Wenn die Wähler einfach zu dumm sind

Gestern wurde nicht nur in Nordrhein-Westfalen gewählt, sondern auch in unserem Landkreis. Der amtierende Lahn-Dill-Landrat Wolfgang Schuster wurde mit 62,1% im ersten Wahlgang wieder gewählt – bei einer Wahlbeteiligung von 25,8%. Aber natürlich sind nicht die Politiker Schuld an dieser geringen Wahlbeteiligung, das ist für Schuster ganz klar. Sein Kommentar zur Lage:

„Angesichts solch einer niedrigen Quote sollte man „darüber nachdenken, ob man nicht den Landrat oder den Oberbürgermeister wieder durch das Parlament wählen lässt“, regte Schuster an.“

Es ist schon erschütternd, wie blind man als Politiker sein kann. Erst führt man einen Wahlkampf, der gar kein richtiger ist. Keine Kontroversen, keine Leidenschaft. Man hat nicht einen Grund gehört, warum der Amtsinhaber weiter machen möchte. Und auch der Gegenkandidat der CDU hat seinen Wahlkampf mit wenig Engagement betrieben. Warum auch, wenn die Wähler ohnehin zu dumm sind?

Man braucht sich nicht zu wundern, dass die Piratenpartei 6,8% bei einer für sie eigentlich aussichtslosen Personen-Wahl bekommen hat. Deren Kandidatin Nicole Schneider kommentiert daher in ganz anderem Ton:

Wir haben den #LDK gerockt und in jedem Wahlbezirk mindestens 1 Stimme bekommen. Danke an alle die uns gewählt haben http://bit.ly/LG4CmV

Dialog zwischen Plenum und Tribüne

Vor einer Woche erst fiel die Entscheidung, dass nun im Hessischen Landtag nicht nur die Abgeordneten twittern dürfen, sondern auch die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne. Nach einem kurzen Dagegenhalten von Seiten der Regierungsfraktionen schlossen sich dann auch alle mit Begeisterung an bei der Abschaffung dieser absurden Beschränkung:

Öffentlich aufgefallen war dies zuletzt im März, als Mitglieder der Piratenpartei Hessen unter dem Twitter-Namen „Landtagswatch_HE“ (@LTW_HE) von der Besuchertribüne aus die Landtagsdebatten kommentieren wollten – bis es ihnen unter dem Verweis auf die Hausordnung untersagt wurde. Daraufhin setzten sich die Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei für eine Änderung der Hausordnung ein. Die Regierungsparteien CDU und FDP schlossen sich dem schließlich an.

Gestern fand also das erste Plenum mit den neuen Spielregeln statt, Twittern aus dem Saal und von der Empore. Und diese Möglichkeit wird rege genutzt. Piraten und Parlamentarier schreiben hin und her, greifen sich an und werben zwei Tweets später wieder um Verständnis. Die Auseinandersetzung der etablierten Parteien mit den Piraten ist spätestens jetzt auch in Hessen angekommen. Dabei geht es nicht immer friedlich, nicht stets stilsicher zu. Wir wollen ein paar Auszüge aus der Debatte hier dokumentieren:

[Direkttwitter] Weiterlesen

Politik erklären in der Late Night

Man stelle sich das mal für einen Moment vor. Es ist später Abend, irgendeine deutsche Fernsehsendung läuft. Vielleicht Stuckrad Late Night, vielleicht Harald Schmidt. Bisher dümpelt die Sendung vor sich hin, nichts weltbewegendes ist passiert. Der Moderator lässt sich gerade darüber aus, dass Politik viel zu oft dröge, mit schwerer Sprache und ohne Bezug zu den Zuschauern erklärt wird. Im Kopf hat man die Bilder, wie ein Patrick Döring oder eine Andrea Nahles ein Statement verliest, dessen Satzkonstruktion schon nur noch mit einem Diagramm verstanden werden kann. Auf einmal betritt Angela Merkel die Bühne und sagt, dass ihr das auch gewaltig auf die Nerven gehe. Im Hintergrund bezieht eine Band Stellung und in einer Kombination aus szenischer Lesung und Musik erklärt die Kanzlerin in einfachen Worten, wie sie die Bildungspolitik im Land vorwärts bringen will. Sie spricht klare Worte, stellt den ganzen Sachverhalt dar und nicht nur einen verkürzten Ausschnitt. Und trotzdem oder gerade deswegen weckt sie das Interesse der Zuschauer.

So absurd das in Deutschland klingt, in Amerika kann das ganz einfach passieren. Barack Obama kommt nicht zu Harald Schmidt, sondern zu Jimmy Fallon. Gemeinsam erklären sie, wie Obama dafür eintritt, dass ein Studium in den USA nicht noch teurer wird, als es ohnehin schon ist.

„Slow Jam the News“ – und im Hintergrund spielt die Band.

Natürlich wird Angela Merkel nicht spontan eine Überdosis Charisma erhalten. Und Harald Schmidt oder Benjamin von Struckrad-Barre sind nicht auf einmal die Könige der Unterhaltung wie ihre amerikanischen Vorbilder. Aber der Grundgedanke ist schon faszinierend. Warum muss Politik stur und verkopft erklärt werden, warum muss man sich in Talkshows mit Fakten die Köpfe einschlagen, die kaum noch nachvollziehbar sind, warum findet Politik in Unterhaltungssendungen so wenig Platz? Selbst Stuckrad schleust die Politiker durch seine Sendung, nur um beim ersten Anflug von inhaltlicher Tiefe in absurde Tanzspiele zu wechseln. Man braucht keine Band im Hintergrund, man braucht keinen Barack Obama. Sondern eine einfache Sprache und die Lust dazu, auch einmal an ungewöhnlichen Orten über Politik zu reden. Und das können ruhig auch mal Spitzenpolitiker sein. Nicht nur Omid Nouripour kann das, sondern auch Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin.

Via Erik Meyer

Kurz notiert: Internetoffensive der Bundesregierung

Die Bundesregierung startet mit neuen Internetseiten ins Jahr 2012. Die passende Internetseite www.bundesregierung.de wurde komplett überholt und präsentiert sich so frisch und modern, wie man das lange nicht gesehen hat. Sogar Zugänge in Gebärdensprache und leichter Sprache werden angeboten. Zur Einschätzung verweisen wir einfach auf den geschätzten Kollegen und Gastautoren Achim Schaffrinna im Designtagebuch:

Das kontrastreiche, mit sinnvollen Abständen und Schriftgrößen versehene Screendesign, in dem wohldosiert Bilder zum Einsatz kommen und die Anbindung an soziale Netzwerke nicht, wie so oft, auf Kosten des harmonischen Gesamteindrucks erfolgt, kann man nur als intelligent bezeichnen. Mir jedenfalls gefällt das Interface ausgesprochen gut, vor allem auch dank einer attraktiven Typographie, die spürbar für Akzente sorgt, ohne sich dabei in der Vordergrund zu spielen. Offen gesagt steht ihr das bei einem solchen Webangebot, das derart heterogene Nutzergruppen kennt auch gar nicht zu. Pressevertreter wie Schüler, Politiker wie Politikinteressierter, Senioren wie Menschen mit Hör- und Sehschwächen – jeder muss gleichermaßen angesprochen werden.

Außerdem setzt die Kanzlerin jetzt nicht nur auf Präsentation im Internet, sondern will einen Dialog über die Zukunft der Republik führen – mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Internet als „Dialog über Deutschland“. Dazu heißt es:

Im Mittelpunkt stehen konkrete Handlungsvorschläge. Und zwar am besten solche, die die Bundespolitik mit Anregungen und Ideen konfrontieren – und der Kanzlerin die Möglichkeit eröffnen, diese weiterzuverfolgen: Sei es in der Gesetzgebung oder mit anderen Initiativen.

Damit der Bürgerdialog nicht nur auf der Onlineplattform stattfindet, wird die Bundeskanzlerin mit Bürgerinnen und Bürgern direkt diskutieren. Dies wird bei drei Bürgergesprächen Ende Februar und im März 2012 stattfinden.

Ziel des Zukunftsdialogs ist es, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die nahe Zukunft unseres Landes anzuregen und konkrete Handlungsvorschläge und Denkanstöße für die politische Arbeit zu gewinnen.

In den ersten 24 Stunden sind über 800 Vorschläge abgegeben worden, die nun diskutiert und bewertet werden können. Während die Zahl der Vorschläge schon beachtlich ist und sicher noch weit größer werden wird, hält sich die Nutzerschaft bei den Kommentaren und Bewertungen noch zurück.

Eröffnungszug

Viel hat sich bewegt, seit wir dieses Blog vor mittlerweile mehr als 3 Jahren gemeinsam neu gegründet haben. Damals war „Politik und Internet“ ein Thema, über das man vereinzelt sprach – meist, wenn gerade Wahlkampf war. Mittlerweile hat das Internet seinen Einfluss auf so viele Lebensbereiche manifestiert, dass auch in der Politik die Wechselwirkungen nicht mehr zu übersehen sind. FDP– und Grünen-Abgeordnete diskutieren über ein Internetministerium, der Innenminister setzt sich öffentlich mit dem Thema Open Data auseinander und, ja, man vergisst es oft, die Kanzlerin betreibt immer noch ein Video-Podcast. Im ganzen Land werden Bürgerhaushalte ausprobiert, mehrere MinisterInnen (lassen) twittern und es gibt eine neue Partei, die vor allem mit und im Internet bekannt geworden ist.

Szenenwechsel: Vor nicht ganz einem Monat saßen wir in Köln mit dem ehemaligen Redaktionsteam der Kampagnenpraxis zusammen und diskutierten die Zukunft von Politik und Gesellschaft im Internet. Aber es waren nicht die Erfolgsbeispiele, die wir in 50 Ausgaben unserer Reports zusammen gestellt haben, die das Gespräch dominierten. Sondern der Gedanke, was wir erreicht haben. Haben wir mit den konzentrierten Infos, den Beispielen effizienter und innovativer Kampagnen zum Nachbauen wirklich etwas bewirkt? Verändert sich politische Kampagnenführung mit dem Internet? Bei allen guten Beispielen scheint es fast so, als müsse man mit dem Blick aus der Totalen ganz einfach Nein sagen. Ich glaube, dass es vier grundlegende Probleme gibt, die jeden Fortschritt in Sachen Kampagnenarbeit verhindern. Diese Punkte wird nicht jeder teilen, mancher wird sich angegriffen fühlen. Aber ich denke, dass sich etwas tun muss. Und wir hoffen, damit etwas bewegen zu können; eine Diskussion anzustoßen, die dringend nötig geworden ist. Weiterlesen