Visionen und er

Frank-Walter Steinmeier hat es wirklich nicht leicht in diesem Wahlkampf. Ein unmögliches Duell soll er gegen Angela Merkel austragen, die sich allen Konfrontationen schlicht entzieht. Warum sollte sie auch kämpfen mit einem vollkommen unterschätzten Kanzlerkandidaten einer Sozialdemokratie im Umfragetief? Sie könnte nur verlieren, was sie nach aktuellem Stand im September erneut ins Kanzleramt tragen wird.

Seine eigenen Parteimitglieder machen es dem unglücklichen Frank auch nicht leichter als seine konservative Konkurrentin. Ulla Schmidt beweist in einer eigentlich vollkommen korrekt gehandhabten Situation einen selten ungeschickten Umgang mit der Presse und den Wählern und macht die SPD zur Antiheldin des Sommerlochs. Und dann scheitert auch noch die Vorstellung des Kompetenzteams an der Tatsache, dass die Parteiführung bei der Vergabe von Posten mehr auf die Bedienung von Ansprüchen der Flügel achtete als auf wirkliche Kompetenz.

4 Millionen Jobs

Diesen schwierigen Wahlkampfauftakt soll jetzt der Deutschland-Plan [PDF] beflügeln, den man wohl eher nicht unter seinem richtigen Namen oder dem Slogan „Politik für das nächste Jahrzehnt“ kennen wird, sondern unter der plakativen Zahl von 4 Millionen Jobs. In Worten vier Millionen neue Arbeitsplätze sollen bis 2020 entstehen und so für Vollbeschäftigung im Land sorgen. Man könnte jetzt seitenweise über die verschiedensten Kritiken schreiben, über die scheinheilige Kritik des neuen Volkstribunen Guttenberg, über Plagiatsvorwürfe oder den allzu langen Zeitraum der Prognose.

Stattdessen muss man Steinmeier einfach einmal loben. In einem Wahlkampf, der bisher vollkommen an den Interessen der Bürger vorbei ging, ist es nicht zuletzt das Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit, das viele Menschen umtreibt. Von einer Wirtschaftskrise bedroht, deren Auswirkungen möglicherweise erst langsam und schleichend das Leben der Deutschen beeinflussen werden, ist Hochkonjunktur für Zukunftsängste. Ein solches Versprechen der Vollbeschäftigung ist eben nicht schlichte Bauernfängerei wie die christsoziale und liberale Forderung nach Steuersenkungen, sondern eine Vorstellung davon, wie die Zukunft in diesem Land aussehen könnte.

Wahlkampf ohne Zukunft

Nun hat Helmut Schmidt bereits in den 80er Jahren seine Meinung über solche Ideen deutlich zum Ausdruck gebracht und gefordert, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Doch es sind gerade die Visionen und Zukunftskonzepte, die dem diesjährigen Wahlkampf ebenso fehlen wie scheinbar der gesamten aktuellen deutschen Politik.

„Wo bleibt der leidenschaftliche Streit um die Kontrolle der Banken, die ihre Casinos wieder eröffnet haben und den ultimativen K.O.-Schlag gegen die Weltwirtschaft vorbereiten? Warum wird, bis auf die Linkspartei, der deutschen Afghanistan-Einsatz im Wahlkampf tabuisiert? Warum wird eigentlich das zentrale Thema ausgeklammert, wie Deutschland jemals wieder von seinem gigantischen Schuldenberg herunterkommen will? Deutschland steht in der nächsten Legislaturperiode vor eine der härtesten Sparphasen der letzten Jahrzehnte und keiner redet darüber. Wann kommen Steuererhöhungen? Wird der Sozialstaat überleben können? Ist der Generationenvertrag nicht schon längst zerbrochen? Wer zahlt am Ende wirklich die Zeche?“

So schreibt Michael Spreng – und man könnte diese Liste erweitern, über Bildung und Kinderfreundlichkeit debattieren. Politik muss wieder über die Zukunft sprechen, muss die Visionen haben, die Helmut Schmidt für krankheitsbedingt hielt. Björn Böhning nannte die Vorschläge „ambitioniert“ und beschreibt damit genau, was Politik auch sein sollte. Es gehört mehr dazu, als der Deutschland-Plan sein kann, aber er ist wenigstens ein Anfang von Optimismus in einem bisher gelähmten Wahlkampf.

Bild: flickr nrwspd_foto

Die gelöschten Minister

phcwebGerade einmal 24 Stunden hatte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen den SPD-Ministerinnen und -Minstern nach dem Koaltionsbruch gegeben, um ihre Büros zu räumen. Der Zündstoff dieses Rauswurfs wurde bereits an anderen Stellen ausreichend diskutiert, wenn da nicht folgende Randnotiz in der gestrigen Ausgabe der Frankfurter Rundschau  zu finden gewesen wäre:

„Nach FR-Informationen wurden die Mitarbeiter dieser Häuser angewiesen, bis Mitternacht aus den Internetangeboten der Ministerien alle Mitteilungen der Ex-Minister Ute Erdsiek-Rave, Lothar Hay, Uwe Döring und Gitta Trauernicht zu löschen“ (Quelle: fr-online.de).

Und wirklich, sowohl von der Homepage der Landesregierung als auch von den Webseiten der Ministerien wurden alle Informationen über die ehemaligen SPD-Ministerinnen und -Minster gelöscht. In den meisten Fällen lassen sich die Mitteilungen der Ex-Ministerinnen und -Minister nur noch über die Suchmasken der Webseiten aufrufen. Da liegt der Verdacht nahe, dass man den Versuch unternommen hat alle Überbleibsel zu beseitigen, die an die ehemalige Koaltion zwischen CDU und SPD erinnern könnten. Doch damit sind die Informationen natürlich nicht für immer verloren:

Landesregierung: NEU & ALT

Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa: NEU & ALT

Innenministerium: NEU & ALT

Ministerium für Bildung und Frauen: NEU & ALT

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: NEU & ALT

 

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Bildnachweis: Screenshot http://www.schleswig-holstein.de/

Wer hat Angst vorm schwarzen Baron?

Und schon ist es passiert, Karl-Theodor von und zu Guttenberg ist zweitbeliebtester Politiker Deutschlands und reiht sich damit direkt hinter jedermanns Liebling Merkel ein. Ein harter Schlag für Frank-Walter Steinmeier, der diesen Aufstieg Guttenbergs mit einem erneuten Verlust in der Gunst der Bürger erst ermöglichte.

deutschlandtrendEs ist eine absurde Situation, dass CDU und CSU gleich zwei Politiker in ihren Reihen haben, mit deren Arbeit die Bevölkerung zufriedener ist als mit der des SPD-Spitzenkandidaten Steinmeier. Immerhin ist Steinmeier nicht nur Wahlkämpfer, sondern auch Außenminister in der Regierung Merkel. Das Amt gehört traditionell sicher nicht zu den am meisten kritisierten im Kabinett, bleibt aber auch gerade bei erfolgreicher Arbeit oft im Hintergrund. Nicht zuletzt trifft das auf Steinmeier zu, weil sich Angela Merkel geschickt als G8- und Europakanzlerin zu inszenieren versteht. Da bleibt für den Sozialdemokraten eigentlich nur noch das Händeschütteln und Geiselkrisen bewältigen.

Harald Schoen spricht von einem Desinteresse der Bevölkerung für außenpolitische Themen, wenn diese nicht emotional präsentiert werden:„Viele Bürger schenken der Außenpolitik häufig keine allzu große Aufmerksamkeit. […] Innenpolitische Themen liegen für viele Bürger wesentlich näher. Daher gelten außenpolitische Fragen für die innenpolitische Meinungsbildung im allgemeinen und für Wahlverhalten im besonderen als nicht allzu bedeutsam.“ Zuletzt sei dies bei Gerhard Schröder anders gewesen: „Schröder gelang es offenbar, den Bürgern die Wichtigkeit des Irak-Themas vor Augen zu führen und sie dabei auch emotional anzusprechen.“ Emotionalität ist nicht gerade Steinmeiers Stärke.

Ganz anders kommt da der smarte Baron bei den Wählern an und verkauft sogar das vorsichtige Mahnen für eine Insolvenz wundersam publikumstauglich. Als scheinbar letzter Verfechter marktwirtschaftlicher Prinzipien führt er die SPD und ihre unglaubwürdigen Heilsversprechen für jedes angeschlagene Unternehmen an der langen Leine durch die Manege.

Unbestreitbar ist Guttenberg ein politisches Talent, wie es Deutschland schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Er hat das ihm zur Verfügung stehende halbe Jahr als Wirtschaftsminister für einen rasanten Aufstieg genutzt. Die meisten fachlichen Entscheidungen waren, so kurz vor der Bundestagswahl, schon getroffen und die Krisen von Opel und Arcandor boten Gelegenheiten, die ihm kaum günstiger zufallen konnten. Vor nicht mal einem halben Jahr war er noch Generalsekretär der CSU, weitere 4 Monate zuvor nur einfacher Bundestagsabgeordneter aus Franken. Und jetzt? Heute sprechen ihm bereits die ersten Gönner die Möglichkeit zu, eines Tages deutscher Bundeskanzler zu werden – die WELT sieht in ihm glatt einen kleinen Obama.

Dabei steht Guttenberg nicht wie Obama für einen inhaltlichen Wechsel, für eine Idee und deren Verwirklichung mit aller Kraft. Guttenberg repräsentiert vielmehr einen Charakterzug der CSU, den manche wohl als Wetterwendigkeit bezeichnen würden, andere als Flexibilität oder Anpassungsfähigkeit. Es kann niemanden verwundern, dass es der junge Baron war, der jüngst den Apologeten für eine schwarz-grüne Annäherung auch auf Bundesebene spielte.

Auf sonderbare Art und Weise wirkt der bayrische Baron dabei ein bisschen wie Gerhard Schröder, der als pragmatischer Politiker und gekonnter Dompteur der Medienlandschaft ebenfalls nicht für große Hoffnungen stand.

Es ist nur ein halber Obama, den unser Wirtschaftsminister darstellen kann. Ein Obama, von dem man Idealismus und Visionen einfach abzieht, der aber mit dem verbleibenden Charisma und seiner Überzeugungskraft immer noch alle überragt.

Aber wäre es nicht gerade die andere Seite Obamas, die Deutschland jetzt bräuchte?

Bilder: flickr Michael Panse MdL, ARD Deutschlandtrend

Piratenfahne über dem Reichstag

Unaufhaltsam scheint er zu sein, der Erfolg der Piratenpartei. Vor zwei Wochen zog ein schwedischer Pirat in das Europaparlament ein, dank eines Wahlergebnisses von 7,1% für die vermeintlich hoffnungslose Kleinstpartei. Die Piratenpartei ist in Schweden mittlerweile die drittgrößte Partei – dabei wurde sie erst 2006 gegründet. Ihre Geschichte ist nicht zu trennen von der Tauschbörse Pirate Bay und der großen Debatte über Rechte und Freiheiten im Internet, die dadurch in Schweden entstand.

3643464463_37c94249a4Mehr Aufmerksamkeit werden die Piraten nun aber auch in Deutschland bekommen, denn seit gestern haben sie einen eigenen Abgeordneten im Bundestag. 100 Tage vor der Bundestagswahl tritt der SPD-Medienexperte Jörg Tauss aus seiner sozialdemokratischen Heimatspartei aus und wechselt zur Piratenpartei.

Tauss verlässt SPD wegen Netzpolitik

Tauss ist seit 1994 Mitglied des Bundestages und zog seitdem immer über die Landesliste Baden-Württemberg ein. Er war Medienbeauftrager der SPD-Bundestagsfraktion, Sprecher der Franktionsarbeitsgruppe Bildung und Forschung und Mitglied des Fraktionsvorstandes. Nicht zuletzt als Obmann der SPD im Unterausschuss „Neue Medien“ hat sich Jörg Tauss einiges Renommee in Sachen Medien und Internet erworben. Seinen Austritt begründete er auf seiner Internetseite:

Auf dem Feld der Innen- , Rechts- und Internetpolitik gibt es in der SPD jedoch eine schlimme Fehlentwicklung. Schleichend begonnen hat es bereits vor etlichen Jahren mit den Sperrverfügungen in Nordrhein- Westfalen. Den vorläufigen Höhepunkt hat diese bedrohliche Entwicklung jedoch vorgestern in der Zustimmung zu einem Gesetz gefunden, mit dessen Hilfe CDU und CSU eine staatliche Zensurinfrastruktur errichten werden. Stück für Stück hat sich die SPD von einer Bürgerrechtspartei, die mutig für Freiheit und Recht kämpft, zu einer Steigbügelhalterin der Union entwickelt, die ohne ein Zögern gewillt ist, eine sicherheitspolitische Aufrüstung ohne Ende zu befördern.

In einer einseitigen Sicht auf die „Innere Sicherheit“ werden Bedrohungen und Bekämpfungsstrategien isoliert betrachtet. Handlungsoptionen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen würden, werden noch nicht einmal mehr ernsthaft untersucht. Ein ernsthafter Dialog mit kritischen Bürgern findet nicht statt. Gegenüber Experten zeigt man sich beratungsresistent.

Für mich ist das die Ursache einer staatlichen Beschränkung von Freiheit ohne Augenmaß: Die Auslandskopfüberwachung, die Vorratsdatenspeicherung, die Onlinedurchsuchung, das BSI- und das BKA- Gesetz und nicht zuletzt die Internet- Sperre, das sind nur die bekannteren Beispiele dieser gefährlichen Entwicklung! Immer lauter ertönt der so dumme wie polemische Schlachtruf, wonach das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfte. Doch dieses war es nie. Das Internet wird so aber immer mehr zum bürgerrechtsfreien Raum! Dieses müssen wir stoppen.

Das Abstimmungsverhalten der SPD- Bundestagsfraktion beim sogenannten „Zugangserschwerungsgesetz“ ist für mich nur der letzte Beleg dafür, dass heute weder Internetexperten noch Bürgerrechtler ausreichendes Gehör im Parlament finden. Opposition gegen immer neue Beschränkungen von Freiheit wird in Deutschland inzwischen marginalisiert, in meinem Fall sogar beinahe als kriminell erachtet.

Piraten = SPD plus Medienkompetenz

Zum ersten Mal gibt es im Bundestag eine Partei, die ihre Positionen auf einen kleinen, aber überzeugt vertretenen Kernbereich konzentrieren. Und so ist es faszinierend, dass Jörg Tauss sich eigentlich nur im Bereich des Piraten-Programms von seiner Partei verabschiedet hat. Die für ihn skandalösen Entwicklungen seiner Partei haben ihn offensichtlich nicht dazu gebracht, der Sozialdemokratie abzuschwören. Über seiner Mitteilung zum Austritt steht: „Ich bin und ich bleibe Sozialdemokrat – und werde deshalb ein Pirat“.

In der laufenden Legislaturperiode wird das nicht mehr viele Auswirkungen haben. Eine Sitzung steht regulär noch an, am 3. Juni Juli soll unter anderem auch über Datenschutz zu reden sein. Wenn es das Bundestagsprotkoll hergibt, wird Tauss sich dort vermutlich für die Piraten zu Wort melden. Das Modell aber, das Tauss durch seinen Aus- und Eintritt eingeführt hat, könnte die Zukunft von kleinen Interessenparteien sein. Indem sich Tauss weiterhin ausdrücklich als Sozialdemokraten bezeichnet, hält er einen Nähe zur SPD, die weit über eine befreundete Partei hinaus geht. Er dockt sich bildhaft gesprochen an die SPD an und fährt in den meisten Situationen mit dem sozialdemokratischen Dampfer über den Ozean. In besonderen Fragen, die die Interessen seiner „Piraten“ betreffen, wird einer ihrer Abgeordneten (wer weiß, ob es einen geben wird) nicht nur seinen Einfluss auf das „Mutterschiff“ SPD einsetzen, sondern auch mit seiner eigenen Stimme ein Korrektiv bilden.

Stimme für Piraten nicht verloren

Somit wäre eine Stimme für die Piratenpartei keine verlorene Stimme mehr für alle, die bisher eher sozialdemokratisch gewählt haben. Sie würden lediglich eine „SPD plus Medienkompetenz“ wählen, wenn sie ihr Kreuz bei den Piraten machen. In allen anderen Bereichen unterstützten sie ja weiterhin eigentliche SPD-Politik. Wenn die Piratenpartei sich 1. diesen Gedanken von Tauss zu eigene macht und es 2. schafft, das richtig zu vermitteln – dann wird die SPD in großem Stil Stimmen an die Piraten verlieren. Klas Roggenkamp wettete jüngst auf ein Wahlergebnis von 3% für die Parteien bei der kommenden Bundestagswahl. Vielleicht hat er zu niedrig gegriffen.

Wie auch immer sich die Piratenpartei in den nächsten Wochen entwickelt, ob Tauss eventuell sogar um ein Direktmandat kämpfen wird oder eine Landesliste anführt. In jedem Falle steigt die Popularität, die Jörg Tauss in der Netzgemeinde genießt, von Tag zu Tag. Bei wahl.de ist er Big Mover, kann also den größten Zuwachs an Online-Unterstützern vorweisen. Vermutlich wird dann bald als sein Landesverband nicht mehr die SPD Baden-Württemberg zu sehen sein, sondern die Piratenpartei.

Bild: Das Foto steht unter CC-Lizenz und ist bei Nennung meines Twitter-Pseudonyms @opyh frei verwendbar.

Plädoyer gegen Volksparteien

20,8 Prozent der Wählerstimmen konnte die früher so große Sozialdemokratische Partei bei der letzten Europawahl in Deutschland gewinnen. In den Umfragen für die kommende Bundestagswahl steht die SPD auch nicht viel besser da. Das Politbarometer vom 12. Juni räumt ihr mit 22% den schlechtesten Wert seit Monaten ein. Dabei tut man doch im Willy-Brandt-Haus alles, um der Partei wieder mehr Profil zu verleihen. Aber was man auch versucht, die miserable Lage der SPD wird und wird nicht besser.

Von einer Volkspartei kann man bei der SPD wohl kaum noch reden. Es ist unwahrscheinlich, dass ihr Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier im Herbst eine Regierung bilden kann, weil der Abstand zur CDU unüberwindlich erscheint. Verständlich ist der Verdruss der Sozialdemokraten über diese Lage allemal. Aber besteht überhaupt die Möglichkeit, dass sich an der Situation noch etwas grundlegendes ändern wird?

Untergang der SPD

Wolfram Weimer, Chefredakteur des Cicero, sieht das ganze Fundament der SPD wegbrechen. Das klassische Arbeitermilieu als ehemalige Stütze der Partei schwinde mehr und mehr, denn das Land brauche eigentlich überhaupt keine Sozialdemokratie mehr. Längst sei Deutschland zu einem überladenen Sozialstaat geworden. Die größten Wahlerfolge der vergangenen Jahre habe die SPD daher gar nicht mehr mit ihrem inneren Auftrag erzielen können, sondern mit einer Abwendung davon.

Schröders Kanzlerschaft wird scheinbar nicht zu Unrecht als Grund für die schlechte Lage gesehen, in der sich seine Partei nun befindet. Die Aufweichung des Profils, der Identität der SPD hat kurzfristig zu Wahlerfolgen verholfen. Doch heute weiß kaum noch ein Wähler, wofür die Partei eigentlich steht und was ihre Ideen und Konzepte für die Zukunft des Landes sind. Jedes schlecht geführte Unternehmen zu retten kann offenbar nicht einmal in einer Wirtschaftskrise überzeugen.

Denkt man das einmal weiter, könnte man schnell zu dem Schluss kommen, die Zeit der großen Parteien sei vorbei und die SPD bei ihren 20 Prozent richtig aufgehoben. Dabei stört aber scheinbar die immer noch starke Christdemokratie. Betrachtet man sich deren Umfrageergebnisse über die vergangenen Jahre, ist zwar auch hier ein Abstieg sichtbar. Noch vor 5 Jahren lag die CDU in den Umfragen bei über 50 Prozent – und pendelt nun um die 10 Prozentpunkte tiefer. Dennoch könnte die Fraktion von CDU und CSU fast doppelt so viele Abgeordnete stellen wie die SPD, wenn die aktuellen Umfragen zu Wahlergebnissen würden.

Auch für die CDU kommt die Zeit

Aber auch die CDU wird nicht ewig eine Volkspartei bleiben können. Ihre Zukunftsaussichten sind nicht die Besten, denn ihre vergleichsweise ältere Wählerschaft wird nicht genug durch Nachwuchs gesichert. Wahrscheinlich wäre der Rückhalt der CDU noch stärker gefährdet, wenn es für ihre bisherigen Wähler mehr ernstzunehmende Alternativen als die schon profitierende FDP gebe. Auch wenn Franz Walter die Grünen noch so sehr im bürgerlichen Milieu angekommen sieht, verhindern doch soziale Unterschiede und eine schon historisch begründete Fremdheit, dass die Grünen als einzig denkbare Möglichkeit zur neuen bürgerlichen Auffangpartei der CDU-Wähler werden.

Die SPD sieht sich da schon größerer Konkurrenz gegenüber. Eine immer sozialdemokratischer werdende Politik der CDU-Kanzlerin Merkel auf der einen Seite, vor sozialen und ökologischen Ideen nur so sprühende Grüne und die das blauerote vom Himmel versprechende Linke auf der anderen Seite ziehen Wähler an, die früher am einen oder anderen Rand der SPD zu finden gewesen wären.

Seit der Gründung der Bundesrepublik hat sich die Parteienlandschaft verändert. Die alte Übersichtlichkeit mit den immer gleichen drei Parteien in nahezu allen Parlamenten wurde durch das Erscheinen der grünen Bewegung und zuletzt der Fusion aus PDS und ehemaligen Sozialdemokraten gründlich umgekrempelt. Auch andere kleine Parteien können in manchen Regionen beachtliche Erfolge verbuchen.

Parteien spiegeln die Gesellschaft

Die vielfältiger werdende Parteienlandschaft ist ein Abbild ihrer Gesellschaft, die in den letzten 60 Jahren noch viel abwechslungsreicher wurde als es der Weg von drei zu fünf Parteien beschreiben kann. Demokratie lebt aber von Parteien, die Interessen bündeln und glaubheft vertreten können. In einer so differenzierten Gesellschaft wie der heutigen braucht es also gar nicht wenige und dafür unwahrscheinlich große Parteien. Es sind keine Volksparteien, die die Interessen der Wähler besser zusammen fassen und engagiert in Politik übersetzen können.

Foto: Flickr Groote