Das System der Landtagswahl 2010 in NRW

von Martin Fehndrich

Sichtbarste Neuerung – das Zweistimmensystem

Völlig ungewohnt dürfte die für Nordrhein-Westfalen sichtbarste Neuerung für keinen sein. Denn das neue Zweitstimmensystem ist von der Bundestagswahl her bekannt. In NRW gab es bisher nur eine Stimme, die sowohl für die Partei, als auch für den Wahlkreiskandidaten der Partei zählte. Nun gibt es wie bei Bundestagswahlen und den meisten anderen Landtagswahlen eine Erststimme für einen Kandidaten im Wahlkreis und eine Zweitstimme für die Landesliste einer Partei. Für die Wähler wird diese Änderung keine große Auswirkung haben.

Größere Änderungen bedeutet dies aber für die wahlwerbenden Parteien. Eine Partei, die in einem der 128 Wahlkreise Stimmen bekommen wollte, musste bisher in diesem Wahlkreis auch einen Kandidaten aufstellen. Und für kleine und neue Parteien bedeutete dies 100 Unterschriften in jedem dieser Wahlkreise zu sammeln und amtlich bestätigen zu lassen.

Einer Partei, der dies nur in wenigen Wahlkreisen gelang (wie z.B. der Partei DIE PARTEI in Krefeld), war es faktisch unmöglich über 5% der Stimmen zu kommen, denn die Sperrklausel bezog sich auf die Stimmen aller Wahlkreise, nicht nur der in denen man kandidiert. Mit dem Zweitstimmensystem ist dieses Kandidaturerfordernis entfallen. Eine Partei hat keinen wahlrechtlichen Vorteil mehr, wenn sie in den Wahlkreisen Kandidaten aufstellt.

Es kann sogar für eine Partei von Nachteil sein, wenn viele Kandidaten in den Wahlkreisen aufgestellt und dort gewählt werden. Der Vorteil eines Sieges im Wahlkreis liegt nur bei dem Kandidaten, nicht bei der Partei. Denn für jeden erfolgreichen Wahlkreis-Kandidaten zieht einer weniger per Listenmandat in den Landtag. An der Zahl der Sitze einer Partei ändert sich nichts. Und auch im Fall von Überhangmandaten werden diese – anders als diesmal noch bei der Bundestagswahl – ausgeglichen. Das Verhältnis der Stärke der Parteien wird allein von der Zweitstimmenzahl bestimmt.

Die Wahlkreiskönige können gegenüber ihrer Partei dagegen selbstbewusster auftreten. Verdanken sie ihr Landtagsmandat nicht der Landespartei, sondern Parteifreunden und Wählern vor Ort. Auch ist Stimmensplitting ohne Wahlkreiskandidaten nur noch in die für die Partei „richtige“ Richtung möglich. Die Zweitstimme geht an die Partei, die Erststimme an einen Kandidaten einer anderen Partei.

Im Ergebnis wird sich durch das Zweistimmenwahlsystem vermutlich wenig ändern. Wenn man die Bundestagswahl oder andere Landtagswahlen als Maßstab nimmt, wird nur ein verschwindender Anteil der Sitze anders besetzt.

Überhang und Ausgleichsmandate

Ein Ergebnis der Landtagswahl 2010 wird eine Vergrößerung des Parlaments sein, denn die Zahl der Überhangmandate und Ausgleichsmandate wird steigen. 128 der „normal“ 181 Sitze im Landtag gehen an Wahlkreiskandidaten der Parteien. Der Wahlkreissitzanteil ist mit über 70% so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Solange sich nicht zwei gleichstarke große Parteien die Wahlkreise teilen, oder eine Partei an 70% herankommt, entstehen daher praktisch immer Überhangmandate. Die anderen Parteien erhalten dann –  im Gegensatz zum Bundestagswahlsystem  – Ausgleichsmandate. Der Proporz soll wieder hergestellt werden.

Die Zahl dieser Zusatzmandate kann durchaus beträchtlich sein. Verstärkt wird dies dadurch, dass die großen Parteien immer weniger Stimmen erhalten und die größte, aber nach bisherigen Maßstäben nicht unbedingt mehr große Partei, einen Großteil der Wahlkreise gewinnen wird. Bei der Bundestagswahl 2009 erhielten in NRW SPD und CDU zusammen weniger als 70% der Zweitstimmen. Bei der Landtagswahl wären bei so einem Ergebnis Überhangmandate unvermeidlich.

Es erscheint nicht einmal als unrealistisch, dass die größte Partei mit einem Drittel der Stimmen 100 Wahlkreise gewinnt und der Landtag statt 181 fast 300 Abgeordnete umfassen könnte. Das neue Zweistimmenwahlrecht begünstigt dies dann, wenn beispielsweise viele FDP Anhänger mit ihrer Erststimme den CDU-Kandidaten unterstützen, während die Anhänger der Linken und Grünen nur in geringem Umfang Wahlkreiskandidaten der SPD unterstützen. Bei der Bundestagswahl 2009 profitierte allerdings die SPD etwas mehr vom Stimmensplitting als die CDU, was bei der Landtagswahl die Zahl der Überhangmandate etwas reduzieren würde.

Dass es enger im Parlament wird, trifft aber nicht nur den NRW Landtag, sondern praktisch alle Gremien, die per sogenannter „Personalisierter Verhältniswahl“ besetzt werden. Hier werden sich die Gesetzgeber Gedanken machen müssen, wie man Personalisierung und Verhältniswahl besser kombinieren kann. Proporz, hälftiger (oder wie in NRW sogar 70%-tiger) Wahlkreissitzanteil und Einerwahlkreise sind eben nur in Sonderfällen und aber nicht unter den derzeitigen Bedingungen eines Fünfparteiensystems gleichzeitig möglich.

Wechsel des Sitzzuteilungsverfahren von Hare/Niemeyer zu Sainte-Laguë

Praktisch bedeutungslos für den Wähler ist der Wechsel des Berechnungsverfahrens vom Quotenverfahren mit Rundung nach größten Resten (Hare/Niemeyer) zum Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë). Dieser Wechsel, der auch schon bei vielen Landtagswahlsystemen und auch beim Bundestagswahlsystem vollzogen wurde, beseitigt ein paar mögliche Paradoxien bei der Sitzzuteilung, führt aber in den meisten Fällen zur selben Sitzverteilung. Auch gibt es hier (im Gegensatz zum Divisorverfahren mit Abrundung, D’Hondt) keinen systematischen Vorteil für die großen (oder kleinen) Parteien.

Für die Freunde der Primärliteratur stellen Landeswahlgesetz und Landeswahlordnung eine bittere Kost dar. Der Landtag und das Innenministerium haben sich dort für grotesk umständliche Beschreibungen entschieden, die eine Lektüre nicht nur unnötig erschweren, sondern auch zu einer Reihe von Unklarheiten und Regelungslücken führen. So kann es durchaus vorkommen, dass die Formel zu Berechnung der Ausgleichsmandate zu viele, zu wenige oder keine Ausgleichsmandate verteilt.

Nur in NRW – Ministerpräsident muss Landtag angehören

Eine verfassungsrechtliche Besonderheit in Nordrhein-Westfalen ist, dass der Ministerpräsident dem Landtag angehören muss.

Für die großen Parteien bedeutet dies, dass der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten in einem sicheren Wahlkreis kandidieren sollte. Gewinnt er seinen Wahlkreis nicht, fällt mit großer Wahrscheinlichkeit kein Listensitz für ihn an und man wäre gezwungen einen erfolgreichen Wahlkreiskandidaten zum Verzicht auf seinen Sitz zu bewegen, damit der designierte Ministerpräsident nachrücken kann.

Interessant wird diese Frage dann, wenn in der laufenden Legislaturperiode (z.B. durch Rücktritt) ein neuer Ministerpräsident, oder bei unklaren Mehrheiten ein Kompromisskandidat gesucht wird. Der Kandidatenpool kann dann plötzlich sehr klein sein.

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Martin Fehndrich ist Gründer von Wahlrecht.de (Twitter: @wahlrecht_de). Dabei handelt es sich um ein unabhängiges, überparteiliches und nicht-kommerzielles Internet-Angebot rund um die Themen Wahlen, Wahlrecht, Wahlverfahren und Wahlprognosen. Genauere Informationen über die Wahlsysteme der anderen deutschen Bundesländer sind unter http://www.wahlrecht.de/landtage/index.htm zu finden.

Bildquelle: Screenshot landtag.nrw.de

Jürgen Rüttgers und die Sponsoringdebatte

Die Empörung war riesig, als der Spiegel am Wochenende einen Artikel veröffentlichte, nach der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Gesprächsminuten mit Unternehmen verkauft haben soll.

„Für 20.000 Euro können Kunden demnach ein sogenanntes Partnerpaket für den Parteitag kaufen, das neben einem rund 15 Quadratmeter großen Stand auch „Einzelgespräche mit dem Ministerpräsidenten und den Minister/innen“ verspricht. Für 14.000 Euro bietet die Partei eine Ausstellungsfläche von zehn bis 15 Quadratmetern an. Eine vertrauliche Unterredung ist für diesen Betrag allerdings nicht mehr drin, sondern nur noch ein „Fototermin und Rundgang mit dem Ministerpräsidenten und den Minister/innen“.“

In der Saarbrücker Zeitung bezeichnete selbst sein Parteifreund und Bundestagspräsident Norbert Lammert das Sponsorenschreiben als „politisch selten dämlich.“

Bereits einen Tag später entschuldigte Jürgen Rüttgers für das Parteitagssponsoring (auch hier berichtete der Spiegel). Doch damit war der Fall noch nicht beendet, sondern erreichte erst am Montagmorgen mit dem Rücktritt des CDU-NRW Generalsekretär Hendrik Wüst seinen Höhepunkt.

Wie zu erwarten wird dessen Rücktritt im Internet sehr unterschiedlich aufgenommen.

Vor allem die Internetangebote der klassischen Tageszeitungen überschlagen sich einmal mehr vor Überschriftenkreativität: „Das Ende des jungen W.„, „Rent a Rüttgers!“ und „Wüst in der Wüste„.

Die ZEIT berichtet derweil vom „Absturz einer Nachwuchshoffnung„.

Besonders in den gerade angelaufenen Wahlkampfblogs der politischen Gegner wurde der Fall genüßlich zerissen. So macht die SPD darauf aufmerksam, dass der WDR, in Zusammenhang mit Rüttgers, bereits 2004 über einen ähnlichen Fall berichtet hat:

„Es ist nicht das erste Mal, dass über die CDU in NRW und CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in Zusammenhang mit fragwürdigen Praktiken im Sponsoring berichtet wird. Bereits 2004 (!!!) berichteten das WDR-Fernsehpolitikmagazin „Westpol“ über “Händeschütteln und Smalltalk mit Jürgen Rüttgers“ und das WDR5-Radiomagazin Westblick über „Eine neue Hintertür bei der Parteienfinanzierung“.“

Die Grünen sprechen derweil – in Anspielung auf frühere mehr oder weniger große Skandale, in die Wüst verwickelt war – von der „Chronik der VerWÜSTung„.

„Die rechte Hand von Jürgen Rüttgers hat in den letzten Monaten einiges verbockt. Die Liste seiner Verfehlungen ist beachtlich lang (und bestimmt nicht vollständig): Es begann mit der Videoüberwachung von Wahlkampfveranstaltungen der Opposition, dann wurde seine Krankenversicherungsaffäre im letzten Dezember bekannt und jetzt noch der Verkauf von Audienzen beim NRW-Ministerpräsidenten auf dem CDU Parteitag in Münster. Zusätzlich leistete sich Wüst (im nicht politischen Leben ist er Jurist) sich auch noch Rechtstreitigkeiten durch unzulässigen Entlassungen in der CDU-Zentrale. Sein heutiger Rücktritt war längst überfällig!“

Auch der WDR berichtet auf seiner Website über die „Pannen-Serie des Hendrik Wüst„. Jedoch berichtet der WDR auf seiner Website auch darüber, dass es schon längst keine Ausnahme mehr darstelle, wenn Firmen kostenintensive Standplätze auf Parteitagen mieten („Wie Unternehmen Parteitage (mit-)finanzieren„).

„Etwa ein Zehntel der Kosten eines Parteitages werde durch die Werbestände finanziert, schätzt Ralph Sterck, Hauptgeschäftsführer der NRW-FDP. Je nach Länge und Tagungsort würde ein Parteitreffen 50.000 bis 150.000 Euro kosten. Dirk Borhart, Pressesprecher der NRW-SPD, schätzt die Kosten für eine Zusammenkunft seiner Partei auf 200.000 bis 300.000 Euro. Die Grünen hat ihr zurückliegender Parteitag 60.000 Euro gekostet.“

Und auch bei Grünen und SPD ist kaum ein Parteitag zu finden, auf dem man nicht bereits im Eingangsbereich von zahlreichen Firmenständen empfangen wird. Über Sponsoren auf Parteitagen der Grünen wurde etwa schon an anderer Stelle gebloggt.

Auch das Handelsblatt berichet auf seiner Website (mit einer interessanten Überschrift) von der üblichen Praxis, Parteitage durch Firmensponsoren mitzufinanzieren: „Klamme Parteien nerven die Wirtschaft„.

„Ob Wahlkampf, Parteitag oder Direktspende: Die Unternehmen können sich kaum noch retten vor den Bettelbriefen der Politik. Wenige nutzen das, viele fühlen sich erpresst. Für die Parteien aber ist es der neue Königsweg der Eigenfinanzierung.“

Ein wenig Ordnung in die Diskussion bringt Andrea Roemmele vom Politik nach Zahlen-Blog der ZEIT:

„Halten wir also fest: Verwerflich ist nicht die Spende. Verwerflich ist die Gegenleistung, die von der CDU in NRW angeboten wurde, nämlich der Gesprächstermin in kleiner Runde. Diese Praxis hebelt demokratische Gleichheitsgrundsätze aus – auch in diesem Blog wurde bereits darauf hingewiesen, dass Spenden von juristischen Personen einen Beigeschmack haben. Gepaart mit der Möglichkeit, in einem Gespräch direkten oder indirekten Einfluss auf Regierungshandeln nehmen zu können, ist dieses System hochgradig bedenklich.“

An anderer Stelle wird wir der Vorgang weitergehend sogar als Verstoß gegen das Parteienrecht gesehen.

Wie in der Blogosphäre meldeten sich auch bei Twitter vor allem Politiker von SPD und Grünen zu Wort.

Steffi Lemke (Bundesgeschäftsführerin der Grünen):

„Zehn Wochen vor einer Wahl den Wahlkampfleiter raus schmeißen zu müssen zeugt von inneren Zerfallserscheinungen. #NRW#CDU“

UlrichKelber (MdB aus Bonn):

„Rüttgers hat Wüst vermutlich gar nicht entlassen, sondern ihn verkauft :-)“

Die CDU meldete sich derweil nur mit einem einzigen und überaus kurzen – dafür für die SPD umso schmerzhafteren – Beitrag in ihrem Wahlkampfblog zu Wort.

„Artikel aus der Bildzeitung zum Thema “Auch die SPD bot Politiker-Treffen an”.“

Bildquelle: Screenshot Spiegel ONLINE.

Wahlstatistik zur Bundestagswahl 2009

2009 haben so viele Menschen wie noch nie zuvor bei einer Bundestagswahl die Möglicheit genutzt, ihre Stimme zu splitten. –  Dies ist ein Ergebnis der in diesem Monat veröffentlichten Wahlstatistik zur Wahl des 17. Deutschen Bundestages am 27. September 2009 des Bundeswahlleiters.

In der Auswertung, die auch als ausfürlicher Bericht abrufbar ist, werden einige interessante Phänomene dargestellt.

Stimmensplitting erreicht neuen Höchststand

Insgesamt hat das Stimmensplitting – also die Aufteilung der Erst- und Zweitstimme auf unterschiedliche Parteien – bei der Bundestagswahl 2009 mit 26,4 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Die Wähler geben ihre Stimmen also in immer stärkerem Maße auch nach taktischen Gesichtspunkten ab.

„Betrachtet man die Abgabe der Erststimme bei gegebener Zweitstimme, splitteten die Wähler der FDP am häufigsten; über 55% haben mit der Erststimme den Direktkandidaten einer anderen Partei gewählt, dabei vornehmlich den von CDU oder CSU. Im Gegenzug vergaben knapp 18% der Erststimmenwähler der CDU ihre Zweitstimme an die FDP. Auch Zweitstimmenwähler der GRÜNEN unterstützten mit ihrer Erststimme häufig Direktkandidaten einer anderen Partei, vor allem die der SPD. Bei den Wählerinnen und Wählern der Linkspartei war gegen den allgemeinen Trend ein Rückgang des Stimmensplittings im Vergleich zu 2005 festzustellen.“

In diesem Zusammenhang erscheint auch die Auswertung der ungültig abgegebenen Stimmen nicht uninteressant:

Quelle: bundeswahlleiter.de

Zugewinne in allen Altersgruppen für FDP, Linkspartei und Grüne

Mit FDP, der Linkspartei und den Grünen konnten insbesondere die drei „kleinen“ Parteien bei der letzten Bundestagswahl deutliche Gewinne einfahren.

„Bei der FDP reichte der Zugewinn von 3,4 Prozentpunkten bei den Wählerinnen und Wählern ab 60 Jahren bis zu 6,7 Prozentpunkten bei den 35- bis 44-Jährigen. DIE LINKE erzielte bei den 45- bis 59-Jährigen mit 15,2% ihr bestes Ergebnis. Die GRÜNEN waren besonders bei den Jung- und Erstwählern unter 25 Jahren erfolgreich. Hier erreichten sie einen Zweitstimmenanteil von 15,4%, während sie bei den Wählern über 60 Jahren mit 5,0% weit unter dem Gesamtergebnis lagen.“

Gleichzeitig musste vor allem die CSU in allen Altersgruppen Verluste einstecken.

„Die CSU schnitt wie die CDU bei den Wählerinnen und Wählern über 60 Jahren am besten ab (8,0%). Sie musste jedoch im Vergleich zu 2005 in allen Altersgruppen geringe Verluste hinnehmen.“

Quelle: bundeswahlleiter.de

Insgesamt werden jedoch auch bei FDP, Linkspartei und Grünen deutliche Unterschiede in der Wählerstruktur sichtbar. Ein besonders entscheidenter Faktor spielt dabei einmal mehr das Alter der Wähler.

„Bei der FDP entsprach die Altersstruktur der Wählerschaft am ehesten der demografischen Zusammensetzung aller Wahlberechtigten. Bei der Partei DIE LINKE war die Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen überproportional vertreten. Die GRÜNEN haben ihr größtes Wählerpotential bei den Jüngeren: Etwa die Hälfte der Wählerschaft der GRÜNEN war bei der Wahl 2009 jünger als 45 Jahre.“

Fast ein Drittel der Wahlberechtigten sind über 60 Jahre alt

Bereits in der letzten Woche haben wir uns mit dem immer höheren Alter der Wahlberechtigten beschäftigt (siehe: „Dominanz der Senioren“). Auch die die Wahlstatistik des Bundeswahlleiters zeigt den dargestellten Trend.

„Bei der Bundestagswahl 2009 waren insgesamt 62,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger wahlberechtigt, davon war gut die Hälfte im Alter von 30 bis 59 Jahren. Die Generation ab 60 Jahren stellte mit 20,4 Millionen fast ein Drittel aller Wahlberechtigten, und damit fast doppelt so viele wie die jüngere Generation unter 30 Jahren, die mit 10,2 Millionen etwa ein Sechstel aller Wahlberechtigten ausmachte.“

Gleichzeitig erreichte die Altersgruppe 60-69 Jahre mit 80,0 Prozent die höchste Wahlbeteiligung, während diese in der Altersgruppe 21-24 Jahre mit 59,1 Prozent am niedrigsten war.

„Mit 70,8% war die Wahlbeteiligung um 6,9 Prozentpunkte geringer als bei der Wahl 2005 und damit so niedrig wie bei keiner Bundestagswahl zuvor. Wie schon bei früheren Bundestagswahlen hatten die jüngeren Altersgruppen auch 2009 wieder eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung. Dadurch wird das Einflusspotential der jungen Wahlberechtigten gegenüber den älteren Wählern überproportional geschwächt. Die 21- bis 24-Jährigen hatten mit 59,1% erneut die geringste Wahlbeteiligung aller Altersgruppen. Besonders niedrig war dabei die Wahlbeteiligung der 21- bis 24-jährigen ostdeutschen Frauen (52,7%) und Männer (53,1%). Mit steigendem Alter nahm die Wahlbeteiligung bis zu den 60- bis 69-Jährigen kontinuierlich zu: diese Altersgruppe beteiligte sich mit 80,0% am aktivsten an der Bundestagswahl 2009. Vor allem die westdeutschen Männer von 60 bis 69 Jahren lagen mit 82,1% deutlich über der durchschnittlichen Wahlbeteiligung, auch die gleichaltrigen westdeutschen Frauen erreichten mit 81,1% einen hohen Wert.“

Bildnachweis: flickr.com / pittigliani2005